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Auch in den nächsten zwei Tagen liefen die beiden ihre morgendliche Strecke zusammen. Bevor sich Jack am Freitag von ihr bis zum nächsten Tag verabschieden konnte, kam sie ihm zuvor.
„Bis morgen.“, sagte sie zaghaft und lächelte zu ihm hinauf. Dann verschwand sie wieder nach links und ließ einen schmunzelnden Mann zurück.
Jules kam in den Laden, absolvierte ihre Routine und wartete dann auf Charlie, damit sie einen ihrer Pflegehunde in Ruhe für seine Reise in sein neues Zuhause vorbereiten könnte. Gegen Mittag kam er endlich und begrüßte seine einzige Mitarbeiterin herzlich.
„Einen wunderschönen Mittag wünsch ich dir, Jules. Wie geht’s, wie steht's?“
„Dir auch so. Alles in bester Ordnung, Charlie,
danke. Wie ist es bei dir?“
„Ein wunderbarer Tag, ein wunderbarer Job, was will man mehr. Aber bei dir scheint sich etwas getan zu haben?“
Überrascht schaute Jules von ihrer Arbeit auf. „Was meinst du?“
„Du strahlst seit ein oder zwei Tagen so. Ich meine, von innen heraus, manchmal grinst du sogar einfach ohne Grund vor dich hin. Was ist bei dir los?“ Spielerisch lehnte er sich an ein Regal, während Jules sich dort wieder zu schaffen machte.
„Nichts ist bei mir los.“ Eine leichte Röte auf ihren Wangen konnte sie zwar nicht verbergen, sagte aber nichts mehr zu dem Thema und auch Charlie schien zu bemerken, dass dies zumindest im Moment ihr letztes Wort dazu war. Lächelnd wandte er sich von ihr ab und deutete ihr, dass sie nun nach hinten gehen könne.
In aller Ruhe badete sie Trever, verpasse ihm einen frischen Schnitt und suchte dann seine Lieblingsspielsachen und seine Decke zusammen. Dazu packte sie eine Wochenration Futter und Leckerlis ein, sowie einen genauen Diätplan, den der Arme wegen einer Krankheit einhalten musste. Dazu kam eine Liste mit Ärzten und professionellen Hundesittern, für den Notfall oder für Urlaube, an denen der Hund nicht teilnehmen konnte.
Kurz nachdem sie damit fertig war und noch ein bisschen mit dem kleinen Terrier toben wollte, rief Charlie sie nach vorne in den Verkaufsraum.
„Was gibt’s denn?“, wollte sie kaum angekommen wissen. Der Ladenbesitzer deutete stumm zur Tür und beschäftigte sich dann weiter mit einer Kundin.
Jules drehte sich in gezeigte Richtung und ihr
Herz setzte für drei Schläge aus. Da stand ihr Laufpartner von der Woche, der ebenso verdutzt schaute wie sie.
„Hey.“, brachte sie unsicher heraus.
„Hallo.“, sagte er.
„Was kann ich für Sie tun?“, fragte sie dienstbeflissen, nachdem sie einige Sekunden gebrauchte hatte, um sich einigermaßen zu sammeln.
Ihr Gegenüber gab ihr diese Zeit, jedoch nicht ohne sie ausgiebig zu mustern. „Meine Katze nimmt ihr Futter nicht mehr an. Ein Freund empfahl mir diesen Laden, wegen seiner unschlagbaren Beratung. Ihr seid meine letzte Hoffnung.“
„Ein medizinisches Problem ist ausgeschlossen?“ Hier war Jules ganz in ihrem Element und hier konnte sie so gut wie nicht aus der Fassung bringen.
Außer dem, was nun folgte, und zwar ein umwerfend spitzbübisches Grinsen. „Ma’am,
das war das erste, was ich abgeklärt habe. Ich liebe dieses kleine Fellknäuel. Was ihn angeht, bin ich ein Hypochonder. Aber der Dok meinte, es sei alles in bester Ordnung, ich würde ihn nur zu sehr verwöhnen.“
Jules nickte. „Ok. Haben Sie ihm in letzter Zeit viel Thunfisch gegeben?“
„Nein, nicht mehr als sonst.“
Professionell, jedoch leicht beklommen, stellte sie noch ein paar Fragen, während sie das entsprechende Regal entlang ging und mit ihren Augen absuchte, um ihn bloß nicht anzusehen; dieses Grinsen war zu gefährlich für sie.
