Bei den Sieben Todsünden handelt es sich um sieben Charakterzüge, für welche man laut des Katechismuses für alle Zeiten in der Hölle schmort. Aber bei der katholischen Kirche kommt man ja eh für jeden falschen Schritt in die ewige Brutzelstube, von daher scheint es nicht so wichtig zu sein. Und wer hat heute schon noch Angst vor der Hölle, wenn man sich vor Augen führt, dass man ohne mindestens vier dieser Eigenschaften nicht einmal die heutige Grundschule lebend übersteht.
Die Ursprünge dieses Lasterkatalogs liegen in der frühen christlichen Kirche. Wenn mein Oberstübchen richtig möbliert ist, war es Papst Gregor I. (circa 540 bis 604), der die heute noch gebräuchliche Liste formulierte. Vielleicht sollte sich das göttliche Bodenpersonal im 21. Jahrhundert mal mit einer Überarbeitung befassen. Mord, Ehebruch, der komplette Abfall vom Glauben – das sind die schlimmen Sünden, aber selbst die können nach christlicher Lehre vergeben werden. Da hätte sich Moses das Behauen der Steintafeln sparen können. Wobei die hatte er ja eh nach der polnischen
Debatte auf dem Berg Sinai mit dem großen Chef gleich wieder zerstört. Meine Güte, von diesen Gedanken bekam ich Kopfschmerzen. Etwas frierend stand ich vor einem erloschenen Kamin. Seit Monaten war dieses Haus nicht mehr bewohnt. Die Möbel waren mit Malerfolie abgedeckt, jedoch nur um die Kostbarkeiten nicht verstauben zu lassen. Ich war eindringlich von der Maklerin gebeten worden, nichts in der Immobilie anzufassen. Wahrscheinlich würde mich dann der luzerische Zorn der Besitzer treffen und sie mich aufgrund ihrer Habgier wie die Löwen
zerfleischen. Himmel, was waren das nur für Synapsenzerrungen heute? Mir gefiel die alte Villa nicht. Mochte sein, dass ich in einem schicken Wohnviertel in Bad Homburg stand, in einem Gebäude, das mehr als der gesamte Wareneinsatz meiner Goldschmiede eines Jahres kostete, gefallen musste mir die Bude deswegen nicht. Es geschah mir schon ganz recht. Weswegen hatte ich nur solange gebraucht, um meinen Zorn in Griff zu bekommen? Hätte ich den Verrat des wollüstigen Monsters eher begriffen, dann hätte ich mir nicht einige mörderische Dinge einfallen lassen, um
einen Exfreund aus dem Leben zu katapultieren. Ziemlich hochmütig von einem sozialen Wesen wie mir, glauben zu können, den perfekten Mord zu inszenieren. Über meinem Kopf flammte Licht auf. Die Maklerin hatte den Sicherungskasten gefunden. Glück für sie. Pech für mich. „So, Frau Rosenbaum, jetzt können wir uns in aller Ruhe das Objekt ansehen“, freute sich die ältere Dame, deren Lächeln mir sagte, dass sie mich heute zu ihrer besten Freundin erklären würde, wenn ich einen Vertrag unterschriebe. Inständig hoffte ich, dass diese Frau nicht in ihrem früheren Leben Staubsaugervertreter gewesen war. Das
Ding zu kaufen, würde bedeuten, ewig auf Melanies leckeres Essen zu verzichten. Meine Göttin der Völlerei war zwar an dem ganzen Dilemma hier schuld, aber es diente auch einem guten Zweck. Während ich mir die Küche und die Versorgungseinheiten des Hauses zeigen ließ, dachte ich an den Mann, der hier zweiunddreißig Jahre fast völlig alleine gelebt hatte. Alleine die drei Meter hohen Decken ließen mich mein Zimmer in der WG vermissen. Für Kinder empfand ich mich viel zu jung und von Männern wollte ich vorerst nichts wissen. Dafür liebte ich meine bunte Würfel-Familie. Auch wenn mir
