von
Simon Käßheimer
Es gibt viele Dinge, die wir jeden Tag tun, ohne darüber nachzudenken ob und wie wir das tun. Ob wir nun die Schuhe zubinden, die Zähne putzen oder Auto fahren, das alles tun wir im Normalfall ganz von alleine und so soll es auch sein denn so ist es viel besser für uns. Würden und müssten wir uns darüber jedes Mal und immer wieder den Kopf zerbrechen, wir würden irgendwann verrückt werden oder es würde uns früher oder später der Kopf platzen. Eine dieser Sachen, die wir wie all diese Dinge tun, ist das Schlafen und wer würde vermuten, wenn er es nicht selbst
erlebt hätte, dass eben dieses alltägliche Ritual des Kraftschöpfens und der Erholung manchmal mehr in sich birgt als nur die Tatsache, dass man plötzlich eingeschlafen ist und wenige Stunden später wieder da, um ein weiteres Mal in seine Hosen zu schlüpfen und der Welt hallo zu sagen. Ich jedenfalls hatte mir nie Gedanken darüber gemacht ob und wie das sonst sein könnte und wieso auch? Schließlich war ich wie gewöhnlich hundemüde und vom neuen, klappernden Rollo am Fenster meiner Nachbarn mal abgesehen war nichts anders als bisher. Ich schlüpfte also aus den Hosen die die Welt bedeuten und den restlichen,
unnötigen Klamotten und legte mich ins Bett um ein weiteres Mal vom Alltag, mehr oder weniger frustriert, abzuschalten. Abschalten, das ist wohl der springende Punkt in dieser Geschichte, denn genau das tat ich wohl nicht. Oder irgendetwas hatte damit nicht geklappt, wie sich noch herausstellen würde. Ich hörte ein dumpfes Summen und das Gekreische von irgendjemandem der rief: „Was sollen wir nur tun? Die junge Einheit 37 F12 hat eine Fehlfunktion und konnte nicht in den O-Modus gesetzt werden. Ich kann mir nicht erklären wie das passiert ist!“ Ich hatte das Gefühl in irgendetwas zu
liegen, jedoch konnte ich nicht sagen, was es war. Auf jeden Fall war es bequem und stank nach Chemie. Nach einer kurzen Pause machte das Ding in dem ich lag einen Ruck und ich hatte das Gefühl zu fahren oder zu gleiten. So genau weiß ich das auch nicht mehr, Sie werden das entschuldigen, denn es ging ziemlich schnell. Dann schoss ich aus so einer Art Öffnung und sah um mich herum nur etwas, das aus der Ferne aussah wie die Raufasertapete im Haus meiner Eltern und landete in irgendetwas in dem ich zum halten kam. Dieses Ding klappte runter, drehte sich und vor mir standen ein paar merkwürdige Dinger, die aussahen wie
eine Mischung aus Maulwurf und Ratte, nur eben viel größer. Das Ding in dem ich lag oder besser gesagt stand, erkannte ich nun als eine Art Sarg oder ähnliches und ich merkte, dass ich bis zur Taille in lauter kleinen Kügelchen steckte in denen ich wohl bis gerade eben gelegen hatte. Ehe ich mich groß umsehen konnte, wurden die Kügelchen von unten aufgesaugt und nach ein paar Sekunden ging vor mir die Türe auf, wenn man das bei diesem Glas – oder Kunststoffding so nennen konnte, denn es erinnerte mich doch sehr an einen Sarg und dann würde die Bezeichnung Deckel wohl besser passen, nun ist ja auch egal.
