„Denkst du denn überhaupt nicht an deine Kinder?“, den Tränen nahe drehte sich die Frau zum Fenster und blickte in die Dämmerung. Ihr Mann sass auf dem abgenutzten Sofa und betrachtete seine Frau mit einem ernsten, beinahe besorgten Ausdruck im Gesicht. „Natürlich denke ich an die Kinder, Svetlana“, sagte er auf ihre Frage hin, „deshalb möchte ich es ja tun. Für ihre Zukunft!“
„Freiwilligenarmee“, die Frau spuckte diese Worte förmlich aus und ihre Stimme wurde lauter, als sie fortfuhr: „Glaubst du wirklich, dass dieser Kornilow irgendetwas an der Situation ändern kann? Es wird nur noch mehr
Krieg geben, noch mehr Tote, noch mehr Elend!“
Iwan hatte seine Frau noch kaum so aufgeregt gesehen. Normalerweise waren ihre dunklen Augen ruhig und ihre Stimme hatte einen sanften Klang, selbst wenn sie wütend war. Für die Nöte von anderen Menschen hatte sie ein tiefes Anliegen und sie löste so manchen verfahrenen Streit mit Liebe und freundlichen Worten.
Doch heute war es ganz anders; ihre Augen sprühten Funken und ihre Stimme klang bitter, hart und verständnislos für die Pläne ihres Mannes.
„Ich tue es für den Frieden“, versuchte Iwan seine Frau zu überzeugen, „es kann
nicht mehr länger so weitergehen. Irgendetwas muss geschehen.“ „Aber es ist nicht an dir, etwas zu tun“, erwiderte seine Frau und drehte sich ruckartig zu ihm um. In ihren Augen schimmerten Tränen, doch sie fuhr fort: „Sollen noch mehr Männer in den Krieg ziehen? Jede neue Armee fordert neue Todesopfer. Jede neue Schlacht fordert Menschenleben. Väter und Söhne, die in den Krieg ziehen und unschuldige Frauen und Kinder, die gedankenlos ermordet werden.“
„Aber Svetlana“, Iwan stand auf und legte seiner aufgebrachten Frau beruhigend eine Hand auf die Schulter, „wir wollen diesem sinnlosen Töten ein
Ende machen. Durch diese Armee wird der Krieg bald beendet sein.“ Seine Frau blickte ihm nun direkt in die Augen. „Willst du gegen deine eigenen Brüder kämpfen? Willst du gegen deine Landsleute in den Krieg ziehen?“
Eine Weile schwiegen die Beiden. Iwan dachte nach. Vor zwei Tagen war er von einem Freund aufgefordert worden General Kornilows Freiwilligenarmee beizutreten um gegen die Bolschewiki zu kämpfen. Gegen die, die versuchten ganz Russland unter ihr Kommando zu bringen und sich nicht davor scheuten andere Russen dafür umzubringen. Gegen die, die das Haus seiner Eltern und so vieler anderen Menschen zerstört und
niedergebrannt hatten.
Seit dieser Krieg begonnen hatte, hatte er sich hilflos gefühlt. Jeden Morgen war er aufgewacht und hatte nicht gewusst, ob seine Stadt die nächste wäre, die dem zerstörenden Krieg in die Hände fallen würde. Manche Nacht war er unruhig in seinem Zimmer auf und ab gegangen, hatte die feinen Gesichtszüge seiner Frau im fahlen Mondlicht betrachtet und sich gewünscht, dass er sie besser beschützen könnte. Er wollte seine ganze Familie beschützen und diesen Krieg beenden.
Und nun hatte er endlich die Möglichkeit etwas zu tun. Nicht nur dasitzen und tatenlos zuschauen, sondern wirklich etwas tun! Mithilfe von Kornilows
Armee würde der Krieg bald zu Ende sein. Doch nun war seine sonst so geduldige Frau wütend und verzweifelt und wollte ihn nicht gehen lassen.
