Nachdem ich in Band 1 die Umstände der Katastrophe abhandelte und in Band 2 die Profitgier und die Fahrlässigkeit im Vordergrund stand, lesen Sie hier im Band 3, dass nach der Verseuchung auch noch bei der Entsorgung geradezu kriminelle Machenschaften im Spiel waren.
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Auch hier im dritten Teil versuche ich Überschneidungen mit Seveso Teil I und Teil II zu vermeiden. Ich fange einfach einmal mit einer Zusammenfassung an. In Seveso war das Chemiewerk damit beschäftigt Trichlorphenol herzustellen.
Die Fabrik entsprach nicht den Sicherheitsrichtlinien. Am 10. Juli 1976 kam es durch einen Bedienungsfehler zur Katastrophe.
Tödliches Dioxin, später als Sevesogift bekannt, wurde frei gesetzt. Das Werk Icmesa lief unter den Fittichen der Schweizer Firma Givaudan, die wiederum dem La Roche Konzern angehörte.
Alle möglichen Vertuschungen und Verzögerungen führten dazu, dass erst nach vier Jahren mit der Abtragung der verseuchten Umwelt begonnen wurde (1980), auch weil man damals nicht wusste wie das tödlichste, synthetisch hergestellte Gift entsorgt werden kann.
1982, also sechs Jahre nach dem Unfall, waren endlich die am stärksten Dioxin-verseuchten Teile, vor allem die Reaktorrückstände in Fässer eingeschlossen worden.
Offiziell (und rechtlich) war Hoffmann La Roche für Endentsorgung dieser Fässer zuständig. Es waren 41 Stück. Ab diesem Zeitpunkt wird es abenteuerlich.
La Roche war natürlich daran interessiert den Abtransport und die Entsorgung nicht an die große Glocke zu hängen.
Das Ende vom Lied: Diese brandgefährlichen Fässer waren plötzlich einfach verschwunden, hatten sich im Nirwana aufgelöst. Keiner
wusste irgendetwas! Das muss man sich einmal vorstellen!
Jetzt wurde es hektisch. Wo sind sie geblieben? Das war nun endlich eine Staatsangelegenheit. Also, La Roche war wieder einmal Spezialist darin, Verantwortung abzuwälzen. Es schälte sich heraus:
Am 10. September 1982, Abends, soll sich der LKW mit seiner tödlichen Fracht von Seveso, also vom Firmengelände Icmesa in Bewegung gesetzt haben. Onorevole Luigi Noè, Notar und Sonderbeauftragter der Region Lombardei, begleitet den Transport noch bis an die Grenze zu Frankreich bei Ventimiglia. Die Zolldeklaration Nr. 805520 für
41 Fässer mit einem Bruttogewicht von 6550 Kilogramm, Dioxin Reingewicht von exakt 215g, verbürgte die Einfuhr ins Nachbarland Frankreich. Übrigens, ein Millionstel Gramm Dioxin pro Kg Lebendgewicht ist schon tödlich! Der Notar stieg aus, der LKW entfernte sich und ward verschwunden. In Wirklichkeit war Luigi Noe viel tiefer in den Skandal eingebettet. Er sorgte wohl auch dafür dass der LKW nach weiteren 1100 Kilometern mit der „Ware“ Saint Quentin erreichte, allerdings hatte er nun nur noch beglaubigten Industriemüll geladen, wie ihn der Spediteur Paringaux deklarierte. Das fand man aber erst später heraus. Ab da an hatte sich der LKW dann endgültig weg-gebeamt. Wohin,
niemand wusste es. Eine Fachzeitschrift trat die Story der verschwundenen Fracht los, dann erst kümmerte sich die „überraschte“ Behörde darum. Am 25. März 1983 fand die staatliche, französische Umweltbehörde heraus: In der Nähe von Mailand sei der LKW-Transport ins Land gekommen, die Dioxin Fässer wären dann nur kurz in Saint Quentin zwischengelagert worden und dann weiter ins Ausland gegangen. Ende! Das war nun doch etwas dünne! Am 28.März fragte man bei La Roche, dem eigentlich Transport-Verantwortlichen nach. La Roche teilte mit: Leider sei der Verbleib der Giftfässer nur Mannesmann Italiana
