Eine Woche Später Eigentlich hätte Nikolai sich darüber freuen sollen, dass man ihn endlich aus dem Krankenhaus entlassen hatte. Die Zeit der Lethargie und der Handlungsunfähigkeit waren vorüber. Er konnte wieder in sein Leben einsteigen. Allerdings hätte er sich gewünscht, dass sein erster Tag in wiedergewonnener Freiheit nicht mit einer Bestattung eröffnet wurde. Es war nun eine Woche her, seit dem Angriff im Krankenhaus und dem Tod des Agents Salween Foster. Noch immer konnte der Russe es nicht
fassen. Sein Vorgesetzter und Freund war nicht mehr Teil dieser Welt. Unweigerlich musste Worth an etwas denken, dass der Alte ihm einmal gesagt hatte. Es war etwas, im Zusammenhang mit der Lebenserwartung in ihrem Beruf. 'Es ist nicht wichtig, ob wir morgen noch leben, sondern was wir aus dem heutigen Tag machen können.' Er kannte Sal über 20 Jahre. Oft war er dem Tod von der Schippe gesprungen und hatte so manch schwere Verletzungen überstanden. Dass er so enden würde. Hinterrücks erschossen und allein zum Sterben zurückgelassen. Niemand verdiente es so zu sterben. Nikolai musste daran denken, wie er selbst von
dem Killer angeschossen wurde. Für einen kurzen Moment wünschte er sich, Sal wäre etwas länger bei ihm geblieben. Nur ein paar Minuten. Dann hätte man nur Waters erwischt, und sie hätten sich darüber aufgeregt, dass sie einmal mehr vor einem Rätsel standen. Alles war ganz anders gekommen. In der Öffentlichkeit wurde alles als Terroranschlag abgetan. Jeder Dummkopf konnte sich die Wahrheit darüber zusammenreimen. Waters war im Weg. Deswegen hatte man ihn ausgeschaltet. Sal war nur zufällig dazwischengeraten. Er verspürte Wut. 'Warum musstest du auch wieder den Helden spielen, du verdammter
Dreckskerl?' Das Wetter enttäuschte auf an diesem Tag nicht. Unerbittlich prasselte der Regen auf den Baldachin aus Regenschirmen nieder, unter denen sich Angehörige und Freunde versammelt hatten. Viele Leute aus Salweens früherer Zeit waren gekommen. Alte Männer die um ihren verstorbenen Freund trauerten. Dirk stand neben Nikolai. Er hatte sich die größte Schuld gegeben. Er hatte Sal alleine gehen lassen. Wort hatte versucht ihm das auszureden, aber die Trauer lähmte sie alle. „Hast du etwas von Ellie gehört?“ Peterson schüttelte den Kopf. Fosters
Tochter war nicht zur Beerdigung erschienen. Das letzte Mal hatte er die aufgelöste Frau im Krankenwagen gesehen. Die Augen leer und ausdruckslos. Sie reagierte nicht auf Anrufe und öffnete niemandem die Tür. Dafür würde sie niemand verurteilen. Jeder Mensch trauerte auf seine Weise. Worth ließ seinen Blick durch die Menge schweifen. Selbst der Direktor war anwesend. Nathan Rivers trug einen feinen schwarzen Smoking und sah nachdenklich auf den Sarg, auf dem die amerikanische Flagge ruhte, um über den gefallenen Helden zu wachen. Rivers. Man hatte diesen Mann über alles
informiert was sie wussten. Die Tatsache mit den seltsamen Zufällen und der Vermutung eines Maulwurfs. Bisher hatte er nichts unternommen. Wie stand er zu der ganzen Geschichte? Versuchte er die Situation totzuschweigen, oder arbeitete er bereits im geheimen an einer Lösung? Niko wusste nur, dass er sich vorsehen musste. Seine Einheit war nicht mehr sicher. Jeder konnte der Verräter sein. Man konnte niemandem trauen. Das hatte Sal immer wieder betont. Aber wie fand man einen Maulwurf, wenn man niemandem trauen konnte? Falls man ihn überhaupt fand. Die Hoffnung darauf schwand jeden Tag ein bisschen mehr. Gleichsam den letzten Strahlen der