„Willst du wirklich, dass ich eine dieser Frauen bin, die nicht wissen, ob sie ihren Mann das letzte Mal gesehen haben?“, unterbrach Svetlana seine Gedanken mit zitternder Stimme, „willst du, dass ich abends im Bett liege und nicht weiss wo du bist. Ob du verwundet auf einem Schlachtfeld liegst oder ob du schon vor Stunden oder Tagen deinen letzten Atemzug getan hast? Wenn du in den Krieg ziehst, werde auch ich Tag für Tag, Nacht für Nacht, in einem Krieg kämpfen müssen. Ich werde eine Schlacht ganz
alleine führen. Mit meinen Ängsten. Mit all den schlimmen Bildern, die sich in meinem Kopf festsetzen können. Mit dem schrecklichen Gedanken, dass ich den Mann mit dem ich den Rest meines Lebens verbringen wollte, vielleicht nie wieder sehen werde …“
Schluchzend brach Svetlana auf dem Sofa zusammen und vergrub den Kopf in ihren Händen. Iwan blickte hilflos auf seine Frau. Er konnte sich nicht erinnern, dass er bei ihr je schon einmal einen solchen Gefühlsausbruch erlebt hatte.
Ja, natürlich verstand er sie aber mit einer so heftigen Reaktion hätte er nicht gerechnet. Er setzte sich neben ihr hin, legte seinen Arm um ihre zierlichen
Schultern und strich ihr das dunkle Haar aus dem Gesicht. Wie sollte er ihr bloss verständlich machen, dass er das einfach tun musste - für sich und die Zukunft Russlands?!
Aber es war gar nicht nötig, dass er etwas sagte. Seine Frau hatte sich schon wieder gefasst. Sie richtete sich auf und sagte mit fester Stimme: „Ich werde das Abendessen zubereiten, damit es fertig ist, wenn Jurij kommt.“
Mit diesen Worten trat sie von dem kleinen Wohnzimmer in die angrenzende Küche. Iwan blieb auf dem Sofa sitzen und stützte mit einem tiefen Seufzer den Kopf in die Hände.
Eine halbe Stunde später stellte Svetlana
einen Topf in die Mitte des Küchentisches und begann das Essen auszuschöpfen. Dann setzte auch sie sich hin und blickte mit einem schnellen Blick auf die schweigende Tischrunde.
Da waren ihre beiden Kinder: Alexej und Aljona. Alexej war zwar erst zehn Jahre alt, doch schon reif und vernünftig. Er hatte braunes Haar, das ihm ständig in die Stirne fiel und einige blasse Sommersprossen auf der Nase. Sein Blick war offen und klar, obwohl seine Augen dunkel, ja, beinahe schwarz, waren.
Seine Schwester hatte dieselben grossen, dunklen Augen wie er und ebenfalls einige verblasste Sommersprossen auf
der Nase. Ihr braunes Haar fiel ihr in leichten Wellen über die Schultern. Sie würde bald sieben Jahre alt werden und war die ständige Begleiterin von Alexej. Die Beiden waren unzertrennlich und hielten zusammen wie Pech und Schwefel. Alexej sorgte sich in väterlicher Weise um seine kleine Schwester und sie blickte bewundernd zu ihm auf.
Svetlanas Blick wanderte zum Tischende, wo ihr Mann sass. Er hatte dunkles Haar, dieselben dunklen Augen wie seine Kinder und einen entschlossenen Zug um den Mund. Seine Haut war braun von der Sonne und seine Hände kräftig von der Arbeit.
Und nun wollte er seine Familie verlassen um in den Kampf zu ziehen. Um sich in die Unruhe und das Getümmel um sich her, zu stürzen. Sie konnte ihren Mann eigentlich gut verstehen. Er hatte wegen diesem Krieg sein Haus und seine Eltern verloren und wollte nun gegen diejenigen, die das getan hatten, ausziehen. Aber er konnte doch nicht einfach seine Kinder, seine Familie, alleine lassen!
