Kurzgeschichte
Beihilfe zum Containern

0
"Sie kam nach Feierabend, sprach nur englisch und ich gab ihr einen Tipp"
Veröffentlicht am 16. Oktober 2018, 10 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
© Umschlag Bildmaterial: vic&dd - Fotolia.com
http://www.mystorys.de
Sie kam nach Feierabend, sprach nur englisch und ich gab ihr einen Tipp

Beihilfe zum Containern

Titel

Rein rechtlich gesehen, hätte ich sie wegschicken müssen. Stattdessen sagte ich ihr aber, wann sie wiederkommen und ungestört nachschauen kann. Wenn mein Chef davon erfährt, bedeutet es Rausschmiss und vielleicht kriege ich auch eine Anzeige. Der Rausschmiss würde mich wenig interessieren, da zu viel schiefläuft, in dem Laden. Die Anzeige hingegen… Es war nicht das erste Mal, das ich jemanden den Hinweis gab, ab wann sie ungestört containern können. Manche sind so dreist es mitten am Tag zu tun, wenn voller Betrieb ist. Dabei ist

containern nicht legal. Schade eigentlich. So viel, wie einfach weggeschmissen wird, obwohl es noch gut ist. Ein paar braune Punkte auf den Bananen und schon müssen wir sie entsorgen. Genau deswegen verrate ich den Leuten, wann sie ungestört containern können. Weil ich gegen diese Lebensmittelverschwendung bin. Einerseits hungern Menschen bei uns und überall anders auf der Welt, andererseits werden gute Lebensmittel achtlos in den Müll geworfen, anstatt es denen zu geben, die es nötig haben. Der Gesetzgeber verbietet es, abgelaufene Lebensmittel an Obdachlose und andere mittellose Menschen

abzugeben. Denn wenn jemanden davon schlecht wird...jener könnte Anzeige erstatten… Bei uns werden Lebensmittel verschwendet, woanders herrscht Hunger. Wir importieren Lebensmittel aus aller Welt. Kartoffeln aus Ägypten. Erdbeeren aus Israel. Gurken aus den Niederlanden. Tomaten aus China. Pilze aus Polen...Wenn man bedenkt, wie viel Wasser Kartoffeln zum Wachsen brauchen und wie trocken das Land Ägypten ist, greift man sich an den Kopf und fragt sich zurecht: „Muss das sein?“ Brauchen wir Erdbeeren im Winter? Müssen wir wirklich so viel Obst und Gemüse importieren? Was spricht gegen

saisonale und regionale Ernährung? X-Jahre haben wir so ge- und überlebt. Wir brauchten kein exotisches Obst und Gemüse. Es tut mir jedes Mal weh, wenn ich sehe, was wir entsorgen müssen, weil es nicht den Ansprüchen von - von wem eigentlich? - genügt. Fleisch, zwei Tage vor Ende des Verbrauchsdatums, wird Kiloweise in die Tonne gehauen. Da fragt man sich, warum erst so viel Fleisch erzeugt wird, wenn so viel im Müll landet. Die armen Tiere, die Zeit ihres Lebens leiden mussten, damit sie billig Fleisch liefern. Und dann werden sie noch nicht einmal gegessen, sondern achtlos

weggeschmissen. Da wird von CO2 – Einsparung gesprochen und Klimawandel, aber andererseits tonnenweise Obst, Gemüse, Eier und so weiter importiert, was am Ende auf der Müllhalde landet. Auf dem Feld fängt es an. Was nicht der EU-Norm entspricht, bleibt auf dem Feld liegen. Nächste Station ist der Großmarkt. Auch da wird sehr viel aussortiert. Als nächstes kommt der Supermarkt, den ich eben schon erwähnt hatte. Letzte Station ist der Endverbraucher. Würden wir all die Lebensmittel gerecht verteilen, anstatt wegzuschmeißen, würde es keinen Hunger geben. Deswegen erlaube ich es,

das man bei uns containert. Ich bin gegen Lebensmittelverschwendung. Diese Menschen retten Essen. Wie meine Kollegen darüber denken, weiß ich nicht. Bisher habe ich nur mit einer Kollegin intensiv darüber diskutiert. Wir sind einer Meinung, was das Thema betrifft. Was sie von containern hält und ob sie jenen Menschen erlauben würde, bei uns zu containern, weiß ich noch nicht. Bei Gelegenheit werde ich sie fragen. Zwei Minuten, habe ich zu ihr gesagt, in zwei Minuten kannst du nachschauen gehen. Denn bis dahin war keiner mehr von uns da und sie konnte in Ruhe nachschauen, ob sie was

findet. Kurz nach dem ich sie verlassen hatte, überkam mich der Gedanke, das ich ihr hätte zeigen sollen, wie sie an die Container rankommt. Oft genug hatte ich es morgens gesehen, wie die Containerleute die Doppeltür geöffnet hatten. Es war nicht schwer. Einmal ziehen und schon war die Tür auf. Anfangs hatte mein Chef noch versucht, die Tür zu sichern, damit keiner reinkommt. Aber die Containerleute waren schlau und begabt. Zugegeben, die Sicherung war nicht gerade das Gelbe vom Ei gewesen. Und noch ein Gedanke kam mir, sie sprach englisch. Ich hätte sie fragen

sollen, ob sie mir was beibringen kann, da ich eine Woche drauf eine Klausur schrieb und ich keine Ahnung hatte. Aber der Gedanke kam zu spät. Ebenso der, ihr meine Nummer zu geben, da ich noch Obst bei mir hatte, das sie hätte haben können. Aber vielleicht habe ich ja Glück und ich sehe sie wieder. Denn wie sagt man so schön? Man sieht sich immer zweimal im Leben.

0

Hörbuch

Über den Autor

Superlehrling

Leser-Statistik
4

Leser
Quelle
Veröffentlicht am

Kommentare
Kommentar schreiben

Senden
Brubeckfan Diesem Lehrling gebührt eine Eins in Inhalt und Form.
Ja vlt. muß man den Überfluß von klein auf gewohnt sein, um ihn für selbstverständlich zu halten. Und dann im Ausland über die Rückständigkeit die Nase zu rümpfen, weil die nicht mal die Lieblingsbiersorte haben oder das Lieblings-Bio-Klopapier.

Viele Grüße!
Gerd
Vor langer Zeit - Antworten
Zeige mehr Kommentare
10
1
0
Senden

159627
Impressum / Nutzungsbedingungen / Datenschutzerklärung