Abendsonne, die langsam hinter dem Horizont des Tags verschwand. „Viele gute Männer sind heute hier anwesend.“ Nach einer Ewigkeit des Schweigens begann der Direktor endlich mit seiner Grabrede. „Gute Männer, die gekommen sind, um einem von ihnen die letzte Ehre zu erweisen. Wenn man lange genug in diesem Beruf arbeitet, dann lernt man die unterschiedlichsten Menschen kennen. Dabei gibt es die, die den Regeln folgen, und Tag für Tag ihr Werk verrichten, und jene, die über das Konstrukt der Gewöhnlichkeit hinwegsehen. Menschen, die nach dem 'Warum' fragen, und nicht
eher ruhen, bis die Antwort darauf geklärt ist.“ Manche nickten zustimmend. Auch Niko stimmte mit ein. Unweigerlich musste er grinsen. Wie oft hatte er abends mit Sal noch im Büro gesessen, und seinen Theorien gelauscht? In den Jahren war da einiges zusammengekommen. Wertvolle Momente, die er in Ehren halten würde, solange er lebte. „Salween Foster war ein solcher Mensch. Er hat sich nicht einfach nur mit der Norm zufriedengegeben. Er wollte hinter den Schleier blicken. Tiefer gehen, als es so mancher Agent wollte. Er war ein ehrgeiziger und großartiger Mann, den wir niemals vergessen
werden.“ Der Russe wandte sich ab. Die Stimmung war seltsam Hohl. Rivers Worte klangen einstudiert. Ohne jedes Gefühl. Sicher. Er war der Direktor. Er hatte solche Reden oft genug gehalten. Wahrscheinlich stumpfte man deswegen irgendwann einfach ab. Besonders dann, wenn man über die Jahre hinweg einen Freund nach dem anderen beerdigte. Er war eine Weile ziellos zwischen den Grabsteinen umhergewandert. Den Regenschirm hatte er einfach achtlos auf einen der Stühle bei der Trauerfeier gelassen. Ruhig lehnte er gegen eine alte Eiche und schloss die Augen, während er
den Duft der nassen Luft in sich einsog. Mit einer Hand fingerte er in die Innentasche seines Anzugs und holte seine Zigaretten hervor. Nach mehreren Anläufen sog er das Nikotin ein und dachte darüber nach, ob er nicht den Rest des Tages einfach hierbleiben sollte. Einfach nichts tun. Allein mit dem Regen sein. Ohne falsche Trauer oder geheucheltes Mitgefühl. Es war einerseits gut, dass Ellie nicht gekommen war. Wahrscheinlich hätte sie es nicht überstanden. Worth wusste nur zu gut wie sehr sie ihren Vater geliebt und bewundert hatte. Wie sehr sie alle ihn bewundert hatten. „Ach Boss. Warum lässt du mich allein
mit dem Scheiß?“ Er sah hinauf in den Himmel und wartete auf eine Antwort, die nie kommen würde. Er konnte gar nicht sagen, wie hilflos er sich in diesem Moment fühlte. Sicher. Vor den anderen gab er sich immer stark, aber wenn er ehrlich war, war er es leid. Er war müde und hatte genug davon gute Menschen sterben zu sehen. Was lohnte es eigentlich, Tag für Tag zu kämpfen, wenn sowieso alles umsonst war? Hatte es überhaupt noch einen Sinn? Er war sich nicht sicher. Entweder sie würden diesen Maulwurf irgendwann finden, oder er würde sie alle nacheinander zu Sal ins Grab