Doch nun hatte Jurij in ihm die Glut, die in seinem Herzen gebrannt hatte, zu einem Feuer entfacht. Jurij, der Mann mit dem dunklen Haar und dem unternehmungslustigen Funkeln in den jugendlichen Augen. Der Mann, den ihre
Kinder über alles liebten, der aber unvernünftig und heissblütig war. Der wollte sich jetzt in etwas hereinstürzen und Iwan dazu überreden, mit ihm zu kommen.
Im Moment war der sonst immer lustige Jurij jedoch still und ernst. Er merkte nur zu gut, dass die Stimmung in der kleinen Küche gedrückt war und er konnte sich denken, dass Iwans Unterredung mit Svetlana nicht nach Plan verlaufen war.
Nach dem Abendessen zogen sich die beiden Männer ins Wohnzimmer zurück. Alexej und Aljona wollten natürlich gleich hinterher, um bei Jurij zu bleiben, doch Svetlana hielt sei zurück. „Die
Beiden haben etwas Wichtiges zu besprechen“, erklärte sie und begann den Tisch abzuräumen, „geht doch ein wenig ins Schlafzimmer und spielt etwas zusammen.“
Sie wollte nicht, dass ihre Kinder etwas von Iwans Plänen erfuhren. Noch nicht. Sie hoffte noch immer, ihn davon abhalten zu können. Alexej und Aljona fragten nicht weiter. Sie hatten beide gemerkt, dass die Stimmung zwischen den Erwachsenen anders war als gewöhnlich. Deshalb gingen die Geschwister ohne Widerrede die Treppe hoch und verschwanden in dem kleinen Schlafzimmer, das sie sich teilten.
Inzwischen waren Iwan und Jurij im
Wohnzimmer in ein angeregtes Gespräch vertieft. „Sie haben vor wenigen Tagen Rostow am Don von den Roten zurückerobern können“, sagte Jurij mit Begeisterung, „sie werden das ganze Dongebiet einnehmen! Sie werden die Bolschewiki besiegen und wir werden wieder in Frieden leben können.“
Iwan schien nicht mehr so überzeugt zu sein, wie zuvor. Er wiegte zweifelnd den Kopf hin und her und betrachtete seinen temperamentvollen Freund. „Ich weiss nicht …“, sagte er schliesslich langsam.
„Haben die Roten, die Bolschewiki, uns nicht vertrieben? Haben wir nicht wegen ihnen fliehen müssen? Weshalb lebst du jetzt in dieser alten, kleinen Hütte? Weil
dein Haus niedergebrannt und dein Besitz zerstört wurde! Warum leben deine Eltern nicht mehr? Warum leben meine Schwester und ihr Kind nicht mehr? Und warum musst du jede Sekunde darum bangen, dass es auch deine Frau und deine Kinder treffen wird? Weil wir nichts gegen sie tun! Deshalb!“, Jurijs Augen wurden dunkel vor Wut und Trauer, als er an seine Schwester und ihr Kind dachte und auch Iwan fühlte den Hass wieder in sich aufsteigen.
Ja, weshalb konnte er seiner Familie nicht mehr bieten, als ein altes, halb zerfallenes Haus und die ständige Angst um ihr eigenes Leben? Und weshalb mussten seine Eltern viel zu früh
sterben? Er ballte seine Hände zu Fäusten und starrte die kahle Wand an. Er hatte Mühe, sich zu beherrschen.
