Mein ganz persönliches Rezept
Die Sonne strahlt aus Leibeskräften.
Ich denke mir, das ist der Augenblick, für mich ganz persönlich, den Frühling zu eröffnen …
Für diesen Morgen brauche ich:
Den Kaffeesatz vom ersten Espresso dieses Morgens,
extrazarte Haferflocken,
einen Mörser und ein Glas, welches ein bisschen was abkann,
wenn vorhanden: einen Esslöffel geriebener Mandeln,
einen guten Schluck Olivenöl,
ein paar Tomaten, ohne die geht es nicht,
eine erfrischende Portion Mut,
eine duftig pflegende Seife und ein Shampoo (vorzugsweise ohne Palmöl, Paraffinen, Tierversuchen und diesen ganzen Mist),
ein Handtuch,
einen guten, stabilen Stock,
etwas Soda,
nicht unbedingt notwendig, aber ratsam:
einen Schutzanzug, wie er von Lackierern getragen wird,
und den kuscheligsten Bademantel,
der zu finden ist.
Wie gesagt, die Sonne strahlt aus Leibeskräften.
Das ist mein Antrieb.
Das ist der Grund, eigene Schatten zu überspringen.
Und eines ist ganz gewiss: Zur Belohnung wird sich das absolute Wohlgefühl einstellen.
Ich schließe den Garten auf.
Von der Feuchtigkeit des Winters klemmt die Tür ein wenig.
Mit einem Ruck lässt sich das alte Ding doch bewegen.
Ich trete ein.
Der Boden duftet nach Erde.
So ganz paradiesisch ist es noch nicht.
Die Wiese ist ganz grau und von Blüten ist
noch nicht viel zu sehen. Doch ein paar Knospen hier und da verraten, dass es nicht mehr lange dauern wird.
Wenn die unzähligen Blumenzwiebeln erst ausgetrieben sind, dann wird es ein Farbenmeer geben – hier auf dieser grauen Wiese.
Der Boden ist sehr weich, ja, fast ein bisschen matschig. Von dem Frost der letzten Woche, der nun endlich getaut ist.
Regenwasser steht noch in den kleinen Mulden. Ich bin zuversichtlich, dass die Sonne, mit ihrer magischen Wärme, sie bald getrocknet hat.
Nun suche ich im Gehölz einen stabilen Stock. Nicht zu schwer aber lang genug, um mich vor dem Übelsten zu schützen.
Anschließend klettere ich auf den Rand des Steinkastens, um den Duschkopf zu erreichen. Diesen schraube ich ab und nehme ihn mit nach drinnen.
Die Kalkablagerungen und Dreckreste des Winters sind wirklich steinhart. Doch mit einer Mischung aus warmem Wasser und dem Soda werden sie sich schon lösen. Und so tauche ich den Duschkopf ein und lasse ihn und seine Beläge erstmal einweichen.
Während ich mir den Lackiererschutzanzug überstreife, werfe ich mir für die gute Laune und auch zum Ablenken, ein paar leckere, fröhlich rote Tomaten ein.
Das hilft mir, allen Mut zusammenzuraffen.
Ich greife mir den Stock und ruppe die nächste klemmende Tür auf.
Diese führt in den Keller.
Kein normaler Keller, ganz und gar nicht!
Es ist ein niedriger Keller mit gestampftem Lehmboden.
Es ist ein Keller mit unzähligen Spinnen und Mücken und allerlei Getier, welches die Kälte des Winters scheut.
Modrig und muffig.
Mit dem Stock voraus gehe ich die paar Stufen hinab in das feuchtfiese Eldorado der Kleinviecher.
Es raschelt hier und knuttert da.
Und wie ein Zuckerwattebäcker wickele ich die Spinnweben mit meinem Stecken auf, bis ich mir den Weg freigekämpft habe, um die Wasserleitung zum Garten raus,
aufzudrehen.
Erleichtert, diesen Punkt abgehakt zu haben, schwebe ich geradezu die Stufen wieder hinauf und freue mich, den Schutzanzug bis zum nächsten Winter in einer Ecke verstauen zu können.