befördern. „Hier bist du. Wir dachten schon, du hättest dich heimlich aus dem Staub gemacht.“ Er hob den Kopf. Vom Weg kamen seine Kollegen heran. Tate, Charlene, Andrea und Dirk. Alle waren sie zu ihm gekommen. Letzterer lehnte sich neben den Russen an den Baum und klappte seinen Regenschirm ein. Der Russe ließ seinen Blick über die anderen schweifen. Einer von ihnen hatte Salween getötet. Einer von ihnen war ein Verräter. Allein der Gedanke daran war absurd. Jahrelang hatten sie Seite an Seite gearbeitet und ihren Dienst
geleistet. „Ich kann gar nicht fassen, dass er nicht mehr da ist.“ Andrea weinte. Das lange braune Haar war vom Regen durchnässt. Tate legte seiner Kollegin eine Hand auf die Schulter, um sie zu trösten. Wort konnte sich noch gut daran erinnern, wie sie zu ihnen gekommen war. Ein schüchternes und zurückhaltendes Ding, dass die Prüfung gerade so geschafft hatte. „Das kann niemand. Ich dachte immer, Sal würde uns alle überleben. Er war der zähste Kerl, der mir je untergekommen ist.“ Tate steckte die Hände in die Hosentaschen und sah zu
Boden. „Kommt euch das nicht auch merkwürdig vor? Ich glaube nicht, dass das alles Zufall war.“ Er hatte sich also auch Gedanken gemacht. Der Russe biss sich auf die Lippen und drückte seine Zigarette an der Rinde des Baumes aus. Es war wohl an der Zeit, mit offenen Karten zu spielen. Vor allem konnte er an Hand ihrer Reaktionen feststellen, ob jemand von ihnen etwas zu verbergen hatte. „Sal und Eileen hatten die Vermutung, dass es einen Verräter in unseren Reihen gibt. Jemand, der die Beweise vernichtet und gegen uns arbeitet.“ Er konnte die bohrenden Blicke auf
seiner Haut spüren. Sie alle waren überrascht. Spielte ihm einer von ihnen etwas vor? „Wieso hat er nichts davon erzählt?“ Charlene wirkte irritiert. Ein wenig enttäuscht vielleicht. Nikolai selbst hatte nur durch Zufall von all dem erfahren. Wenn es für ihn schon so schwer zu glauben war, wie sollten sie das dann akzeptieren? „Er war sich nicht sicher, wem er trauen konnte. Daher hat er es im kleinsten Kreis geheim gehalten.“ „Hatte er denn eine Vermutung, wer dieser Verräter ist?“ Er schüttelte den Kopf. Irgendwie konnte er es dann doch nicht sagen. Wer auch
immer es war. Das hier war nicht der richtige Zeitpunkt. Heute war es daran, Sal die letzte Ehre zu erweisen und sein Andenken nicht zu besudeln. „Wissen wir nicht. Der Direktor und Chief Masrani sind informiert. Das einzige was wir im Moment tun können, ist zu warten.“ Damit setzte er sich wieder in Bewegung. „Kommt. Bringen wir den alten Mann unter die Erde.“ Episode V – All that remains Im Studio von Channel 5 war in diesen Tagen die Hölle los. Pausenlos glühten die Telefonleitungen durch Anrufe von
Leuten, die behaupteten sie hätten einen neuen Tipp bezüglich des Anschlags im Krankenhaus. Das war es, was man der Öffentlichkeit erzählt hatte. Sicher. Es schürte ebenfalls die Furcht des gemeinen Volkes, aber das war immer noch besser, als ihnen gar nichts zu sagen. Die junge Reporterin Iris hatte die Begebenheiten der letzten Tage genau verfolgt und recherchiert. In solchen Fällen glaubte sie nicht an Zufälle. Das sagte ihr ihr Gespür als Journalistin. Hinter der ganzen Sache steckte mehr, als man auf den ersten Anhieb erkennen konnte. „Entschuldigt die Verspätung. Der Verkehr war die
