Ich komme in den Himmel
Weil ich ein Engel bin
Sie ist schon über 80 Jahre alt. Ich höre ihr gerne zu.
Nicht oft, doch immer wieder besuche ich sie.
Sie mag mich auch, das vermute ich, weil sie immer lächelt wenn ich komme und weil ich nie das Gefühl habe, dass ich zum falschen Zeitpunkt komme.
Wir reden dann über das was in ihrem Leben gerade so passiert ist. Es passiert immer irgendwas. Sie hat vier Kinder und einige Enkelkinder. Und dann sind
da ja auch noch Schwiegereltern und Geschwister und das Fernsehen.
Zwar ist das Haus recht groß, das sie bewohnt, doch hält sie sich meist in einem Raum auf, der schätzungsweise ca. 18 qm hat. Darin steht eine Kommode, ein Hocker mit einer Kiste in der Sie die gelesenen Zeitungen und Werbeprospekte legt, eine Schlafcouch, ein bequemer Sessel mit Aufstehhilfe, ein halbhoher Tisch und zwei Stühle, gegenüber des Sessels steht ein Fernsehschränkchen mit einem großen Flachbildfernseher. Auf dem Tisch stehen einige Teelichter. Sie mag Kerzen und zündet sie jeden Tag an, wenn sie in diesem ihrem Wohlfühlraum ist.
Bei meinem letzten Besuch fiel mir auf, dass im Flur kein Teppich mehr liegt. Die Kinder hätten ihn weggeräumt, weil sie gestolpert und hingefallen war.
Auch dürfte sie nicht mehr alleine mit der Bahn fahren, auch wegen der Kinder, die meinten nämlich, es wäre zu gefährlich für sie. Ich finde es schön, dass die Kinder sie täglich besuchen, oder mit ihr telefonieren. Auch die Enkelkinder besuchen sie ab und an.
Sie berichtet mir von Ihrer Herzoperation und dass sie eine Zeitlang eine höhere Dosis des Blutverdünners nehmen muss und daher immer wieder Nasenbluten hat. Ich rate ihr, das mit dem Arzt zu besprechen, weil ich merke, dass es sie
beunruhigt und ich mich nicht in der Lage sehe dazu eine Empfehlung auszusprechen.
Ja, sie wolle eh nächste Woche zum Arzt, da wird sie das mit ihm besprechen. Wir sprechen über das Ortsgeschehen, die aktuelle Politik. Über Fußball kann sie mit mir leider nicht reden, davon habe ich keine Ahnung, doch sie kennt sich da voll und ganz aus.
Ihr verstorbener Mann und beide Söhne waren begeisterte Fußballer und sie war immer mit Herzblut dabei. Irgendwann kommen wir auf das Thema Religion und die Missstände in der katholischen Kirche rund um das Zölibat.
Dann plötzlich schaut sie nachdenklich
auf ihre gefalteten Hände, massiert ihren Zeigefinger und sagt nachdenklich: „ Den Film die Dornenvögel würde ich zu gerne nochmals sehen.“
Sie redet weiter, doch ich bin nicht mehr so aufmerksam. In mir denkt es gerade: „Na, dieser Wunsch lässt sich doch schnell und leicht erfüllen.“
Nach einem kurzen weiteren Geplauder verabschiede ich mich und fahre nach Hause.
Zuhause fahre ich meinen Laptop hoch und bestelle umgehend die DVD. Mit einem Lächeln im Gesicht freue ich mich schon darauf Ihr den Film zu übergeben. Es macht mich glücklich, wenn ich jemanden etwas schenken kann, das ihn
erfreut.
Drei Tage später kommt die ersehnte Lieferung.
Ich frage meinen Mann ob er Lust hat mit mir einen Spaziergang zu machen, ich möchte Frau X ein Geschenk übergeben.
Währen wir gehen erzähle ich ihm wie es dazu kam.
Er findet diese Idee prima.
Ich klingle, „ja, bitte?“
Die Tür geht auf und ich überreiche Frau X voller Freude die DVD.
Sie schaut mich verdutzt an. Ist der Meinung ich würde ihr meine DVD leihen. Nein, das möchte sie nicht, hat vermutlich Bedenken, sie könnte sie
beschädigen. Doch dann entdeckt sie, dass es sich um originalverpackte Ware handelt. Oh nein, sie könne das nicht annehmen. Ich versichere ihr, dass es ganz ok ist und sie doch diesen Film gerne anschauen wollte. Jetzt hat sie die DVD in beiden Händen, ihre Augen strahlen.
Ich sage zu Ihr: „ So jetzt können Sie den Film nicht nur einmal anschauen, sondern so oft sie wollen.“
Sie lächelt mich an, ich sehe ihre Freude..
Dann sagt sie: „ Sie sind ein Engel.“
Und: „ Sie kommen garantiert in den Himmel.“
Wir lachen beide.
Wieder draußen bei meinem Mann sage ich:
„So , das ist auch geklärt, ich komme in den Himmel,
weil ich ein Engel bin.“
Wir lachen beide und drehen noch eine Runde durch den Ort.