Dies ist eine Leseprobe zu "Komm mit! Zum großen Schloss."
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Es ist ein schöner Tag in Weitland. Das ist das Land, in dem ihr lebt. Die Sonne scheint fröhlich vom Himmel, weil noch Sommer ist. Überall fliegen Bienen durch die Luft und summen bei ihrer Arbeit.
Die Kinder spielen laut am kleinen See, aber du spielst nicht mit. Immerhin bist du mit Lando verabredet und willst ihn
nicht warten lassen! Ihr seid Geschwister, aber ihr streitet euch fast nie und spielt immer gemeinsam. „Da bist du ja!“, sagt Lando. In eurem Versteck ist es schön kühl. Ihr versteckt euch immer unter einem alten Strauch mit Hagebutten. „Ich gehe bald los“, erzählt Lando weiter und klingt ganz aufgeregt. „Deswegen wollte ich dir ‚tschüß‘ sagen.“ „Wo willst du denn hin?“, möchtest du wissen. Du bist neugierig, was Lando vorhat. Er hat immer viele Ideen, aber er wollte noch nie fortgehen. „Ich gehe los, um den König zu
besiegen“, erklärt Lando dann. Du machst ganz große Augen. „Aber der König ist stark!“, rufst du besorgt. Doch Lando hat die Stirn kraus gezogen. Es ist ihm ernst. Weitland hatte immer einen sehr netten König. Er hat sich gut um die Menschen, die Natur und auch um die vielen Tiere gekümmert, die es hier gibt. Nicht nur um die Schwachen, sondern auch um die Starken. Im Winter hat er immer seine Soldaten geschickt, damit sie die Einhörner im Wald füttern. Und er hat verboten, dass Ritter Drachen jagen. Aber der König hat sich nicht nur immer gut um alle gekümmert, er hatte auch
eine wichtige Aufgabe. Er musste die Magie bewachen. Nur Könige können Magie benutzen. Sie passen auf sie auf und helfen damit ihrem Volk. Im heißen Sommer hat der König Regenwolken gezaubert, damit der Weizen wächst und alle zu essen haben. Ein Mal hat er sogar einen Waldbrand gelöscht und viele Tiere gerettet! Aber der König war schon lange krank und musste irgendwann sterben. Weitland hat jetzt einen neuen König. Er heißt Hagen und ist der Sohn des alten Königs, aber er ist habgierig und egoistisch. Lando hat gehört, dass Hagen
als Kind immer bockig war und alles für sich haben wollte. Jetzt ist Hagen König und behält auch all den Reichtum nur für sich. Viele Menschen müssen Hunger leiden und die magischen Tiere sind verschwunden. Sie haben sich versteckt, weil Hagen kein netter König ist. Aber das schlimmste ist, dass Hagen auch die Magie für sich allein behält. Er hilft nicht den Feldern und auch nicht den Wäldern, sondern immer nur sich selbst. Die Menschen sind böse auf Hagen, aber sie trauen sich nicht, mit ihm zu sprechen. „Wer den König besiegt, der wird selbst König“, erklärt Lando und schaut immer
noch ernst. „Das sagt doch Mama immer.“ „Aber du bist erst zehn“, antwortest du traurig. „Hagen ist erwachsen. Wie willst du ihn besiegen?“ Lando steht auf und holt etwas aus dem Busch. Du guckst ihm neugierig über die Schulter. „Was ist das?“, fragst du. Lando hat ein Schwert aus Holz hervorgeholt und dazu einen Schild. „Der Älteste hat sie mir an meinem Geburtstag geschenkt“, sagt Lando. „Sie sind nur aus Holz, aber ich will versuchen, Hagen zu besiegen.“ Ganz erstaunt schaust du ihn an. Lando will wirklich ganz alleine gehen! Du
bewunderst seinen Mut. Aber du willst auch helfen. Immerhin bist du auch mutig! „Ich komme mit“, versprichst du. „Ich helfe dir.“ „Aber Mama ist ganz traurig, wenn wir beide gehen.“ Lando sieht traurig aus. „Aber wenn wir beide gehen, kommen wir schneller wieder“, sagst du und überlegst kurz. „Glaube ich.“ „Du hast Recht“, sagt Lando. Jetzt strahlt er über‘s ganze Gesicht. „Du hast ja auch ein Schwert!“ Das stimmt. Du hast es zu Weihnachten bekommen, um zu üben. „Ich will auch Papa suchen“, versprichst
du dann. Papa ist eine Wache im Schloss von Hagen. Aber seit Hagen König ist, hat er keine Briefe mehr geschrieben. „Vielleicht sitzt er im Kerker!“, sagt Lando erschrocken. „Wir müssen ihn befreien!“ Lando streckt die Hand in die Luft. Du schlägst mit ihm ein und es klatscht laut im Gebüsch. „Morgen früh gehen wir los“, meint Lando und dann: „Wir sagen keinem was, sonst halten sie uns auf.“ „Vielleicht kommen wir als Könige zurück!“, freust du dich. Ihr lacht zusammen. Dann spielt ihr, bis es dunkel ist. Morgen beginnt immerhin eure
Reise!
