Ok, das ist eine klare Erkenntnis. Irgendwo tickt eine Uhr und zählt unsere Zeit ab. Stellt sich nur die Frage, ob das für diesen Ort hier gilt oder ob es eher eine allgemeine Gültigkeit besitzt. Auch wenn wir damit ein weiteres Symbol entschlüsselt haben, hilft es uns nicht dabei schlauer zu werden. Nur angespannter und nervöser. Wie viel Zeit haben wir? Was passiert, wenn der letzte Stein runtergerieselt ist? Wir stehen noch eine Weile vor den Symbolen und rätseln wild miteinander. Kilian versucht
sein Bestes, sich mit einzubringen. Das Ei wirft für uns mehr Rätsel auf, als wir Lösungen an der Hand haben. Ein Ei ist zerbrechlich, tolles Allgemeinwissen, bringt uns aber nicht weiter. Die Umkehrung von „Das Runde muss in das Eckige“ findet zwar ein paar müde Lacher, bringt uns aber auch nicht voran. Luisa fragt mich, ob ich diese russischen Schachtelpuppen kenne. „Ja, klar, welches Kind hat nicht mindestens einmal im Leben damit gespielt? Babuschka der so, richtig? Aber hier ist ja nicht ein immer kleiner werdendes Ei. Es hat ja wechselnde Formen.“ „ Es heißt Matroschka und ja, da hast Du Recht. Ich komm hier auch nicht weiter. Lass uns das nächste Symbol
anschauen.“ Ratlos stehen wir vor dem Kreuz. Zumindest sind wir uns einig, dass es ein Kreuz ist. Was kann es bedeuten? Selbst in unserer Gesellschaft haben Kreuze unterschiedlichste Bedeutungen. So ist es ein Symbol des Glaubens und der Hoffnung, denkt man an Kirche und Rettungsdienste. Es steht aber auch für Verbindungen, für Verbote, als Markierungen und letzten Endes ist es ein Symbol, welches man in allen Teilen unserer Welt finden kann. Auf Friedhöfen. „Ist das eine Rätsel-Regel-Kombination, die zusammen eine weitere Regel ergibt? Schafft ihr es in der vorgegebenen Zeit nicht alle zusammenzubringen sterbt ihr?“, fragt
Luisa. „Nein, das ist nicht schlüssig. Da passt die Formel und das Ei nicht rein. Noch nicht zumindest. Ich denke eher, es ist eine völlig eigenständige Aussage. Keine Ahnung.“ Kilian überrascht uns beide mit einer Interpretation, die im ersten Augenblick Hand und Fuß hat. „Die Kreise mit den Linien, das sieht aus wie ein Fadenkreuz. Ich kenn das von den Spielen auf meiner Xbox. Da spielt man einen Soldaten oder Gangster und schaut die ganze Zeit durch so ein Fadenkreuz und zielt damit auf seine Gegner.“ „Was meint ihr? Ich kenne so ein Symbol auch aus verschiedenen Navigationsgeräten. Wenn das jetzt kein Kreuz ist, wie wir ursprünglich gedacht haben, sondern etwas anderes. Und
dieses Fadenkreuz nichts mit Schießen zu tun hat. Könnte es sein, dass es uns sagt, wir sollen zu der Lichtsäule? Ich meine, der dicke Balken da könnte doch tatsächlich die Lichtsäule darstellen, oder? Ist das vielleicht also eine eigenständige Regel? Fadenkreuz oder Zielmarkierung? Was meint ihr?“ Luisa stimmt mir nach Abwägen weiterer Optionen zu. Das sanfte Leuchten der Symbole taucht den gesamten Raum in ein angenehmes, kühles und irgendwie beruhigendes Licht. Ich blicke zu Kilian und beobachte, wie seine Aufmerksamkeit immer weiter nachlässt. Sein Kopf sinkt immer wieder auf die Brust und es wirkt, als gäben seine Beine nicht mehr genug Halt zum Stehen.