Schließlich nahm sie zwei Dosen verschiedener Hersteller heraus. „Die hier sollten passen.“ Kurz erläuterte sie ihm ihre Vermutung und warum genau dieses Futter das Problem am Besten beheben könnte. „Falls er es immer noch nicht annimmt, habe ich noch ein, zwei Ideen. Kommen Sie ruhig wieder. Wir werden schon
eine Lösung für den kleinen Pascha finden.“ Freundlich schaute sie zu ihm hoch. Er war gut und gerne eineinhalb Köpfe größer als sie. Wenn sie so vor ihm stand, starrte sie genau auf seine muskulöse Brust. „Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?“
Er verzog sein Gesicht zu einer gewinnenden Miene. „Allerdings. Sie könnten mir Ihre Mobilnummer aufschreiben und heute Abend mit mir Essen gehen.“
Jules lief puterrot an. Zitternd umklammerte sie die Dosen, brachte sie langsam zur Kassentheke, die sich vorne an den automatischen Türen befand und stellte sich dahinter, als wäre sie eine schützende Barriere.
„Ich glaube, das ist keine gute Idee, Sir.“, brachte sie schließlich mit wackeliger Stimme hervor.
„Warum sollte das keine gute Idee sein?“, fragte er fordernd.
„Ich kenne Sie nicht.“ Jules konnte ihm nicht in
die Augen sehen und ihre Hände weigerten sich die Abrechnung zu machen.
Ihr Gegenüber lachte leise. „Aber genau das ist doch Sinn und Zweck einer Verabredung. Dass wir uns besser kennen lernen, denn genau das möchte ich gerne. Sehr gerne.“
Jules schwieg und begann endlich die Dosen in eine Papiertüte zu legen und Zahlen in die alte Kasse einzutippen.
„Hören Sie, ich würde ja gerne vorschlagen, dass wir uns irgendwo treffen, aber ich werde das Gefühl nicht los, dass Sie dann kneifen und morgens sogar eine andere Strecke laufen, um mir nicht mehr zu begegnen. Aber mich werden Sie so schnell nicht los, ich bin hartnäckig, wenn mich etwas oder jemand interessiert und Sie interessieren mich außerordentlich.“, meinte der Mann, während er sich über die Theke beugte, um so Distanz zwischen ihnen zu verringern. „Sie haben die Wahl: Heute mit mir ausgehen oder ich tauche hier jeden Tag so
lange auf, bis Sie es tun.“
„Ich kenne nicht mal Ihren Namen.“, warf sie verunsichert ein.
„Jack. Mein Name ist Jack McAllister. Wie heißen Sie?“
„Jules.“ Sie drückte die Summentaste und mit einem Ping gab die Kasse die geforderte Summe heraus. „Das macht 15 Dollar 85.“
„Und ihre Nummer sowie Adresse.“
Nun wanderten Jules Mundwinkel doch verräterisch nach oben. Ganz leicht nur, doch Jack sah es genau und sein Herz machte einen überraschenden Sprung. Sie notierte tatsächlich etwas auf seinem abgerissenen Barbeleg und schob ihn über die Theke, hielt aber ihre Hand darauf, die Andere streckte sie ihm geöffnet entgegen. Nun schaute sie ihm in die Augen und er sah, dass das Lächeln auch diese erreicht hatte. Es freut ihn wirklich sehr, sie so zu sehen. Für einen Moment verlor er sich in
diesen Augen und vergaß wo er war.
„15,85 $.“, rief Jules ihm ins Gedächtnis und holte ihn somit in die Realität zurück.
Er nahm die Scheine aus seiner Geldbörse, legte sie in ihre offene Hand und griff nach dem Zettel. Gespannt las er ihn und grinste dann. „Vielen Dank, Jules. Ich werde heute Abend gegen sieben vor Ihrer Tür stehen.“
Charlie sah grinsend um die Ecke und streckte ihr beide Daumen gehoben entgegen, woraufhin sie schallend lachte. Manchmal war er trotz seines Alters einfach nur kindisch.
Zurück in seinem Wagen holte Jack McAllister erst Mal tief Luft. So etwas wie gerade war ihm in seinen ganzen dreißig Lenzen noch nicht passiert. Er durfte nicht zulassen, dass sie ihn um den Finger wickelte wie ihren Köter, das wäre nicht gut. Ganz und gar nicht gut.
Sein Mobiltelefon klingelte. Erleichtert über die Ablenkung, holte er es aus seiner Hosentasche. Max's Nummer leuchtete auf dem Display.
„Hey Alter, Wir haben diesen Brian gefunden. Schwing deinen Arsch hierher, Jones kommt erst in ein paar Stunden zu seiner Schicht. Irgendwas mit seiner Tochter.“
„Bin auf dem Weg. Gib mir deinen genauen Standort.“
Max gab ihm die Adresse, an der der Beobachtungswagen stand.
