Vorbemerkung
Beitrag zur Schreibparty 72
Ob es nun eine wärmende Geschichte ist, sei dahin gestellt. Ich finde aber, dass sie spannend ist und doch ein wenig die geforderten Herzklopfen verursacht. Zudem passt sie gut zum Jahreswechsel 2018/2019, weil die Story auf Ereignissen vor exakt 100 Jahren beruht. Sie besteht zu 97% auf Tatsachen, der Rest ist der Phantasie des Autors entsprungen.
Copyright: G.v.Tetzeli
Cover: G.v. Tetzeli
Internet: www.welpenweste.de
Zum besseren Verständnis:
Geldbriefträger, eigentlich „Geldboten in der Deutschen Bundespost“ (offizielle Bezeichnung), waren Bundespostbeamte (ausschließlich männlich), die speziell für die Rentenauszahlung und Postanweisungen in größeren Städten eingesetzt wurden, um den Postnutzern (seit 1993 Postkunden), zum Beispiel ihre Rente, Beträge aus Anweisungen oder Gewinne auszuzahlen, Werte zu übergeben. Das war zur Zeit von 1920 wichtig, da es sogenannte Girokonten nicht gab. Geldboten trugen bis zur endgültigen Übernahme der Postscheckämter (PSchA) im Jahre 1987 Pistolen und waren auch an der Waffe ausgebildet.
Die Vorgabeworte:
Feuerwehr
Himmlisch
kalte Finger
kapriziös
Kinderpunsch
Kuss oder Küsse
Ofen
Pflaster
raffiniert
Stoff
Zuckerstange
(Mikrowelle - nicht verwendet!)
- STORY - 19 Seiten -
Der Schriftsteller
Gerhard Hauptmann, der weltberühmte Schriftsteller brachte am Donnerstag, den 23.02.1922 sein Versdrama „Das Opfer“ im Schauspielhaus zu Dresden zur Aufführung. Die Kritiker waren voll des Lobes und schwelgten in Begeisterung, das Publikum hingegen klatschte höflich. Ein paar Tage später war es umgekehrt. Da gab es die Uraufführung „Simili“, eine Komödie. Der unbekannte, dunkelhaarige Autor, ein gewisser Erich Eilers, verneigte sich am Schluss auf der Bühne vor johlend begeistertem Publikum, während die Kritiker, die Erbsenzähler, das Stück verrissen.
Pseudonym Eilers, in Wirklichkeit hieß er Blume, wohnhaft in Dresden, Töpferstr. 3, zweiter Stock, war lange verkannt worden, gehörte er doch seiner eigenen Meinung nach zu den größten Schriftstellern des Jahrhunderts. Sein vorheriges Werk, sein angeblich bestes, wurde vom Schauspielhaus gar nicht erst angenommen. Es hieß „Der Fluch der Vergeltung“. Es sei zu brutal und nicht zumutbar.
Zum Jahreswechsel 1918/1919 war die Silvesterstimmung in Berlin düster, trotz Lichterflut, schilderte Hedda Adlon in ihren Memoiren. Der Baron Hans von Winterfeldt nahm an der berühmten Bar des Adlon einen Cognac ein und stieß auf ein erfolgreiches,
neues Jahr an.
Am Neujahrstag war es trotz der angespannten, politischen Lage noch ruhig, aber am 2.Januar, da flammten in Berlin die Kämpfe zwischen Spartakisten und dem Freikorps wieder auf. Es fielen Schüsse, die Lage war gefährlich und unübersichtlich. Es entstanden Stacheldrahtverhaue und niemand wusste wie weit es noch eskalieren mochte. Auch unter den Linden vor dem Adlon knallte es.
Der Geldbriefträger Oskar Lange, 58 Jahre, hatte sich zu der Rezeption des Nobel-Hotels Adlon in Berlin durchgeschlagen. Er war dort wohlbekannt und plauschte mit dem Portier. Nein er wolle die Geldsendung persönlich dem
Baron von Winterfeldt übergeben, anstatt ihn holen zu lassen. Es würde sich nämlich für ihn lohnen, gestand er. Der kapriziöse Baron sei schon einmal großzügig gewesen. Allerdings war der noble Herr zum ersten Mal im Adlon abgestiegen, aber der Portier wusste, dass er sich als Hausbesitzer eingetragen hatte. Wie diese noblen Herren doch gerne untertreiben! Wahrscheinlich verbargen sich dahinter ein Schloss und Ländereien.
Jedenfalls ging Lange persönlich nach oben in den ersten Stock des Hotels und klopfte an der Suite 130. Der dunkelhaarige Baron öffnete.
Wegen der Kämpfe in der Stadt, des Maschinengewehrfeuers und der auflodernden Brände, welche die Feuerwehr nur mühsam
bekämpfen konnte, war die Belegschaft des Adlon nur zur Hälfte anwesend. Es herrschte Verwirrung und Ausnahmezustand. Das Postamt W8 rief nachmittags im Adlon an. Sei der Geldbote da gewesen? Ja, um 10 Uhr, so wurde geantwortet, aber wann Oskar Lange gegangen sei, dazu konnte der Portier nichts sagen. Und so erschienen zwei Polizisten und ein Beamter der Oberpostdirektion am Spätnachmittag des zweiten Januars im Adlon.