(Manit) bekannt, einer Halbtochter der Deutschen Mannesmann, denn diese Firma sei mit dem Transport beauftragt worden. Es wurden nachweislich von La Roche für diese „Dienstleistung“ 159.000 Franken an Mannesmann Italia berappt. Manit wiederum ließ ausrichten: Leider sei über die Fässer nichts weiter bekannt, da damit die Speditionsfirmen Spelidec und Wadir beauftragt worden seien. Der Geschäftsführer von Spelidec wurde in Beugehaft genommen, verweigerte aber jegliche Aussage, außer dass Spelidec nach Saint Quentin geliefert habe. Beide „Firmen“ waren Ein-Mann-Betriebe. Spelidec war durch Herr Paringaux, Wadir durch Herrn Andre Maurer, einem Bankkaufmann, vertreten und
Beide übernahmen gerne „schwierige, unliebsame Entsorgungen“. Warum nahm Mannesmann Italia überhaupt den Auftrag an? Und warum wurde der Transport diesen beiden, windigen Männern (Kleinkriminellen) überlassen? Am 1. April 1983, der LKW war schon sieben Monate unsichtbar, unterrichtete das französische Umweltministerium die Bundesrepublik. Es gäbe Spuren, die nach Deutschland führen würden. Allerdings hatten die beiden in Frage kommenden Lager, Zwischenlager, angeblich nichts mit den Fässern aus Seveso zu tun. Am 2. April 1983 ist die Französische Umweltministerin ratlos. Die Fässer könnten praktisch überall sein, sagte sie.
Am 5. April fragt auch die Bundesregierung bei La Roche nach. Man wisse nichts, denn man war von Mannesmann Italia vertraglich gezwungen worden, dass La Roche nichts über den Verbleib erfahren dürfe, antworteten die geschniegelten Herren frech. Es sei nur gewiss, dass die Fässer unter einer Tonschicht gelagert seien. Dies sei in der Verantwortung von Manit und wäre unter Aufsicht von Behörden geschehen. Sie könnten nur so viel sagen, dass sich die Fässer nicht in Frankreich, in der Schweiz, oder in Italien befänden. Warum fragte die Bundesregierung nach? Mannesmann Chef, Egon Overbeck, hatte nämlich Jürgen Weber ins Spiel gebracht. Weber, Chef der Badischen
Rückstands-Beseitigung GmbH aus Oberhausen, hätte versprochen zu helfen und als Endlager die DDR Kippe Schönberg vorgeschlagen. Die DDR-Firma Intrac gehörte zum Netzwerk des Devisen-Imperators Alexander Schalck-Golodkowski, die eine spezielle Abteilung für den internationalen Müllhandel unterhielt. Sie war auch für die direkt an der ehemaligen Grenze zur Bundesrepublik gelegene Giftmülldeponie Schönberg zuständig. Jedenfalls scheint dieses „Geschäft“ angeblich doch nicht zustande gekommen zu sein. Trotz allem Hickhack und dem Bemühen der Großunternehmen nicht verantwortlich zu sein, blieb das dringendste Problem:
Wo war die Giftladung? Alles war in Aufruhr, französische, italienische, deutsche Minister, die DDR, ein Schweizer Bundesrat, Geheimdienstler, Chefbeamte, Konzernherren, Chemiker, Staatsanwälte hatten Schweißperlen auf der Stirn. Gesucht wurde erstens der schwarze Peter, dann der LKW und zwar auch in dieser Reihenfolge. Um behilflich in diesem Reigen zu sein, tummelten sich natürlich auch Richter, Polizisten, -zig Anwälte, Journalisten, Schwindler und Giftmüll-Entsorger. Das aller kleinste Krümelchen in diesem Gift Hexenkessel war ein gewisser Andre Droy. Er siechte in dem gottverlassenen Örtchen Anguilcourt-le-Sart dahin. Die Kirche des
Dorfes bröckelte, es gab eine einzige Straßenkreuzung, kein Bäcker, keine Schule mehr, keinen Einkaufsladen. Der letzte Metzger im Ort war nämlicher jener Andre Droy, der 1970 Bankrott ging und inzwischen verwahrloste. Sein Sohn Maurice schuftete für ihr Beider Überleben im Nachbarort in einer Metallfabrik. Was für ein Glück, dass sie wenigstens noch einen Freund hatten. Dieser Freund hieß Jean-Michel Quignon, zufälliger Weise LKW Fahrer, vorübergehend angestellt bei der Firma Spelidec. Jean-Michel sollte zwischenzeitlich ein paar harmlose Fässer zwischenlagern. Es sei nicht zu seinem Nachteil und ach ja, bitte Schnauze halten. Quignon hielt plötzlich ein nettes Sümmchen in Händen und die Schnauze. Ein
Problemchen ergab sich doch für ihn. Er hatte nicht genügend Lagerkapazität, ohne dass es auffiel. Da erinnerte er sich an seinen Kumpel Andre Droy, an seinen verkommenen Bauernhof.