Dort angekommen schob er Max gefüllte Bagels und einen großen Becher Latte Macchiato rüber. „Ok“, meinte dieser grinsend, „was brauchst du?“
„Nichts. Ich war nur in Spendierlaune. Was ich wirklich brauche ist, dass Jones dieses Mal pünktlich auftaucht. Heute muss ich wirklich
Zeitig hier weg, ich habe heute Abend ein Date.“
„Hast du das Mädel weich geklopft, ja?“
McAllister zuckte gleichgültig mit den Schultern, doch sein schiefes Lächeln strafte ihn Lügen: „Sie hatte eigentlich keine andere Option.“
Sein Freund lachte kurz, dann waren beide wieder ganz Profi und wandten sich der Zielperson zu.
Brian Bennett war kein unbeschriebenes Blatt und dem FBI im Grunde schon länger bekannt. Er war seit Jahren Mitglied im Hernadez-Clan, aber in den letzten Monaten hatte er sich eine ziemlich hohe Position innerhalb der Familie erarbeitet, mit teils sehr unschönen Methoden. Der Alte vertraute ihm und Bennett wurde sein Unterboss. Wenn irgendwo etwas schief lief, ging Bennett hin und regelte die
Sache.
Hernandez war einer der Größten unter den Familien des organisierten Verbrechens und McAllister und Hawk waren schon eine lange Zeit hinter ihm her.
Bennett war der Mann mit einer Schwachstelle, auf den sie gewartet hatten, um den Kolumbianer endlich zu Fall bringen zu können. Er war wie ein Geschenk.
Eigentlich hatte der Alte, wie sie den Patriarchen intern nannten, ein normales, bürgerliches Leben geführt, nachdem er in die USA eingewanderte. Frau, Kind und ein Haus, finanziert durch einen ganz normalen, einfachen Job. Doch dann wurde die Frau sterbenskrank, Carlos versuchte wirklich alles und die Krankenhausrechnungen stapelten sich. Irgendwann reichte der legale Lohn vorne und hinten nicht mehr. Wie das Schicksal es wollte,
war ein großer Teil seiner Familie in Dinge verstrickt, mit denen sich schnell und einfach gutes Geld verdienen ließ, also stieg Hernandez ein. Der Beweggrund, seine Frau zu retten, war zwar ehrenhaft, doch der Weg dazu alles andere als das.
Wie Teile seines Clans, zeigte auch Carlos schnell seine kriminelle Begabung und stieg zügig in dem Kartell auf. Innerhalb kürzester Zeit arbeitete er sich zur rechten Hand des Oberhauptes hoch und konnte sich die beste Versorgung seiner Frau leisten, die es für Geld gab. Aber es nützte nichts, seine Frau starb und er blieb mit seiner Tochter allein zurück. Er versteckte sie unter falschem Namen, damit sie vor der ganzen Reihe von Feinden geschützt sei.
Denn, obwohl er sich einen entsprechenden Ruf erarbeitet hatte, waren seine Gegner nicht ganz so ehrenhaft wie er. Hernandez tötete niemals
unnötigerweise und erst recht niemanden, der nichts unmittelbar mit dem Hernandez-Clan oder dessen Geschäften zu tun hatten. Das widerstrebte einfach seinem Familieninstinkt, außerdem war er Klever und ansonsten Skrupellos genug, sein Ziel auf anderen Wegen zu erreichen. Nicht zuletzt waren Leichen immer schlecht fürs Geschäft und riefen unweigerlich die Polizei auf den Plan.
Deswegen konnte sich das FBI sicher sein, dass Leichen bei denen Carlos Hernandez seine Finger im Spiel hatte, selbst keine weiße Westen trugen. Diesen Weg hatte er als Patriarch der Familie weiter durchgesetzt. Ein Schwerverbrecher mit Prinzipien war noch seltener als Wasser in der Wüste, aber hier gab es einen.
Was seine Tochter betraf, wusste niemand ganz genau, wo sie steckte. Soweit es ging, hielt er
sie von allem Fern, was Gefährlich für sie werden könnte.
Brian Bennett besaß ähnliche Moralvorstellungen wie Hernandez, weswegen er das ganze Vertrauen des Alten erlangte, die Dinge gemäß dessen Vorstellungen zu handhaben. Doch Bennett's Schwachpunkt war ebenfalls seine Familie und zwar Familie, die sich nicht in kriminelle Machenschaften verwickelt hatte. Brian tat alles, um seine Familie zu beschützen.
Die rechte Hand des Alten war seit gestern in der Stadt und leider schwerer zu finden, als gedacht. Das Team wechselte sich mit der Überwachung ab, wie genau, blieb ihnen überlassen.
Der restliche Nachmittag zog sich relativ ereignislos dahin.