Hölle.“ Sie schloss die Glastür von Mr. Vatoolies Büro und ließ sich auf einem freien Stuhl neben ihrem Kollegen Caleb nieder. Ihr Vorgesetzter hatte sie extra in sein Büro kommen lassen. Das bedeutete entweder, dass etwas passiert war, oder eine interne Sache. „Ich will sie beide nicht lange auf die Folter spannen. Wir sie wissen geht Cliff bald in den Ruhestand, was bedeutet das wir den Posten des Anchormans neu besetzen müssen.“ Der Anchorman. Die begehrteste Position im ganzen Studio. Man war der Mittelpunkt der lokalen Medien. Iris hatte schon davon geträumt, seit sie
damals beim Fernsehen angefangen hatte. „Und was hat das mit uns zu tun? Sie wollen den Posten doch sicher nicht uns beiden geben.“ Ihr Kollege besaß das unverschämte Talent alles in ein negatives Licht zu rücken. Er war im Studio schon immer ihr schärfster Konkurrent gewesen, wenn es um eine große Story ging. Er war gut in dem was er tat. Keine Frage, aber sie gönnte es ihm nicht. „Natürlich nicht. Sie beide sind die besten Reporter die ich habe, und da war es für mich nur logisch einen von ihnen zu Cliffs Nachfolger zu ernennen.“ Als hätte sie es nicht geahnt. Caleb lehnte sich selbstgefällig in seinen Stuhl
zurück. Als wäre es gar keine Frage ihm den Posten zu geben. „An wen haben sie dabei gedacht?“ „Nun. Da ist der Haken. Ihr wisst selbst, dass es in letzter Zeit in der Stadt ziemlich schräg zugeht. Die Bürger verdienen es, zu wissen was wirklich los ist. Ein Trailer wird angezündet, ein Anschlag im Krankenhaus. Die Leute haben Angst, und ich kann es ihnen nicht verdenken.“ Nach außen schien in Detroit alles wie immer zu sein, doch unter der Oberfläche brodelte es. Die Menschen waren unruhig. „Worauf wollen Sie hinaus?“ „Ganz einfach Miss Valentine: Derjenige
von ihnen, der mir zuerst eine vernünftige Story zu der ganzen Geschichte liefern kann, bekommt den Posten des Anchorman.“ Ihre Augen funkelten vor Ehrgeiz. Sie würde sicher nicht herumsitzen und warten, bis Caleb ihr die Stelle vor der Nase wegschnappte. „Sein sie unbesorgt Sir. Sie kriegen ihre Story.“ Damit erhob sie sich ohne Caleb eines weiteren Blickes zu würdigen und verließ Vatoolies Büro. Besser sie verlor erst gar keine Zeit. Sie kam allerdings nicht weit, denn ihr Kollege hatte sie nach wenigen Schritten
eingeholt. „Iris. Warte einen Moment.“ Die junge Frau wandte sich um und musterte ihn skeptisch. Was hatte er nun wieder vor? Sie war ziemlich überrascht, als er ihr seine Hand entgegenstreckte. „Möge der bessere gewinnen.“ „Sicher. Das werde ich.“ Er schüttelte grinsend den Kopf und steckte die Daumen in den Gürtel. „Das ist eine Nummer zu groß für dich Iris. Überlass die Story lieber jemandem, der mehr Feingefühl besitzt.“ Sie ballte eine Hand zur Faust. Die Unverschämtheit dieses Mannes kannte keine Grenzen. „Das mache ich. Bleib du nur
hier.“ Sie ging ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen. Auf seine Spielchen ließ sie sich nicht ein. Er würde schon sehen. Sie würde ihr Herzblut in diese Arbeit stecken. Nicht nur wegen der Aussicht auf den Posten des Anchorman. Nein. Auch wegen der Bewohner von Detroit, die verdienten, dass man endlich ein wenig Licht ins Dunkel brachte. „Ist das dein Ernst Ethan?“ Dwight lief in seinem Büro auf und ab wie ein aufgescheuchtes Huhn. Rain hatte sich schon gedacht, dass ihn diese Nachricht fröhlich stimmen würde. So lehnte er sich ein wenig nach vorne und