Ich purzelte mehr oder weniger aus dem Sarg und ein paar der Kügelchen, die wohl noch an meinem Körper klebten, kullerten zu meinen Füßen mit mir ins Freie. Als ich wieder einigermaßen Haltung angenommen hatte, soweit ich das in halbnackten Zustand konnte, immerhin hatte ich nur ein graugrünes Baumwollirgendwas an das meine Blöße bedeckte, trat ich auf ein paar am Boden liegende Kugeln und lag noch Mal auf dem Boden. „Scheiße“, entfuhr es mir während ich mir den Rücken hielt und mir den Schmerz zu verkneifen versuchte. „Scheiße, nun so würde ich es nicht
unbedingt nennen, obwohl ich dich verstehen kann, aber immerhin hält dich diese Scheiße, wie du sie nennst, bis zum Tag der Tage frisch“, sagte eine freundliche und dennoch überzeugende Stimme. Ich blickte auf und sah, dass mir einer der Maufwurfdinger die Hand reichte, die ich zögernd ergriff. „Du brauchst keine Angst zu haben“, sagte dieselbe Stimme, die offensichtlich von dem Maulwurf stammte, der meine Hand hielt. „Und vor den Kugeln, ganz nebenbei von ihrer Form abgesehen, wie du gemerkt hast sowieso nicht. Du hast bestimmt schon mal die kleinen Kugeln oder Tütchen die sie beinhalten in
Schuhkartonen liegen sehen? Diese Kugeln sind im Grunde nichts anderes, nur sind sie eben etwas größer und eben nicht für Schuhe.“
Vorsichtig hielt ich mich an der kleinen, pelzigen und doch kräftigen Hand des Geschöpfes fest und dachte nebenbei über das nach, was dieses Ding da eben zu mir gesagt hatte während es mich mit einem Ruch zu sich und den anderen hoch zog bis ich endlich wieder fest auf meinen zwei Beinen stand.
Da stand ich nun mit nichts an als diesem, sagen wir Lendendress, auf diesem seltsamen Boden an diesem mehr als seltsamen Ort der sich unter meinen Zehen anfühlte wie der Boden einer Sporthalle oder etwas Ähnliches und um mich herum diese Scharr von Maulwurfnagern, die mich mit ihren großen Knopfaugen musterten und von oben bis unten anschauten. Eines der Wesen musste bemerkt haben, dass mir ihr Mustern unangenehm war, denn er sagte zu den anderen: „Jetzt hört auf ihn mit euren Augen zu sondieren und zu durchleuchten als hättet ihr noch
nie einen Menschen gesehen.“ Er sagte das in einem Ton, der einem Familienvater ziemlich gleich kam und der mich irgendwie an meinen eigenen Vater erinnerte. „Wie oft haben wir schon einen Menschen hier unten, der sich bewegt?“, fragte ein anderer, „aber dennoch hast du recht, er wird uns noch für Spanner halten oder Schlimmeres wenn wir so weitergaffen.“ „Stellen wir uns doch lieber erst mal vor, das wäre wohl das Sinnvollste und obendrein das Anständigste“, erklang wieder die Stimme, die ich als die des Maulwurfs wiedererkannte, der mir aufgeholfen
hatte. „Du hast recht, Til, das ist wirklich längst überfällig“, stellte einer der anderen fest. „Nun, dann will ich das mal machen.“ Der Nager, der das für alle vernehmlich gesagt hatte, holte kurz Luft, dann lief er mit ein paar Schritten vorsichtig auf mich zu, ergriff meine linke Hand und schüttelte sie mit, wie mir schien, Leibeskräften. „Herzlich willkommen erst einmal, auch wenn Sie eigentlich noch gar nichts hier zu suchen haben, aber dafür können Sie nun wirklich reichlich wenig. Ich bin Edgar Smooth und das hier sind Til, Bernard und Valentin Smooth. Wir
wurden vom Chef dazu bestimmt Sie hier für die Dauer Ihres Aufenthalts zu beschäftigen, begrüßen, bedienen, ihnen alles so weit als möglich zu zeigen, ihre Fragen zu beantworten und was eben sonst noch anfällt.“ „Wie heißt er denn? Frag ihn doch wie er heißt“, sagte der, der als Til Smooth vorgestellt worden war. „Jaja, nur mit der Ruhe. Eines nach dem anderen. Nun, also wie heißen Sie denn, denn Einheit 37 F12 ist wirklich kein sehr schöner Name“, fragte der Maulwurf und ließ meine Hand wieder los. Nach einer kurzen oder vielleicht doch etwas längeren Zeit des lautlosen Dastehens brachte ich erst mal nur ein
