Trench
Trench
„Das darf doch nicht wahr sein! Es ist nicht zu fassen!“, tönt es verzweifelt aus der Buchhaltung.
„Ist was passiert, Ingelore?“, ruft Heide, die gerade im Flur steht und die Tagespost verteilt.
„Jetzt langt es! Nicht das auch noch!“, hört man es weiter.
„Ingelore! Was ist los?“ Priscilla-Jane und Heide schauen durch die geöffnete Tür. Ingelore steht im Mantel mitten im Raum. Sie weist mit der Rechten zum Fenster. „Ist das nicht die Höhe?
Ausgerechnet jetzt, wo ich zur Mittagspause will, regnet es wie aus Eimern! Und wenn ihr jetzt mal einen Blick auf das Knopfloch von meinem Mantel werfen wollt, dann wüsstet ihr was los ist!“ Die Blicke wandern vom Fenster auf das Knopfloch.
„Nein, so was! Wie kann denn das passieren?“, Priscilla-Jane schüttelt fassungslos den Kopf.
„Kaum zu glauben“, schließt sich Heide an, „ausgerissen, einfach ausgerissen.“ Ingelore bohrt mit dem Zeigefinger durch den Riss, das Loch rutscht am Finger vorbei nach unten. Sechs Augen sehen staunend auf den Riss. „So kann ich doch
unmöglich rumlaufen. Gut der Mantel hat schon ein paar Jahre auf dem Buckel. Trotzdem, so nicht!“ Sie ballt ihre Hände zu Fäusten.
„Du brauchst einen Neuen“, meint Heide, „schau doch bei Modelager nach. Kannst du jetzt mal eben. Geh doch mal ins Internet.“ Sie weist mit der Hand auf Ingelores Computer.
„Ja, mach das!“, stimmt Priscilla-Jane zu. Ingelore zieht den Mantel wieder aus, wirft ihn über die Stuhllehne und gibt, flux die Adresse in den PC.
„Was soll es denn für ein Mantel sein?“, will Priscilla wissen.
„Natürlich ein Trenchcoat. Ein Trenchcoat ist ein Muss.“, macht
Ingelore klar, sie deutet mit der ausgestreckten Hand in Richtung Stuhllehne.
„Da sieh, da kann man direkt auf Trenchcoat klicken!“ Heide tippt mit dem Zeigefinger auf den Bildschirm.
„Ah, da schau her. Welche Farbe hätten`s denn gerne?“ Priscilla-Jane guckt auf den Monitor, als würde die Queen persönlich durch die Seiten führen.
„Schwarz passt immer und man sieht nicht alles darauf. Der Alte ist schwarz.“
„Ah, schwarz! Immääär nur schwarz! Tönt es durch die Tür. „Rot, ist sich viel schäääner! Griiß
Gott!“
Nahezu erstarrt stehen die Drei im Büro.
„Frau Prollinska?“, fragt Heide vorsichtig. „Nu ja Frau Witzka, bin ich wiedaaa da.“ Frau Prollinska drückt ihre wasserstoffblonden Haare zurecht. „Und bist du wieder gesund Lolita?“, will Ingelore wissen. „Nu ja“, Lolita steht da und rückt ihren Busen zurecht, „hab ich doppel Dääh jetzt!“ Priscilla-Jane öffnet ihren Mund, während sie verloren im Raum steht. „Du meinst du warst wegen einer Brustvergrößerung krankgeschrieben?“, ergreift Ingelore wieder das Wort.
„Ah, nicht nur. Wään du sähn willst hier. Musste Ausgleich an Hinterteil her.“ Sie
dreht sich halb herum und zeigt auf ihren Allerwertesten.
„Also könnte man sagen, Doppel D für dein verlängertes Rückgrat?“, fügt Heide hinzu und gibt Priscilla-Jane einen leichten Klaps unter das Kinn.
„Ah. Kannst Du sähn keine Narbe.“ Lolita rafft ihren viel zu engen Rock nach oben. Priscilla-Jane schlägt die Hände vor Ihre Augen. Frau Prollinska fährt mit dem Zeigefinger über die Kontur ihres blanken Po`s.
„Ich erblinde, ich erblinde!“, kreischt Priscilla-Jane.
„Du hattest eine Schönheitsoperation?“ Fassungslos starrt Ingelore auf das Hinterteil, über das sich langsam wieder
der Rock schiebt.
„Ah, Schäänheitsoperation! Erhaltungsaufwand!“, gibt Lolita zurück, „so und nun lass Lolita, das mal machen!“ Sie bahnt sich den Weg zu Ingelores Schreibtisch, setzt sich vor den PC und bedient die Tastatur.