Es stellte sich heraus, dass Oskar Lange unglaublich viel Geld dabei gehabt hatte. Es handelte sich um Schmuck und 278.000 Mark, darunter 41 sogenannte Wertbriefe mit Dutzenden Tausendmarkscheinen.
Der fragliche Portier hatte bis zum nächsten Tag am 3.Januar frei und nun funktionierten die Telefone wegen des Aufruhrs auch nicht mehr. Aus diesem Grund erschien die Polizei erst am 3. Januar wieder. Diesmal war der super Bulle von Berlin mit seinem "Mordauto" vorgefahren. Man nannte ihn den Buddha der Kriminalisten, oder einfach den „vollen Ernst“. Ernst Gennat war damals 40 Jahre und sein Dienstwagen war mit den modernsten Forensik-Gerätschaften der damaligen Zeit ausgerüstet, aber auch mit einer verstärkten Bodenplatte, denn Gennat war sehr übergewichtig. Wegen der vielen Utensilien und weil der Buddha eine unglaubliche Aufklärungsquote bei Morden aufzuweisen hatte, wurde diese Spezialanfertigung seines
Einsatzwagens schlicht „das Mordauto“ genannt. Erst der Hotel Friseur gab den entscheidenden Hinweis. Er hätte Lange gesehen, wie er Suite 130 betreten hätte. Man schloss mit einem Passepartout auf. Drinnen fanden sie einen Menschen auf einem Stuhl.
Als sie das große Badetuch von seinem Kopf wegzogen, war es Lange. Er wies mehrere Flecken und Knochenbrüche auf. Seine kalten Finger waren verkrampft. Er war brutal mit einem Strick erdrosselt worden. Sein Revolver fehlte, sowie auch jegliche Spur des Herrn Barons von Winterfeldt. Es muss ein furchtbares Ende gewesen sein. Der Baron hatte noch einen leeren, großen Schrankkoffer zurück gelassen, das war es. Vielleicht hatte der Mörder vorgehabt das Opfer im Koffer
unterzubringen und ihn ganz normal vom Personal heraus bugsieren zu lassen. Jedenfalls war der Herr Baron verschwunden, in den Wirren der Straßen, der Gewalt und der Zeit entkommen.
Buddha, der Kriminalist war durch seine Hartnäckigkeit und Gründlichkeit berühmt. Am Tatort wurde alles aufgenommen, was forensisch zur damaligen Zeit möglich war. Es wurde außerdem die ungeheure Summe von 10.000 Mark für die Ergreifung ausgelobt. Allerdings war die Beschreibung dürftig: Etwa Ende der 30er Jahre, gut mittelgroß, dunkles volles Haar und Vollbart, gute Kleidung, zeitweise mit dunklem, kurzhaarigen Pelzkragen, zeitweise auch Augengläser
(Brille, Kneifer oder helle Hornbrille); außerdem sei er mehrfach ist mit rosafarbigem Pflaster auf der Stirn gesehen worden.“ [Beschreibung hier im Original!]
Frau Henriette Klär, ihres Zeichens 72 Jahre jung, lugte am 31. Juli 1922 Morgens durch das Guckloch ihrer Wohnungstüre im zweiten Stock, Dresden, Töpferstraße drei. Ihr Mann war bereits verstorben und konnte sich himmlisch dort oben von ihr erholen. Dem Ofen mangelte es an Kohle und ihr selbst an Zeitvertreib und Beschäftigung, da sie bis auf ihre Katzenmeute einsam war. So hatte sie es sich zur Aufgabe gemacht zum allwissenden Tagesblatt des Hauses und des Viertels zu werden. Sie sah, wie der Schriftsteller, dieser
merkwürdige Tunichtgut von gegenüber mehrere 10 Mark Scheine auf die Treppe legte und am Geländer eine Schnur befestigte.
Henriette vibrierte. Als der Kerl wieder in seinem Kabuff verschwand, war ihre Zeit gekommen. Sie schminkte sich geschmacklos, schlich hinaus und begab sich auf die Straße. Im Gemüseladen bei Charlotte Helmstedt, da warf sie die Neuigkeiten auf das Gemüse und in Charlottes Ohren. Die war wenig zu begeistern, aber gerade da geriet zufällig Oberwachtmeister Schlenz in Henriettes Blickfeld. Dem blieb schließlich nichts anderes übrig, als nachzusehen.
Der Polizist bückte sich im Treppenhaus nach den Scheinen, als ihn ein Mann überfiel. Im Stockwerk kommt es zu einem Gemenge und
der Mann schießt zweimal. Dem Polizisten gelingt es allerdings noch den Mann die Treppe hinab zu stoßen. So gelingt dem Unbekannten die Flucht nicht mehr, weil er sich beim Sturz ordentlich verletzte.