„Kilian, leg dich dort an die Wand und versuche etwas zu schlafen. Ich bespreche mit Luisa noch die nächsten Schritte für morgen und dann sollten auch wir uns hinlegen und etwas Ruhe finden.“ Den letzten Satz richte ich an Luisa, die nicht wesentlich fitter wirkt als Kilian, aber noch über genug Disziplin verfügt, diesem Schritt zu zustimmen. Während Kilian bereits auf dem Boden wegdämmert, steigen Luisa und ich den Niedergang wieder hoch an Deck. Für ein paar Minuten stehen wir einfach nebeneinander über die Reling gebeugt und sammeln mit dem Blick in die Ferne gerichtet unsere Gedanken und Eindrücke von heute. Die Lichtsäule fesselt mich. Was kann das
wohl sein? Was wird uns erwarten, wenn wir dort ankommen? Wie kommen wir dort überhaupt hin? Luisa bricht das Schweigen und lenkt mich von unserem in den Himmel strahlenden Ziel ab. „Du machst das toll.“ „Wie? Was meinst du? Ich mache nichts anderes als ihr zwei auch. Ich versuche hier klar zu kommen.“ „Ja, schon. Aber du strahlst eine Sicherheit und Ruhe aus, die Kilian gut aufnimmt. Mir tut sie übrigens auch sehr gut. Er nimmt das hier alles ziemlich gut mit für sein Alter, meinst du nicht?“ „Ich denke schon. Keine Ahnung, wie ein Junge in seinem Alter so was sonst aufnehmen würde. Hast du Erfahrung mit
Kindern?“ „Ein wenig. Nicht wirklich. Ich habe ein paar Kinder in der Familie und im Bekanntenkreis. Ich wollte damit eigentlich auch nur sagen… ich meine…ich weiß nicht.“ Luisa sieht unsicher auf ihre Hände und streicht sich in einer Art Übersprunghandlung den Pony zurecht. „Die Lichtsäule muss gigantisch groß sein. Sie scheint noch ziemlich weit weg zu sein, aber sieh mal, wie kräftig sie hier noch scheint.“ Als Reaktion starrt Luisa einfach stumm in die Richtung der Säule. Die frische Luft, die Dunkelheit und die Stille lassen mich spüren, wie erschöpft auch ich wirklich bin. „Na komm, wir sollten uns auch ein wenig ausruhen. Wir scheinen im Moment hier
erstmal sicher zu sein. Morgen früh sollten wir zu allererst zusehen, dass wir Wasser finden. Wir hatten seit wir „entführt“ wurden nichts mehr getrunken oder gegessen.“ „Ok, lass uns runter gehen. Müssen wir eine Nachtwache halten?“ „Ich hoffe nicht. Wir brauchen beide Schlaf und wir wissen beide nicht, wie lange es hier dunkel bleibt.“ Luisa versucht sich neben Kilian irgendwie gemütlich hinzulegen. Der Junge schläft so fest, dass er davon nichts mitbekommt. Ich schlendere noch eine letzte Runde durch den leeren Rumpf, aber auch jetzt finde ich nichts, was uns helfen könnte. Es stört mich allerdings noch immer, dass das Wrack kein
echtes Schiff gewesen ist. Was ist das hier für ein krankes Spiel? Wieso tritt hier niemand in Erscheinung und erklärt uns zumindest, was von uns verlangt wird? Oder ist das hier ein perfides Experiment? In den 70ern und 80ern gab es doch einige wirklich schräge Experimente mit unwissenden Menschen. Haben diese etwa nie aufgehört, sondern werden nur besser vertuscht? Meine Augenlieder sind schwer wie Blei und ich setze mich so nah neben Luisa an die Schiffswand, wie es der Anstand erlaubt. Ich habe meinen Kopf noch nicht ganz an die Wand angelehnt, da bin ich bereits eingeschlafen. Man sagt, dass man bei völliger Erschöpfung nicht wirklich träumt. Ich
breche diese Regel und verschwinde für den Rest der Nacht in mein altes Leben. Ich erlebe meine Kindheit erneut. Ich kann mich selber sehen, es sind Bilder aus den Fotoalben meiner Eltern. Aus den Bildern entstehen kleine, bewegte Sequenzen. Je älter ich werde, desto länger werden die Passagen und die Fotos werden durch eigene, echte Erinnerungen ergänzt und schließlich ersetzt. Mein erster Urlaub ohne Eltern, meine ersten Partys und daran gekoppelt meine ersten Abstürze. Ja ich hab heftig gefeiert. Natürlich folgt irgendwann mein erster Kuss, mein erstes Mal, meine erste feste Freundin, mein erstes Auto, die Uni, der erste Job und eine Aufreihung aller meiner bisher erlebten
Abenteuer. Bislang war mir nicht bewusst, wie oft ich bereits im normalen Alltag in lebensgefährlichen Situationen gewesen bin. Ich bin rückwärts eine 4 Meter hohe Wand runtergefallen und auf dem Rücken aufgekommen, ich habe bei 130 km/h einen fliegenden Fahrerwechsel gemacht, ich kann gar nicht zählen, wie oft ich aus Unachtsamkeit Stromschläge bekommen habe. Sekundenschlaf auf der Autobahn, Stürze beim Skifahren und noch ein paar weitere brisante Situationen. Mir wird in diesem Traum klar, wie viel Glück ich immer hatte, aber auch, wie dumm ich früher gewesen bin. In der Nachbetrachtung schäme ich mich dafür, wie oft ich mein Leben