zaghaftes und stotterndes „I..I…Ich?“, raus, worauf ein weiteres Schweigen folgte. Der Maulwurf sah sich wohl genötigt die Initiative zu ergreifen und sagte: „Ja Sie. Ich hoffe, ich habe sie nicht erschreckt oder Ihnen gar die falsche Hand geschüttelt, aber ich bin selbst ein wenig nervös, wissen Sie?“ Langsam fand ich Worte und sagte: „Doch, das haben Sie – ich bin nämlich eigentlich Rechtshänder.“ Etwas überrumpelt und dennoch nicht um Worte verlegen sagte der Maulwurf darauf: „Ooh, ja so kann’s gehen. Von außen seht ihr alle gleich aus. Mein Name ist übrigens Peter, Peter Hantes und wer oder was seid
ihr?“ „Wir sind und heißen Smooths“, sagte der Maulwurf der Bernard hieß während der andere nun doch im Nachhinein noch ein wenig seine Fassung suchte. Während er das sagte, kam ein weiterer Nager mit einem Kehrblech daher gewetzt, der mich kurz neugierig ansah, mich freundlich mit einem kurzen Nicken grüßte und dann hinter mir verschwand um die, immer noch am Boden liegenden Frischekugeln, zu beseitigen. Als ich mich nach ihm umsah sagte Bernard: „Keine Panik, das ist nur Olli, der macht kurz sauber. Stör dich nicht an ihm, der ist gleich wieder weg.“ Ich versuchte diesem Wunsch nach zu
kommen und richtete mein Augenmerk wieder auf die Smooths, die vor mir standen. Edgar Smooth, der inzwischen wieder Fassung gewonnen hatte, holte ein weiteres Mal Luft und sagte: „Ahja, Peter also. Peter Hantes, jetzt wissen wir wenigstens schon mal deinen Namen und brauchen dich nicht mit Einheit 37 F12 ansprechen, denn das war bislang gewissermaßen dein Name hier.“ Ich versuchte mein Bestes und dennoch verstand ich außer meinem eigenen Namen kein Wort von dem was er sagte. Einheit 37 F12, das hatte ich doch zu Beginn, ehe ich hier plötzlich gelandet war, gehört. „Einheit 37 F12 hat eine Fehlfunktion.“ Wo und wie war ich hier
bloß gelandet. Ein seltsamer, wirklich sehr seltsamer Ort war das hier. Ich hatte das Gefühl in einem Labor oder ähnlichem zu sein. Die Wände waren gefliest oder gekachelt, nur der Boden nicht. Überall hingen kleinere und größere Lampen, da und dort war ein Tisch oder ähnliches und als ich mich zur Seite drehte sah ich an der Decke jede Menge Röhren, die anscheinend diese Behälter, wie den aus dem ich vor einigen Minuten gestiegen war transportiert. „Du möchtest sicherlich gerne wissen was das alles hier für einen Zweck hat, wieso du hier bist, wer genau wir sind und wieso du nur mit dem bisschen
bekleidet bist, das du trägst“, hörte ich eine leisere Stimme hinter mir sagen und mich fragen. Ich drehte mich um und sah Valentin der plötzlich neben mir stand. Die anderen drei unterhielten sich gerade miteinander. Die Stimme von diesem Smooth hatte mir meine Angst ein wenig genommen und so fragte ich ihn: „Wie bin ich denn hierhergekommen, an diesen Ort?“ „Durch eine Fehlberechnung im Regenerationsmodul deiner Lebenskapsel, sonst wärst du vermutlich noch für lange, lange Zeit Einheit 37 F12 geblieben. Du bist ja schließlich noch jung. So ganz hundertprozentig haben
wir den Fehler aber selbst noch nicht gefunden und bis dahin musst du hier ein wenig ausharren. So etwas ist uns hier noch nie passiert musst du wissen. „Was passiert?“, fragte ich spontan ohne zu überlegen. „Dass uns einer während er schlafen sollte aufwacht, gewissermaßen, denn wenn man es recht bedenkt bist du ja nicht wach sondern… Ach, das soll dir ein anderer erklären. Entschuldigung, ich habe mich ja noch gar nicht persönlich vorgestellt. Ich bin Valentin Smooth, Berards und Tills kleiner Bruder, wenn man das so sagen kann wo ich doch mindestens so groß bin wie sie. Warte einen Moment ich sag’s den anderen, die
werden dir den Rest versuchen zu erklären.“ Er lief zu den andren drei seiner Sippe, wedelte mit seinem Schwanz hin und her und schien ihnen damit irgendetwas mitzuteilen.