(Der Fundort)
Für ein paar lächerliche Scheinchen sollte Droy seinen Hinterhof, eine marode, überdachte Scheune, zur Verfügung stellen.
Sohnemann Maurice schuftete sich mit den Fässern ab und ab da dümpelten sie in Schlamm, Dreck und Spinnweben vor sich hin. Im Übrigen würden die Fässer bald von Electricité de France übernommen werden, hatte Jean-Michel Quignon versichert. Der in Beugehaft genommene Paringaux (Spelidec) knickte am 23.Mai um 19:00 Uhr ein und plapperte. Die bereits gärenden Verdachtsmomente bestätigte er.
Es folgte ein Einsatz der CRS mit 200 Mann, eine wenig zimperliche Spezialtruppe der
Französischen Polizei. Unterstützt wurden sie vom Militär. Die 300 Einwohner, Umland mitgerechnet, von Anguilcourt-le-Sart, erlebten einen Schwung der Überbevölkerung und war Waffen starrend, wie nirgends in ganz Frankreich. Man meinte, dass die neue Maginot-Linie entstanden sei. Im Hinterhof von Droy, da waren sie, die 41 Fässer. Wild gestapelt, bis auf einen Hofhund ungesichert, standen sie im Dreck.
Die Bilder gingen um die Welt, als das kleine französische Kaff mit Kameras zugemüllt worden war. Ein Örtchen schrieb 1983 Weltgeschichte! Ein einziger katastrophaler, Wahnsinn! Die Armee schaffte die Fässer in eine
gesicherte Kaserne. Plötzlich tönte La Roche. Das Unternehmen werde nun persönlich dafür sorgen, dass die Fässer ordentlich entsorgt werden, so wie es La Roche immer getan hätte (ich lache).
Leider wollte immer noch kein Land diesen Dreck haben, geschweige denn entsorgen. Die Baseler wollten zu gerne die Sache bei der deutschen Deponie Herfa-Neurode los werden, aber der Umweltminister Karl Schneider gab sich zickig und lehnte ab. Es folgte wieder ein Hin und Her. Schließlich wurden diese Fässer nach Basel gebracht und unter großem Brimborium 1985 in einer speziellen Hochtemperaturanlage der Firma Ciba Geigy verbrannt. Alles wurde dokumentiert, gefilmt, überwacht.
Nach neun Jahren war der vermaledeite Seveso Unfall endgültig erledigt. Puh, das war’s dann. Oder doch nicht?
Im Band IV gehe ich auf Ungereimtheiten ein.
Bleistift "Seveso III..." Echt starke Recherche, denn über den weiteren Verbleib jener Gift-Müll-Fässer von Seveso habe ich leider nie etwas erfahren. Aber das wundert mich auch nicht wirklich, haben wir doch genug Probleme mit unserem eigenen Atom-Müll-"Endlager", für das die damalige Umweltministerin Merkel aus der Kohl-Riege zuständig war und dessen Sicherung de facto bis heute immer noch nicht garantiert ist... beste Grüße Louis |