Endlich kann ich mich den angenehmeren Dingen zuwenden.
Den Mörser stelle ich auf die Arbeitsfläche. Eine Handvoll geriebener Mandeln und eine Portion Haferflocken zerreibe ich möglichst fein und streue sie in das bereitgestellte Glas. Dazu gebe ich den Kaffeesatz und auch etwas Olivenöl.
Mit der gewissen Vorfreude rühre ich das ganze kräftig durch, bis eine dunkle glattkrümelige Masse entsteht.
Inzwischen lassen sich die eingeweichten Ablagerungen von dem Duschkopf ganz leicht entfernen.
Die richtige Zeit, den Korb zu packen.
Seife und Duschgel,
der frisch gesäuberte Duschkopf
und ein Handtuch finden ihren Platz.
In Badelatschen, dem kuschelweichwarmen Bademantel und dem Korb am Arm, ziehe ich in den Garten hinaus.
So warm ist es nicht und der Wind pfeift auch ein bisschen.
Das merke ich, während ich auf dem Steinkasten balanciere, um die Dusche wieder zu vervollständigen.
Doch nun bin ich so weit gegangen, habe den Gruselkeller überstanden und alles gut vorbereitet.
Also werde ich mein Werk auch abschließen, selbst wenn ich jetzt noch einmal allen Mut zusammenraffen muss.
Also tue ich so, als sei alles sehr wunderbar und streife meinen mummeligwarmen Bademantel von meinen Schultern.
Was bleibt, sind leicht aufgestellte Härchen, überall auf meinem Körper.
Wasser marsch und ich untendrunter!
Im ersten Augenblick viel mehr als frisch!
Wasserhahn wieder zudrehen und erstmal durchschnaufen,
dann einseifen.
Das Shampoo in die Haare.
Ab hier gibt es kein Zurück mehr.
Zweiter Durchgang. Zweiter eiskalter Guss. Ich hüpfe ein wenig und schreie so laut, dass die Vöglein sich wundern und ein bisschen herumflattern.
Das Shampoo muss komplett wieder ausgewaschen werden.
Und dann …
Ja, dann …
Kommt die Umkehrung.
Meine Haut wird ganz prickelig. Und mich beschleicht das Gefühl, mir kann nichts und nie mehr etwas auch nur irgendie irgendwas anhaben.
Die Lebenskräfte, die Lebenssäfte schießen durch meine Adern und Venen bis in die feinsten Kapillaren.
Wasser wieder aus und jetzt kommt die Krönung dieses Morgens!
Das Peeling.
Ich verteile das Öl-Haferflocken-Mandel-Kaffee-Gemisch auf meinem gesamten Körper.
Auf dem Gesicht und den Armen, den Hals entlang über die Brüste und meine hüftigen Rundungen. Streiche über meine Beine, immer wieder und wieder.
Verwöhne und massiere meinen ganzen Körper.
Die Sonne auf der Haut wirkt wahre Wunder und der kleine Wind wird vom Öl einfach aufgehalten.
Ein absolut sinnlicher, magischer und auch opulenter Moment voller Lust an mir selbst.
Ich und ich und nur ich.
Das darf auch mal sein …
So spaziere ich noch ein wenig durch unseren Garten.
Fühle mich wie eine Frühlingsbotschafterin.
Betrachte die Vögel am Futterhäuschen.
Sie haben mein Gebrüll gut überstanden.
Ich singe und tänzele,
bade im Glück.
Nach der genossenen Zeit wasche ich das Peeling mit klarem Wasser wieder runter.
Die Temperatur kann mir in diesem Moment nichts mehr anhaben.
Anschließend rubbele ich mich trocken und schlüpfe in meinen Bademantel.
Mit einem irren Hochgefühl schätze ich mich selbst auf Mitte zwanzig.
Lache mich kurz aus und schüttele meine Haare locker auf.
Stehe mit ausgestreckten Armen auf unseren Hochstand, umarme die Welt und betrachte die Pferde bei ihrem ausgelassenen Spiel. Auch sie spüren den nahenden Frühling an diesem Morgen …