nickte knapp. „Natürlich. Es ist an der Zeit, dass sie die Gelegenheit bekommen, ihr Talent zu beweisen, und wie sollte das anders möglich sein, als dass man ihnen endlich einen Schützling zuteilt?“ Er hatte lange mit Norman darüber gesprochen. Dwight hatte sich in der letzten Woche wirklich gut gemacht. Er lernte sehr schnell und zeigte reges Interesse an den Begebenheiten der Anstalt. Er war gar nicht mehr mit dem jungen Mann vom Anfang zu vergleichen. Zuerst hatte Ethan nicht geglaubt, dass er es wirklich soweit schaffen könnte. Es waren vor ihm bereits viele engagierte Männer und
Frauen gescheitert. Hickins hatte sie alle hinter sich gelassen und bewiesen, dass mehr in ihm steckte, als man auf den ersten Blick sah. „Danke für diese Chance Ethan. Ich werde sie natürlich nicht enttäuschen.“ „Das glaube ich auch nicht. Kommen Sie. Machen wir sie und den Patienten bekannt.“ Natürlich hatte man Dwight für den Anfang einen Patienten aus dem A-Trakt zugeteilt. Er musste noch viel lernen. Daher war es wichtig, dass man ihm die Möglichkeit gab, sich langsam voran zu tasten. Ethan würde ihn unterstützen wo er konnte, aber er war sich sicher, dass Dwight das auch ganz gut alleine
hinbekommen würde. Der Weg in den A-Trakt dauerte nur ein paar Minuten. Auf dem Korridor ging es ruhig zu. Die meisten Patienten waren um diese Zeit noch auf ihren Zimmern. Der Aufenthaltsraum war beinahe leer, bis auf ein Mädchen mit leicht dunkler Haut und gelockten kurzen Haaren. Als die beiden Männer eintraten, lächelte sie und stand langsam auf. Ethan fasste seinen Kollegen an die Schulter. „Dwight? Das ist Hazel Law. Sie ist gerade erst neu nach Willow Creek gekommen. Hammond und ich dachten, dass sie ganz gut zu ihnen passt. Hazel? Das ist Dwight. Du hast ihn sicher schon
mal hier gesehen. Er wird von jetzt an deine Bezugsperson sein.“ Sie stand auf und schüttelte ihm zur Begrüßung die Hand. „Hallo. Ich freue mich schon darauf.“ Letztendlich hatten Sie es Leland zu verdanken, dass das Mädchen in die Anstalt gekommen war. Nachdem man sich um ihre Eltern gekümmert, und dafür gesorgt hatte, dass die beiden behütet untergebracht wurden, war die Jugendliche ihnen anstandslos gefolgt. Leider war sie aber auch die einzige aus der Gruppe der Juwelendiebe, die sich hatte überzeugen lassen. Die beiden Jungs wollten lieber bei ihren Freunden und ihrer Familie bleiben. Ethan konnte
das gut nachvollziehen. Nicht jeder war so wie Hazel. „Wie gefällt es dir hier Hazel? Hast du dich schon ein wenig eingelebt?“ Dwight schob seine Brille zurecht. Er verlor keine Zeit, sondern versuchte sofort das Eis zwischen den beiden zu glätten. Ethan beschloss sich im Hintergrund zu halten. Sein Kollege würde das auch ohne ihn gut hinbekommen. „Ein wenig. Es ist noch ungewohnt. Ich finde es nur Schade, dass meine Freunde nicht auch mitgekommen sind. Dieser Ort ist genau das richtige für uns.“ „Das tut mir wirklich leid Hazel. Mein Dad sagt immer, dass man die Flinte
nicht so schnell ins Korn werfen soll. Vielleicht brauchen sie einfach nur ein wenig Bedenkzeit.“ Der Rest der Gruppe war noch immer auf freiem Fuß. Man hatte natürlich auch mit Joseph Rennel gesprochen, doch auch der hatte abgelehnt. Man beobachtete ihn mit Adleraugen. Immerhin war er der Anführer der Raubzüge, und man konnte nicht sicher sein, ob er noch mehr im Schilde führte. Schließlich war Ethan aufgestanden um nach Katharina zu sehen. Seit dem Spaziergang war das Mädchen sehr viel ruhiger geworden. Sie hatte sich an etwas aus ihrer Vergangenheit erinnert.