Melanies und Janniks Geturtel ab und an auf den Wecker ging oder Sarah einen mit ihrer morgendlichen Trägheit in den Wahnsinn treiben konnte, so verstanden wir uns doch gut. Der Mann, der hier lebte, lag seit einiger Zeit bei Melanie im Krankenhaus. Seine Lunge war durch eine verschleppte Lungenentzündung massiv geschädigt. Es sah nicht gut aus. Dabei war deutlich, dass er dieses Haus, in dem ich nun stand, nie wieder betreten würde. Er hatte bereits zu stark abgebaut, um noch einmal in sein altes Leben zurückkehren zu können. Auch wenn er viel Geld hatte, so konnte man sich weder Gesundheit noch Familie kaufen. Und genau das war
der Grund, weswegen ich mich hier als potenzielle Käuferin ausgab. Von einem Fenster im ersten Stock sah ich auf den etwas verwilderten Garten. Lediglich ein kleiner Bereich nahe der Terrasse war geordnet, etwas gejätet und das Feuerholz war sauber aufgeschichtet. „Weshalb steht das Haus nun leer?“, fragte ich etwas ganz Typisches, um als Käuferin einzuschätzen, ob nicht zunehmender Verfall der Grund war, weswegen dieses Haus veräußert wurde. Vom Geruch her würde es eine ganze Weile dauern, bis ich mich hier etwas heimisch fühlen konnte. „Um ehrlich zu sein, es sind Erbstreitigkeiten. Das Haus wurde
bereits an die Kinder des eigentlichen Eigentümers überschrieben. Er hat hier aber noch lebenslanges Wohnrecht. Jedoch liegt dieser bereits im Sterben. Ein solches Haus in dieser Gegend leer stehen zu lassen, ist totes Kapital. Sie verstehen?“ „Das tue ich sehr gut“, antwortete ich trockener, als es mir lieb war. Drei Kinder und sie stritten sich um Geld wie die Geier um einen frischen Kadaver. Bei allem Luxus das Geld einem bieten konnte, auf so ein Leben könnte ich niemals eifersüchtig sein. „Gibt es viele Interessenten für das Haus?“ Meine kühle Art ließ die Dame in ihrem
grauen Kostüm etwas frösteln. Vielleicht war es aber nur der Zug des Kamins, der sie zittern ließ. Wir sahen uns direkt an und ich ließ ihr nicht die Gelegenheit zum Lügen. „Wissen Sie, der Name dieser Familie ist hier bekannt...“ „...und niemand will deswegen in diesem Haus leben. Mord? Totschlag? Drogenhandel?“ „Strenges Elternhaus“, schoss es mir entgegen, als das Thema der Maklerin zu heiß wurde. „Ich verstehe, ein Klassiker“, erwiderte ich nüchtern und meine Gedanken kreisten. Vom Hauptschlafzimmer aus ging es
hinunter zur Terrasse. Von Interesse für mich waren im Garten der Schuppen und vorhandenes Gartenwerkzeug. Sollte es jemals dazu kommen, dass ich mich um eine Fußballmannschaft an Kindern kümmern würde, hier hätten die Kleinen ein ganzes Feld zum Austoben gehabt. Hierbei sah ich nicht ein Anzeichen dafür, dass es hier jemals Spielsachen gegeben hatte. Der Garten war gepflegt worden, ebenso wie das Haus, jedoch war niemals darin gespielt oder gelebt worden. Alles war auf Status aufgebaut worden. Jetzt im kalten Frühjahr, in dem keine Pflanzen und Blumen diese Oberflächlichkeit verdecken konnte, wirkte der Ort ähnlich krank wie
Melanies Patient. Schwach und seiner Lebensgeister beraubt. Von der Terrasse ging es in den Wintergarten. Auch hier gab es eine Feuerstelle. Dieses Mal aus Metall gefertigt und nicht gemauert. Die Glastür war mit Ruß bedeckt, der Sessel umringt, von Zeitschriften und Büchern. Nachdenklich stellte ich mich an den Lieblingsplatz des Hausherren. „Im ganzen Haus gibt es fünf offene Kamine. Dieser hier wurde nachträglich eingebaut.“ Die Marlerin blätterte hektisch in ihren Unterlagen. Anscheinend hatte sie Probleme mit meinen strengen Blicken. „Erst im Herbst eingebaut. Er hat also
