Sei bloß vorsichtig, Evamaus" redete ich ihr ernsthaft ins Gewissen.
„Ich glaube zwar nicht, dass es gefährlich für dich werden könnte, aber pass trotzdem auf. Es hat einen neuen Fall gegeben. Sie könnte darin verwickelt sein."
„Pass du lieber auf, dass du mit deiner neuen Bekannten nicht allein bist. Vielleicht taxiert sie dich und überlegt, wie sie dich am besten vernaschen könnte. Du ähnelst nämlich den Beschreibungen der Vermissten, ein paar Pfund zuviel hast du auch." dabei stach sie mir ihren Zeigefinger in die Hüfte.
„Sei vorsichtig, ich möchte meinen Arbeitgeber nicht verlieren."
„Ich pass schon auf, jedenfalls hast du Recht. Sie ist eine der Verdächtigen, das ist klar. Morgenabend treffe ich mich mit ihr. Ich ruf dich Samstag früh an, so gegen Zehn. Wenn du bis dahin nichts von mir hörst, ruf Bruno an."
Ich gab Eva noch die Adresse bei der ich Amanda treffen wollte und ging wieder zurück ins Büro. Mein Schreibtisch war voller Akten und Notizen, die ich langsam durcharbeitete. Zwischendurch ein paar Telefonate, einige Anrufe von Klienten, nichts besonderes also. Erst gegen Nachmittag, nahm ich mir die Hefter vor und studierte gründlich die Informationen über die Vermissten. Evas
Bemerkung hatte mich getroffen, nicht nur in meiner Eitelkeit, sondern sie hatte den Kern erwischt. Die Beschreibungen konnten auch auf mich zutreffen, wenn ich mir gegenüber ehrlich war. Ich schüttelte die Gedanken ab, trank einen Schwenker Cognac und überlegte, wie ich vorgehen sollte.
Den nächsten Tag verbrachte ich bis zum späten Nachmittag in der Uni, um dort ehemalige Kollegen von Amelie zu interviewen. Niemand schien etwas zu wissen, alle redeten nur von einem tragischen Unglücksfall, einen Verlust für die Uni. Die restliche Zeit verbrachte ich damit, in der Bibliothek herumzustöbern. Ohne große Ahnung,
was ich suchen wollte, geradezu ohne festes Ziel. Plötzlich schaute ich auf die Uhr und fluchte, ich hatte gerade noch Zeit nach Haus zu fahren, mich frisch zu machen und umzuziehen. Ich wollte doch noch wissen, ob Eva etwas herausbekommen hatte. Doch ich hatte kein Glück, sie ging nicht ans Telefon. Ich zog mir eine blaue Jeans, eine Armanijeans, zu der mich Eva überredet hatte, Hemd, Krawatte und helles Sakko an und fuhr los. Der Verkehr war wieder einmal grausam. Fünf Minuten vor unserem Termin erreichte ich das Restaurant, fand glücklicherweise gleich einen Parkplatz und stieg aus. Amanda wartete schon in der Tür und zog mich
gleich wieder herunter. Sie sah in ihrer weißen Jeans, der lachsfarbenen Bluse und dem goldenen breiten Gürtel einfach zauberhaft aus, ich musste aufpassen, mich nicht in sie zu verknallen.
„Tut mir leid. Ich habe ganz vergessen, das ich mich mit einer Freundin verabredet hatte, übrigens einer ehemaligen Schülerin meiner Tante. Vielleicht kann die ihnen ein paar Fragen beantworten. Kommen sie mit mir, ich habe meinen Wagen da vorn. Ich bringe sie auch nachher wieder hierher."
Sie hatte mich so überrumpelt, dass ich wortlos mitlief. Ich begriff auch nicht gleich, dass ich nunmehr ganz ohne Rückendeckung operierte. So hatte sie
mich schon gefangen.
„Wollen wir nicht du zueinander sagen?" flüsterte sie in mein Ohr. „Ich bin Amanda, und wie heißt du?"
„Maximilian, für Freunde Max" antwortete ich automatisch und saß schon angeschnallt in ihrem Wagen, einem rostroten Sportcoupè. Mit quietschenden Reifen schoss der Wagen aus der Parklücke und hätte um ein Haar einen Penner über den Haufen gefahren.
