Alles schlief. Die laue Sommernacht ließ Sterne und Mond am Firmament schlierig erscheinen. Als die Zeiger sämtlicher Uhren die Stunde Zehn vor Fünf nach Um anzeigten, öffnete sich hinter einem Haus die Tür zum Garten, und heraus schlüpfte eine flattrige Gestalt im Schlafrock. Anstatt im Haus aufs Klo zu gehen, tappte sie lieber des Nächtens in den Garten, um, wie man munkelte, ihr Gemüse zu düngen. Bisschen schrullig, die alte Dame. Nicht im Traum würde dies jemand anderem einfallen, außer natürlich ihr. Geradezu besessen schwärmte sie des Öfteren von natürlichen Zutaten, wobei ihr das Gedeihen der Erdfrüchte allem Widerstand zum Trotz Recht zu geben schien.
Wie in den vergangenen Nächten observierte die Dame schnüffelnd die Umgebung, um sich nach einer Weile sicher und zielstrebig in Richtung Tomatenbeet zu begeben. Schon hockte sie neben einer besonders kräftigen Pflanze und strullerte drauf los. Plötzlich knackte es in der Nähe! Die Witwe erstarrte. Längst war der letzte Tropfen versiegt, aber sie traute sich zu keiner Bewegung.
Eine narkotisierende Konstellation!
Da hockt jemand am Boden und hofft, nicht bemerkt zu werden. Langsam drehte die alte Dame den Kopf.
DA STAND EIN BÄR IN NACHBARS GARTEN!
Das Mondlicht schimmerte im Kraushaar der Gestalt. Dadurch wirkte sie für die Hockende nur noch bedrohlicher. Viel war zwar nicht zu erkennen, aber das Wichtigste schon.
Es MUSSTE ein Bär sein! Etwas rieselte die Blätter hinunter …
Nach einer nervig langen Minute trollte er sich von dannen. Endlich wieder normal atmen! Die Luft schien rein zu sein. Bis auf den kleinen dampfenden Scheiterhaufen unter ihr.
Den sie im Wipfel des Schreckens noch gelegt hatte.
Aber nun war ja alles ausgestanden. Die alte Dame robbte für ihr Alter erstaunlich gelenkig ins Haus. Man muss ja auf der Hut sein!
Und sie hatte Recht. Der Bär erschien wieder! Die alte Dame konnte hinter ihren Gardinen hockend beobachten, wie der Bär sich an der Hecke zu schaffen machte! Es schien wohl doch an Utopie zu grenzen, sich in Sicherheit zu wiegen. Die Dame überlegte. Und schaute, was der Bär trieb. Zudem war es eine missliche Lage, hinter der Gardine warten zu müssen, ohne sich bewegen zu dürfen.
Wobei der Bär sie ja eigentlich gar nicht sehen konnte. Aber sie ihn!
Und das reichte für den Anfang.
An ein Ende wagte sie nicht zu denken.
Die alte Dame äugte vorsichtig hinaus.
Sie blies ihre Atemluft seitwärts hinweg, die Gardine dufte sich ja keineswegs bewegen! Die Idee wäre, sich die Gestalt vom Leibe zu schaffen. Irgendwie! Gerade war der haarige … Dings … aus ihrem Blickfeld entschwunden. Wenigstens erschrecken! Vielleicht … Sie entsann sich eines letzten Sylvesterknallers.
Der MUSSTE einfach helfen. In der Hoffnung, dass das alte Teil noch funktionstüchtig war, kroch die noch rüstige Dame behände zum Nachtschrank und suchte. Gottlob, trocken und intakt! Ein Stoßgebet zum Himmel schicken und zielstrebig zur Gartentür krabbeln schien eins zu sein.
Es wird alles gut, zischte es durch das Zimmer. Doch in den nächsten Stunden sollte es zu keiner Begegnung mehr kommen.
Am nächsten Tag, es war fast Nacht, also kurz vor Zwanzig nach Fünf vor Halb,
saß die Schlafrocklady nahe der Türöffnung und harrte der Dinge, die da kommen sollten. Schon raschelte es wieder hinter der Hecke! DER BÄR! Er rülpste laut und schien die Blätter zu zählen.
Die Dame rieb die Reibfläche des Knallers an der Zündholzschachtel und warf ihn in hohem Bogen mitten ins Blattwerk hinein …
BUMMMM …!!!
Der Krach durcheilte die Sphären. Es folgte eine unnatürlich scheinende Stille. Wobei es vorher auch schon still war, nur NICHT SO!
Es folgte ein dumpfer Laut, so, als würde etwas zu Boden fallen. Die Dame fasste sich ein Herz und linste durch die Hecke.
„Oh Jott, oh Jott, oh Jott!“, erschrak sie sich. Da lag ihr Nachbar! Ein bisschen verändert. Er hatte sein Winterfell noch nicht abgelegt. Denn wenn die Tage wärmer wurden, stand er auf der Wiese und rasierte seine im Winter gewucherte Brustbehaarung ab. Sie hatte das einmal zufällig gesehen, weil sie wissen wollte, was da so lange surrte.
Der Dame schien das Herz stehen zu bleiben. Wie konnte sie auch wissen!?
„’Schuldigung …“, nuschelte die alte Dame. „Ick dachte, Sie wär’n een Bär!“, fügte sie belustigt hinterdrein und schlich leise kichernd ins Haus zurück.
Der nackte Nachbar schüttelte benommen den Kopf und rappelte sich auf.
WAS WAR DENN DAS?
In seinen Ohren fiepte es. Er überlegte, kam aber zu keiner vernünftigen Erklärung.
Er sah sich um. Nichts zu sehen!
Nur das Mondlicht übergoss mit seinem Zwielicht die Umgebung. Zum Glück gab es keine Zeugen.
Diese Begebenheit würde deshalb auch NICHT in seinen Memoiren vorkommen.
Wer will sich schon lächerlich machen!
Da will man nur mal pinkeln und dann sowas! …