die wette
Ich stand draußen vor dem Café und wusste nicht so recht, in welche Richtung mich meine Füße tragen sollen. Um der Rettung meiner Nerven zu gewehrleisten, wäre die Richtung Tunneldurchgang Bienenmarktparkplatz das Sinnvollste. Dahinter befanden sich diverse Discounter, in denen ich alles für das übermorgige Abendessen einkaufen könnte. In der entgegensetzten Richtung befand sich meine Arbeitsstelle und davor das Teehaus. Vielleicht sollte ich Melanie mal wieder einen guten Tee
mitbringen. Noch einen Sprung über den Marktplatz und ich konnte in der Kaffeerösterei am Eck für Sarah etwas Leckeres besorgen.
Von außen lachte mich die Kuchenvitrine an, aber ich stand zu weit weg, um zu erkennen, welche Leckereien im Michelstädter Café meines Vertrauens auf mich warten würden. Als würde gegen mich eine Verschwörung laufen, pries zu meinem Unglück ein Schild frischen Zwiebelkuchen und Federweißer an. Auch die Tatsache, dass heute Abend Melanie nicht kochen und Sarah zu 200 Prozent Tiefkühlpizza aufbacken würde, brachte mich meinem nervlichen Ruin immer
näher.
Nur wenige Schritte und eine sehr große Glasscheibe von mir entfernt, sah ich in meinem Lieblingscafé meinen privaten, übermäßig theatralischen pseudo- Bühnenkomödianten und Drehbuchautoren sitzen. Dessen Begleitung war mir auch bestens bekannt, und diese unglückselige Kombination verursachte bei mir neuropsychologische Störungen.
Ich mochte Levi wirklich. Nur hatte ich die beiden noch nie in trauter Zweisamkeit beieinander sitzen sehen. So wie sich die beiden Männer verhielten, diskutierten sie über eine sehr heikle Angelegenheit. Während
Anton immer wieder auf seinen Freund einschwardonierte, schüttelte Levi ebenso fleißig, aber sehr gemäßigt den Kopf.
Als wäre sie Brutus, der dem Senat half, Cäsar zu stürzen, winkte die Besitzerin des Cafés mir von der Theke her zu, und die Männer erkannten ihre Beute. Mein einziges Glück an dieser verheerenden Situation war nur, dass Anton und Levi Kugelschreiber und ihren Mund als Waffe nutzen. Wobei man auch jemanden mit einer Kuchengabel erstechen konnte oder die Zunge des Sprechers nur scharf genug war, um verletzend zu treffen.
Freundlich trotz der Verunsicherung, weswegen Levi heute an unserem
kreativen Termin teilnahm, begrüßte ich die beiden Männer.
„Ah, mein Goldkind, was hattest du da draußen so lange zu suchen? Hast du auf die Muse gewartet, die dich küssen kann?“, scherzte Anton, blieb aber sitzen, weil er ganz hinten in der Ecke der Bank saß.
Das Andeuten der Höflichkeit zum Grüßen aufzustehen, hätte das Verschütten von Cappuccino zur Folge gehabt. Zur Ehrenrettung nahm mich dafür der Holländer in den Arm. Allerdings beließ es Levi bei einem „Schön, dich zu sehen, Luisa“.
„Okay, Männer, was wollt ihr von mir?“, forderte ich, weil ich es einfach hinter
mich bringen wollte.
Anhand des Gespräches, welches ich von außerhalb hatte beobachten können, war ich mir ziemlich sicher, dass die Männer von mir keine eigene Partnerringe angefertigt haben wollten.
Ich mochte Levi, er war sehr nett und mir gefiel sein holländischer Akzent gut. Wahrscheinlich hatte es sich dieser Mann zur Lebensaufgabe gemacht, mit kleinen Sätzen sein Umfeld auf liebenswerte Art und Weise zum Schmunzeln zu bringen. Aber, und das war entscheidend, hatte er sich noch nie in die Arbeit seines künstlerischen Freigeistes von Lebensgefährten eingemischt. Ähnlich wie mein Muttertier Melanie versuchte
der Mann, mich von der kriminellen Seite der Menschen fernzuhalten.
„Nun setzt dich doch erst mal, mein Goldkind“, beschwichtigte mich Anton, allerdings ohne Erfolg.