„Säht Ihr hier! Fashionstore!“, Lolita spricht es so, wie es geschrieben wird, „guckst du bei Chipra.“ Ihre wohl manikürten Finger klappern laut. Die Drei blicken gebannt auf den Bildschirm. Frau Prollinska verschafft sich Platz am Tisch.
Verschiebt das Wasserglas nach rechts, die Stifte nach hinten. Ingelore rollt mit
den Augen. Die Kolleginnen verschränken die Arme vor der Brust.
„Da guck, Trenchcoat in Rot. Tod schick!“, meint Lolita.
„Lass mal mehr sehen, also Material und so!“, fordert Ingelore, in dem sie mit der Hand wedelt, als könne sie das dargestellte Bild so verschieben.
„Polyester!“, gibt Heide abschätzig von sich.
„Und hat kein Innenfutter aus Wolle!“, fügt Ingelore hinzu.
„Guckst du weitäär!“ Lolita tippt eifrig. „Da hast du Trench mit Innenfutter. Gut is sich nicht rot. Geht oliv?“
Lolita sieht die Drei anderen an. „Boah ist der schick!“, platzt Priscilla-Jane
heraus.
Ingelore deutet auf den Bildschirm. „Online nicht bestellbar! Da habt Ihr`s! Und jetzt?“
„Moment!“ Heide greift nach einem Bleistift und dem Telefonhörer. Sie tippt die Nummer von Chipra mit dem Stift auf der Telefontastatur ein.
Das Freizeichen ertönt. Einmal, zweimal, dreimal.
„Chipra GmbH, Sie sprechen mit Anneliese Mickrich. Was kann ich für Sie tun?“, tönt es aus dem Hörer. Heide hält den Hörer mit Zeigefinger und Daumen etwas von ihrem Ohr entfernt.
„Guten Tag, hier Heide Witzka. Der
Trenchcoat mit der Artikelnummer 3697 ist Online nicht mehr bestellbar, gibt es den noch in Ihrem Haus?“
„Einen Augenblick bitte, Frau Witzka, ich schaue nach.“ Erwartungsvoll sehen sich die Damen an, Lolita lehnt sich auf dem Stuhl zurück.
„Hören Sie? Der Mantel ist nur noch in unserem Flagshipstore in Stuttgart zu haben.“
„Frau Mickrich ist es möglich den Trenchcoat hier in den Shop nach Buxtehude zu schicken?“ Heide trommelt leise mit dem Stift auf die Tischkante.
„Oh, das tut mir leid. Das ist überhaupt nicht möglich.“ Lolita hebt ihre Hand. „Nu ja, käännen Sie den Mantel dänn
zuricklägään?“, ruft Frau Prollinska dazwischen.
„Ja, das ist machbar. Aber nur für 24 Stunden, länger geht nicht!“, meint die Stimme aus dem Hörer.
„Dann Sie bitte machen das. Mantel wird abgeholt dort. Läägen Sie ihn zurick auf dään Namen Dr. Strittig, bittesähr! Danke!“ Irritierte Blicke sehen auf Lolita herab. Heide legt langsam den Hörer auf.
„Was ist das für eine Nummer?“, fragt Heide.
„Ah, hab ich doch mit Frau Feinlich von Super-Auto gesprochen vorhin. Holt nicht Chääf morgen neies Auto ab in
Stuttgart?“ Lolita schaut in die Runde.
„Und?“, will Heide wissen.
„Ah, ruf ich an bei Super-Auto jetzt und sage sie sollen in Flagshipstore von Chipra gäähen und dään Mantel abholen. Dään käännen die ins Auto lägen dann. Na, mein ja nur. Bei 120 000, -- Euro käännen die das doch tun!“ Lolita rückt ihren Busen zurecht, steht auf. Im Rausgehen sagt sie:
„Ich kimmer mich! Ibermorgen Du hast neien Trench! Und iberhaupt, hab ich Firmenkreditkarte. Gottes säägen und so.“
Als sie ihr nach schauen sehen sie noch wie Lolita ihren Po nach oben
drückt.
„Krankschreibung für eine Schönheits-OP? Und weshalb redet die immer so komisch? Sie war noch nie in Osteuropa! “ Priscilla-Jane wirkte noch immer fassungslos. Sie dreht eine ihrer dunklen Haarsträhnen und starrt aus dem Fenster. Heide zuckt mit den Schultern.
„Und was mach ich jetzt?“ Ingelore breitet ihre Arme aus. „Es regnet schließlich noch immer!“
„Egal“, antwortete Priscilla-Jane, „Deine Pause ist sowieso vorbei!“ Sie wirft die Haarsträhne über ihre Schulter, dreht sich herum und geht. „Stimmt!“, sagte Heide, „hier ist Deine Post.“ Sie legt die
Briefumschläge auf den Tisch und begibt sich wieder in den Flur.
„Danke!“, ruft Ingelore ihnen nach.