Und tatsächlich. Vor uns liegt ein riesiges, unterirdisches Labyrinth. Die Ausmaße müssen gewaltig sein. Für uns ist nur ein Teil der Konstruktion ersichtlich. Die innenliegenden Wände des Labyrinths steigen sanft an. So kann man die ersten Windungen noch einsehen, bevor die Sicht in die Eingeweide endet. Es wirkt wie eine 3D Version der Rätselheft-Labyrinthe. Am Ende ist es ja auch tatsächlich so.
Die Formation ist wunderschön und ich bin hin- und hergerissen, wie ich darüber empfinden soll. Ist Ehrfurcht angebracht oder einfach nur Furcht? Wer hat das alles gebaut
und zu welchem Zweck? Während der Wanderung zum Hügel hin, haben mir Jasmin, Adrian und Marcel erzählt, welche Abenteuer und Herausforderungen sie in den letzten Stunden durchleben mussten. Auch bei ihnen häuften sich Naturphänomene, welche sich in lebensbedrohliche Situationen verwandelt hatten. Sie erlebten allerdings eher Situationen, welche mit Wind und optischen Täuschungen verbunden waren. Sie haben es weitestgehend unverletzt überstanden. Eine Prellung hier oder ein kleiner Kratzer dort. Damit kann man jedoch gut weiterleben. Die Anstrengungen jedoch sind auch ihnen sehr deutlich ins Gesicht geschrieben. Jasmin wirkt erschöpft und die dunklen Ringe unter ihren Augen sprechen mehr als Worte beschreiben
könnten. Marcel ist in sich gekehrt. Er wirkt, als wäre er nicht mehr hundertprozentig bei uns. Adrian überrascht mich. Er wirkt aufgekratzt, voller Energie, mit welcher er nicht genau umzugehen weiß. Sein Blick flackert rastlos über die für uns einsehbaren Labyrinthwege. Er geht den Weg bereits im Kopf ab. Das Labyrinth ist irrsinnig groß. Es zieht sich unterirdisch über die Länge von mindestens zwei Fußballfeldern tief in die Höhle rein. In der Breite entspricht es ebenfalls ein bis eineinhalb Fußballfeldern. „Wie weit ist es bis zur Decke?“, frage ich. „Ich schätze gute dreißig Meter, oder?“ Adrians Antwort hat nicht lange auf sich
warten lassen. Wenn die letzten Stunden auch an ihm genagt haben, versteckt er es verdammt gut. Sein Blick allerdings alarmiert mich. Er flackert mir zu mechanisch durch die Höhle. Ich vermisse seine ruhige Souveränität von früher am Tag. Kann er hier irgendwelche Drogen genommen haben? Die Höhle und das Labyrinth vor uns ziehen meine Aufmerksamkeit wieder von Adrian fort. Es ist eine unvorstellbar imposante Erscheinung. Es gibt keine Möglichkeit es zu umgehen. Die äußeren Wände des Irrgartens werden durch die Höhlenwände beschrieben. Mein erster Gedanke ist, auf den Mauern zu balancieren und so über das Labyrinth hinweg zu klettern. Auf die Mauern zu kommen wäre
kein Problem, es gibt aber eine bereits hier erkennbare Vorkehrung der Erbauer. Eine Art Grenze, die nicht überwindbar ist. Vielleicht 20 Meter hinter dem Eingang des Labyrinths gibt es einen Bereich, der einige Meter lang keine Wände besitzt. Wie ein nicht überdachter Raum zwischen zwei Labyrinth-Abschnitten. Spätestens hier müssten wir die Mauer in jedem Fall verlassen und das Labyrinth betreten, also können wir auch direkt reinlaufen. „ Wollen wir los?“, frage ich ohne meinen Blick von dem Eingangsportal zu wenden. „Schaut euch diese feinen Verzierungen an“, und im Flüsterton schiebe ich hinterher „Wunderschön“. Adrian und die anderen beiden geben leise
bestätigende Laute von sich. Keiner der anderen hat noch etwas anzumerken oder einzuwenden, also laufen in einer geschlossenen Reihe auf das enorme Portal zu. Direkt davor bleiben wir nochmals stehen und betrachten die zierlichen Schnitzereien in dem groben Balkenwerk genauer. „Hat das eine Bedeutung? Meint ihr die Schnitzereien sind wichtig? Nachdem Ben von den Symbolen auf der Boardwand erzählt hat, wäre das doch denkbar, oder?“ Jasmin, hat den Kopf weit in den Nacken gelegt und starrt hoch an die Decke und auf den Sturzbalken des Portals. Ich kann meinen Blick nicht von den kunstvollen Linien und Formen lösen. Sie