Das konnte die einzige Erklärung für die plötzliche Veränderung ihres Verhaltens sein. Er hoffe inständig, dass sie sich wieder fangen würde. Das Mädchen hatte viel durchgemacht und verdiente es, dass ihr Leben positiv behaftet blieb. An der Tür ihres Zimmers angekommen hielt er einen Moment lang Inne, ehe er nach drinnen trat. Katharina war nicht alleine. Holly saß neben ihr auf dem Bett und sah sich gerade ein paar Zeichnungen an. Katharina saß an ihrem Schreibtisch und beobachtete ihre Freundin schweigend. Als Ethan die Tür hinter sich schloss war Holly aufgestanden und hatte ihn umarmt. „Guten Morgen Ethan. Ich dachte mir, es
kann nicht schaden, wenn ich Katharina ein wenig Gesellschaft leiste.“ „Sie hat mich quasi überfallen.“ Die Braunhaarige senkte beschämt den Kopf. Was das betraf war sie immer um ihre Freunde und Mitpatienten besorgt. Es war beinahe so, als würde sie spüren, dass etwas nicht stimmte. „Holly macht sich eben nur ein wenig Sorgen um dich.“ Die Blondine blickte kurz aus dem Fenster. Rain trat langsam auf sie zu und legte die Hände auf die Lehne ihres Stuhls. Einen Moment lang herrschte Stille im Raum. „Ich gehe dann mal. Wir sehen uns später. Okay
Kat?“ Damit war Holly gegangen. Er hatte sie nicht verscheuchen wollen, aber es war ganz gut, wenn er ein wenig Zeit mit Katharina alleine hatte. So ließ er sich auf ihrem Bett nieder und legte ihre Zeichnungen ordentlich zusammen. „Wie geht es dir?“ „Etwas besser. Es tut mir leid Ethan. Ich wollte niemanden beunruhigen.“ Er lächelte warm. „Schon in Ordnung. Du hast nichts Falsches getan.“ Sie konnte nichts dafür. Deshalb war es wichtig sie darin zu bestärken, dass nichts Schlimmes passiert war. War es ja auch nicht. Niemand hatte Schaden
davongetragen. Das war das wichtigste. „Manchmal ist es so, als träume ich von Dingen. Seltsamen Dingen. Erinnerungen, die zu meinem Leben gehören. Aber es ist nicht mein Leben. Verstehst du was ich meine, Ethan?“ Er nickte. Die Veränderung ihres Gedächtnisses barg natürlich einige Risiken. Es konnte immer vorkommen, dass Fetzen aus den alten Erinnerungen hochkamen. Das hatte Mr. Hammond am Anfang gesagt, als sie die Kammer auf diese Weise genutzt hatten. Wichtig war nun, dass man sie unterstützte und ihr half das durchzustehen. Natürlich hatte man ihr selbst nie etwas davon erzählt. Ethan war es nie leicht gefallen sie was
das anging zu belügen, aber es war besser. Für ihr eigenes Wohl. Man hatte ihr neues Gedächtnis so konstruiert, dass sie eines Tages von ihren Eltern in die Anstalt gebracht wurde. Die Wahrheit sah anders aus, aber das durfte das Mädchen niemals erfahren. „Mach dir keine Sorgen. Alles wird gut Katharina. Du kannst immer zu mir kommen, wenn dich etwas beschäftigt. Ich hoffe das weißt du.“ Sie stand auf und umarmte ihn. „Danke.“ „Und wie lange gibt es die Anstalt schon?“ Hazel war mit Dwight im
Aufenthaltsraum geblieben. Für sie war es wichtig, so viel wie möglich über diesen neuen Ort in Erfahrung zu bringen, denn die Anstalt würde von nun an ihr zu Hause sein, zumindest für eine Zeit. Sicher, sie vermisste ihre Freunde und ihre Familie, aber sie wusste auch, dass sie eine Entscheidung hatte treffen müssen. Sie hätte sich nur gewünscht, dass die anderen auch so gehandelt hätten. „Seit etwa 1870. Also zumindest so, wie wir sie heute kennen. Vorher gab es die Aufteilung der verschiedenen Trakte nicht. Das hat man erst über die Jahre hinweg eingeführt.“ Sie wusste, dass es insgesamt 4 solcher
