Am Morgen des 6.Februar 1987 fanden Spaziergänger in einem abgelegenen Waldstück die Leiche von Klaus Wörner, einem Kriminalbeamten, dessen Verdienste in der Verbechungsaufklärung ihn zu einem angesehenen Mann gemacht hatten. Dieser Fall erregte ungewöhnlich viel Aufsehen in der Presse; die Zeitungen berichteten (gewiss vorschnell) zuerst, dass Wörner, der aufgrund seiner Profession natürlich viele Feinde gehabt hatte, möglicherweise aus Vergeltung ermordet worden war. Die Bildzeitung titelte hierzu: "Rache aus dem Mörder-Milieu?" Später jedoch wurden diese Vermutungen revidiert; am 8.Februar hieß es, Wörner
hätte Selbstmord begangen; es hieß, Wörner war nicht mehr mit der Verantwortung, die sein Beruf erforderte zurechtkommen; es hieß, er hatte sich Vorwürfe aufgrund einiger ungelöster Mordfälle gemacht; es hieß (in der Boulevardpresse), er hätte Probleme in seiner Ehe gehabt. Was auch immer die wirkliche Motivation gewesen war, fest stand jedenfalls, dass es sich tatsächlich um einen Selbstmord gehandelt hatte; die gerichtsmedizinischen Untersuchungen und weiterführende Ermittlungen hatten dies bestätigt; laut diesen Untersuchungen hatte Klaus Wörner sich am 1.Februar 1987 in einem Waldstück bei Frankfurt-Fechenheim mit einem
Kopfschuss aus seiner Dienstwaffe getötet. Der Verbleib der Dienstwaffe war zunächst ein Mysterium gewesen; kurz darauf jedoch hatten die Ermittler die Waffe in etwa hundert Meter Entfernung des Tatorts aufgefunden. Ungeklärt blieb, wie die Waffe dort hin gekommen sein konnte; Fingerabdrücke wurden nur von Wörner gefunden; die anfängliche (und auch absurde) Vermutung, ein Tier habe die Waffe verschleppt, konnte nicht bestätigt werden. Die Tatrekonstruktion ergab, dass Wörner, nach einem Streit mit seiner Frau, gegen 20 Uhr am 1.Februar die gemeinsame Wohnung verlassen hatte und schließlich zu Fuß in den
nahegelegenen Wald gegangen war. Der Fall wurde als abgeschlossen betrachtet; die Zweifel, die blieben, wurden als ein Kuriosum abgetan, das nichts an den angenommenen Umständen änderte. Doch einem Mann, der den Toten gut gekannt hatte, ließ der Fall keine Ruhe; es war ein ehemaliger Kriminalbeamter der Frankurter Polizei, der, da er gewissermaßen ein persönliches Interesse daran hatte, sich in den Kopf setzte, den Fall bis ins kleinste Detail zu rekonstruieren. Da er nicht mehr im Dienst war, hatte er natürlich keinen Zugang zu den Beweisstücken und zu den Unterlagen; auch konnte er nicht aufs Geratewohl Leute zu dem Fall befragen;
also ging er umher, überlegte, inspizierte den Tatort. Noch einige Monate sollte er ratlos umherwandern. Irgendwann jedoch, es war im Juni desselben Jahres, bemerkte er in dem Waldstück einen Baum, der ihn mit einem Mal auf unbestimmte Weise vertraut vorkam; es war eine Birke, deren Äste eine eigentümliche Konstellation ergaben; ihr Stamm war zweigeteilt und die einzelnen Verästelungen wirkten wie dürre Arme, die nach dem Himmel greifen wollten. Beim längeren Anblick dieses Baumes kam dem Mann eine plötzliche Eingebung. Er dachte: Hier bin ich schon einmal vorbeigekommen; er dachte: Damals war es kalt gewesen. Der Mann
ging ein paar Schritte weiter, tiefer in den Wald hinein (er dachte daran, dass dies der Weg war, den Klaus Wörner im Februar gegangen war), und kam schließlich am Tatort des Selbstmordes an. Zum wiederholten Male dachte er: Genau hier ist es passiert. Sich umblickend erkannte er nun, dass ein Selbstmord sozusagen das perfekte Verbrechen war; der Täter würde naturgemäß nie gefasst werden können. Auch die Sache mit der Dienstwaffe war, betrachtete man es aus einem humoresken Blickwinkel, sozusagen ein gelungener Streich um der Tat einen mysteriösen Anstrich zu geben. Probeweise legte er sich an die Stelle,
wo Wörner aufgefunden wurde. Von hier aus konnte man von fern die Birke sehen. Als er da lag, überwältigten ihn seine Erinnerungen. Er dachte daran, wie er damals, vor Monaten, hergekommen war, mit der Dienstpistole im Halfter, fest entschlossen, eine Tat zu begehen, die er selbst, Wörner, nie würde auflösen können; vor seinem geistigen Auge sah er, wie er sich die Pistole in den Mund hielt, nach oben gerichtet; er hörte die Vögel (es waren Krähen), die in den Lüften schrien; er spürte, wie er den Abzug betätigte; den Schuss hörte er nicht. Er bliebt noch einen Moment lang liegen; dann stand er auf. Er dachte: So ist es also geschehen; er dachte: Wie kam
die Waffe an den hundert Meter entfernten Ort? Dann erinnerte er sich: Er hatte sie, schon tot, dort hin geworfen; er erinnerte sich wie er zu sich selbst gesagt hatte: Wie lustig wäre es, ein kleines Rätsel aufzugeben, eines, das er selbst nicht hätte lösen können. Als er daran dachte, lachte er. Er erinnerte sich: Wie lebensmüde er geworden war; wie wenig ihm seine Ehe noch gegeben hatte; wie sinnlos alles ihm erschien; wie ermüdend es gewesen war, nie richtig gefordert gewesen zu sein. Sein ganzes Leben lang hatte er nur für die Aufklärung von Verbrechen gelebt. Er hatte jeden Trick gekannt; keine Verbrecherseele war ihm unbekannt
gewesen. Und nun, als er hier im Wald stand, schon tot, ein Geist nur, war ihm sein letzter Coup gelungen: Er hatte sich selbst überführt. Noch immer lachend ging er auf das Licht zu, das ihm von Fern leuchtete; er schritt langsam und selbstbewusst wie ein Mann, der wusste, dass er alles Wichtige erledigte hatte und sich vor nichts mehr zu fürchten brauchte. Am 1.April 1988 wurde Klaus Wörner wiedergeboren als Markus Heinz.
tooshytowrite Ach, und was wenn M. H. sich mal überfordert fühlt? GRUSEL! LG tooshytowrite |
Drollibaer Dann stirbt er und wird wiedergeboren als Thomas Berger |