Unverschämt
"Wie haben Sie mich genannt? Alte Schrulle? Habe ich das eben richtig verstanden? Das ist ja der Wipfel der Unverschämtheit!", fauchte ich den Mann hinter mir an. "Das heißt Gipfel!", erwiderte dieser genervt. Ich rollte die Augen: "Sie sind wohl ein ganz Schlauer, was!?" Er winkte ab und wollte sich gerade wegdrehen, als ich ihn anfuhr: "Nur, weil ich meinen Einkauf nicht in Rekordzeit auf das Band schmeiße, Sie mit ihrer Packung Kaugummi und der Zeitung nicht vorlasse, müssen Sie ja nicht gleich ausfallend werden. Hätten Sie einen Einkaufswagen, würden Sie mir den in die Hacken rammen, so einer sind Sie! Auf die Idee mir beim Auspacken zu
helfen, kommen Sie wohl nicht, was? Natürlich ist das nur eine Traumvorstellung oder eine Utopie, die mir im Kopf rumschwirrt, dass alle Menschen nett zueinander sind und sich helfen."
Herr "Ich hab´s eilig" baute sich nun richtig auf und meinte: "Nett, ist ein gutes Stichwort. Sie könnten mich einfach kurz vorbei lassen und in aller Ruhe weiter ihren Kram auf das Band legen." Wütend blitzte ich ihn aus dunklen Augen an, lächelte gekünstelt und antwortetet betont freundlich: "Ihr Charme wirkt auf mich gerade derart narkotisierend, dass ich soeben beschlossen habe, Sie durch zu winken." Als ob das nicht schon die höchste Peinlichkeitsstufe wäre, opferte ich meinen Stolz auf dem Scheiterhaufen der Vernunft
und entschuldigte mich für mein Benehmen. Schließlich wollte ich mit gutem Beispiel vorangehen. "Ich habe gleich einen wichtigen Termin und ein sehr enges Zeitfenster neben Haushalt, Kindern und Einkauf, aber
was soll´s? Also verzeihen Sie meine Respektlosigkeit und gehen Sie halt vor!"
Kopfschüttelnd schlängelte sich Mister
Wichtig nun an mir und meinem noch immer gut gefüllten Einkaufswagen vorbei. Dabei
donnerte er mir beschwingt seinen Ellenbogen in den Rücken.
"Ja, ist denn schon Fastnacht und die Narren sind los oder war das eine Aufforderung zum Tanz, mein Guter? Wenn das so ist, haben
Sie sich ja wirklich prächtig als möchtegern Chef kostümiert", entfuhr es mir. Er sah mich
fassungslos an und versuchte, die Situation
zu beruhigen: "Herrgott, das war ein Versehen. Machen Sie doch nicht so einen Aufstand!" Letztlich zahlte er mit seiner Mastercard und eilte davon. "Leute gibt es!", raunte ich der Kassiererin zu.
Nun musste ich mich aber wirklich beeilen,
um noch halbwegs pünktlich in der Schule beim neuen Direktor zu erscheinen, um mich für das ungebührliche Benehmen meiner Tochter gegenüber einem Lehrer zu rechtfertigen.
Der Einkauf wurde also schnell im Haus abgeladen, bevor ich mich auf den Weg ins Gymnasium machte. Eine Viertelstunde zu spät, gar nicht mal so übel, dachte ich mir. Nachdem ich tief Luft geholt hatte, klopfte ich
an die Tür des Schulleiters, Herrn Horst. Drei Mal dürft ihr raten, wer mir gegenüber stand. Ebenfalls merklich überrascht bat mich der Direktor mit den Worten ins Zimmer: "Ganz
die Tochter, Frau Klein! Gut, dass wir uns nun einmal in aller Ruhe unterhalten können." Ich wäre am liebsten im Erdboden versunken. Hier konnte ich für meine Tochter kaum mehr die Kohlen aus dem Feuer holen. Schmunzelnd dachte ich aber bei mir, der
eine heißt "Horst" und die andere macht sich zu einem. Nun ja, wäre es anders gekommen, was würde ich wohl in meine Memoiren schreiben? Gut, dass es Zufälle und Sprüche wie diesen gibt: Man sieht sich immer zweimal im Leben!
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