noch Garantie.“ Ich öffnete die Ofentür, besah mir den halb verbrannten Inhalt. Danach fielen meine Augen auf den Korb mit dem Brennholz. Auf mein herzerweichendes Schnaufen regierte die Maklerin sofort. „Ja, das Holz schlagen, für sechs Öfen, ist harte Arbeit. Aber selbst die Kinder des Hausherren haben dieses Jahr geholfen, das ganze Holz aufzusetzen. Sie werden den nächsten Winter wohl noch kein Holz schlagen müssen, um es sich hier gemütlich zu machen.“ „Wohl kaum!“ Ich richtete mich auf und meine Blicke schienen die Frau erneut zu verunsichern. Noch während die Dame
versuchte, mich zu durchschauen, zog ich bereits mein Handy aus der Tasche und wählte. Als sie mich etwas fragen wollte, hob ich meine Hand und wandte mich ab, denn Melanie war bereits zu hören. „Okay, ich bin durch. Sag dem Labor Bescheid, sie sollen nach Ploymerfieber Ausschau halten!“ „Nach was bitte?“ Zu Melanies Verteidigung sollte gesagt sein, dass sie Anästhesiekrankenschwester war und ihr verschiedene Krankheitsbilder deswegen nicht geläufig waren. Sie hatte auch nur von dem alten Mann erfahren, weil bei einer Party von Freunden gestürzt war und mit einem Oberschenkelschaftfraktur
zu ihr auf die Station gekommen war. Normalerweise werden solche Verletzungen schnellstmöglich operativ versorgt, jedoch nur, wenn die Werte des Patienten einen solchen Eingriff zulassen. Was bei ihm nicht der Fall war. Jetzt war er sowieso zu schwach, um eine OP noch zu überstehen, und wurde palliativ mit Schmerzmitteln versorgt. Melanie war wegen des eigenartig Verhaltens des ersten Sohnes stutzig geworden, weil dieser sich gewundert hatte, dass er wegen einer Fraktur und nicht wegen des Kreislaufes eingeliefert worden war. Gleichzeitig schien er erleichtert gewesen zu sein, dass eine OP nicht möglich war. Die Streitigkeiten
unter den Geschwistern waren in den folgenden Tagen Gesprächsthema auf der orthopädischen Station gewesen. „Eine Erkrankung beim Menschen, die durch giftige Verbrennungsprodukte von Fluorpplymeren entsteht. Die meisten bekannten Fälle betreffen Industriearbeiter, oft nach dem Rauchen von kontaminierten Zigaretten. Neben den namensgebenden grippeähnlichen Allgemeinsymptomen wie Fieber und Schwächegefühl kommt es durch eine Reizung der tiefen Atemwege und Alveolen zu Atembeschwerden mit Röntgenzeichen ähnlich der Pneumonie. In schweren Fällen kann ein Lungenödem
entstehen.“ Ich wurde wie der Leibhaftige in persona angesehen. Die Maklerin schien abzuwägen, was sinnvoller war, die Polizei zu rufen oder die verdeckten Kamera zu orten. „Der Mann ist Finanzbuchhalter. Der hat nie eine Fabrik von innen gesehen. Ist das Haus vielleicht mit Asbest verseucht?“, schallte aus dem Handy und mein anderes Ohr wurde von der Maklerin zu gedröhnt. „Das ist ein mehrfach saniertes und auf den neusten Stand gebrachtes Backsteingebäude. Hier gab es noch nie Asbest!“ Wow, die Frau besaß fast ein besseres