Trakte gab. Dort wurden die Patienten je nach Fähigkeit einsortiert. Die Patienten hier hatten so viele verschiedene Kräfte. Sie hätte sich nie träumen lassen, dass es so viele andere Menschen mit Fähigkeiten gab, die alle so unterschiedlich waren. „Und wie lange sind sie schon hier?“ „Etwas über eine Woche und ich kann dir sagen, dass es mich am Anfang auch ziemlich überrascht hat, dass es einen solchen Ort wie diesen hier gibt, aber man gewöhnt sich doch ziemlich schnell ein.“ Sie fragte sich, wie jung Dwight wohl war. In diesem Alter schon ein Psychiater. Er musste wahrscheinlich
hart dafür arbeiten. Er war nett und das war für sie das wichtigste. Es half ihr dabei, sich besser an diesen Ort einzufügen. „Und sie kümmern sich jetzt um mich?“ Er nickte, wobei ihm eine leichte röte auf die Wangen wanderte. „Ich werde es zumindest versuchen.“ Sie lächelte. „Ich bin mir sicher, dass sie das ganz toll machen werden.“ „Das war wirklich gute Arbeit Leland. Sie dürfen stolz auf sich sein.“ Leland konnte Normans Worten nicht ganz zustimmen. Er hatte zwar die Gruppe aufgespürt, die hinter den
Überfällen auf die Juweliere steckte, aber einzig das Mädchen Hazel war auf sein Angebot eingegangen. Das hier fühlte sich nicht wie ein Sieg an. „Rennel und die anderen Beiden sind immer noch da draußen Norman. Sicher. Sie haben uns ihr Wort gegeben, dass sie sich von jetzt an ruhig verhalten, aber wer gibt uns die Garantie dafür? Sie haben Rennel nicht gesehen. Etwas an diesem Kerl stinkt mir gewaltig.“ Er war der Kopf bei der ganzen Sache. Bei den Jugendlichen war es klar, dass diese sich ihm angeschlossen hatten, um ihren Freunden und Familien zu helfen, doch die Beweggründe Rennels waren ihm schleierhaft. Was steckte dahinter?
Reine Nächstenliebe oder doch ein Grund niederer Natur? Noch konnte er das nicht genau sagen, doch würden sie ihn genau im Auge behalten. „Ich kann ihre Sorge gut verstehen Mr. Akerman. Ich hätte mir ebenfalls einen anderen Ausgang für diese Geschichte gewünscht, aber wir müssen die Situation nun mal so akzeptieren wie sie ist. Das Gremium ist zufrieden, solange wir die Gruppe unter Beobachtung halten.“ Akerman verzog das Gesicht. Ein weiterer Umstand, den er nicht glauben wollte. „Und sie denken wirklich, dass sie nicht weiter unternehmen Norman? Gut. Studwick, Heidenreich und Long dürften
zustimmen. Ich mag Sie zwar nicht, aber sie sind nicht so radikal wie es bei Rivers der Fall ist.“ Nathaniel spielte ein seltsames Spiel. Da war er sich sicher. Nach dem Attentat im Krankenhaus hatten sie natürlich Nachforschungen angestellt. Raphael Waters, der letzte Zeuge in dieser Geschichte, der noch etwas Vernünftiges sagen konnte, war tot. Leland war nicht so dumm hierbei an einen Zufall zu glauben. Die Öffentlichkeit gab sich zwar damit zufrieden, dass man ihnen eine Lüge auftischte, aber sein Vertrauen in den Direktor des FBI hatte Risse bekommen, und dass schon eine ganze
Weile. „Sie glauben immer noch an ihre Verschwörungstheorie.“ „Natürlich. Kommen Sie Norman. Sie sind doch nicht dumm. Wir wissen beide, dass hier etwas Krummes läuft.“ Hammond hatte bisher nicht mit dem Gremium gesprochen. Er mochte zwar der Anstaltsleiter sein, aber Leland wusste, dass die anderen ihn über vieles im Dunkeln ließen. Da stellte sich natürlich die Frage, in wieweit sie involviert waren. Konnte man dagegen überhaupt etwas ausrichten? „Leland. Ich weiß ihre Sorge zu schätzen, so wie auch ihre Loyalität mir gegenüber, aber sie müssen damit