„Das Goldkind korrodiert gleich und erinnert dich allzu gerne an die biomechanischen Auswirkungen innerhalb deines Magendarmtraktes von Sennablättern und Johannisbrotkernmehl im Schokoladenkuchen, wenn ihr nicht augenblicklich ausspuckt, warum ihr beide hier zu zweit sitzt.“
Die Gesichtsfarben beider Männer wurden schlagartig weiß. Sie erinnerten sich noch an den abführenden Kuchen, den sie schon mal von mir gekostet
hatten, weil ich ohne Erlaubnis zu Antons Schreibhilfe nominiert worden war.
„Luisa, bitte, wir wollen dich nicht ärgern. Anton und ich hatten die letzten Tage ein Streitthema und damit wir dieses beilegen können, benötigen wir dich, mein Schätzchen.“
Eine Augenbraue von mir verselbständigte sich in Richtung meiner Stirnfalten.
„Es ist vollkommen harmlos“, versuchte Anton glaubhaft zu machen. Als geborener Theatraler bezweifelte ich von daher seine Aussage.
„Liebe Luisa, zwischen mir und meinem Paradiesvogel hier besteht nun eine
kleine Wette. Sollten wir beide bezüglich deiner Aussage falschliegen, so werden wir deine Rechnung hier bezahlen. Wir haben uns das gut überlegt. Wir beide schätzen deinen klugen Kopf.“
Meine Laune wurde nicht besser, das sahen beide Herren an meinem Gesicht. Weil Levi aber so lieb mit seinen Augen klimpern konnte und sich die zwei wohl wirklich Gedanken gemacht hatten, ob sie mich in ihr Streitthemen mit einbeziehen sollten oder nicht, ließ ich mich darauf ein.
Ich atmete durch, ließ ergebenst die Schultern hängen und erwartete das Damoklesschwert über mir.
„Wir beide sind auf deine verschiedenen
Methoden zu sprechen bekommen, welche du dir ausgedacht hast, um deinen Exfreund zu erledigen...“
Ich schnappte nach Luft und biss die Zähne zusammen. Die Männer schienen unsere Freundschaft heute ernsthaft auf die Probe stellen zu wollen. Das war ganz dünnes Eis, auf dem sich Levi hier bewegte. Wahrscheinlich kam ihm deswegen Anton auch zur Hilfe.
„Aber wir sind uns uneinig, ob du den Klassiker des Giftmordes eingeplant hattest. Arsen ist in vielen Romanen ein Schlüsselbegriff. Auch in der Menschheitsgeschichte immer wieder anzutreffen. Da liegt es doch nahe, dass du ein oder zwei Tricks kennst, wie man
damit einen unliebsamen Unhold aus dem Sozialleben tilgen kann.“
DAS war ganz dünnes Eis mit heißes Sohlen, auf dem sich die beiden bewegten.
„Also, damit ich das richtige verstehe. Je nachdem, wie meine Antwort jetzt hier ausfällt, übernimmt einer von euch beiden hier meine noch anfallende Zeche? Einer sagt, ich hätte dieses Gift nie in einen meiner Pläne eingebaut. Das müsstest du gewesen sein, Levi. Und Anton ist der Ansicht, dass ich mehr als eine Methode hätte, um das Gift anzuwenden.“
Bejahend nickten mir die Herren zu. Die beiden waren ein Gespann für sich.
Daraufhin bestellte ich mir Federweißer, Zwiebelkuchen und zum Nachtisch Sachertorte. Meine Hüften würden sich bedanken, aber meine Nerven übernahmen die Rechtfertigung. Also ging da noch ein Cappuccino extra mit drauf.
„Zuerst sollte der Begriff in diesem Fall erklärt werden. Arsen ist ein chemisches Element mit dem Elementsymbol As und der Ordnungszahl 33. Im Periodensystem der Elemente steht es in der 4. Periode und der 5. Hauptgruppe, also gehört es zur Stickstoffgruppe. Das Element an sich wird nicht für Mordanschläge genutzt. Levi hätte bei dieser Definition recht, dass ich damit keinen Mord
begehen könnte.“
Bevor einer der beiden anfangen konnte, siegessicher zu lächeln, zog ich einen weisen Zahn nach dem anderen.
„Arsen ist eines der giftigsten Elemente, die es gibt. Anorganische Arsenverbindungen kommen natürlicherweise in kleinen Mengen vor und können über die Nahrung, das Wasser und die Luft aufgenommen werden. Zu einer Arsenaufnahme kann es auch über Hautkontakt mit arsenhaltigem Boden oder Wasser kommen.
Gewöhnlich sind die Konzentrationen in der Nahrung logischerweise gering, doch Fische und Meerestiere können oft größere Mengen enthalten, da diese Tiere
Arsen aus dem Wasser aufnehmen. Glücklicherweise handelt es sich dabei um die ziemlich ungefährliche, organische Form des Arsens. Doch in größeren Mengen bedeutet auch diese eine Gefahr für den Menschen.
