fälschung
Seine Augen waren nicht sehr groß, fast schon zu klein für die Karamellbraune Iris mit den darin vereinzelt grünen Sprenkeln. Die Augenbrauen waren etwas zu kräftig und genauso dunkel wie das Braun seiner etwas zu kurz wirkenden Haare. Seine Haltung war eindeutig militärisch, selbst wenn es jeder Anzug schaffte, die Haltung eines noch so schlappen Mannes optisch zu verbessern.
In dem kleinen Container war seine Anwesenheit etwas ausgesprochen Unangenehmes.
Mit der stickigen Luft und den engen Platzverhältnissen in dieser Metallbox hatte Sabriel schon genug zu kämpfen. Ihr privater Wachhund verbesserte die Situation bestimmt nicht. Wahrscheinlich erging es Simon nur unwesentlich besser. Auch er bekam einen Beobachter abgestellt der genau darauf achtete, dass keine Dokumente Schaden nahmen und das sich der Gast auch als ein solcher benahm und nur das tat, was der liebe Vatikan ihm erlaubte.
Seit dem Tod ihres Vaters war es Sabriel gewohnt unter ständiger Beobachtung zu stehen.
Selbst durch die sie schützende Verlobung mit Duncan in Kindertagen,
unterließen es die Astrons nicht sicher zu gehen, dass Sabriel als Sohn von Raguel weiter lebte. Da sie bereits die Volljährigkeit erreichte, war sie somit nur noch bedingt an die Vorschriften der drei Oberhäupter gebunden. Allerdings eine offene Rebellion dagegen wäre ziemlich dumm gewesen, da Duncan und die alte Gräfin ihr das Tag für Tag eintrichterten. Noch erschwerend hinzukam, dass sich Sabriel in der reinen Frauenrolle gar nicht zurechtfinden würde. Im geschützten Rahmen der Burg von Falkenstein konnte sie sich selbst gegenüber und der Liebe zu diesem eigenartigen verrückten Hahn in aller Ruhe auf den Grund
gehen.
Hier in dem Container fühlte sie sich jedoch dankbar darüber, die Fähigkeit zu besitzen durch das Lesen alles um sich herum ausblenden zu können. Ein gewisser Orell Brenzikofer gehörte zu einer der wenigen Menschen im gesamten Vatikan die herausfinden konnten, dass sie eine Astron war. Immerhin trug er die Verantwortung als "Custos de occulto literae“. Diese Bezeichnung bedeutete, dass er jegliches Wissen über die Magie im Vatikan verwaltete. Diesen Posten erhielten nur wenige Schweizer Gardisten. Die meisten stammten von einer Schweizer Magierfamilie ab, welche bis heute noch im Oberwallischen
Dor Nartres des Kantons Wallis lebten.
Ob dieser Mann über Fähigkeiten verfügte, die dieser magische Bücherwurm fürchten musste, war ihr noch nicht ganz klar. Jedenfalls besaß dieser Orell Adleraugen, und deswegen schaffte sie es nicht ihren Büchergeist loszuschicken. Und dieser Umstand sollte etwas heißen, denn in Sabriels Besitz befanden sich fünf solcher kleinen Geister.
Der lästige Typ mit seiner hellwachen Aura nervte gewaltig. Verspannt reckte sie sich nach drei Stunden der leserlichen Starre etwas, und hielt einige Pergamente von sich weg. Im letzten Augenblick hielt sie sich vom
automatischen Reflex ab ihre Brille abzunehmen. Jedoch stellte dieses hässliche Ding einen guten Schutz vor zu aufmerksamen Augen dar.
"Wenn Sie eine Pause machen möchten, begleite ich Sie gerne nach oben", meinte Orell im Grunde genommen ganz nett, doch leider stand er auf der falschen Seite. Aber Sabriel sprach nicht mit ihm, sie grunzte nur, und beugte sich wieder aufmerksam über das Papier.
Als sie sich nach vorne beugte flackerte etwas auf den Schriftstücken auf, die sie gerade eben von sich streckte. Doch um was es sich genau handelte konnte ihr Geist nicht schnell genug erfassen. Interessiert und wieder vollkommen
konzentriert wendete Sabriel die Blätter hin und her.
Bei diesen Bewegungen betrachtete Orell sie argwöhnisch, und rückte der Astron gefährlich nahe auf die Pelle.
" Haben sie mal ein Handy für mich?", brummte Luca dunkel.