Lando weckt dich ganz früh morgens. „Psst. Aufstehen!“, flüstert er. Du bist verschlafen und reibst deine Augen. Aber dann bist du auch schon aufgeregt, denn es geht jetzt los. Leise stehst du auf und ziehst dich an. Lando ist auch schon fertig und gibt dir deine Jacke. Dann schnallt er sein Schwert und seinen Schild um. Du kletterst unter das Bett und suchst dein eigenes Schwert. Es ist ein bisschen staubig, das ist dir peinlich. Als du es umgeschnallt hast, schleichst du mit Lando zur Tür. „Warum geht ihr fort?“, will Mama da
plötzlich wissen. Sie hat wohl nicht geschlafen. Euer Plan ist danebengegangen! „Mist“, flüstert Lando. Du kicherst, weil ihr eigentlich nicht fluchen dürft. „Kommt her, ihr beiden“, bittet Mama. Sie liegt im Bett, zündet aber eine Kerze an. So könnt ihr alle etwas besser sehen. Brav geht ihr zu ihrem Bett. Sie streckt sich, um deine und Landos Hand zu greifen. Sie drückt sie ganz fest. „Ich weiß, was ihr vorhabt“, erklärt Mama. Lando macht einen offenen Mund. „Woher denn?“, willst du wissen. „Ich bin eure Mama“, antwortet sie. „Ich weiß, was meine Kinder
machen.“ Das ist dir ein Rätsel. Wie macht sie das nur immer? Lando schaut dich kurz an. Er versteht es auch nicht. „Ihr wollt zum König und Papa suchen“, sagt sie. Lando lässt den Kopf hängen und nickt. „Wir müssen doch allen helfen!“, sagst du, „Bitte lass uns gehen!“ Mama sieht ganz nachdenklich aus. Sie macht sich große Sorgen. Das tun Mütter immer. „Ihr wolltet euch wegschleichen“, sagt sie betrübt. „Also geht ihr sowieso. Auch wenn ich es nicht erlaube.“ Sie setzt sich hin und öffnet die
Schublade vom Nachttisch. „Nehmt diese Tränke mit.“ „So viele!“, staunt Lando. Mama ist die Kräuterfrau vom Dorf. Sie ist sehr angesehen, weil sie alle Menschen gesund macht. Jeder, der Schmerzen hat, kommt zu ihr. Früher hat Mama immer Kräuter und Gräser im Wald gesammelt. Aber seit die Tiere fort sind, ist der Fluss in den Bergen ganz trocken. Es regnet auch nicht oft. Deswegen sind die Felder ganz gelb. Das Gemüse leidet Durst und mag nicht wachsen. Nur der Weizen wächst, aber Mama verträgt Weizen nicht gut. Deswegen liegt sie oft im Bett und hat
Bauchweh. „Ich kann leider nicht mit euch gehen“, sagt Mama leise. „Aber meine Tränke helfen euch.“ Im Schrank sind ein blauer, ein roter und ein grüner Trank. Lando packt zwei in seine Tasche und gibt dir den dritten. „Wofür sind die gut?“, willst du wissen. „Das müsst ihr entscheiden“, sagt Mama. „Die Tränke helfen euch, wenn ihr in Not seid.“ Sie nickt zufrieden. „So kann ich aus der Ferne auf euch aufpassen.“ Mit Mamas guten Wünschen schleicht ihr aus dem Dorf, um allen zu helfen. Am Anfang seid ihr ganz verwirrt, denn
ihr habt ja keine Karte. Lando hat das Dorf noch nie verlassen. Du auch nicht. Als die Sonne aufgeht, esst ihr euer Frühstück auf einem Stein. Landos Tasche ist voller Brot. Du hast Wasser dabei und Süßigkeiten. „Wollen wir in die Berge gehen?“, fragt Lando. Ihm fällt Brot aus dem Mund und du musst lachen. „Die Berge können wir sehen“, freust du dich. Am Horizont sieht das Gebirge aus wie ein großer Felsen. „Und aus den Bergen kommt das Wasser“, sagt Lando nachdenklich, „Vielleicht können wir es wiederbringen!“ Also geht ihr nach dem Essen zum