Organ als mein Muttertier auf der anderen Leitung. „Ist ja gut, ich habe es verstanden. Mit was für einer Vettel bist du denn unterwegs?“ Noch ehe sich die beiden Unbekannten über mein Trommelfell hinweg zerfleischten, fuhr ich mit meinen Ausführungen fort: „Die Vergiftung fand über das Brennholz statt.“ „Über das Brennholz?“, kam es unisono von zwei Seiten. Ich rollte mit den Augen. „Meine Damen, meine Ohren bitte, wäre etwas mehr Aufmerksamkeit im Rahmen der Etikette möglich?!“ „Entschuldigung!“ Wieder kam es
gleichzeitig an meine Ohren, dieses Mal aber reumütig. „Irgendwer wollte hier ganz schlau sein. Es gibt Holzsorten, welche aufgrund ihrer enthaltenen Öle nicht zum Verbrennen geeignet sind. Dazu gehören Akazie, Eiche, Stechpalme, Lebensbaum und Eibe. Eibenholz habe ich vermehrt im Schuppen und auf der Terrasse gefunden. Im Garten stehen noch einige junge Bäume, andere wurden erst vor Kurzem abgesägt.“ „Reicht denn das Verbrennen von Eibenholz aus, um ein Atemgift freizusetzen?“ „Bei sechs Kaminen im Haus von der Größe“, beantwortete die Maklerin der
Unbekannten, doch ich widersprach. „Der gedankliche Ansatz war gut. So hätte es wie ein Unfall aussehen können, wenn man die Lungenerkrankung früher entdeckt hätte. Aber und das ist der entscheidende Beweis: Die Holzscheite sind mit einem flüssigen Polymer getränkt worden. Von außen sieht es wie ein Baumharz aus, aber im gesamten Haus hängt der Geruch von verbrannten Plastik. Außerdem steht ein Kanister mit Polymerflüssigkeit in einem der Schuppen. Der Kamin, der hier zuletzt eingebaut worden ist, ist mit Glas versehen und hat kaum Rauchbildung. Bis zum Schuss hat der Hausbesitzer dort die meiste Zeit verbracht. Ich gehe davon
aus, dass er bemerkt hat, dass ihm der Rauch des Holzes nicht mehr guttut.“ „Ich habe verstanden. Ich sage im Krankenhaus Bescheid“, bestätigte mir Melanie und wollte schon auflegen, da hielt ich sie noch einmal zurück. „Warte noch, ruf bei Kommissarin Anvenius an. Hierbei handelt es sich eindeutig um Mord. Auch wenn das Opfer bis jetzt noch am Leben ist, so gilt es immer noch als Mord, wenn der Tod innerhalb eines Jahres aufgrund der begonnen Taten eintritt.“ Und dieser Mann hatte vielleicht noch ein paar Wochen zu leben. „Ins Auge gefasst werden sollen Personen, welche sich im Hebst der
letzten zwei Jahre beim Schneiden von Holz betätigt haben.“ Mein Muttertier bejahte noch ihre Aufgaben und legte danach auf. Ich steckte mein Handy ein und schloss angewidert die Glasfront des Kamins. „Können wir bitte gehen?“, fragte ich etwas angespannt, denn von den Erkenntnissen meiner Entdeckungen pulsierte das Adrenalin noch immer in meinen Adern. Die Maklerin schien aus einer Art Trance zu erwachen und schüttelte verwirrt den Kopf. „Ja, natürlich. Aber können Sie mir noch sagen, wer oder was Sie eigentlich
sind?“
Ich blinzelte und sah sie mit einer verständnislosen Unschuldsmiene an.
„Ich? Ich bin Goldschmiedin.“
Bleistift "Nur ein Verdacht..." Also, wenn sich golddängelnde Hobby-Kriminalisten mit fundierten Kenntnissen von organischer Chemie auf eine designierte Mörderjagt begeben, dann sollte man sich als Täter offensichtlich lieber schon mal richtig warm anziehen und nicht darauf hoffen, dass ihn die Kaminwärme einer alten Villa schon wieder irgendwie beleben würde, ganz im Gegenteil... ...grinst* Allerdings darf man selbst als Polizist nicht auf eine Mörderjagt gehen, wenn der Mord noch gar nicht passiert ist... ...grinstlauter* LG Louis :-) |
silberfunke Mir gefallen deine Kommentare immer wieder gut. Vielen Dank LG Silberfunke |