Während ich da stand und mit dem einen Augen nach Valentin und den anderen Smooths schaute, fielen mir mit dem anderen die vielen Türen auf die dieser Raum hatte. Wo würden die wohl alle hinführen?, fragte ich mich insgeheim, dann drehte ich mich um und schaute mir den Behälter noch einmal an, der mich hierher gebracht hatte – auf welchem Weg auch immer. Auf der einen Seite hatte er schon das Aussehen eines Sargs, auf der anderen ähnelte er auch so mancher Whirlpoolwanne, die ich schon auf Messen oder in Möbelhäusern gesehen
hatte. Das Material war in jedem Fall diesem sehr ähnlich. Olli Smooth schien grade fertig geworden zu sein mit seiner Reinigungstätigkeit. Er warf den Kehrschaufelinhalt in einen nahestehenden Eimer, tat zum Spaß so, als wäre er ein Diener und sauste davon um in einer der Türen zu verschwinden. Ich wollte gerade nach den Röhren an der Decke schauen, als mich einer der Smooths auf die Schulter tippte. Es war Bernard. „So, du hast also viele Fragen, was ohne Zweifel mehr als verständlich ist. Ich werde den Anfang machen und versuchen dir das Gröbste über die Abläufe hier zu erklären und Til macht
den Rest, aber hier gibt es ohnehin nicht viel zu sehen und erst mal werden wir dir jetzt was warmes zum anziehen besorgen. Du bist ja schließlich nicht wie wir mit Pelz gesegnet“, er zeigte auf eine der Türen und lud mich mit einem Augenzwinkern und schnalzen zum mitkommen und folgen ein. Im Gänsemarsch, Bernard voran, dann ich und dann der Rest der Nagertruppe, verließen wir den Raum durch das Portal und betraten offenbar so eine Art Wohnanlage, die in mehrere Stufen unterteilt zu sein schien. Bernard sagte: „Hier wohnen wir. Hübsch, nicht?“ Und ich quittierte diese Frage mit einem abwesenden Nicken. Alle paar Meter war
ein Aufzug oder eine, mit ihm verbundene Wendeltreppe, die in die verschiedenen Etagen führten auf denen reges Treiben herrschte und sich ein Smooth am anderen vorbei drückte. Wir bestiegen einen der nächsten Aufzüge und fuhren einen Stock nach oben. Dort liefen wir eine Weile den Weg entlang bis wir zu einer Höhle mit Fenstern kamen. „Das ist mein Zuhause“, gab Bernard stolz zu verstehen. „Wollen wir hoffen, dass ich was passendes für dich habe, das wir dir anziehen können, aber meine Frau bringt ja immer wieder was aus der Textilfabrik mit in der sie arbeitet, da wird schon was dabei sein.“ Wir liefen
bis zum Eingang der Höhle. Dort verschwand Bernard für einen Augenblick in seinem Heim und tauchte wenige Minuten später mit etwas, das aussah wie eine Tisch- oder Bettdecke aus Leinen, wieder auf. „Ich hab dir ein paar Löcher rein geschnitten, das müsste dann schon hinkommen“, keuchte er und reichte mir das Tuch. Nach der erfolgreichen Suche nach den Löchern und einem kleinen Kampf hindurch zu kommen fühlte ich mich wieder mehr wie ein ganzer Mensch, denn dieser merkwürdige Stofffetzen passte wie angegossen. „Dankeschön“, sagte ich kurz, „das ist
schon viel besser.“ Die Tatsache, dass ich mich ein wenig wie ein Schlossgespenst fühlte behielt ich für mich um ihn nicht zu kränken. „Da bin ich aber froh. Und ich hatte schon befürchtet es gefällt dir vielleicht nicht. Dann können wir ja jetzt gehen.“ „Wohin?“, wollte ich wissen. „Erst ins Versorgungslager, ich hab nämlich Hunger. Auf dem Weg dahin erklär ich dir meinen Part. Dort seilen wir anderen uns ab und danach schicke ich dich mit Til ins Zentrum. Er wird dir das Herz der Anlage zeigen und das Wesentliche oder das, was er dafür hält, erklären.“ Bernard war kein großer Redner und