aufhören einem Geist nachzujagen.“ „Das ist doch nicht ihr Ernst. Sie wollen die Sache auf sich beruhen lassen?“ Hammond zuckte mir den Schultern. „Was bleibt uns anderes übrig?“ Akerman schloss die Augen. Er konnte seinen Vorgesetzten teilweise verstehen. Auf seinen Schultern lastete viel Verantwortung. Außerdem konnte diese Geschichte die ganze Anstalt mit in die Tiefe reißen. Wenn eine Verschwörung um das Gremium existierte, wie würden sie dann mit ihrer Glaubwürdigkeit dastehen? „Und es gibt niemanden an den wir uns wenden können?“ Er wusste nicht viel über die Hierarchie,
aber es musste doch noch jemand geben, dem sie trauen konnten. „Das ist nicht so einfach Mr. Akerman. Sie wissen sicher, dass Willow Creek nicht die einzige Einrichtung ihrer Art sind. Auf der ganzen Welt gibt es solche Orte. Manche von ihnen arbeiten zusammen, andere nicht. In unserem Fall ist es so, dass wir zu einem bestimmten Bereich gehören. In anderen Anstalten gibt es ebenfalls Gremien, die Entscheidungen treffen.“ Leland legte den Kopf schief. Er wusste zwar, dass es andere Anstalten gab, aber mehr hatte ihn ehrlich gesagt nie interessiert. Dieses ganze Bürokratenzeug war nichts für ihn. Jetzt
allerdings musste er jemanden finden, der vielleicht in der Lage war, die Wogen in dieser Sache zu glätten. „Diese Gremien werden doch bestimmt von jemandem ausgewählt.“ Hammond nickte. „Natürlich. Es gibt Räte, die über sämtliche Einrichtungen im ganzen Land entscheiden. Sie stellen die Gremien zusammen und entscheiden darüber, wie man in den jeweiligen Anstalten arbeitet.“ Das war doch ein guter Anfang. Wenn es jemanden gab, der über dem Gremium stand, war dies ihre erste Anlaufstelle. „Ist es möglich, mit diesem Rat Kontakt
aufzunehmen?“ Norman sah auf seinen Schreibtisch. Leland wusste, dass ihm das nicht gefiel. Dennoch sah er selbst keine andere Möglichkeit. Das war die einzige Option, die ihnen noch übrigblieb. „Das wird nicht so einfach wie sie denken Mr. Akerman. Das wird Zeit brauchen. Ich muss einige Anrufe machen, bis man uns überhaupt anhören würde. Das Ratssystem funktioniert nämlich noch einmal anders als das der Gremien. Es gibt in den USA für jeden Staat einen Ratsabgeordneten. Daraus setzt sich dann der große Rat zusammen.“ So viele neue Informationen. Jedoch
bedeutete es auch, dass er zumindest etwas hatte, mit dem er arbeiten musste. Selbst wenn der Weg dahin nicht einfach war. „Na und? Wir können nicht einfach herumsitzen und darauf warten, dass sich das Problem von selbst löst. Wenn es eben heißt, dass wir uns in Geduld üben müssen, dann werden wir das tun. Dieser Rat wird doch sicher nicht tatenlos zusehen, wenn er davon erfährt, dass es eine Verschwörung gibt.“ Hammond nickte. „Nein. Sie werden die Sache überprüfen und dann entschieden wie sie weiter verfahren. Allerdings müssen wir vorsichtig sein. Wenn das Gremium
davon erfährt und sie wirklich Recht haben, dann sind wir alle in Gefahr. Auch die Anstalt selbst.“
„Das weiß ich Norman, aber irgendwann muss man damit anfangen, diese Scheiße beim Schopf zu packen, bevor es zu spät ist.“