folgen keinem erkennbaren Muster oder einer Logik. Es sind phantasievoll gewundene lange Linien und Ornamente, welche teilweise kaum merkbar in einander übergehen. Sie sind auf eine ruhige aber sehr komplexe Weise miteinander verwoben. Von ihnen geht eine hypnotische Wirkung aus und ich merke, wie ich mich in meinen Gedanken verliere. Die Höhle und das Labyrinth verschwimmen vor meinen Augen und Luisa schält sich aus dem Diffus heraus. Ich kann ihren Duft riechen, ihre Stimme hören. Ich sehe die kleinen Details ihres Gesichtes. Ihre langen Wimpern, die fein geschwungenen Augenbrauen und die dünnen Linien um ihre Mundwinkel. Ich folge ihrer Mimik und ihren Bewegungen. Dann salutiert sie wieder. Das reißt mich aus
meinem kleinen Traumausflug raus und ich stehe auf einen Schlag wieder dort, von wo ich meine kleine Phantasiereise angetreten habe, in der Höhle unter dem Portal. Was zum Teufel soll das Salutieren? Ich fühle mich unangenehm ertappt, dass ich geträumt habe und blicke mich zu den anderen um. Was ich da sehe, macht mir echte Sorgen für unseren weiteren Weg durch das Labyrinth. Alle drei stehen wie angewurzelt da und starren das Portal an. Sie scheinen alle, so wie ich eben, in eine andere Bewusstseinseben entschwunden zu sein. „He! Aufwachen!“, belle ich die drei an, während ich jeden von ihnen grob am Oberarm anfasse und schüttle. Das zeigt Wirkung. Wie aus einem langen Traum kehrt
jeder von ihnen wieder in die Höhle unter das Portal zurück. „Was – war - das - denn?“, fragt Marcel. „Ich war wieder zuhause und habe mit meinem Hund gespielt. Jimbo, ein kleiner Jack Russel. Der ist aber schon seit 2 Jahren tot. Ich hätte schwören können, ich habe gerade sein Fell gestreichelt.“ „Ging mir ähnlich“, reagiert Jasmin direkt. „Ich saß in meiner Abschlussprüfung der Uni. Ich konnte den Schweiß und die schlechte Luft im Prüfungsraum riechen. Der Prüfungsstress hat mir auf den Magen geschlagen. Das war so real.“ „Ich war beim Wrack in der Nacht bevor ich zu euch gebracht wurde“. Jasmin, Marcel und ich schauen alle neugierig
zu Adrian und warten auf seine Geschichte. „Los jetzt. Wir müssen durch das Labyrinth bevor es zu spät ist“, ist sein einziger Kommentar. Ohne auf eine Reaktion von uns zu warten, läuft Adrian durch das Portal. „Hey, Erde an Adrian. Sollten wir uns nicht zumindest kurz über unseren kleinen Ausflug ins Labyrinth abstimmen? Wie verhalten wir uns, wenn einer verloren geht? Was, wenn das Licht auf einmal verschwindet?“ Adrian starrt mich nur finster an. Seine einzige Erwiderung ist eben dieser lange und feste Blick. Dann wendet er sich wortlos um und läuft tiefer in das Labyrinth. „Der ist so seit du aufgetaucht bist. Davor war er eigentlich ganz normal.“ Jasmin versucht Adrian zu erklären und vielleicht auch ein
wenig zu verteidigen. „Er hat so ein bisschen die Führung übernommen, als wir zu dritt gewesen sind. Er war aber sonst ganz umgänglich. Wer weiß, vermutlich irgend so ein Machogehabe.“ „Ja, das hab ich ja schon an der Klippe und in der Höhle zu spüren bekommen. Wir sollten trotzdem zusammen bleiben. Auf, lasst uns Adrian nicht aus den Augen verlieren.“ Adrian biegt gerade um die erste Ecke. Wir drei beschleunigen unsere Schritte etwas und schließen zu Adrian auf. Ich muss mir selbst eingestehen, dass es mir schwer fällt, jemandem wie Adrian einfach zu folgen und es kostet mich entsprechen Überwindung, den Kontakt zu ihm wieder aufzunehmen.