wissentlich riskiert habe. Mir wird allerdings noch etwas klar. Die meisten dieser Erlebnisse hatte ich, weil ich den Kick gesucht habe, weil ich mir etwas beweisen wollte, weil ich meine Grenzen herausfordern wollte. Ist das Grund, warum ich heute hier in dieser Situation bin? Ist das der ultimative Test? Habe ich mich am Ende sogar selbst hierher gebracht? Ich konzentriere mich auf die Lichtsäule. Ich stehe an Deck und schaue zurück zum Wald. Vor meinen geträumten Augen läuft der Horror nochmal wie ein Film ab. Die Bäume, der Graben, der Feuerregen, das komische Licht, das Wrack, die leuchtenden Symbole und die Lichtsäule. Ich erlebe den Tag noch einmal in Zeitraffer. Gleichzeitig, überlege ich, ob ich bei
einer zweiten Chance, etwas anders machen würde. Im Grunde nicht. Ich stehe jetzt im Wrack vor den Symbolen. Ich kann sie noch immer nicht weiter lösen. Auf einmal ist Kilian da. Er steht einfach da und starrt mich mit großen Augen bewundernd an. Kein Mucks, einfach nur Starren. Er folgt mir wie ein Zombie überall hin. Ich stehe wieder an Deck. Ich stehe nicht irgendwo an Deck. Ich stehe vorne am Bug, direkt an der Spitze des Wracks. Es ist allerdings kein Wrack mehr, es ist ein voll funktionstüchtiges Boot, es steht aber noch unbeweglich in der Steppe. Luisa ist auch an Deck. Sie steht bei Kilian und tut etwas völlig Merkwürdiges. Sie salutiert vor mir. Verflixt nochmal, was hat das
zu bedeuten? Im nächsten Moment sehe ich, wie ich viele verschiedene natürliche Hindernisse überwinde und dabei Luisa und Kilian helfe mir zu folgen. Wir überqueren Schluchten, durchqueren Wasser und irgendwas unter der Erde meistern wir auch. Am Ende stehen wir vor der Lichtsäule. Wir starren einfach in sie hinein. Sie ist gigantisch, sie ist hell. Sie wird immer heller und greller. Aus ihrer Mitte strahlt immer mehr Licht. Die Sonne scheint grell und blendend durch die Lücken in den Planken und weckt mich dadurch sanft auf. Blinzelnd nehme ich mein Umfeld war und versuche in den Tag zu kommen. Neben mir liegen Luisa und Kilian immer noch tief schlummernd, genauso wie
sie eingeschlafen sind. Ich fühle mich erholt aber ziemlich zerstört. Jeder Muskel schmerzt, wie nach einem Boxkampf über zwölf Runden. Ich habe fürchterlich Durst. Normalerweise trinke ich jeden Tag mindestens zwei Liter Wasser. Vor allem nach dem Aufstehen nehme ich einen tiefen Schluck. Ich vermisse mein Haus. Vorsichtig stehe ich auf und strecke meine Glieder weit von mir. Es knackt bestätigend aus jeder Region meines Körpers. Die Symbole an der Wand sind verschwunden. Von draußen ist leises Rauschen von Windes zu hören. Den gab es gestern noch nicht, oder? Ich bin mir nicht mehr sicher, aber das ist am Ende auch
egal. Mir hängt mein Traum nach. Warum hab ich mein Leben geträumt? Warum der Fokus auf meine lebensgefährlichen Situationen? Was sollte das Salutieren von Luisa? Die Lücken in den Planken sind teilweise so breit, dass man gut dadurch raus schauen kann. Ich presse mein Gesicht an eine Stelle der Boardwand und kneife ein Auge zu. Mit dem anderen versuche ich draußen das Umfeld zu prüfen. Ich komme mir vor, wie auf Wachposten bei der Armee. Draußen gibt es nichts zu sehen, was meine Aufmerksamkeit fängt. Es wirkt ruhig und zu gestern unverändert. Mir ist klar, dass der Schein trügen kann, aber das kann ich jetzt auch nicht
ändern. Die Gräser wiegen sich leicht im Wind und mehr kann ich nicht sehen. Ich bin ein Kontrollmensch. Mir wird das hier in unserer Lage immer klarer. Ich kann nicht richtig funktionieren, wenn ich nicht die Zügel in der Hand habe. Ich brauche das Steuer in meiner Hand, nur dann kann ich nach vorne drängen. Ist das der Kern meines Traumes? Ist das das richtige Verhalten in unserer Situation? Da ich nicht alleine bin, kann ich die Regeln auch nicht alleine aufstellen. Muss ich vielleicht umdenken und mich damit auseinandersetzen, dass weniger Kontrolle nicht schadet? Ein Versuch wird schon nicht wehtun.