trotzdem merkte man seinen Worten an, dass er von dem was er sagte etwas verstand. Er erklärte mir, dass es die Smooths gab seit es das Leben gab und dass sie ohne es und es nicht ohne sie existieren konnte oder würde. Was er genau damit meinte verstand ich nicht, aber ich beließ es erst einmal dabei und ging nicht näher darauf ein. Dann erzählte er mir noch, dass es immer eine feste Anzahl von Smooths gab, die einmal etwas höher, einmal etwas niedriger war, aber eben nur so viele wie eben gebraucht wurden oder da sein mussten um zu tun was auch immer sie eben taten. Nach etwa einer Viertelstunde kamen wir
in dem, was Bernard als Versorgungslager bezeichnet hatte, an und ich stellte fest, dass die Vorstellungen von mir und die eines Smooths wohl weit auseinander gingen. Ich hatte mir einen Haufen Korn oder eine Wand aus Regenwürmern, eine Kantine oder etwas Ähnliches vorgestellt, stattdessen war die Versorgungszentrale so etwas wie ein Selbstbedienungssupermarkt. Nun wird sich der ein oder andere mit Sicherheit fragen „worin liegt denn da der Unterschied zu einem normalen Supermarkt, wo man sich ja auch selbst bedient, oder ist nicht jeder Supermarkt ein Selbstbedienungssupermarkt?“. Dazu
kann ich nur sagen, nachdem ich das gesehen habe, nein, das ist er nicht und der Unterschied ist in seiner Einfachheit so gravierend, dass es schon fast erschütternd ist oder, um bei der Geschichte zu bleiben, war. Ein Selbstbedienungssupermarkt bei den Smooths heißt Regale voller Nahrungs- und Lebensmittel, Haushaltswaren uns sonstigem Krempel sowie Drogerie- und Reinigungsmittel nur eben wie der Name schon sagt zum selbst bedienen. Da gibt es keine Kasse, keine Abrechnungsverfahren, keinen Ladendetektiv der vollkommen für die Katz und obendrein arbeitslos wäre. Es wird geholt was man braucht, nicht mehr
und nicht weniger, je nach Appetit, Lust und Laune und das Erschütternde war, wie ich es schon eingehend erwähnte, dass es funktionierte, was in einem irdischen Supermarkt undenkbar gewesen wäre und obendrein vermutlich ausgeschlossen.
Erschüttert von dieser grausamen Art der Realitätslehre ließ ich ihn mit Til, Bernard, Edmund und Valentin Smooth zurück und wir begaben uns zum Smoothzentralkomplex.
Til Smooth war ganz anders als sein Verwandter Bernard. Er redete mit mir über Smoothdamen, ihre Vorzüge und Nachteile und jeder Menge anderem, bis wir am Zentrum ankamen und vor der Türe stehen blieben ehe wir es betraten. Dann wurde er recht ernst und sagte: „Du wirst vielleicht der einzige Mensch sein, der das jemals zu sehen bekommt.“ Dann drückte er einen Knopf und die Tür ging auf. Langsam traten wir hinein. Als wir ein Stück gelaufen waren, ging die Tür hinter uns wieder zu . Ich drehte mich reflexartig um und sah einen Aufkleber auf der Türe, auf dem stand „Use your
brain“ und dahinter war mit Stift geschrieben „Leave the main“. „Nimm das nicht so ernst, das ist nur Jux von jugendlichen Wandalen. Ich hätte wirklich keine Filzschreiber benutzen sollen vor 12 Jahren.“ Nun stand ich also mit Til in diesem Raum der mir vorkam wie eine riesige Kuppel. Über mir liefen all die Leitungen, die ich in den anderen Räumen an der Decke gesehen hatte, zusammen und spalteten sich wieder in verschiedene Richtungen auf. „Das ist das Zentrum und in der Mitte sitzt der Chef.“ Til gab mir ein paar Sekunden um das alles zu sehen und zu betrachten und
fragte mich dann: „Hast du auch nur eine wage Vorstellung davon was der Tod ist?“ „Nun, der Tod ist das Ende allen Lebens auf der Erde, mehr Gedanken habe ich mir bislang nicht darüber gemacht und wieso hätte ich das auch sollen?“, gab ich Til zur Antwort. Til schmunzelte und meinte darauf: „Richtig, wieso auch.“ Dann wurde er wieder etwas ernster und sagte: „Was wäre, wenn du es jetzt wärst? Denn genau das ist, mehr oder weniger jetzt, vorzeitig, der Fall, nur bist du für dein Leben viel zu früh dran und nur durch ein technisches Missgeschick schon hier gelandet. Der Unterschied zwischen den
