Tut. Tut. Tut...
Fluchend warf ich das Telefon von mir. Anna fing es mit seinem Satz nach vorne. „Warteschleife.“
„Bist du bescheuert?“, fauchte das andere Mädchen mich an.
„Als ob er der einzige mit einem funktionstüchtigen Handy ist. Generation Smartphone und so.“
„Das gibt dir noch lange nicht das Recht, fremdes Eigentum...“
„Na und?“, schrie ich zurück. „In ein paar Stunden graben sie unsere kalten Körper aus den Trümmern aus. Wen interessiert da noch ein Smartphone?“
Abrupt trat Stille ein. Ich stellte fest, dass ich Tränen in den Augen hatte und
fuhr mir wütend mit dem Ärmel über Gesicht.
Anscheinend hatte ich den gesamten Raum angesteckt. Püppchen wimmerte, das Pärchen klammerte sich so fest aneinander, dass ich schwören konnte, ihre Gliedmaßen liefen blau an. Selbst Anna und das starke Mädchen hielt die Angst umklammert. Die beiden Helden zitterten und der grünäugige Junge... Ja, wo war er eigentlich?
Ich entschied mich, die Situation wieder in den Griff zu bekommen, schließlich hatte ich die Welle der Betrübtheit ausgelöst. „Also... da wir womöglich viel Zeit miteinander verbringen werden, eventuell sogar unsere letzten
Minuten...“sagte ich und einige von ihnen zuckten zusammen. „liefert das sicher einen guten Grund, Namen zu lernen. Ich bin Lotta. Und ihr?“
„Klara“, brachte Püppchen hervor. Herrgott, sie war jetzt schon heißer.
„Mats“, antwortete der Selbstmörder.
„Anna“, sagte Anna.
„James.“
„Cora.“
Erwartungsvolle Blicke waren auf das Pärchen gerichtet. Zu meiner Verwunderung, brachte es zumindest einer von ihnen fertig, den Mund zu öffnen. Nicht ohne vom Boden aufzusehen, versteht sich. „Ich bin Simon und meine Schwester heißt
Lucy.“
Ich verschluckte mich fast vor Überraschung. Geschwister also. So wie es aussah, Zwillinge. Die Glücklichen, hatten sich gegenseitig. Gut, ich musste zugeben, Anna war vermutlich keine schlechtere Hilfe. Sie rückte näher und die Wärme ihres Körpers tat mir gut.
„Und jetzt?“, flüsterte sie?
Ich schüttelte den Kopf. „Was können wir schon tun?“
„Dir muss etwas einfallen, Lotta. Dir fällt immer etwas ein.“ Mit diesen Worten schob sie mir das Handy zurück in die Hand. Meine Finger umklammerten es, bis meine Knöchel so weiß wie unsere Gesichter waren.
Ihre Worte jagten mir einen Schauer durch den Körper. Was, wenn mir gerade diese Gabe gerade heute versagte?
Nervös flackerte mein Blick durch den Raum. Anna kniete wieder neben dem grünäugigen Jungen. Ich schluckte, als mir bewusst wurde, dass seine Anwesenheit bereits in den schwarzen Tiefen meines Gedächtnisses verschwunden war. Ich öffnete gerade den Mund, als Schritte ertönten. Klack. Klack. Klack. Trugen sie etwa Stiefel? Wie Klischeehaft!
Jedoch konnte ich nicht verhindern, dass mein Herz sich schmerzvoll zusammenzog und die Panik mir in die
Glieder kroch. Ich war unfähig, mich zu bewegen und jede Faser meines Körpers schrie so ohrenbetäubend laut, dass ich die Reaktionen der anderen nicht wahrnahm.
Das Geräusch eines Schlüssels, dann Innehalten. Vielleicht nur noch Sekunden bis zu meinem Tod. In diesem Moment dachte ich an rein gar nichts. Mein Kopf war ein Vakuum, so inhaltslos wie der Unterricht bei Frau Hahn.
Das Gebrüll ließ uns aufschrecken. „Weg von der Tür, weg von der Tür oder ihr seid alle tot, weg von der Tür.“
„Aus der Schusslinie!“, zischte Cora und zog Klara gerade noch rechtzeitig aus der Schusslinie. Ein trommelfellzerreißender
Knall, der sich in mitten in mein Herz bohrte, gefolgt von weiteren Schüssen. Ich zog den Kopf ein wie eine Schildkröte. Wie erbärmlich! Sollte ich so etwa sterben, am Boden kauernd. Auf den Knien, das Gesicht auf den schmutzigen Boden gepresst?
Und dann erstarb der Lärm. Hämisches Lachen. Ich war unter denen, die es wagten, den Kopf zu heben. Sie hatten sich nicht einmal die Mühe gemacht, Masken zu tragen. Trugen Entführer keine Masken? Waren sie denn Entführer oder Terroristen? Ich musste mir dringend ein Wörterbuch beschaffen, wenn ich je wieder einen Buchladen betreten durfte.
Wenn.
„So, jetzt wo wir zurück sind, ist es Zeit für die Spielregeln. Ich möchte, dass ihr mich anseht.“
Wir leisteten seinem Befehl widerstandslos. Dabei konnten wir uns sicher sein: An die Empathie der beiden brauchten wir nicht appellieren.
„Der Ablauf des Spiels sieht folgendermaßen aus: Gleich werden ich und mein Kollege hier den Raum erneut verlassen.“
„Der Esel nennt sich selbst zuerst“, murmelte ich, anscheinend nur ein kleines bisschen zu laut. Sofort sah ich in den Lauf eines Gewehrs. Sämtliche Luft wich mir aus den Lungen und ich
brachte nur noch ein verzweifeltes „U mi leid“ heraus.
„Noch ein Wort und es wird dein letztes sein.“
Ich nickte und senkte den Kopf. „Schau mich gefälligst an“, schrie er. Ich gehorchte und langsam verkleinerte sich die Ader auf seiner Stirn.
„Na also. Ihr habt fünf Minuten, um einen von euch auszuwählen.“
Schweigend warteten wir auf weitere Informationen. Es kamen keine. Nur das zufriedene Grinsen unseres Peinigers. Mats hob vorsichtig den Arm.
„Ja?“, brüllte es.
Er schluckte, bevor er fragte: Auszuwählen...
wofür?“
Das Grinsen reichte nun von einem Auge zum anderen. „Wo wäre denn der Spaß daran, wenn ihr das wüsstet?“
Mit diesen Worten winkte er seinem Kollegen ungeduldig zu, woraufhin der seinen Rucksack vom Rücken zog und begann, etwas vor uns aufzubauen. Als er zur Seite gab, offenbarte sein Körper den Anblick einer Kamera. Wozu...? Als er sie einschaltete und die Videoaufnahme begann, wurde mir schlagartig klar, was sie damit bezweckten. „Oh Gott“, flüsterte Cora. Ihre Gesichtsfarbe hatte von leichenblass zu schneeblass gewechselt. Ohne ein weiteres Wort stiefelten die beiden Entführer wieder
aus dem Raum. Bevor sie die Tür hinter sich schlossen, sagte der Große, den ich insgeheim „Voldemort“ getauft hatte noch: „Eine Berührung der Kamera und es gibt Tote.“
Dann waren wir allein.