„Hey Häuptling, hast du in den Zeichen irgendwas gesehen, was wir nicht erkannt haben? Du läufst so zielsicher los, als ob du wüsstest, wo es lang geht. Teile dein Wissen!“ „Ssssht“, abrupt bleibt Adrian stehen. Er hebt seinen rechten Arm leicht gebeugt mit ausgestrecktem Zeigefinger. Ein klares Signal kurz zu warten. Sein Blick ist eine Mischung aus absoluter Konzentration und gleichzeitiger Leere. Mit leicht gesenktem Kopf macht er erneut dieses Geräusch. „Shhht“. Er kaut von innen auf seinen Lippen, eine Geste, die ich nur zu gut kenne. Wenn ich mich schwer konzentriere, wenn ich mit aller Gewalt versuche, mich an etwas zu erinnern, dann mache ich das auch manchmal. Er
schließt die Augen und wir können seine Augen hinter den Liedern hin und her flackern sehen. „Ok, jetzt wird es langsam unheimlich oder nervend, Adrian. Hol uns ins Boot, was ist hier los?“ Aber statt meiner Aufforderung nachzukommen, setzt er sich erneut zielsicher in Bewegung. „Auf, kommt mit“, ist alles was wir von ihm hören. Links, rechts, rechts, wieder links, Adrian wird immer schneller und wir immer unsicherer, wo er uns hinführt. Wir haben mittlerweile die Orientierung verloren. Adrian verschwindet hinter der nächsten Ecke und als wir ihm folgen, sehen wir was ihn so angetrieben hat.
Er steht vor einem Becken gefüllt mit schillerndem Wasser. Ein Symbol leuchtet darüber im bekannten türkis-blau. Zwei Hände, welche in das Becken hineinzugreifen scheinen. Wir sind so durstig und das Becken ist derart einladend, dass wir nicht mehr logisch und verantwortungsvoll handeln. Jeder sucht sich den nächstbesten Platz am Rand des Beckens und taucht seine Hände eben in der Form des Symbols ins das Wasser und schöpft es zum Mund. Erlösung, denke ich als einzigen fortwährenden Gedanken solange ich das Wasser dankbar in mich hineinschlinge. Es schmeckt ein wenig metallisch, aber das kann an einem hohen Mineralgehalt liegen rede ich
mir ein. In jedem Fall schmeckt es nicht faulig oder abgestanden. Jeder schmatzt und schlürft die kühle Flüssigkeit in sich hinein und wäscht sich das Gesicht, reibt das kalte Wasser in den Nacken. Das verengt die Gefäße und beschleunigt das Blut. Das ist der Effekt, der belebt. Wir haben alle wieder Farbe im Gesicht und setzen uns für einen Moment irgendwo am Becken auf den Boden. Ich fühle mich wieder wie ein Mensch. Ich fühle mich sauber und spüre, wie durch das Wasser auch meine Motivation wieder steigt. „Woher wusstest du das? Ich meine, du läufst doch nicht einfach los und riechst Wasser oder lokalisierst es wie eine lebende Wünschelrute. Was ist hier los?“ Adrian lächelt überlegen aber versöhnlich. Er
wirkt, als habe er sich beruhigt. „Es war eine Vermutung. Ich konnte nichts sagen. Was wenn ich falsch gelegen hätte? Ihr hättet mich gelyncht. Als wir noch ein paar Meter vom Portal entfernt waren, erinnert ihr euch? Da konnten wir in die aufsteigenden Wände hineinsehen. Ich habe das hier gesehen“, Adrian deutet mit einer Hand auf die tanzenden Reflektionen des Wassers auf einer Wand. „Ich war mir nicht sicher, was es genau ist, aber es musste flüssig oder zumindest in Bewegung sein. Den Versuch war es wert, meint ihr nicht?“ Eine enorme Anspannung fällt gleichzeitig von uns allen ab und ohne einen wirklichen Grund müssen wir alle miteinander lachen. Es ist
befreiend. „Ok, und jetzt?“, bringt uns Jasmin wieder unsere Situation vor Augen. „Wie geht es weiter? Hat sich jemand den Weg gemerkt? Hier ist eine Sackgasse, wir müssen also wieder zurück. Aber bis wohin? Ganz zum zurück zum Portal?“ „Das werden wir wohl ausprobieren müssen“. Einer nach dem anderen steht auf und streckt sich. Meine Schultern krachen und meine Knie schnalzen schmerzhaft über die gespannten Sehnen. Wir nehmen alle einen letzten tiefen Schluck aus den überdimensional großen Becken. Es misst bestimmt vier auf fünf Meter. Wofür steht hier so ein großes Becken mit Wasser? Ist das nicht eine elende Verschwendung? Oder ist das eine Belohnung