Schlafenden und den Toten liegt nämlich im Grunde nur in der Tatsache, dass die Toten hierher überstellt werden und eben nicht mehr aufwachen. In deiner Welt gibt es viele Begriffe für diesen Ort oder den, an dem das, wir nennen es Finale, stattfindet. Das Jenseits, den Himmel, Walhalla, nun der Begriff ist vielleicht ein wenig verjährt und dennoch beschreibt er, wie die anderen, ein und dasselbe. Das hier ist die Managementzentrale für das Leben vor dem, sogenannten, Tod. Die Röhren, die du hier überall an der Decke und in Betrieb siehst befördern die Schlafenden von einem geistigen Lebensabschnitt zum nächsten und das
lässt sich nur so machen, während der Schlafphase eben, müsstet ihr sonst schlafen. Eine kurze Pause ab und an zur Erholung und Entspannung würde es doch sonst vermutlich auch tun.“ Ich betrachtete die Röhren in denen die Schlafenden transportiert wurden und langsam wurde mir vieles klar. Das alles hier geschah in der Unterwelt, wenn man es so nennen wollte. Das wurde mir eben bewusst und gleichzeitig hatte Til genau das gesagt. „Auf der Oberfläche befindet sich der eigentliche Himmel, oder wie auch immer man es nennen will, und dorthin wirst auch du irgendwann kommen wenn du dafür bereit und ausreichend
vorbereitet bist. Hier ist der Himmel und die Fläche wirklich grenzenlos und nicht auf eine Kugel beschränkt die im All treibt, festgemacht von unsichtbaren Kräften die das dir bekannte Universum stellt. Wo du hier eingesetzt wirst steht noch nicht fest, zumindest für dich, und uns geht das nur bedingt etwas an. Irgendwo am passenden Ort wirst du eben losgelassen und von dort aus geht es weiter oder beginnt der richtige, oder wenn du es so verstehen willst, der neue Anfang auf den du dich bislang nur vorbereitet hast. Ich werde nicht so weit gehen dir die Sachen mit den Deja Vu`s, Vorahnungen, Visionen und so weiter zu erklären, denn das bringt dich hier, uns
im Speziellen, nur noch mehr in Schwierigkeiten, in denen wir ohnehin schon knöcheltief stecken, dank dieses Zwischenfalls. Dennoch bin ich der Meinung, dass du es verdient hast zumindest einen kleinen Einblick zu erhalten. Die Sache mit den Selbstmördern überspringe ich auch lieber. Ihre Funktion, Lebensweise, Platz und Ort hier und im dir bekannten Universum würde dich überraschen und dir dennoch nichts nützen, darum lass ich auch das lieber und erkläre dir lieber etwas anderes. Du hast ja bestimmt schon einmal von Nahtoderfahrungen oder einem Tunnel gehört. Ja, das ist eine verzwickte
Geschichte. Nun, siehst du es gibt hier viele Unterbringungsorte und diese, welche sich selbst noch nicht so recht entscheiden können oder denen noch irgendetwas fehlt oder zu fehlen scheint, die werden in einen unserer Nebentunnel gestellt oder geparkt bis wir wissen, wo genau sie weitergelagert werden können bis zum endgültigen oder vielleicht sofortigen Finale. Diese Tunnel sind zwar mit Strom versorgt und eigentlich auch gut beleuchtet, aber die Stromsteckplätze in die die Lagerungseinheiten zeitweise eingesteckt werden müssen haben ab und an eine kleine Fehlfunktion. Du verstehst die Feuchtigkeit oxidiert Anschlüsse und so
weiter und dann kommt es eben vor, dass einer oder eine vorzeitig aufwacht. Mit den ‚Alienentführungen‘ verhält es sich im Übrigen nicht viel anders, nur ist das eben eine andere Abteilung.
