„Rasen“ – eine Straßengeschichte Der Massow lebt nicht mehr.Eine Annonce in der Tageszeitung hat es mir berichtet.Plötzlich ist alles wieder, wie damals.Der „Rasen“ in Ilmenau, mit all seinen Läden, Geschäften und kleinen Handwerkern.Mit den Namen der Besitzer verbanden wir ihre Anschriften.Was heute als namenloser Markt oder klangvoller Niedrigpreisdiscounter daherkommt, war damals eine Institution, die mit und aus dem Namen lebte.Wir gingen zum Bäcker Nottrodt oder zur „Lina“ (heute noch vor Ort als Bäckerei Berlet).Am oberen Ende des „Rasens“ gab es noch die Bäckerei Kokogei, doch die gingen mit dem Bau der Mauer gen Westen.Klein warne die Läden, wenige Kunden passten hinein, aber Stammkunden kommen immer wieder.Massow war der letzte, legendäre Inhaber des Obst – und Gemüsegeschäftes ganz oben links, über der Papierhandlung Kerntopf, wo wir unsere Schulhefte noch einzeln kaufen konnten.Wir wohnten über dem KONSUM in einer Wohnung, die der Genossenschaft gehörte.Gleich schräg gegenüber war die Fleischerei „Tröße“, sie gehörte dem Fritz, dem Vater von Lutz. Als wir Kinder waren hatte sich hier gerade die Wäscherei „Schneidereit“ etabliert.Dann kam darüber der „Altenfelder“, sein Chef – eine berühmte Persönlichkeit, denn es lief stets im alten Kittel umher und war jeden morgen mit dem Fahrrad zum Einkauf nach dem Hammergrund unterwegs. In seinem Laden gab es alles, aber als die HO rein kam, ging’s den Hang runter.In der Kurve, wo links die kleine Gasse Richtung „Güldene Pforte“ geht, da war der „Kühns Speller“.Der alte Kühn hatte den Namen bekommen, weil er den Pfennig noch teilen – spellen wollte.Denken wir uns wieder aufwärts. Etwa in der Mitte des „Rasen“ ging ein Gässchen zum Hinterrasen.Links wohnte der ABV Busch und rechts war ein Tabakladen. Dort brannte eine „ewige“ Gasflamme, zum Anzünden der Zigarren. Gleich darüber „Rauchs Gaststätten“, da ist jetzt ein Ami Shop.Dann kam der Fränzer, sein Vater hatte eine Fleischerei, den Frankenberg Laden.Darüber die Schlosserei Wedekind, die jedermann brauchte, wenn er mal den Schlüssle vergessen hatte.„Milenz“ und „Kohlert“ hatten typische Kolonialwarenläden, wo es neben Schmierseife auch Heringe aus dem Fass gab.Den Reigen beschloss „Julchen Geier“ mit ihrem Kurzwarenladen am Ende des „Rasen“.Heute verkauft man hier Naturprodukte und leider hat keiner daran gedacht, am Haus das Wichtigste zu sanieren.Beinahe wäre mir die Chemische Reinigung verloren gegangen, doch als ich meine „geistige Nase“ den Hinterrasen hinabwandern ließ, da kam mir der altbekannte Benzinduft in den Sinn.Das war die Löhn’s Reinigung.Es geht um, das der „Rasen“ zur Ladenstraße wurde, als die „Aktien“ groß im Kommen war, eben die Porzellanfabrik „Graf von Henneberg“.Als der Massow noch hinterm Ladentisch stand und mit schrägem Blick die Waage ablas, war die Welt noch heil.Voriges Jahr wurde die „Aktien“ abgerissen und heute findet man dort Wohnhäuser.Kein Schild kündet davon, was mal war.Das auf dem „Rasen“ mal der Weltmeister Hans Rinn, der Seefahrer Peti, der Arthur und andere Berühmtheiten lebten, kann man aus der Anzeige von Massows Tod nicht lesen. Geschrieben am Bus – und Bettag, dem 20.11.1996