„Aber glaubst du wirklich, dass man Krieg mit Krieg bekämpfen kann?“, fragte plötzlich eine sanfte Stimme aus dem Hintergrund. Svetlana war unbemerkt eingetreten und blickte nun Iwan eindringlich an, als sie sagte: „Es macht deine Eltern nicht wieder lebendig …“
Jurij sprang auf und sagte mit lauter Stimme: „Sie haben uns alles genommen! Und sie werden nicht damit aufhören, bis man dem ein Ende setzt!“
„Jurij, es ist eine harte Zeit für uns alle“, erwiderte Svetlana und sie legte
ihre schmale Hand auf die Schulter des aufgebrachten Mannes, „aber glaubst du wirklich, dass Rache die einzige Lösung ist?“
*
„Kannst du etwas verstehen?“, fragte Aljona, die neben Alexej auf dem Boden des Schlafzimmers lag. „Ich hab irgendetwas von Rache gehört“, erwiderte ihr Bruder und presste das Ohr noch fester auf den Boden, „und irgendetwas von den Bolschewiki und dass sie das Haus von Grossvater und Grossmutter niedergebrannt haben.“
Eine Weile blieben die Geschwister still und versuchten der Unterhaltung, die im Wohnzimmer vor sich ging, zu folgen.
Doch die Stimmen der Erwachsenen waren nun wieder gedämpft und die Kinder konnten nur vereinzelte Wortfetzen verstehen.
„Ich glaube Jurij ist sehr wütend auf die anderen Russen, wegen denen wir wegziehen mussten“, stellte Aljona mit einem Seufzer fest und setzte sich auf ihre Matratze, die am Boden lag.
Während der letzten stürmischen Monaten hatten die Kinder zwar nicht immer verstanden, was los gewesen war, aber sie wussten, dass es eine gefährliche Zeit war. Eines Tages hatte es geheissen: Die Roten kommen. Sie sind schon weit in das Dongebiet vorgerückt! Der Don war ein Zufluss des
Meeres und in diesem Gebiet hatte die Familie bis vor wenigen Wochen noch gewohnt.
Doch dann waren „die Roten“, auch Bolschewiki genannt, immer näher gekommen. Alles, was Alexej und Aljona über sie wussten, war, dass es die „anderen Russen“ waren. Nicht solche, wie ihr Vater, sondern solche die Böses wollten.
Eines Tages hatte ihre Mutter ihnen erzählt, dass ihre Grosseltern gestorben seien und ihr Vater war den ganzen Tag mit einem traurigen und trotzdem wütenden Gesicht im Haus herumgegangen. Eines Nachts waren sie dann durch Schreie und Gewehrschüsse
aufgewacht. Ihr Vater war in das Schlafzimmer gestürzt, hatte seine beiden Kinder aus den Betten geholt und geschrien: „Wir müssen weg hier! Sofort!“ Sie durften nichts mitnehmen und mussten durch die Hintertür hinaus. Die Mutter hatte Aljona die Hand vor die Augen gehalten, doch Alexej hatte alles gesehen. Männer mit Gewehren. Schreiende Kinder und Frauen. Häuser in Flammen.
Nur wenige Augenblicke später war Jurij mit einem Pferdewagen aufgetaucht. Der Vater hatte die beiden Kinder auf den Wagen gehoben und seiner Frau hinaufgeholfen. Das Pferd hatte bei dem Lärm unruhig gewiehert und Jurij hatte
alle Mühe gehabt, es unter Kontrolle zu halten. Als das Pferd sich nicht hatte beruhigen wollen, hatte der Vater die Zügel gepackt und war dann den ganzen Weg neben dem trabenden Tier her gerannt, bis sie im nahe gelegenen Wald verschwunden waren und der Lärm abgeklungen war.
Wie lange sie danach in diesem Wagen gesessen waren, wussten die Kinder nicht mehr so genau. Sie waren zu erschreckt gewesen. Doch anscheinend hatten ihre Eltern das alles schon kommen sehen. Sie wussten genau, wo das alte Haus stand, das jetzt ihr neues zu Hause war. Als sie angekommen waren, standen schon ein paar alte Möbel darin und es
hatte sogar einige Vorräte. Aljona hatte sich an diesem Abend in den Schlaf geweint und Alexejs Träume waren erfüllt gewesen von Schreien und Schüssen.
