Es war der Sommer, als wir 12 wurden, als es geschah.
Der Jahrmarkt war in der Stadt. Also jede Menge Spaß, für Kids, wie uns.
„Wirklich Jan, Zuckerwatte? Ist die nicht ziemlich klebrig?“ Tim zog mich mal wieder auf. Er dachte immer, er sei der coolste von uns. „Jetzt fehlt nur noch ein Luftballon“, setzte er noch einen drauf., „dann ist das Kleinkind fertig.“
Ich wusste ja, er macht nur Spaß, aber manchmal kann so ein Spaß auch ziemlich weh tun.
Mein Augenmerk fiel auf die
Gespensterbahn. Schon die Fassade war ziemlich gruselig gestaltet.
In der Mitte hing ein riesiges Netz in der eine überdimensionale Spinne mit rot glühenden Augen hockte.
„Ich wette, du traust dich da nicht rein,Tim“, provozierte ich ihn. „In die Gespensterbahn? Wirklich? Ich bin schon tausendmal da mit gefahren“, konterte er.
„Nicht fahren“, sagte ich. „Nachts allein, zu Fuß durchgehen.“ Sah ich da ein nervöses Zucken in seinen Augen? Hatte er Angst?
„O.K.“, entschied er sich schließlich „Ich mach es.“. Aber in seiner Stimme schwang tatsächlich so etwas wie Angst
mit. „O.K.“, sagte ich. „Nachts um 12, wenn du dich traust.“
Wir trafen uns also nachts um 12 wieder vor der Gespensterbahn. Der Jahrmarkt hatte schon vor einer Stunde geschlossen. Tim hatte eine Taschenlampe dabei, schien aber trotzdem nervös.
In der Nacht wirkte die Fassade der Bahn noch gruseliger. Aber er wagte es trotzdem und verschwand hinter der Plane, die nachts den Bahnsteig verhüllte. Wir hörten seine Schritte in der Bahn hallen, ab und zu flüsterte er was, dann fluchte er. Irgendwas mit seiner Taschenlampe. Ich vermutete mal , sie hatte den Geist aufgegeben.
Dann geschah etwas furchtbares. Ein Heulen, wie von einem Wesen, das nicht von dieser Welt war, war zu hören. Ein rötlicher Schimmer, drang durch sämtliche Ritzen der Fassade. Die gruseligen Fratzen an der Fassade schienen kurz ihre Mimik zu verändern in ein zufriedenes Grinsen.
Dann war Stille. Totenstille im wahrsten Sinne des Wortes.
Kein einziger Laut war mehr zu hören. Kein Schritte, keine Stimme von Tim.
„Wo bleibt er nur? Der müsste doch schon längst durch sein“, bemerkte ich nervös, während ich mir einredete, meine Fantasie hätte mir einen Streich
gespielt. Aber der Ausdruck in den Gesichtern der anderen gab mir die Gewissheit, dass sie es genauso gesehen und gehört haben wie ich.
„Der ist bestimmt hinten raus und nach hause und lacht sich jetzt schlapp, weil wir uns hier vor Angst in die Hosen machen“, versuchte einer der Jungs zu erklären.
Wir berieten uns kurz, was wir machen sollten. Reingehen und schauen was los ist, oder ihn zurücklassen. Schließlich entschieden wir uns für Letzteres. Es war Tim tatsächlich zuzutrauen, dass er heimlich abgehauen war, um uns zu veralbern.
Aber Tim war nicht zu Hause. Er war
und blieb verschwunden.
Die Polizei nahm die Gespensterbahn auseinander, um Spuren zu finden. Außer seinen Fingerabdrücken an der Eingangstür fanden sie nichts. Keine Spur. Nicht das kleinste Härchen.
Im Jahr darauf war die Gespensterbahn wieder auf dem Jahrmarkt. Irgendetwas sagte uns, wir sollten eine Fahrt wagen, obwohl wir ein mulmiges Gefühl hatten.
Es war alles wie immer. Gruseligen Gestalten aus Gummi und Plastik, bewegt durch Pneumatik und Elektronik. Doch etwas war neu. Ein Sarg lehnte an einer zerfallenen Hütte. Beim Näherkommen öffnete sich knarzend der Deckel und drin lag mit
schmerzverzerrtem Gesicht und mit uns vorwurfsvoll anblickenden Augen, mit einem rostigen Messer in seiner Brust, Tim.
Wir schrien uns die Seele aus dem Leib. Wir schrien auch noch, als der Wagen rumpelnt auf dem Bahnsteig hielt. Hastig verließen wir die Gespensterbahn und rannten zum gegenüber stehenden Autoscooter, auf dessen Rand wir uns erschöpft nieder ließen.
Schließlich stupste mich einer meiner Freunde an und flüsterte: „Lies mal das Schild da!“
Erst jetz sah ich das Schild, das letztes Jahr noch nicht da war. In einem goldenen Bilderrahmen stand zu lesen:
Neue Geister eingetroffen.