Gedanken
Ernst aber nicht hoffnungslos
Harte Zeiten in zunehmender Kälte.
Wer sich "umfassend", das heißt, multimedial informiert, dem schwirrt der Kopf. Es bleibt einem kaum Zeit, all das Gelesene und Gehörte zu verstehen. Die Widersprüche sind nicht zu überlesen und zu überhören. Es sind wahre Fluten an Informationen, Halb- und Ganzwahrheiten, neudeutsch „fake“. So viele, die so viel und noch mehr (und manchmal rein gar nichts) zu sagen haben. Über die Art und Weise mit menschlicher Katastrophe umzugehen, mag man genauso geteilter Meinung sein wie über die Inhalte der
Botschaften. Manchem schwillt der Kamm, sie schwenken Fähnchen, schwere Fahnen, reichen Brot und Wasser und werfen mit selbigem. Dabei verschwindet der Einzelne im Ozean. Sei es der einzelne Flüchtling, der einen oder tausend Gründe für seinen Weg aus seinem Leben hat. Sei es der einzelne Helfer, der ohne die anderen nichts bewirkt (gäbe es keine Flucht, bräuchte es keine Helfer). Sei es der einzelne links und rechts von der mehrheitlichen Einstellung. Sei es der einzelne Staat, der sichtbare und unsichtbare Zäune aufstellt.
Für den Einzelnen ist es nicht leicht, in dieser Zeit eine eigene Sicht zu finden, eine Herzenseinstellung, ein rationales Gewissen, eine eigene Meinung. Da ist es leichter, mit
einem Strom zu schwimmen, den man sich aussucht. Das ist die eigene Ver-Antwort-ung. Der Eine entscheidet sich, offen im Herzen für die Hilfsbedürftigkeit des „anderen“ zu sein, der Nächste verschließt es gegenüber des Nächsten Leid. Und die dritte "Fraktion" ist hin und hergerissen zwischen Angst und Sorge um das Leben der Menschen, die hinter dem Flüchtlingsstrom stehen. Weil die Bilder des Leids nicht aus dem Kopf gehen wollen, weil die Unmenschlichkeit mancher Zeitgenossen wütend macht, weil man als Einzelner macht und hilflos scheint gegenüber der Welle, die üb ihm zusammenbricht. Empathie ist die Fähigkeit und Bereitschaft, Gedanken, Emotionen, Motive und Persönlichkeitsmerkmale einer anderen
Person zu erkennen und zu verstehen, und mit Mitgefühl, Trauer, Schmerz oder Hilfe auf den Anderen zu reagieren.
Das fordert von mir als Mensch alles! Das fordert von Manchem mehr als er geben kann oder will. Mir tun die Menschen fast mehr leid, die nicht erkennen können ...
Doch, was tun? Zäune und Mauern wieder errichten, den Kopf in den Sand stecken? Das "Problem" aussitzen, weiterreichen? Torpedos in die Gesellschaft treiben? Meiner Meinung nach gilt jetzt - wie selten zuvor - Eines: Zusammenhalten. Solidarität, so oft beschworen, wenn es ums Geld ging, auch auf Menschen auszuweiten. In der "Griechenlandkrise" war der Kurs schneller abgesteckt, als sich die Krise für den
Einzelnen bemerkbar machte. JETZT zaudern viele, schotten sich ab, zweifeln, ob man "die Flut" stoppen, umlenken oder ihr wenigstens Herr werden kann. Und mancher schaut in sein Portemonnaie, ob noch alles drin ist, statt zu fragen: habe ich etwas übrig ... übrig für Menschen, die aus vielerlei Verzweiflung ALLES aufgeben, ALLES riskieren, um ein Leben zu retten. Ihr eigenes.