für die Mutigen wie Adrian? Der Raum hat nur einen Ausgang und auf diesen steuern wir nun alle vier zu, rechts um die Ecke dann müsste es wieder links ab gehen. Unser Problem ist nur, dass wir wieder in einer Sackgasse stehen. „Was zum…“ Mir wird ganz mulmig im Bauch. Entweder war das Wasser doch nicht gut, oder es reagiert jetzt mit meiner übersteigerten Magensäureproduktion. „Das gibt’s doch gar nicht. Hier sind wir doch gerade eben erst hergekommen, oder etwa nicht?“ Adrian ist ebenso fassungslos wir Jasmin und Marcel. In allen Gesichtern spiegelt sich Ratlosigkeit am Rande zum
Entsetzen. „Hier war vorhin noch keine Wand. Seht doch, im Boden sind noch immer unsere Fußabdrücke. Man kann ganz klar sehen, dass wir aus dieser Richtung gekommen sind. Das hier ist mein Schuhsolenprofil.“ „Lasst uns ruhig bleiben. Welche Optionen haben wir?“ Wir sind zu viert. Ein Raum, kein Ausgang. Ein Wasserbecken, viele Wände. Alle massiv. „Wir können über eine Wand klettern und schauen, ob uns das weiter bringt. Mit einer Räuberleiter können wir über die Wände.“ „Nein, sorry Ben, das hat einen Haken. Der letzte in der Reihe hat keine Räuberleiter. Die Wände sind zu hoch, um alleine hoch zu
kommen.“ „Guter Einwand, Marcel. Wie hoch ist das wohl? Könnte es klappen, wenn einer auf der Wand oben liegen bleibt und eine Hand runter reicht? Könnte dann der letzte hochklettern?“ „Das könnte funktionieren. Machen wir einen Test.“ Es ist am Ende leicht zu sehen, dass die einzigen beiden mit genug Kraft und langen Armen Adrian und ich sind. Mir ist wohler, wenn Adrian hier unten bleibt. Ich bin ein Kontroll-Mensch. „Machst du mir Räuberleiter?‘“ Adrian stellt sich in bekannter Manier mit dem Rücken an eine Wand und hilft mir hoch. Ich kann mich auf die Wandkante hochziehen und verschaffe mir einen Überblick. Mein anfänglicher Mut
schwindet augenblicklich. Die Wand führt direkt in den Zwischenraum ohne Labyrinthwände, den wir vorhin schon gesehen haben. Hier entsteht ein weiteres Problem. Dort wo das Labyrinth mit Wänden weitergeht, steht nur eine durchgehende Wand. Von einer Seite der Höhle zur anderen. Eine massive, zu hohe, nicht unterbrochene Wand. Keine Türen, keine Lücken, kein Spalt. „Das glaubt ihr mir nicht Leute. Hier geht es nicht weiter. Hinter dem leeren Raum ist eine massive Wand ohne Durchbrüche. Resignierte Gesichter unter mir. Es macht gar keinen Sinn die anderen Seiten auch zu prüfen, da wenn wir überhaupt weiterkommen würden, direkt auf die geschlossene Wand zulaufen würden.
Verdammt. Wir suchen jeden Zentimeter der Wände des Raumes um das Becken herum ab. Nach versteckten Türen, Nähten, lockeren Steinen, nach irgendwelchen Zeichen die auf einen Ausgang hindeuten. Da wir alle begriffen haben, dass uns ein Durchgang in der Tür nicht viel helfen würde, suchen wir auch den Boden ab. Vielleicht gibt es einen versteckten, unterirdischen Gang? Wir finden absolut nichts. Regel eins: nichts ist wie es scheint. Regel Vier: ein Ei mit einem Rechteckt drin. „Ich will mal was versuchen. In Filmen ist das oft der letzte Ausweg. Irgendwo muss das
Wasser im Becken doch herkommen, richtig? Mal sehen, ob es einen Zugang gibt, Vielleicht passen wir da durch.“ Jasmin und Marcel werden bleich und ich kann in ihren Gedanken lesen, dass sie lieber hier mit bloßen Händen einen Tunnel graben würden, als durch ein mit Wasser gefülltes Rohr zu tauchen. Adrian hingegen wirft mir einen Blick entgegen, welcher auf Respekt hindeuten lässt. Ein leichtes Nicken und vorsichtig in die Höhe gezogene Augenbrauen. Ich steige in das Becken und taste vorsichtig den Bereich zur Wand ab. Nichts außer nassem, leicht schmierigem Stein. Dann knie ich mich ins Wasser und arbeite mich über den Boden. Das Wasser ist so tief, dass ich
meinen Kopf nach oben strecken muss, um auf den Knien nicht unterzugehen. „Hier ist etwas. Ein Rand zu einem Rohr oder so ähnlich. Es scheint groß zu sein. Ich könnte durchpassen. Ich tauche kurz unter und versuche es abzutasten.“ Ich kann nicht viel sehen unter Wasser, aber es braucht nicht viele Sinne, um zu erkennen, dass der Rohrdurchmesser mehr als ausreichend für meine Statur ist. „Ich möchte gerne in das Rohr tauchen und ein Gefühl dafür bekommen, wo es hinführt. Rauf oder runter oder wo auch immer.“ Jasmins und Marcels Blässe steigert sich in beinahe leuchtendes Weiß. Nur Adrian findet meinen Vorschlag alles andere als Spinnerei.