Die Arsenbelastung kann für jene Menschen recht hoch werden, die im Zuge ihrer Arbeit mit Arsen hantieren, bedeutende Mengen an Wein trinken, in Räumen mit arsenbehandeltem Holz leben oder die in der Nähe von Ackerflächen ihren Wohnsitz haben, auf denen in der Vergangenheit arsenhaltige Pestizide ausgebracht worden sind.“
Von meinen Ausführungen etwas überwältigt, hob Levi sein Glas und
leerte es in einem Zug. Seines Sieges sicher lehnte sich Anton etwas zurück und ich glaubte sogar, zu erkennen, wie er seinem Mann etwas das Knie tätschelte. Der alte Fuchs glaubte sich als Gewinner, dabei kannte er mich von den beiden bis jetzt doch am besten.
„Womit wir zum Begriff Arsenik kommen. Diese Arsenverbindung ist der Hauptbestandteil des bekannteste Mordgiftes der westlichen Zivilisation. Jahrhundertelang ließ sich Arsenik chemisch nicht nachweisen. Wenn der Mörder die seit dem 16. Jahrhundert bekannte, richtige Dosis verwendete, war ihm der Mord kaum zu beweisen. Noch um 1840 waren 90 bis 95 Prozent aller
Giftmorde auf den Einsatz von Arsenik zurückzuführen. Erst 1836 erfand man eine Methode, um das Arsen im Körper eines Menschen nachzuweisen, womit diese Mordmethode schnell an Popularität verlor.“
Der letzte Satz gefiel Anton nicht, während sich Levi entspannt nach hinten lehnte. Irgendwie kam mir der Gedanke gar nicht so fremd vor, diese Herren eines Tages auf einer Theaterbühne antreffen zu können.
„Dieser Umstand zeigt deutlich, dass es zwar einfach ist, dieses Gift anzuwenden, es jedoch ausreichend Gründe gibt, es zu unterlassen. Der chemische Nachweis ist Bestandteil der
Ausbildung eines Pathologen oder Chemikers. Der bekannteste Nachweis von Arsenik fand in England an einer Hochschule für Medizin statt. Interessanterweise war der Mann nicht an dieser Vergiftung gestorben, sondern an einem Herzinfarkt. Der Student, der den Toten untersucht hatte, wäre um ein Haar durch die Prüfung geflogen, weil er dreimal dasselbe Ergebnis bei der Arsenuntersuchung erzielt hatte. Der Mord an einem Engländer kam nur deswegen heraus, weil in seinem Blut die achtzigfache Menge an Arsen, die ein Mensch normalerweise vertragen konnte, gefunden worden war. Wie kam dies zustande? Ganz einfach, er hatte sich
über Jahre an das Gift gewöhnt. Seine Frau hatte die Zahnpasta des Gatten mit Arsen versehen. Da er eine spezielle Marke benutzte, die sonst keiner im Haus nutzte, war das die beste Möglichkeit. Die Dame bewies Ausdauer. Es hatte fünf Jahre gedauert, um diese Dosis in seinem Körper anzuhäufen. Somit zeigt alleine die Nachforschung über Arsenik, dass eine Verwendung viele Risiken birgt. Und damit, lieber Anton, ist auch deine Vermutung, dass sich Arsen unter meinen 154 Mordanschlägen befindet, falsch.“
Stille.
Im Café blieb es heiter. Niemand nahm unsere mörderische Stimmung wahr. Ganz im Gegensatz zu den Personen mir
gegenüber. Damit hatte keiner von beiden gerechnet.
Ich lächelte und noch konnten die Männer nicht einschätzen, was dieses Lachen zu bedeuten hatte. Meine Hand fuhr in die Luft, um die Bedienung herbeizuwinken. Freudestrahlend mit dem Kellnerportemonnaie in beiden Händen kam sie zu uns an den Tisch.
„Meine Liebe. Kannst dich an unser Gespräch von letztens erinnern? Ich darf dir mitteilen, dass diese beiden Herren als Geschenk die Zeche von meiner Geburtstagsfeier nächste Woche übernehmen möchten. Ist das nicht lieb?“
Wie beabsichtigt wurden die beiden Herren eine ganze Nuance blasser um die
Nasen. Es war nie die Rede davon gewesen, welche Rechnung sie übernehmen würden.
Tut mir leid Männer, aber meine Rache ist vielleicht nicht tödlich, dafür aber teuflisch süß.