Nach einer guten halben Stunde kam Eva wieder in mein Büro, denn wir hatten außer meinem Büro, dem Lagerraum mit Kaffeemaschine auch noch ein Sekretariat.
Hört sich gut an, es handelt sich aber auch nur um eine bessere Besenkammer mit Schreibtisch und Telefonanschluß, so Evas Definition, also sie kam ziemlich aufgeregt herein geschossen, knallte mir die Zeitung auf den Tisch und wartete.
„Ich denke, ich soll arbeiten" maulte ich, „und jetzt verführst du mich zum Zeitungslesen. Was steht denn überhaupt interessantes drin?"
Eva deutete auf die Schlagzeile im Lokalteil und sagte noch immer
aufgeregt „Das sollst du lesen, Mäxchen, hat Bruno gesagt. Und dann, wenn du interessiert bist, zurückrufen."
Fünf Tote bei Feuer in der Grundmühle. Immer noch ungeklärt, was heute vor zehn Jahren dort passierte, las ich ziemlich teilnahmslos. Dann wurde ich mit einem Mal aufmerksamer, da stand nämlich, vieles deutete damals auf einen grausigen Ritualmord hin. Eine der Leichen, ein junger Mann, war schon vor dem Feuer tot, und er war nackt und verstümmelt, wie die Polizei damals zugab. Weitere Einzelheiten wurden nicht bekannt. Gibt es Verbindungen mit dem Verschwinden weiterer junger Männer aus weiter zurück liegenden
Jahren? Die Frauenleichen waren alle bekleidet.
„Das hört sich ja sehr mysteriös an“, murmelte ich, „was meinst du, ist das was für uns?"
Eva schluckte, „Uih, interessant, ein nackter Mann und Ritualmord, was meinen die damit? Steht nichts über die Art der Verstümmlungen drin?"
„Schau mal ins Archiv, unter Vermissten, fang vor fünfzehn Jahren an und geh bis zum Brand. Ich ruf Bruno an, er muss noch mehr wissen."
Eva verschwand im Lager und ich klemmte mir den Hörer hinters Ohr. Bruno hatte eine Nachricht für mich hinterlassen. Wir sollten uns an der
Grundmühle treffen. Ich schaute kurz zu Eva herüber, fragte ob sie mitkommen wollte. Sie schüttelte den Kopf, ich hatte beinahe den Eindruck, sie wirbelte damit Staubwolken auf und rannte die Treppen hinunter. Unten sprang ich in mein Cabrio, ein VW Käfer, sehr gut in Schuss und erst ca. 45000 km auf dem Buckel. Der Motor röhrte auf und ich schoss aus der Parkbucht heraus, knapp vor einem polierten Opel. Der Fahrer betätigte wütend die Hupe, drohte wild mit der Faust und blendete die Lichthupe auf. Ich zuckte nur die Schultern, hob entschuldigend die Hand und grinste. Im Rückspiegel sah ich das HB Männchen, Mann mit Hut, na klar.
Die Sonne brannte immer noch vom Himmel, ich hatte alle Fenster geöffnet und schwitzte doch noch. Meine weißen Jeans saßen mittlerweile wie eine zweite Haut an mir und sie und das schwarze T Shirt klebten bald am Körper und ich war froh als ich die Häuserschluchten, der alten ehrwürdigen Universitätsstadt hinter mir hatte. Die Straße schlängelte sich durch die endlosen Wälder der Umgebung, die Landschaft wurde langsam hügeliger. Ganz selten mal ein Dorf, eher einsame Höfe, Forsthäuser, Gasthäuser am Straßenrand. Nach einer Stunde hatte ich den Abzweig erreicht. Eine Straße, kaum breiter als mein Käfer
wand sich nun langsam die Berge hoch. Dichter, dunkler Nadelwald, wenige uralte Eichen und andere Laubbäume und keine Häuser mehr, keine Menschen. Nach weiteren dreißig Minuten, manchmal im Schritt-Tempo erreichte ich das alte Forsthaus, die ehemalige Zollstation.