„Kühn, Ben. Kühn, aber ich denke auch, dass das unsere einzige Chance ist. Viel Glück. Dir ist klar, dass wir dir nicht helfen können, wenn etwas passiert?“ Nein, um ganz ehrlich zu sein, habe ich daran keinen Gedanken verschenkt, bis Adrian mich darauf gestoßen hat. Ich fasse es nicht, dass ich schon wieder so einen idiotischen Vorschlag mache und mich selber melde statt andere zu nominieren. Adrian mit seiner Arscho-Art könnte doch mal die Vorhut übernehmen. Das macht er aber nur, wenn es bequem und mäßig ungefährlich ist. Schisser. Also ab. Mal sehen, wie lange ich die Luft anhalten kann. Unter Wasser ist es
überraschend hell. Mit meinem Eindringen in die Röhre beginnen nun weitere Linien blau zu leuchten. In etwas so, als ob ich einen Bewegungsmelder passiert hätte. Meine Finger kribbeln und ich habe das Gefühl, dass etwas an mir zieht. Schnell raus, hier stimmt etwas ganz und gar nicht. Ich schiebe mich mit den Armen gegen die Rohrwand gestemmt zurück. Aber egal wieviel Kraft ich aufbringe, ich bewege mich nicht rückwärts. Das Kribbeln und ziehen wird intensiver und mir bewusst, dass es nicht einfach ein Gefühl ist. Das Wasser bewegt sich. Es zieht erst locker an mir und beginnt dann fester an mir zu reißen. Nach und nach entwickelt sich ein immer stärker werdender Sog, der mich mühelos in das Rohr saugt.
Panik steigt in mir auf. Ich bin zwar ein guter Schwimmer, aber Tauchen war mir schon immer zuwider. Jetzt hänge ich hier in einem Rohr kaum breiter als ich selbst und werde wie in einer Toilettenspülung weggerissen. Meine Lunge beginnt zu brennen. Der Sog zieht mich immer weiter in die leuchtende Röhre. Adrians Warnung schießt mir höhnisch durch den Kopf „Wir werden dir nicht helfen können“. Ich kann meinen Atemreflex nicht mehr länger unterdrücken. Ich habe blanke Angst. Wie wird es sich anfühlen zu ertrinken? Wird es wehtun? Wie schnell werde ich wohl ohnmächtig? Ich sehe bereits bunte Punkte vor meinen Augen flimmern und tanzen. Mein
Sichtfeld engt sich tunnelartig ein. Ich merke, wie mein Körper beginnt an Spannung zu verlieren und ich zunehmend nur noch treibe. Meine Lunge explodiert gleich. Das Fordern nach Luft, nach Sauerstoff ist unbeschreiblich intensiv. Jedes Lungenbläschen schreit förmlich, es sticht und brennt in einer Form, die nicht zu beschreiben ist. Nach einem schnellen Sprint, völlig übernommen, brennt eine Lunge nicht annähernd so heftig wie meine jetzt in genau diesem Moment. Ich spüre wie mir Tränen unter Wasser in die Augen quellen. Ich habe verloren. Das Gefühl in meinen Beinen beginnt zu schwinden, die Kontrolle über meinen Körper versiegt mit jedem Meter, den ich im Sog wegtreibe. Alles verlangsamt sich. Meine Wahrnehmung,
meine Bewegungen, meine Gedanken. Alles wird zäh und wie in Zeitlupe. Es ist anders als ich es mir vorgestellt habe. Sterben tut weh. Sterben ist einsam. Keine Engel die mich abholen, kein Zeitrafferfilm aus der eigenen Vergangenheit. Kein Licht, welches mir den Weg weist. Nur Schmerz und Angst. Dann ist der Moment da, meine Lunge gewinnt. Das Zwerchfell kontrahiert und dehnt meine Lungen, wodurch der Unterdruck entsteht, den wir Atmen nennen.