Fantasy & Horror
Geschmackvoll

Geschmackvoll

   Ich setzte mich an den Tisch, hungrig, erwartungsfroh. Es würde doch sicher bald etwas zu essen geben! Vorläufig war ich allein.

   Der Tisch war mit einem weißen Tischtuch bedeckt. Bunte Blumengirlanden lagen da. In der Mitte des Tisches stand ein siebenarmiger Leuchter aus Gold, ein Erbstück der Familie, wertvoll, geschmackvoll.

   Ich saß am Tisch und wartete. Niemand kam, niemand brachte etwas zu essen.

   Der siebenarmige Leuchter fesselte meine ganze Aufmerksamkeit: Geschmackvoll, wirklich geschmackvoll.

Man sollte das ausprobieren, dachte ich mir, wie geschmackvoll das Ding wirklich ist.

   Man ließ mich warten. Ich hatte Hunger. In mir erwachte das Tier.

   Verstohlen sah ich nach links und nach rechts, es war niemand zu sehen. Und dann hatte ich plötzlich eine Kerze in der Hand.

   Meine Verstand schrie: "Nein!", aber den hatte längst etwas Größeres und Stärkeres in die Ecke gedrängt.

   Mein Kiefer schnappte, schnappte nach der Kerze. Das Wasser lief mir im Mund zusammen. Meine Hand sträubte sich noch, wollte dem Verstand gehorchen, keine Chance. Mein Kiefer schnappte, näherte sich dem herausragenden Ende des Dochtes, bohrte sich ins Wachs, brach es, begann zu drücken, zu mantschen, zu mahlen. Das Wachs schmolz; schmolz wie Butter im Geifer meines Mundes. Diese Süße, milchige Süße, eine Hauch von Honig. Meinen Ohren klingelten und meine Augen suchten nach mehr, mehr Wachs, mehr Kerze, mehr Süße. Die Kerze brach dahin, Stück für Stück, gefolgt von der zweiten, der dritten. Ich aß, aß immer gieriger, gehetzt von der Angst, es könnte doch noch jemand den Raum betreten. Die vierte, die fünfte, die sechste Kerze. Ein Stück Docht blieb mir zwischen den Zähnen hängen. Ich zog ihn heraus wie einen Wurm, um mich gleich darauf mit ungehemmtem Appetit darüber her zu machen, zu zerreißen, zu zerfransen. Der Docht zerfiel in seine Bestandteile, wurde eingespeichelt, verschluckt, ein Hauch von Säure, von Würze mischte sich unter den Geschmack des Wachses. Die siebente Kerze, ich aß langsamer, das Ende des Genusses fürchtend, nur noch kurz diese unnachahmliche Süße, bewusst jetzt wahrgenommen die feine Würze des Dochtes. Dann war es vorbei.

   Ich leckte mir die Finger, schaute mich schuldbewusst um, niemand da, nur dieser Kerzenständer am Tisch, ein Ständer aus purem Gold, geschmackvoll, geschmackvoll, ach wie geschmackvoll. In meinem Kopf legte sich ein Hebel um, nur ein Gedanke, Gold, Gold, was kann es besseres geben als Gold!

   Meine Zähne wurden heiß bei diesem Gedanken, füllten sich mit Kraft, mit gieriger Kraft. Ich griff nach ihm, nahm den Ständer aus Gold, erfühlte ihn mit weit herausgestreckter Zunge. Gold! Euphorisierend, metallisch säuerliches Gold. Es gab kein Halten mehr. Meine Zähne schlugen sich ins Metall, gruben sich hinein, ein Krachen, ein Splittern, Gold in meinem Mund. Ein großer Klumpen zerspringt zu Stücken.

   Knusper, knusper, knäuschen, wer hat je so knuspriges Mahl genossen?

   Die Stückchen wurden kleiner, sandig, mehlig. Ein himmlischer Geschmack, als säßen Engel ringsum und spielten auf der Harfe. Ein leicht brandiger Geruch aus meinem Mund, erregend, vorantreibend. Die Zeit stand still: Nur Krachen, Kauen, ein Sinnesrausch. Der Ständer war  mein, ganz mein, tief in mir, eins mit mir. Noch ein letztes Knacken, ein feines Knirschen auf den Zähnen, dann war nichts mehr da, meine Hände leer, die Mitte des Tisches leer.

   Plötzlich eine Stimme hinter mir: "Was sagst Du zu unserem Kerzenständer?" ich zucke zusammen. "Geschmackvoll, nicht wahr, richtig geschmackvoll!"

© Gerlinde File