"Wir haben hier unten kein Empfang", antwortete der Gardist trocken
"Ich brauche die Taschenlampe", kam es genervt von Orells Schützling und ihm wurde eine ausgestreckte Hand fordernd unter die Nase geschoben. Da sich Luca nicht vom Papier abwandte und die Sache sich ernst anhörte, reichte der Mann schlussendlich das Handy herüber.
"Was ist das?", entfuhr es Orell, als im
Licht der LED-Lampe winzige Flecken hinter den Buchstaben des Textes aufflackerten
Jetzt lehnte sich Sabriel-Luca weit zurück, um ihren Gedanken mehr Raum für die Entfaltung zukommen zu lassen.
"Es sind Fälschungen. Das Papier scheint echt zu sein, aber es wurden mit einem Federmesser die Schichten des Papiers abgetragen, um neue Daten einzutragen."
"Früher wurde so etwas häufiger gemacht, damit Papier gespart wurde. Es muss also nicht zwangsläufig eine Fälschung sein."
Der Mann neben ihr verfügte über enormes Fachwissen und dass er sich mit alten Texten bestens auskannte, stellte
sich als ein offenes Geheimnis heraus. Eben auch eine ganz entscheidende Grundvoraussetzung um den Posten "Custos de occulto literae" zu erhalten.
"Nicht, wenn der daraus vorgehende Text so interpretiert werden kann, dass Falkenstein in den Vordergrund rückt."
Nun setzte sich Orell neben Luca, und verhielt sich genau wie sein Gegenüber mit Feuer und Flamme für die neuen Erkenntnisse. Mindestens eine Stunde hockten sie schweigend nebeneinander, und sichteten mit dem Handy die Schriften. Das Ergebnis war eindeutig.
"Die Arbeit ist wirklich gut. Bis diese
Texte alle nacheinander durchleuchtet wären nach Vilons Veröffentlichung ...", begann der Gardist zu erklären.
"Wären noch einmal Jahre vergangen."
Nur eine einzige Person kannte Sabriel-Luca die unbemerkt hier reinkommen könnte, um die Dokumente zu fälschen. Diese Alexandra war nicht nur eine hervorragende Diebin, sondern auch eine exzellente Fälscherin gewesen.
"Hier, schau’ dir den Text genauer an. Wenn jemand diese Dinge kritisch betrachtet und noch dazu das gefälschte Papier bemerkt, dann fliegt alles sofort auf. Dem Gardist, den Vilon hier unten bewacht, muss das doch aufgefallen sein. Immerhin waren die hier Wochenlang
zusammen eingesperrt", murmelte Sabriel-Luca, denn immerhin hätte es dem Vatikan ein Vergnügen bereitet den fünf Familien einmal etwas auf den Zahn fühlen zu können.
"Der Gardist musste einen Grund gehabt haben, wieso er nichts sagte."
Darauf grinste Orell etwas zu breit. Dies wirkte wie so ein typisches Männerlächeln, das glasklar zum Ausdruck brachte: Du bist bloß nichts weiter als ein mickriges Würmchen, und ich bin hier der dicke Macker! Genauso sprach er auch: "Vielleicht konnte er Vilon nicht leiden."
Sofort schaltete Sabriel-Luca deswegen: "Sie haben es einen Monat mit dem
Typen ausgehalten, echt voll krass."
"Hätte nicht viel gefehlt, und seine Kauleiste bekäme eine neue Anordnung. Zu seinem Glück wurde ich erst vor zwei Jahren mit meinem jetzigen Posten betraut. Außerdem habe ich jemandem ein..."
Das Karamellbraun in Orells Augen verdunkelte sich. Mit dem Geplauder und einem gemeinsamen Interesse an der Neuentdeckung war es mit einem Schlag vorbei. Ein langes Schweigen auf engstem Raum entstand, und dies schien bald die Stapel von den Büchern näher rücken zu lassen. Beide hörten den Atem des jeweils anderen. Diese Raumnot schärfte die
Sinne der Gegner, und Sabriel saß bis zum Hals in der Tinte.
Beim Aufstehen konnte Sabriel kaum glauben, dass der Mann neben ihr überhaupt in diesen Container hineinpasste. Er dominierte vollkommen die Situation.
"Wenn ich nur den kleinsten Büchergeist hier erwische, sehen sie sich binnen der nächsten Stunde dem heiligen Vater gegenüber und ich kann ihnen versichern, die Falkenherrin wird ihnen dann auch nicht mehr helfen können. Die Büchernase im anderen Container erst recht nicht."
Mit dieser unmissverständlichen Aussage verließ der "Custos de occulto literae"
den Büchertresor.
So fühlte sich also eine Maus, die in eine Höhle mit Löwen geriet.