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Es war noch dunkle Nacht als Travis Harson erwachte. Die einzige Lichtquelle im Zimmer war der Mond, der durch die Fenster herein schien. Noch völlig schlaftrunken tastete er nach seiner Brille und setzte sie auf. Ein Blick auf die Uhr teilte ihm mit, dass es fünf Uhr früh war.
Super dachte er, es ist gerade mal eine Stunde her, dass ich mich hingelegt habe.
Was zum Henker hatte ihn gerade geweckt? Es war doch sonst nicht seine Art nachts aufzuwachen. Außerdem war es viel zu früh. Also legte er sich wieder
hin und zog sich die Decke über den Kopf. Aber es half nichts. Er war von einer inneren Unruhe erfasst worden, die nicht zuließ, dass Travis wieder einschlafen konnte. Also schwang er kopfschüttelnd die Füße aus dem Bett und ging durch den Flur nach unten in die Küche an den Kühlschrank um sich etwas zu trinken zu holen.
Einen Augenblick stand Travis unschlüssig da und überlegte, ob er sich zum wieder Einschlafen das Hausmittelchen warme Milch mit Honig machen sollte, oder wollte er doch lieber etwas Hochprozentigeres aus der Hausbar? Da ihm immer noch der Kopf
von der Feier letzten Abend dröhnte, entschied er sich für die Milch.
Während die Milch ihre Runden in der Mikrowelle drehte dachte er darüber nach, was ihn geweckt hatte. Es war ein Gefühl gewesen als ob Ihn jemand Fremdes beobachtet hätte. Was aber nicht sein konnte. Immerhin bezahlte er zwei teure Wachleute, deren Aufgabe es war, dafür zu sorgen, dass sich keine ungeladenen Gäste auf das Grundstück schlichen. In seiner Branche machte man sich ja schnell Feinde. Besonders wenn man sich, wie er, innerhalb kürzester Zeit an die Spitze des Vorstandes einer internationalen Unternehmens gesetzt
hatte.
Bei dem Gedanken musste er lachen. Travis hatte weder Kosten noch Mühen gescheut seine Konkurrenz aus dem Weg zu räumen. Selbst die skrupellosesten Mittel waren zum Einsatz gekommen. Zuletzt hatte er es geschafft, McWaren so unter Druck zu setzten, das er den Vertrag für die Firmenübernahme unterzeichnete. Der Alte hatte Zeter und Mordio geschrien und ihm die übelsten Schimpfwörter entgegen geschleudert als er ihn aus dem Büro hatte eskortieren lassen. Er hatte sogar damit gedroht alles daran zu setzten ihn wieder aus „seiner“ Firma zu bekommen. Soll er es
doch versuchen! Schmunzelnd ging Travis die möglichen "Konsequenzen" durch, während die Milch weiterhin ihre Runden drehte.
Als Travis endlich sein neues Reich in Besitz nehmen konnte, war das der beste Tag seines Lebens gewesen! Dies lag jetzt allerdings schon über einen Monat zurück und passiert war noch nichts. Dummer alter Mann dachte Travis und lachte in sich hinein, große Klappe nichts dahinter! Erst gestern Abend hatte er mit einigen Leuten den Erfolg - erneut - gefeiert und war erst in aller Herrgottsfrühe sturzbesoffen ins Bett
gefallen.
Jetzt wo er so gedankenversunken an der Spüle lehnte, überkam ihn wieder das Gefühl unter Beobachtung zu stehen. Nur, dass es mittlerweile zu einem Gefühl des akuten Gefahr angewachsen war. Unruhig sah er sich um. Wo waren denn die beiden Wachmänner? Normalerweise sah man immer einen der beiden im Garten mit einer Taschenlampe patrouillieren. Das bisschen Mondlicht reichte nicht aus um sich draußen komplett ohne Licht zurecht zu finden. Der andere sollte sich im Überwachungsraum aufhalten, wo er auf drei Bildschirmen den Wohn- und Außenbereich per Kamera beobachtete.