Seitdem waren erst wenige Wochen vergangen, doch die Kinder hatten sich an ihr neues zu Hause gewöhnt und die schrecklichen Ereignisse waren ein wenig in den Hintergrund getreten. Ab und zu konnte es vorkommen, dass Aljona im Schlaf schrie, doch sobald sie Alexejs Stimme hörte und seine Hand auf ihrer Schulter fühlte, beruhigte sie sich wieder.
Alexej richtete sich nun auch wieder vom Boden auf. Er konnte wirklich kaum
etwas verstehen. Die Erwachsenen redeten zu leise. Der Junge setzte sich neben seine Schwester und schlang die Arme um seine Beine.
Aljona seufzte: „Ich wünschte, wir könnten wieder zurück und alles wäre wie früher.“ „Ich glaube nicht, dass es je wieder wie früher wird“, erwiderte Alexej nachdenklich. „Aber ich wünsche es mir“, sagte Aljona und sie blinzelte schnell ihre Tränen weg.
Vom Wohnzimmer her, drang plötzlich die laute Stimme von Jurij hoch und liess die Geschwister aufmerken. Er sprach so laut, dass sie es sogar hörten, ohne das Ohr auf den Fussboden zu pressen. „Ich werde gehen! Niemand wird mich davon
abhalten können! Ich werde meine Schwester und ihr Kind rächen und dafür sorgen, dass Russland nicht von den Roten übernommen wird! Du kannst mitkommen, wenn du willst, oder es bleiben lassen!“
Auf diese Worte folgten zwei Sekunden Stille und dann hörten die Kinder, wie eine Türe zugeknallt wurde. Schnell rannten sie zu dem kleinen Fensterchen in ihrem Raum und blickten heraus. Sie sahen, wie Jurij im Sturmschritt die Landstrasse entlang ging und dabei wütend einen Stein aus dem Weg kickte.
Im Wohnzimmer herrschte nun betretenes Schweigen. Iwan war hin und hergerissen. Sollte er der
Freiwilligenarmee beitreten? Jurij hatte seinen Hass auf die Roten erneut entfacht. Wieder sah er vor seinem inneren Auge das niedergebrannte Haus seiner Eltern, ihre entstellten, leblosen Körper und wieder hörte er die Schreie und Gewehrschüsse, die ihn und seine Familie vor wenigen Wochen zur Flucht gezwungen hatten. Tief hatten sich diese Bilder und Geräusche in sein Gedächtnis eingebrannt. Wollte er wirklich nur das Beste für seine Familie oder wollte er einfach nur Rache? Doch wenn diese Armee wirklich Russland von den Roten befreien könnte?! Würde dann nicht alles besser werden? Und hier konnte er ja nichts für die Familie tun. Wenn die
Roten kommen würden, wäre er nicht stark genug um seine Familie zu verteidigen. Wäre es da nicht besser, wenn er loszog, um gemeinsam mit anderen Männern den Krieg zu beenden?
Svetlana sass schweigend neben ihrem Mann. Auch sie war tief in Gedanken versunken. Sie verstand ihn gut. Er war ungestüm und jung, erst zweiunddreissig Jahre alt, und liess sich von Jurijs Eifer anstecken. Und im Moment schien er taub zu sein für ihre Worte, die versuchten, ihn zur Vernunft zu bringen.
Schliesslich brach Iwan das Schweigen. „Ich muss das tun“, sagte er entschlossen, „ich muss einfach!“
Svetlana blieb ruhig und gefasst. „Lasst uns eine Nacht darüber schlafen“, erwiderte sie leise und stand auf.
„Ich geh den Kindern gute Nacht sagen“, meinte Iwan und richtete sich ebenfalls auf. Svetlana nickte. Würden die grossen, dunklen Kinderaugen wohl etwas an seinem Entschluss ändern können?