Als Til diesen Satz beendet hatte ging die Türe auf und Valentin kam hereingestürmt. „Ihr sollt jetzt hier fertig werden und so schnell wie möglich zu Edmund und Bernard zurück in den Regie- und Forschungsraum gehen. Sie haben den Fehler gefunden und wir werden Peter jetzt wieder zurück schicken wo er hingehört“, sagte Valentin mit feierlicher Stimme auf der einen und leichter Betrübtheit auf der anderen Seite. Til entgegnete: „Das kommt nicht zu früh und nicht zu spät. Ich bin eben damit fertig geworden ihm das Wesentliche zu
schildern und mehr bringt ihn sowieso in keiner Form weiter. So ein, zwei Dinge wären vielleicht noch hilfreich was die Damenwelt und ihre Tücken und Irrwege angeht aber das wird er auch selbst herausfinden wenn er es nicht schon hat, also lass uns gehen es scheint ja so als ob die Zeit drängt.“ Wir liefen gerade zum Portal hinaus als ich noch einmal auf die, noch hilfreichen Dinge zurückkommen wollte, doch Til deutete nur auf den Aufkleber an der Tür und schwieg in der Hoffnung, dass ich es ohne Worte begreifen würde. Wir liefen auf einem anderen Weg zu dem Raum in dem der Behälter stand, kamen an einem Smoothkindergarten vorbei
wo die Kinder gerade Sandburgen bauten und als wir dann endlich ankamen war ich ziemlich geschafft. Edmund Smooth stand schon nahe dem Behälter und winkte uns zu sich heran. „Kommt, kommt! Es geht um jede Minute!“ „Wieso?“, fragte ich. „Na, weil die dich vielleicht bald verbuddeln wenn du nicht rechtzeitig wieder aufwachst! Das Steuerelement im RAMISTER war im Übrigen der Grund für den Fehler, aber jetzt beeilt euch!“ Ehe ich mich’s versah war ich wieder entkleidet, auch wenn mein Kopf noch halb in dem Textil hing. Die Tür der Lebenskapsel wurde geöffnet und ich
wurde mit dem Hintern voran hinein geschoben. Die Tür wurde geschlossen und Bernard drückte auf einer Konsole in der Nähe der Kapsel einen oder mehrere Knöpfe. Die Kapsel machte einen Schlenker und lag dann waagrecht in der Luft. Einen Augenblick lang geschah gar nichts, dann hörte ich Edmund rufen: „Luft anhalten!“ ES öffnete sich die Unterseite am Fußende der Kapsel und mir flogen Frischekugeln um die Ohren. Bernard bat mich, mich noch ein wenig zu bewegen, wenn das möglich war, dann rotierte die Kapsel ein weiteres Mal um die eigene Achse, hielt kurz inne und dann wurde ich, soweit ich mich noch erinnern kann, plötzlich samt Kapsel
nach unten gesaugt. Ich erwachte in einem mir fremden Raum, der um mich herum abgedunkelt war. Neben mir hörte ich die Pulsanzeige ausschlagen und draußen ertönte Lärm, der mir nach einiger Zeit als der eines Krankenhauses oder Spitals gewahr wurde. Vorsichtig tastete ich erst nach der Decke und tapste dann langsam auf den Schein zu, der die Tür umrandete und umgab. Ich versuchte den Türgriff zu fassen und als es mir gelang öffnete ich die Tür. Die nun folgenden Minuten möchte ich nur noch kurz beschreiben: Schwestern kamen auf mich zugestürmt, baten mir
einen Sitzplatz an oder versuchten mich wieder ins Zimmer und zum hinlegen zu bewegen. Meine Eltern und Geschwister wurden angerufen und meine geplante Bestattung im Stadtfriedhof fürs erste auf Eis gelegt und abgesagt.
Nun stellt sich jeder vermutlich die Frage, wieso hat man mich denn wieder zurückgebracht oder gelassen, wo ich doch nun anscheinend über alles, oder zumindest einen Teil Bescheid weiß, was da auf mich und alle anderen zukommen mag.
Nun die Antwort ist so einfach wie simpel: Weil mir ohnehin niemand glauben würde und das ist auch gut so.
FIN/ Ende
Text und Illustration ( + Coverbild ):
2018 © Simon Käßheimer