Gebirge. Ihr seid fest entschlossen. Aber bald wird es immer steiler. Das Gebirge ist schräg und ihr müsst bergsteigen. „Das macht keinen Spaß!“, schimpft Lando. Er ist ganz außer Atem. Irgendwann benutzt er sein Schwert als Wanderstock. Das Klettern macht dir Spaß, aber du bist auch schnell müde. Es ist schon Nachmittag, als ihr oben angekommen seid. „Schau mal“, sagt Lando und zeigt mit dem Finger geradeaus, „Da ist der Fluss.“ Er ist ganz ausgetrocknet und sieht aus wie eine Spur im Erdboden. Lando
klettert hinein und hat seine Erschöpfung fast vergessen. „Wie eine große Schlange!“, freust du dich. Das ausgetrocknete Flussbett sieht wirklich so aus! Aber es macht dich auch traurig. Wegen des trockenen Flusses hat Mama Bauchschmerzen. „Wie bringen wir das Wasser jetzt zurück?“, fragt Lando ratlos. „Wir können dem Fluss nachgehen“, schlägst du vor. „Vielleicht finden wir dann was.“ Ihr geht nebeneinander her und erzählt euch Witze. Den ganzen Tag laufen ist anstrengend, aber nicht langweilig. „Gut, dass du mitgekommen bist!“, sagt
Lando. Er freut sich über eure Reise. Du lachst und kneifst seinen Arm ein bisschen. Du freust dich auch, aber es ist dir peinlich.
Der Fluss ist groß und sehr lang. Als es dunkel wird, lauft ihr immer noch. Die Sterne leuchten am Himmel, aber Lando fällt hin. Ihr könnt nichts mehr sehen, denn ihr habt die Fackeln zu Hause vergessen.
„Aua“, motzt er und reibt sein Bein.
„Lass uns schlafen“, sagst du deswegen. „Morgen gehen wir weiter.“
Ihr habt Decken dabei, damit ihr nicht friert. Zugedeckt schlaft ihr im Flussbett, bis die Sonne euch weckt.
„Also wo ist denn nun das Wasser?“, fragt Lando ungeduldig. Ihr habt gegessen und lauft dann weiter. Die Sonne scheint heute auch und ihr schwitzt im kahlen Flussbett, denn es gibt kaum noch Bäume. Deswegen fehlt der Schatten und der Boden ist ganz ausgetrocknet. „Bestimmt am Ende des Weges“, vermutest du, aber eigentlich weißt du es nicht. Bisher ist das Wasser noch nie verschwunden. Daran ist nur Hagen schuld! Der Weg ist lang und wird immer steiler. Ihr schnauft und pustet und schwitzt,
aber irgendwann könnt ihr ein Tal sehen. Der Flusslauf geht genau hindurch, fast wie eine große Straße. Hier gibt es sogar ein paar kleine Blumen und einen Strauch mit Johannisbeeren. Du pflückst welche und gibst Lando eine Handvoll ab. Sie sind süß und kleben auf deiner Zunge, aber sie löschen auch deinen Durst. Irgendwann bleibt Lando plötzlich stehen. Du merkst es erst gar nicht und gehst weiter. Dann drehst du dich endlich auch um. „Bist du müde?“, fragst du. „Nein“, erwidert Lando. „Hast du das nicht
gehört?“ „Was denn gehört?“ Verwirrt wartest du auf Landos Antwort, aber dann hörst du es auch. Ein tiefes Brummen zieht durch die Luft und lässt den Boden vibrieren. Sogar die kleinen Steine auf der Erde tanzen ein bisschen, aber das Geräusch scheint weit weg zu sein. „Was war das?“, fragst du ängstlich. Irgendwie klingt es unheimlich. „Keine Ahnung“, antwortet Lando und macht große Augen. „Sollen wir nachsehen?“ Das Brummen wird plötzlich lauter. Du klapperst mit den Zähnen. „Bist du sicher?“, fragst du
vorsichtig. „Na klar! Wir sind doch Ritter!“ Lando läuft schon los. Du überlegst, folgst ihm aber. „Wir dürfen keine Angst haben!“, fügt Lando hinzu. Das macht dir auch etwas Mut. Zusammen rennt ihr den Flusslauf entlang, bis ihr eine kleine Klippe erreicht. „Wir müssen da hoch. Dann sehen wir besser!“, ruft Lando und fängt an zu klettern. „Schon wieder klettern?“, stöhnst du. Dir tun noch von gestern die Füße weh! Die Steine sind spitz an deiner Hand, aber es geht. Lando ist zuerst oben, denn