Stirnrunzelnd ging er in Richtung seines Büros, von wo aus man in den Überwachungsraum kam.
Noch als er in der Tür stand konnte Harson sehen, dass etwas nicht stimmte. Die Tür zum Überwachungsraum stand offen und das Licht fiel in das ansonsten dunkle Büro.
Das durfte nicht sein.
Nur wenn die Wachen sich bei der Patrouille abwechselten, durfte die Tür geöffnet werden. Ansonsten musste diese geschlossen sein, damit im Falle eines Überfalles der Wachmann nicht sofort ausgeschaltet werden konnte, welcher
dann Travis benachrichtigen sollte. Hierzu gab es eine Gegensprechanlage in seinem Schlafzimmer, über die er dann auch die elektronischen Schlösser verriegeln konnte. Im Idealfall war es so möglich den Eindringling einzuschließen - oder noch besser - am Eindringen zu hindern.
Bei dem Anblick der offenen Türe überkam ihn eine panische Angst. Harson drehte sich um und wollte in Richtung Treppe in den Panikraum rennen, der sich - stilecht - hinter dem Bücherregal in seinem Schlafzimmer befand, als er etwas wahrnahm. Er spürte die Bewegung im Dunkeln eher als das er sie sah.
Travis glaubte in den Schatten einen dunkleren Fleck zu sehen der sich auf ihn zubewegte. Hätte er eine Aussage machen müssen, hätte er geschätzt, eine ca. 1.60m große Person vor sich zu haben.
Erfolglos versuche er durch zusammengekniffene Augen seine Sicht zu schärfen und Genaueres auszumachen. Es half aber alles nichts. Zumindest war er sich sicher das sich nichts bewegte - was natürlich keine Versicherung dafür war alleine zu sein.
Der Lichtschalter des Flurs lag für Harson in unerreichbarer Ferne. Aber
wenn er den Arm vorsichtig hob und einen kleinen Schritt zur Seite machte, konnte er den Schalter des Büros betätigen. Vorsichtig verlagerte er sein Gewicht auf seinen rechten Fuß, was den Schalter schon fast in greifbare Nähe rücken lies. Er versuchte seinen Körper so weit nach rechts zu schieben, dass er die Bewegung seine Armes damit verstecken konnte. Er lehnte schon fast am Türrahmen, als eine Regung im Schatten ihn innehalten lies. Oder hatte er sich die Bewegung nur eingebildet? Spielten ihm seine Augen einen Streich?
Abwartend stand er da, aber nichts passierte. Er schob sich weiter in
Richtung Licht vor. Seine Finger berührten schon den Schalter. Da war es wieder. Dieses Mal war er sich sicher. Eine dunkle Silhouette, die sich geschmeidig fließend auf Ihn zu bewegte.
Die Deckenlampe seines Büros flammte auf.
Die Größe hatte er richtig eingeschätzt. Durch die neue Helligkeit im Flur konnte Travis jetzt Einzelheiten wie dunkle Kleidung und eine Kapuze ausmachen. Eine Goldene Reflexion lenke seine Aufmerksamkeit auf die Hände seines Gegenübers. Das Ding sah fast aus wie
eine unförmige Gabel. Es hatte drei Zacken, wobei die mittlere im Vergleich zu den beiden leicht nach außen gebogenen, sehr lang schien. Außerdem waren in den mittleren Zinken Symbole eingeritzt, welche ließen sich auf die Entfernung nicht ausmachen. Die Gestalt hatte das gabelähnliche Ding so in der Hand, das der große Zinken zwischen den Fingern der Faust hervortrat, und die kleinen Zacken die Hand einrahmten.