Luisa gähnt ungeniert mit weit aufgerissenem Mund. Fühlt es sich so an, eine Familie zu haben? Morgens nicht alleine oder mit wildfremden aufzuwachen? Beim Anblick der Frau neben einem, nicht nur an die wilde Nacht zuvor denken, sondern an die letzten Jahre? Wild hin oder her? Ein oder mehrere Kinder in den benachbarten Zimmern zu wissen, die gleich, wenn sie aufwachen, in unser Schlafzimmer rauschen und uns in Ihre Kissenschlachten einbeziehen? Zärtlich lächelt Luisa den noch immer friedlich schlafenden Kilian an. In ihren Augen erkenne ich eine Mischung aus Fürsorge aber auch echter Besorgnis. Sie lässt ihn schlafen und
steht vorsichtig auf und vermeidet es laute Geräusche zu machen. Sie fährt sich durch die Haare rubbelt sich ihr Gesicht, um richtig wach zu werden. Dann streckt sie sich und ich komme erneut nicht darum herum, zu bemerken, wie sich der dünne Stoff um ihre weiblichen Rundungen schmiegt. Ich hoffe sie hat die Augen beim Strecken und Gähnen wirklich zugekniffen und meine verstohlenen und unangemessenen Blicke nicht gesehen. „Guten Morgen. Einigermaßen gut geschlafen?“ „Geht so, aber ich glaube, ich hab das Beste aus der Situation gemacht“, lächelt sie mir entwaffnend entgegen. „Ich geh mal hoch an Deck und versuche einen Plan zu schmieden, wie wir hier am
besten weitermachen sollten.“ „OK, ich komm gleich nach. Muss noch kurz richtig wach werden. Du hast gestern auf dem Weg hierher nicht zufällig einen Coffee-Shop gesehen?“ Wir lachen beide herzlich über diesen kurzen Ausflug in den Alltagshumor, dann steige ich hinauf auf das Deck. Der leichte Wind fühlt sich frisch auf meiner Haut an. In Ermangelung einer Dusche, stelle ich mir vor, dass der Wind mich etwas reinigt. Körperhygiene ist auch in Notsituationen unerlässlich. Da dies jedoch gerade nicht möglich ist, betreibe ich zumindest Psycho-Hygiene. Ich erinnere mich an meinen Traum und
steuere direkt auf den Bug des Wracks zu. Vielleicht ist es ein Hinweis meines Unterbewusstseins gewesen. Auf halber Strecke höre ich, dass Luisa den Niedergang hoch steigt. „Kilian wacht langsam auf. Ich muss mal pinkeln. Gibt’s hier irgendwo einen Busch oder so?“ Sie fragt das mit einer Selbstverständlichkeit, die mir die Röte ins Gesicht treibt und meine Backen angenehm wärmt. Hoffentlich sieht sie das nicht. „Wieso schaust du denn so? Hast du geglaubt nur ihr Jungs könnt draußen pinkeln?“ „Nein, alles gut. Ich war nur kurz mit den Gedanken woanders.“ Das stimmt, bei einer pinkelnden Frau. Irritierende Gefühle wühlen
sich durch meinen Körper aber ich fange mich schnell wieder. „Ich hab in der Nähe leider keinen Busch oder was Ähnliches gesehen, tut mir leid. Aber du kannst grundsätzlich runter vom Wrack und wir erklären eine Ecke, Heck oder Bug, zur Latrine. Wäre das für dich ok?“ Luisa steht unbeweglich da, ihre Augen driften ein wenig zur Seite, sie wägt ab. „Klar, kein Problem. Was ist aber, wenn etwas passiert? Kannst du zumindest mit runter vom Wrack und auf mich warten? Ich fühl mich dann sicherer. Aber nicht spannen, klar?“ „Mach ich gerne. Lass uns warten, bis Kilian hier oben ist. Wir können nicht einfach vom Wrack runter ohne, dass er es weiß.“ „Verstehe. Macht Sinn. Hast du meinen
Kaffee?“, frotzelt sie weiter. „Sorry, ich bin einfach kein Morgenmensch und ohne Kaffee ist der Start immer etwas zäh. Hast du dir schon überlegt, wie es weitergehen soll?“ „Glaub mir, ich würde Euch auch verkaufen für eine Tasse Kaffee“, begegne ich Luisa. „Aber nein, noch habe ich keine wirkliche Idee, wie wir weitermachen sollen. Ich wollte mir vom Bug aus einen Überblick verschaffen und dann unsere Optionen abwägen.“ Der Bug ist durch die geschwungene Form des Wrackes der höchste Punkt und bietet die beste Aussicht. Allerdings ist diese nicht viel Wert. Der Wald liegt noch immer hinter uns und vor uns Steppe soweit das Auge reicht. Kilian tappst den Niedergang zu uns hoch an
