20. andeutungen
Der Mensch besitzt zwei Lungenflügel. Der linke Flügel ist in zwei Lungenlappen untergliedert, die rechte Seite weist sogar drei Lappen auf. Alle fünf Lappen fassen im Durchschnitt zusammen ein Volumen von drei bis vier Litern bei Erwachsenen.
Jeder Atemzug unter normalen Bedingungen bewegt circa eineinhalb Liter Luft, also auch Wasser im Äquivalent. Unter Stress ungefähr das Doppelte. Es reichen also maximal vier Atemzüge unter Stress, um die gesamte Lunge zu fluten.
Alle vier Flügel füllen sich ruckartig mit dem
kalten Wasser und verdrängen den letzten Rest Sauerstoffs. Mein Atemreflex wird zwar bedient, aber das Verlangen nach Sauerstoff steigt dabei überproportional hoch.
Ich spüre, wie ich etwas in meine Lungen aufnehme, was dort nicht hineingehört. Mein gesamter Körper windet sich und wehrt sich dagegen. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich glauben, ich schwemme meine Lungen mit Säure. Der Schmerz ist unbeschreiblich. Es reißt an allen Nerven und sendet Foltersignale in mein dämmriges Hirn. Der Schmerz ist das Einzige, das mich am ohnmächtig werden hindert.
Ich will alles raushusten, aber stattdessen sauge ich immer mehr davon ein. Mein
Atemorgan schreit lauter denn je, es bettelt geradezu panisch nach etwas Verwertbarem. Mein Blickfeld engt sich zunehmen ein. Gerade war es eher ein schummriger Tunnelblick, nun ist es nur noch ein winziger Punkt, durch welchen ich meine Umwelt wahrnehmen kann. Mein Körper reduziert seine Funktionen und deren Wirkungsradius auf ein absolutes Mindestmaß. Ich kann mich nicht mehr konzentrieren, mein Gehirn wird bereits nicht mehr ordnungsgemäß versorgt und schaltet sich Sektion für Sektion ab. Meine Muskeln verschwenden Sauerstoff. Die Mobilität wird daher als Erstes komplett runtergefahren, um den wertvollen Anteil noch im Körper befindlichen Sauerstoffs zu sparen. Ich gleite also mit der Strömung und übergebe
die Kontrolle bereitwillig ab. Die Panik ist seltsamerweise geschwunden. Sie ist einer inneren Schwere gewichen, einer ausgeglichenen, ruhigen Schwere. Ich gebe mich dieser Schwere hin und füge mich meinem Schicksal. Mir sind die Tricks ausgegangen, keine Idee, kein Ass befindet sich mehr in meinem Ärmel. Jetzt bleibt mir nur noch übrig, mich von dieser Welt zu verabschieden. In Gedanken schicke ich meine Liebe zu meinen Eltern, meinen Geschwistern und meinen Freunden. Ein letztes Mal rufe ich mir Luisas Gesicht vor Augen. Hätte ich ihr doch einfach gesagt, was ich für sie empfinde.
Mit der Hoffnung im Herzen, dass sie es
sowieso wusste schließe ich die Augen und löse meine bewusste Wahrnehmung auf.