Unwillkürlich trat Harson einen Schritt zurück. Das goldene Etwas sah ziemlich spitz und scharf aus, ergo gefährlich. Seine Reaktion sorgte bei dem Eindringling dafür, dass dieser den Kopf
leicht schräg legte und sich der Mund, welcher unter der Kapuze zu sehen war, zu einem leichten Lächeln verzog. Diese Häme ärgerte Harson, der als Reaktion daraufhin die Schultern straffte und wieder einen Schritt nach vorne ging.
„Wer sind Sie und was machen Sie in meinem Haus?“ fragte er sein Gegenüber, und musste feststellen, dass seine Stimme alles andere als fest klang „Gehen Sie sofort, sonst…“ Ihm versagte die Stimme. Was war mit ihm los? Er war 1,92m und durchtrainiert und piepste jetzt hier rum?
„Sonst was?“ fragte eine sanfte Stimme,
die so gar nicht zu dem bedrohlichen Schatten passen wollte. Harson runzelte die Stirn. War das eine Frau? Oder doch nur ein Kerl der versuchte ihn in die Irre zu führen? Details konnte er trotz allem nicht ausmachen, da die Konturen der Figur durch eine so etwas wie einen Kurzmantel oder ähnlichem nicht zu erkennen waren. Jedenfalls ließen die aktuellen Lichtverhältnisse keine genaueren Schlüsse zu.
„Sonst werde ich die Wachen alarmieren und Sie festnehmen lassen!“ Die Festigkeit seiner Stimme ließ immer noch zu wünschen übrig. Sein Kopf war schon fleißig dabei einen Fluchtplan
vorzubereiten, denn Harson musste sich ernsthaft zusammenreißen nicht Reißaus zu nehmen. Im Büro hatte er kein Probleme einen kompletten Konferenzsaal zusammenzustauchen und hier bekam er allen Ernstes Muffensausen?
Das Lächeln des Schattens schien noch breiter zu werden, was Harson zu dem Schluss kommen ließ, dass sich bereits um die Wachen gekümmert wurde. Langsam verschwand die Hand des Eindringlings hinter seinem Rücken und kam mit noch einer unförmigen Gabel zum Vorschein. Irgendwas an dem Aussehen der Dinger kam ihm bekannt
vor, auch wenn ihm partout nicht einfallen wollte woher.
Travis ging unwillkürlich wieder einen Schritt rückwärts. „Wer sind Sie?“
Keine Antwort.
Ein Verdacht machte sich in ihm breit. Sollte der Greis tatsächlich so weit gegangen sein einen Auftragskiller auf ihn anzusetzen? Ärger gepaart mit Entsetzen breitete sich in Harson aus. Ok, er hatte ihn unter Druck gesetzt und ihn schlussendlich aus seiner eigenen Firma geworfen. Aber das war dezent
übertrieben.
„Was wollen Sie von mir?“ seine Worte waren durch das starke Zittern, dass sich seiner Stimme bemächtigt hatte, kaum zu verstehen. Nur, dass das Zittern nicht durch Angst, sondern durch seine neu aufgekeimter Wut ausgelöst wurde.
„Probleme lösen.“ Kam die ruhige Antwort
„Welche Probleme? Ich habe keine Probleme“
„Das glaube ich Ihnen
gerne…“
Die Bewegung war so schnell und fließend, dass Harson sich an ein Katze erinnert fühlte oder vielleicht auch an Wasser. Im ersten Augenblick nahm er das Ding in seiner Brust gar nicht war, sondern spürte nur einen festen Druck. Sie Blick fiel nach unten. Die Gestalt schien an ihm zu lehnen und wurde ironischerweise durch seinen eigenen Schatten wieder ins Geheimnisvolle gehüllt. Das einzige, was ihm ins Auge sprang, war dieses gabelähnliche Ding, das sind in ihn hineingebohrt hatte. Er wollte danach greifen, aber eine bleierne Schwere hatte sich seiner Gliedmaßen
bemächtigt.
„Sie sind das Problem“
Das waren die letzten Worte die Travis Harson hörte ehe er in tiefe Dunkelheit fiel.