Sie fuhr sehr zügig, quer durch die ganze Stadt, endlich in unserem lokalen Villenviertel fuhr sie in eine Sackgasse und bog in die letzte Einfahrt ein. Wir fuhren noch ein paar hundert Meter, durch eine tunnelförmig
zusammengewachsene Allee und blieben vor einer alten, etwas heruntergekommen wirkenden Villa stehen.
„So, da sind wir. Ich habe einen Schlüssel. Gehen wir hinein."
Sie lief die fünf oder sechs Stufen hinauf, schloss die Tür auf, öffnete die schwere alte Tür und ging hinein.
„Komm", sagte sie. „Wir müssen nach unten." Sie nahm meinen Arm und zog mich durch die Eingangshalle. Es sah alles ziemlich unbewohnt aus, und ich begann etwas misstrauisch zu werden. Wir gingen eine ziemlich steile Treppe hinunter, durch einen staubigen mit Spinnenweben versehenen Gang entlang und standen vor einer massiven eisernen
Tür. Amanda öffnete die Tür und ging hinein. Das Licht war gedämpft. Der Raum war wie ein Wohnzimmer aus Großmutters Zeiten möbliert, also ziemlich viel Plüsch, Nippes, Zierdeckchen und ähnliches. Auf dem Sofa saß eine Frau in Amandas Alter, im Gegensatz zu ihr ziemlich unscheinbar, etwas dicklich, etwas unvorteilhaft gekleidet, enge graue Leggins und ein sackförmiger giftgrüner Pullover, der ihr Gesicht ziemlich bleich erschienen ließ, und das zudem etwas teigig wirkte. Sie hockte da, wie eine Spinne im Netz, die ihre Beute mustert. Sie starrte mich wortlos an, musterte mich aber mit einem lauernden Ausdruck. Ihre Augen hatten
ein seltsames Glühen. Endlich verzog sich ihr Mundwinkel zu etwas, dass wie ein Grinsen wirkte, welches aber nicht ihre Augen erreichte.
Dann wandte sie sich an Amanda und fragte sie emotionslos
„Was hast du mit ihm vor, warum bringst du ihn ausgerechnet hierher? Bist du verrückt, ausgerechnet heute? Hast du vergessen, dass Ludmilla und Karla gleich kommen?"
Ich starrte verblüfft auf die Beiden.
Amanda schaute zu mir, ging gar nicht auf Veras Attacken ein und entgegnete
„Das ist Max, das ist Vera. Er ist Privatdetektiv. Er will nämlich näheres über Amelie wissen, verstehst du? Ich
habe Max gesagt, du könntest ihm vielleicht weiterhelfen. Beruhige dich, Ludmilla und Karla werden ihn mögen."
„Leg doch ab, was möchtest du trinken, Bourbon, Scotch, einen feinen alten Brandy, oder einen Likör?" wandte sie sich an mich.
Die ganze Zeit beobachtete und musterte mich Vera, unauffällig, wie sie meinte. Aber ich hatte diese abschätzenden taxierenden Blicke mitbekommen. Ich versuchte mit ihr ins Gespräch zu kommen „Was tun sie beruflich, Vera?" begann ich.
Sie fixierte mich jetzt durchdringend, und bevor sie antworten konnte warf Amanda ein „Vera arbeitet an der Uni.
Sie ist Assistentin von Professor Bouzek."
„Sag ruhig, dass ich in der Pathologie arbeite, als Sektionsassistentin." kicherte sie plötzlich.
„So richtig Leichen untersuchen, wie bei Quincy?" murmelte ich etwas blass um die Nase. Meine Hände waren feucht, und der Schweiß stand mir auf der Stirn.
„Wir sollten ein anderes Thema wählen" warf Amanda etwas nervös, wie mir schien, ein. „Wo Ludmilla und Karla nur bleiben?"
Amanda drückte mir ein Glas mit einem seltsam bläulichen Inhalt in meine Hand. Ich schaute fragend.
„Das ist ein außergewöhnlicher Likör,
nicht wahr, ein Rezept meiner Tante." lächelte Amanda.
Sie hielt ebenfalls ein Glas mit diesem Likör in der Hand und prostete mir zu.