Der Weg ist das Ziel
„Der Weg ist das Ziel doch wo führt er hin?", der Gedanke kam mir als ich an einem sonnigen, Sonntagnachmittag wieder mein Lauftraining absolvierte. Eine unsichtbare Macht zog mich einmal mehr in die Nähe des Waldes in dem die Klusenkapelle lag.
„Wenn der Weg das Ziel ist wie viele behaupten“, dachte ich mit einem Schmunzeln im Gesicht, bin ich ja jetzt auf der Zielgeraden. Voller Vorfreude lief ich den Abhang hinauf, der zu der kleinen Lichtung führte, auf der die aus dem Mittelalter stammende Kapelle stand. So viele Wege habe ich im Laufe
meines Lebens schon eingeschlagen und musste des Öfteren feststellen, vor allem in jungen Jahren, dass sich Einige als Irrwege entpuppten.
Wie schon bei meinem letzten Besuch stand auch heute die kleine Kapelle da umgeben von goldenem Licht, als strahle sie aus ihrem Inneren heraus. Das Sonnenlicht. welches durch die Äste der Bäume fiel spiegelte sich in den Buntglasfenstern. Als ich dies sah, überkam mich ein Glücksgefühl und eine tiefe Ruhe bereitete sich in mir aus. Aus alten Erzählungen wusste ich, dass früher einige Mönche die Einsamkeit hier gesucht haben um in der
Abgeschiedenheit vom lärmenden Leben, ihre Zeit der Meditation und Gebeten widmen zu können. Vogelgezwitscher drang an mein Ohr und als ich zur Kapelle blickte, sah ich auf der Bank davor, einen Mönch sitzen. Um ihn in seiner Andacht nicht zu stören, setzte ich mich zum Verschnaufen, vorsichtig auf die andere Seite der Bank.
Nach einer ganzen Weile schaute der Mönch mich an und lächelte. Ich erwiderte das Lächeln und spürte plötzlich eine Verbundenheit, in der Ruhe, wie wir da so saßen. Meine Gedanken schweiften zurück und ich dachte:
„Welchen Sinn sahen die Mönche wohl früher in einem Leben der Stille?“
Der Mönch schaute mich an und wies mit einer Hand zu einem Holzfass, das an der Seite der alten Kapelle stand und sagte zu mir:
„Ich zeige es dir, komm bitte mit!“
In dem Moment bemerkte ich, meine Gedanken hatte ich wohl laut ausgesprochen.
Zusammen gingen wir zu dem Holzfass, welches bis zum Rand mit Wasser gefüllt war. Er tauchte seine Hand hinein und bewegte das Wasser bis der Schmutz darin aufwirbelte. Dann sagte er zu mir:
„Schau auf das Wasser, was kannst du
sehen?“
Ich schaute hinein und sagte:
„Nichts kann ich sehen.“
Nach einer geraumen Weile forderte er mich erneut auf, ins Wasser zu sehen und fragte mich:
„Was siehst du jetzt?“
Ich blickte auf das nun ruhende, klare Wasser und sagte:
„Jetzt sehe ich mich selbst.“
Der Mönch schaute mich an und sagte:
„Damit ist deine Frage beantwortet. Als du das erste Mal in das Wasser schautest, war es durch die Bewegung meiner Hand unruhig und du konntest nichts erkennen. - Jetzt ist das Wasser ruhig und das ist die Erfahrung der Stille. Man
sieht sich selbst und oft auch den richtigen Weg, der zum Ziel führt. Ich ließ seine Worte noch in mir nachklingen und wollte mich gerade bei ihm verabschieden als ich bemerkte, dass ich ganz alleine auf der kleinen Bank vor der Kapelle saß.