Ich fuhr in den schmalen Waldweg, öffnete die Schranke und rollte im Schritt-Tempo den Weg in endlosen Kurven und Serpentinen herunter. Endlich verbreiterte sich der Weg, dort stand schon Brunos Auto auf der Lichtung, eine recht betagte, mausgraue Ente, was verdiente eigentlich ein Kommissar der Kripo. Ich stieg aus,
reckte mich, hier war es angenehm kühl und schattig, ich schwitzte nicht mehr. Linkerhand ging eine steile Steintreppe in die Tiefe. Ich nahm die Zeitung, verschloss meinen Käfer und stieg die Treppe hinunter. Ich hörte schon das Rauschen des Mühlwehrs und als ich um die Ecke bog bot sich mir ein malerischer Anblick. Mehrere Häuser pressten sich förmlich an den Felsen und schienen sich im dichten dunklen Wald förmlich zu ducken. Eine Steinbrücke überquerte den Mühlkanal und durch ein offenes Tor gelangte ich in einen mit buckligen Steinen gepflasterten Innenhof. Links schien das Wohnhaus zu sein, es war ausgebrannt, nur die
Außenmauern standen, verkohlte Balken anstelle eines Daches, auf der rechten Seite eine Reihe flacherer Gebäude auch rußgeschwärzt ohne Dächer, wahrscheinlich Lager und Arbeitsräume. Ich schaute durch die erste Tür. Es sah aus wie ein verlassener Stall, mit halbhohen Mauern abgeteilte Boxen und etwas Heu in einer Ecke, davor ein Steintrog. Ich schaute durch die nächste Tür, nachdem sich meine Augen an das Halbdunkel gewöhnt hatten, konnte ich die Einrichtung genauer erkennen. Im Hintergrund ein großer Herd auf dem noch ein verbeulter Kessel stand, daneben ein uralter Steintisch mit Rinnen an den Seiten, über und über mit dunklen
Flecken versehen. In der Ecke ein schmaler enger Käfig aus Gitterstäben. Der Käfig war über mehrere Ketten mit einem Flaschenzug verbunden, so dass man ihn über den Tisch hieven konnte. Daneben ein großes Steinbecken. Über dem Steinbecken an der Wand, hingen zwei rostige Messer. Alles war mit einer dicken Staubschicht bedeckt. In einer Ecke hatte jemand reichlich Feuerholz aufgeschlichtet.
„Ich sehe unser großer Detektiv hat intuitiv den Weg zum Tatort gefunden" ertönte eine raue Stimme. Ich drehte mich um und begrüßte Bruno. Bruno war etwas kleiner als ich, schlank mit blauer Levis und einem weißen T Shirt
bekleidet, rundes Gesicht mit Vollbart und die unvermeidliche Pfeife im Mundwinkel.
Wir klopften uns gegenseitig auf die Schulter und grinsten wie zwei Schuljungen.
„Tatort sagst du. Erzähl mal genau was passiert war, was soll das mit Ritualmord, das ist doch nur eine Zeitungsente, oder?"
Brunos Gesicht wurde ernst, er nahm mich am Arm und zog mich wieder in die Küche oder was das mal gewesen war.
Dann fragte er mich mit seiner rauen Stimme, die seltsam belegt klang „Wofür hältst du diesen Raum?"
Ich schaute mich noch einmal sorgfältig
und gründlich um, denn ich bildete mir etwas auf meine Beobachtungs- und Kombinationsgabe ein.
„Wenn das nebenan ein Stall war, halte ich das hier für eine Küche, nein halt, das sind doch Blutflecken, deutete ich auf die Steinplatte, und die Rinnen, na klar, hier haben die Hirten wohl ihre Schafe geschlachtet, oder?" Schaute ich ihn fragend an. „Was soll das, Bruno? Ist doch nicht verboten, oder. Na ja vielleicht schwarzgeschlachtet, nicht ganz sauber, aber doch nicht dein Fach."