er kann besser klettern. Dafür gewinnst du immer eure Wettrennen. „Woooow!“, ruft er ganz erschreckt zu dir runter. „Komm schnell, das musst du sehen!“ Lando zieht an deiner Hand, um dir rauf zu helfen. Hier oben wird dir fast schwindlig, so hoch seid ihr geklettert! Aber schnell siehst du, was Lando dir zeigen will. Im Tal unter euch sitzt ein riesengroßes Tier. Es hat grüne Haut und große Flügel, die Schatten auf die Erde werfen. „Das ist ein Drache!“, staunst du mit offenem Mund. „Ich habe noch nie einen gesehen“, freut sich Lando. „Immer nur in Mamas
Märchenbüchern.“ Das laute Brummen kommt von dem Drachen. Es ist sein lautes Atmen und Brüllen. „Den sollten wir nicht stören“, sagt Lando ernst. „Sonst wird er vielleicht wütend.“ „Warte“, hältst du deinen Bruder auf, weil er schon wieder herunterklettern will. Dabei zeigst auf den Drachen. „Da ist noch was!“ Direkt vor ihm stehen drei Männer. Du hast sie vorher gar nicht bemerkt, weil du so beeindruckt warst. Sie stechen und pieken den Drachen mit ihren Lanzen. „Was machen die da?!“, ruft Lando ganz entsetzt. „Sie ärgern den
Drachen!“ „Vielleicht haben sie ihn gejagt ...“, flüsterst du. „Hagen verbietet das doch nicht mehr.“ „Wir müssen ihm helfen!“, verlangt Lando. „Schnell!“ Er zieht schon sein Schwert. „Aber das sind drei gegen zwei“, sagst du. „Und sie haben echte Waffen aus Stahl.“ Lando sieht wütend aus. „Dann müssen wir sie vertreiben“, überlegt er. Sein blondes Haar ist vor Zorn ganz verschwitzt. „Hast du eine Idee?“, fragt Lando eilig. Zusammen steht ihr auf dem Berg und denkt angestrengt nach. Der Drache
brüllt, aber er wehrt sich nicht. Du fragst dich, wieso. „Ich hab‘s!“, ruft Lando endlich und schlägt sich in die Hand. „Das ist eine tolle Idee!“ „Welche?“, fragst du neugierig. „Sag‘s mir!“ „Komm mit“, verlangt Lando und zieht dich nach rechts. Hinter einem großen Stein geht ihr in Deckung, damit die Soldaten euch nicht sehen. „Mach es mir einfach nach“, verlangt Lando. Dann legt er seine Hände an den Mund und formt einen Trichter. Neugierig schaust du ihm zu. Erst holt er nur tief Luft, aber dann streckt er den Kopf und entlässt ein lautes Brüllen.
Durch seine Hände und die Berge schallt seine Stimme fast so laut wie die des Drachen! Du lachst und machst mit, weil es Spaß macht, Drache zu spielen. Zusammen brüllt und knurrt ihr, bis einer der Soldaten anfängt zu sprechen. „Hörst du das?“, fragt er die anderen Männer. „Da kommen noch mehr Drachen!“ „Mist, das sind zu viele!“, schimpft der zweite Mann. „Hauen wir schnell ab!“ Du bleibst mit Lando hinter dem Felsen sitzen, bis die Luft rein ist. Dann schaust du hervor und siehst die Männer noch weglaufen. „Wir haben es geschafft!“, freust du dich dann. „Sie sind
fort!“
„Juhu!“, jubelt Lando und springt auf. Er hält seine Hand hoch und ihr schlagt ein. Was für ein Abenteuer!
„Jetzt ist der Drache sicher“, meinst du. Aber Lando schüttelt den Kopf.
„Lass uns nach ihm sehen“, bittet er dich. „Vielleicht braucht er ja Hilfe.“
„Na gut“, stimmst du zu. „Ich wollte auch schon immer mal einen aus der Nähe sehen.“
Also klettert ihr von der Klippe runter und geht zu dem Drachen.