Deck. Mit kurzen Worten erkläre ich ihm, dass Luisa und ich mal austreten müssen. Kilian möchte sich uns direkt anschließen, aber mir ist es lieber, wenn einer an Deck bleibt und uns den Rücken freihält. Luisa und ich steigen vom Wrack herab. Etwas unschlüssig stehen wir beide nun da und sind uns unsicher, wie es weitergehen soll. „Da Kilian am Bug Ausschau hält, ist dann wohl das Heck die Toilette. Ich bleibe genau hier stehen und bewege mich nur, wenn du rufst. Ich muss aber auch pinkeln, bin also nach dir dran.“ „Ok“, und damit dreht sie sich um und verschwindet hinter dem Bug und aus meinem
Blickfeld. Während ich auf Luisas Rückkehr warte, schaue ich mich in Ruhe um. Ich versuche die Richtung abzuschätzen, in welcher die Lichtsäule liegt. Mit Blick in die ungefähre Peilung, untersuche ich jeden Meter, der in meiner Sichtweite liegt. Nichts Auffälliges. Trockenes Gras, Steppe, hier und da ein Stein. Ungeduldig trete ich von einem Fuß auf den anderen. Ein schmatzendes Geräusch wird dadurch erzeugt. „Hmmm. Das ist interessant“, nuschle ich vor mich hin und mache weitere kleine Schritte auf der Stelle, an der ich stehe. Unter mir tritt sich das Gras schnell fest und vermischt sich mit dem erdigen Boden. Dem nassen, erdigen
Boden. Wenn es geregnet hätte, wäre auch das Deck nass, das ist es aber nicht. Wo kommt das Wasser her? Gestern war es noch nicht da. Wir haben mehrfach im Gras gekniet oder gesessen. Hatten die die Hände in den Boden gestützt. Der war staubtrocken. Jetzt ist es so feucht, dass sich eine leichte, matschige Pampe bildet, wenn man darauf rumtritt. Luisa kündigt sich erleichtert schnaufend an und tritt um die Ecke. Als sie bei mir ankommt und meinem Blick auf den Boden folgt, beschwert sie sich: „Das war so nicht abgemacht. Toilette ist hinter dem Schiff, am Heck. Das ist eklig, Ben.“ Ok, damit hatte ich jetzt nicht gerechnet. Etwas verdutzt schau ich Luisa an und suche nach den richtigen
Worten. „Oh. Nein. Das ist nicht…ich meine ich habe hier nicht… . Nochmal von vorne. Das ist Wasser, kein Urin. Ich habe hier nicht hingemacht. Tritt mal etwas auf der Stelle, da müsste sich auch bei dir Wasser aus dem Boden drücken.“ „Du hast Recht. Da kommt etwas Wasser rauf. Wo kommt das her? Sonst ist ja alles trocken?“ „Ich habe keinen Schimmer. Aber jetzt muss ich wirklich auch mal dringend hinters Heck. Nur Pipi oder muss ich aufpassen wo ich hintrete?“ „Möchtest du noch indiskreter werden? Mach dass du hinters Heck kommst, eine Warnung hätte es gegeben, wenn notwendig“. Ich
formuliere mit kurzen Ansätzen von Grimassen, dass mir die Frage Leid tut und mache mich auf den Weg zum Heck. Hinten angekommen, stell ich mich einen Meter vom Heck entfernt hin, muss ja nicht in die Lücken der Boardwand pinkeln, und freue mich insgeheim darüber, dass wir Männer uns zum Pinkeln nicht setzen müssen. Während ich mich parallel auch über die eintretende Erleichterung freue, überrascht mich ohne Vorwarnung das Dröhnen und die Vibrationen wieder. Der Boden rüttelt förmlich und man kann die Bewegungen sogar am Zittern der Grashalme sehen. Ich schließe meine Hose und noch während der ersten Schritte um das Heck herum, merke ich, wie der Boden noch nasser zu werden scheint.
Jeder Schritt schmatzt immer lauter. Dann wieder das Dröhnen und die Vibrationen. In diesem Moment beschleicht mich ein sehr ungutes Gefühl.