Die Dresdner Polizei kannte den Mordfall im Adlon und wurden bei dem Revolver stutzig. Könnte es der des Geldboten sein? Sie wandten sich an Gennat, den "vollen Ernst“. Kurz darauf reiste der Berliner Kommissar Buddha an. Im Schlepptau hatte er nicht nur seine gewohnte Packung Zuckerstangen, die seine Leibesfülle erklärten, sondern auch den Empfangschef des Adlon. Der sah sich den Mann im Krankenbett an. „Das ist er! Der hat sich bei uns 1918/19 als Baron von Winterfeldt eingetragen!"
Schnell wurde klar, dass die Fingerabdrücke nicht unbekannt waren. Der Mann hatte Vorstrafen, war 1876 geboren. Er hieß Wilhelm Blume.
Kommissar Ernst Gennat war gründlich. Er befasste sich mit Blume eingehend. Er betätigte sich als Profiler, obwohl es diesen Begriff noch gar nicht gab.
Das Muster der Tat kam Gennat bekannt vor, nämlich bei einem noch ungeklärten Doppelmord. Am 11. September 1918 waren in der Spandauer Straße 33 die Zimmervermieterin Marie Rühle und der Geldbriefträger Albert Weber mit durchschnittener Kehle aufgefunden worden. Rühles Untermieter, ein Mann, der sich Stubenrauch nannte, war der Tat verdächtigt
worden, hatte sich aber in Luft aufgelöst.
So kam es, dass der „volle Ernst“ sich mit dem Bühnenstück von Blume befasste, nämlich „Der Fluch der Vergeltung“.
Gennat befragte Wilhelm Blume später.
„Sie schreiben hier, dass da der Geldbote herein trat und gezwungen werden sollte die Gelder herauszugeben."
„Ja, ja“, bestätigte Blume begeistert, „haben sie den nächsten Abschnitt gelesen?“
Gennat hörte dem Geständnis zu.
Mit großer Geschwindigkeit, noch ehe der Geldbriefträger aufstehen konnte, warf ich ihm die Schlinge über den Kopf und zog mit aller Kraft zu. Der Geldbriefträger wälzte sich nun mit aller Kraft hin und her, warf die Beine über die Stuhllehne und versuchte auch zu
schreien, das gelang ihm aber nicht, es waren nur unartikulierte Laute. Stark war er, stärker, als gedacht. Soweit ich mich erinnere, habe ich ihm den Strick mehrmals um den Hals geschlungen. Und genauso habe ich es auch geschrieben! Seite 103!“
„Und wie war das in der Spandauer Straße 1918, am 11. September?“
„Bei Albert Weber ging es fix, Rasiermesser und durch. Nur die blöde Rühle hatte dann das viele Blut gesehen. Ich konnte ja schließlich nicht…“ Gennat nickte begütigend. „Wenn man schon das Rasiermesser zur Hand hat..“
„Es war mir aber für das Bühnenstück zu langweilig“, bedauerte Blume.
„Außerdem waren es nur 2000 Mark und die
waren bald alle.“
„Sie schreiben, dass ihr Darsteller den Mord geplant hat, auch berücksichtigt, dass er so viel Geld bei sich gehabt hat.“
„Das schreibe ich doch auch! Die Vorbereitung, verstehen sie!“
Gennat hatte herausgefunden, dass kurz vor dem Jahreswechsel von 1918/19 eine Reihe wohlhabender Berliner einen Brief erhalten hatten. Darin warnte der anonyme Verfasser: „Die Spartakistengruppe beabsichtigt am 4. Januar 1919 die jetzige Regierung zu stürzen und neben der Reichsbank auch die Großbanken und das Postscheckamt zu beschlagnahmen. Wenn Sie Ihr Geld in Sicherheit bringen wollen, so lassen Sie Ihr Bankguthaben per Wertbrief und Ihr
Postscheckguthaben per Zahlkarte an Ihre eigene Adresse schicken. Es liegt in Ihrem eigenen Interesse, diese Mitteilung streng geheim zu halten.“ Unterschrieben waren diese Briefe mit: „Ein Geschäftsfreund, der aus begreiflichen Gründen unbekannt bleiben möchte.“
„Raffiniert eingefädelt“, nickte der Kommissar.
Blume lächelte glücklich. „Der Kuss der Muse! Ein tolles Stück, nicht?“
Ernst Gennat räusperte sich. „Aber am Schluss ihres Stückes wird der Täter hingerichtet. Nicht unbedingt ein Stoff für Träume.“
Blume sprang auf. „Es ist nicht nur ein Kriminalstück, es ist ein klassisches Drama und kein Kinderpunsch!“
(Ernst Gennat)
Das Rasiermesser des Wilhelm Blume hatte noch einmal seinen Auftritt. Er hatte es in seinem Bruchverband verborgen gehabt.
Am 12. August 1922 hatte sich Blume die Pulsadern aufgeschnitten und starb.
(Wilhelm Blume)
Als Kommissar Ernst Gennat von Blumes Tod erfuhr, sagte er:
„Noch manches Geheimnis mag dieser
furchtbare und seltsame Mensch ins Grab genommen haben.“
Gerhard Hauptmann griff später diesen Fall in seinem Kriminaldrama "Herbert Engelmann" auf.
Ende