Europa rühmt sich "Weltmarktführer" zu sein, zumindest die Gewinner der Solidarität. Europa rühmt sich, eine Spitzenposition im Weltengefüge einnehmen zu können. Europa - ein Suppentopf mit 28 Zutaten, der solange jedem schmeckt, wie die Schöpfkelle den eigenen Teller füllt. Dieser Topf sorgte bislang für volle Bäuche. Ein Nachteil: der volle Bauch
studiert nicht gern. Man verharrt in seinem Wissen, in seiner Haltung, in seiner Geschichte. "Tu Wasser zur Suppe, dann werden alle satt", dem Geschmack schadet es nicht. Denn Tausende im Mittelmeer versinken zu sehen, lässt mich in Scham versinken. Tausende hinter NATO-Stacheldraht verzweifelt Rufende verursachen mir einen Tinnitus, der mich nicht schlafen lässt. Zehntausend Kinder, die auf manchmal nackten Füßen Tausende Kilometer über unbekannte Wege in eine noch unbekanntere Zukunft getrieben werden, nur um dann an den Grenzen der Menschlichkeit abzuprallen - Manches Kind wird ein Symbol, aber nicht erwachsen. Die Zeiten, in denen WIR tatenlos zugesehen haben, wie Menschen zum
Spielball der Kriegsparteien wurden, sind vorbei! Die Zeiten, in denen das Leid der Zivilbevölkerung durch eine Mattscheibe von uns getrennt war, sind vorbei! Die Zeiten, in denen wir uns ungezwungen und frei bewegen konnten, sind vorbei! Man kann nicht wegsehen, weghören, wegfühlen ... Man kann und muss etwas tun!
Da sind dann Jene gefragt, die eine Antwort geben können, weil sie die Verantwortung tragen - für das Wohl und das Wehe aller Menschen. Die Politik, oftmals Schauplatz von Eitelkeiten, Spielplatz der Strategen, Marionetten ihrer eigenen Kreuze haben das Heft in der Hand. Sie müssen die richtigen Entscheidungen treffen und die Verantwortung für ihr Versagen tragen. Sie haben versäumt,
alle Europäer in das gleiche Boot zu setzen. Dieser fatale Fehler sorgt für Unfrieden, für falsche Beladung des Rettungsbootes, das dadurch dem Kentern näher ist als der Tragfähigkeit. Wir erschrecken über die übervollen Flüchtlingsboote, die manchmal nicht mehr sind als Nussschalen im Strom der Gezeiten. Aber Europa - um im maritimen Bild zu bleiben - hat bislang allen möglichen Stürmen und Flauten, allen Winden und Wassern standgehalten. Und dafür Lob und noble Preise gerne entgegengenommen. Jetzt heißt es die Rechnung des Wirtes zu begleichen: mit Menschlichkeit statt Kalkül, mit Herzenswärme statt Temperaturreglern, mit Empathie statt Heuchelei.
Das Jahr geht (jedes Mal ein wenig schneller)
und lässt ein paar Tränen zurück. Freude, Trauer, Leid, Zorn und Resignation schwimmen darin mit. Ich wünsche mir, dass in 365 Tagen eine andere Bilanz zu ziehen ist.
Das Trennende sollte überwunden, der Feind (in Einem selbst und in dem "Anderen") zum Freund genommen werden.
Die Krisen - menschengemacht und naturgegeben - sollten sich mit den freudigen Ereignissen zusammentun. Dann überwinden sie sich selbst.
Die Hoffnung soll uns tragen und das Mitgefühl begleiten.
Wir (als Mensch) haben es in der Hand, weil wir die Steuermänner (der Welt) sein wollen. Ob unsere Ziele erreicht werden (sollen, können, dürfen, müssen), liegt allein darin,
welcher Art sie sind.
Hass und Gewalt sind keine Antwort - sie sind das Dynamit, das wie ein Bumerang zu uns zurückkehrt.
"Gehet hin in Frieden." Ein Segensspruch, der mir als wenig "kirchgängerisch" dennoch gefällt - besonders in den jetzigen Zeiten, in denen die Marschrichtung eine andere zu sein scheint. Ich gebe die Hoffnung nicht auf ... Dann könnte mir nämlich das kommende Jahr gestohlen bleiben.
Der Märchen-Sommer ist Geschichte, das nächste Kapitel heißt Herbstzeitlose. Sie blüht im Verborgenen, am Wegesrand. Sie kann heilen oder vergiften, je nach Dosis und Verwendungszweck. Mir bleibt die Hoffnung, dass sich alles zum Guten wendet. Für dich,
für mich und alle anderen.