Mit schweren Schritten stieg Iwan die schmale Treppe hoch. Er öffnete die Türe zum Schlafzimmer der Kinder und ein Lächeln huschte über sein Gesicht. Die Geschwister sassen dicht nebeneinander auf dem Boden. Aljona hielt ein kleines Schnitzmesser und ihre Hand wurde von der Hand ihres Bruders geführt. Dieses
kleine Messer war etwa das Einzige, das der Junge von zu Hause hatte retten können.
Nun blickten die Kinder auf. Alexej wollte sofort wissen: „Was war denn heute Abend mit Jurij los? Er hat sich nicht einmal verabschiedet.“ „Wir hatten etwas zu besprechen“, erwiderte der Vater vage. Er hob seine Tochter vom Boden hoch und wirbelte sie einmal durch die Luft, ehe er sie auf der Matratze niedersetzte. „Zeit zum schlafen“, sagte er und deckte seine Tochter zu. Alexej legte sich auf den Strohsack neben Aljonas Matratze und zog die raue Wolldecke bis zum Kinn hoch.
Aljona schlang ihre Arme um den Hals ihres Vaters und schmiegte ihre weiche Wange an die Seine. „Papa, es wird alles wieder gut, nicht wahr?“, flüsterte sie leise. Der Mann drückte sie fest an sich, dann lächelte er schwach und sagte: „Das wollen wir doch hoffen.“
Nachdem er seinem Sohn kurz über das braune Haar gestrichen hatte, wünschte er seinen Kindern eine gute Nacht, verliess das Zimmer und zog die Türe leise hinter sich zu.
Gerade wollte er wieder die Treppe runtergehen, da hörte er Aljonas Stimme: „Alexej, ich habe Angst.“ „Wovor denn?“, wollte der Junge wissen. „Alles! Papas Gesicht war heute so anders, Jurij
war so wütend und Mutter so traurig“, sie schluchzte leise und fügte dann hinzu: „Und es ist so dunkel hier drinnen.“ Dunkelheit machte dem Mädchen sonst nicht aus. Doch wegen der düsteren Stimmung im Haus, wirkte alles bedrohlicher als sonst. Auch Alexej fühlte sich ein wenig beunruhigt, doch er sagte tröstend: „Aber Mama und Papa sind doch hier. Da kann uns nichts passieren.“
Ich wünschte es wäre so einfach, dachte Iwan und ging leise die Treppe herunter.
Darkjuls Du hast eine ausdrucksstarke Art zu schreiben. Ich hatte Bilder vor Augen und konnte mit den Handelnden mitfühlen. Der Titel ist ansprechend gewählt .Du hast Dich diesem schwierigen Thema mit dem nötigen Feingefühl genähert. Als Frau kann ich diese in der Geschichte verstehen und ihr Empfinden nachvollziehen. Doch auch seine Beweggründe sind verständlich. Insgesamt ein sehr gelungener erster Teil. Lieben Gruß Marina |
Bleistift "Kriegsgeschwister - Kapitel 1..." Ich empfinde dies als einen interessant geschriebenen ersten Teil, einer Geschichte, die aus der Zeit von vor einhundert Jahren in den Wirren des russischen Bürgerkriegs spielt. Da kommt mir doch sogleich Pasternak's, "Doktor Schiwago" in den Sinn. ...smile* Nun, das Ende jenes Putschisten, General Kornilow, ist bereits hinlänglich bekannt und es wird bestimmt spannend sein, einmal mehr etwas über diese Zeit zu lesen... ...smile* Also schaun' wir mal... ...smile* LG Louis :-) |
FLEURdelaCOEUR Ein historischer Roman über den russischen Bürgerkrieg nach der Oktoberrevolution - da hast du dir ja ein großes Ziel gesteckt! Dieser Teil hat mir gut gefallen, werde mal schauen, wie es weiter geht. Kann aber nicht versprechen, dass ich alles lesen werde, das hier ist eher eine Ausnahme, weil mich das Thema Russland interessiert. LG fleur |