Beschreibung
Eine kurze Fabel über die ewige Suche nach Unterschieden.
Die Notdurft
Eines sonnigen Tages treffen am Waldrand ein flinker Kolibri und ein etwas langsames Chamäleon aufeinander. Es wirkt fast so, als ob sich beide Spezies das erste Mal begegnen und schnell entwickelt sich eine hitzige Diskussion darüber, wer es nun besser im Leben hat.
So beginnt der Kolibri: „Deine stockenden Bewegungen sind einfach nur lachhaft. Ich schlage so schnell mit den Flügeln, so schnell kannst Du nicht mal gucken!“
Darauf weiss das Chamäleon natürlich eine passende Antwort: „Du bist vielleicht schneller als ich, aber meiner blitzschnellen Zunge wirst selbst Du nicht ausweichen können.“
„Pah!“, erwidert der zu schweben scheinende Vogel, „Deine Zunge mag vielleicht lang sein, aber damit kannst Du niemals den schmackhaften Nektar aus den Blumen saugen.“
Das hin und her nimmt kein Ende. „Dafür sehe ich Farben, die Du noch nie gesehen hast. Und zwar in alle Richtungen, rundherum.“ Dem Kolibri scheint es die Sprache verschlagen zu haben. Er überlegt kurz: „Dafür kannst Du nicht fliegen!“. Der flinke Vogel streckt dem Reptil seine lange Zunge raus und schwirrt davon. Dem Chamäleon bleibt nichts anderes übrig, als mit den Augen zu rollen und ebenfalls von dannen zu ziehen.
Einige Stunde sind vergangen. Der Kolibri dreht wieder seine obligatorischen Runden über den feuchten Wald und ist neugierig, wie es seinem Streitpartner inzwischen ergangen ist. Nach längerer Suche findet er das Chamäleon vor, wie es sich in einem Busch erleichtert. Der Kolibri kommt näher geflogen. „So verschieden sind wir also doch nicht...“