Biene eine Hundeliebe
"Ja, und hier ist Schreiber. Herr Doktor Buder, können Sie heute Abend noch vorbeikommen? Sie wissen ja, worum es geht. Es ist das zweite Doppelhaus in der Seitenstraße und da die rechte Haushälfte. Der Vorgarten ist zu dieser Uhrzeit noch offen."
Franz Schreiber legt den Telefonhörer mit zitternden Händen auf, schaut auf seine alte, schweratmende Hündin Biene und stopft seine Pfeife mit Tabak. Prestige heißt das Zeug, riecht anfangs angenehm nach Vanille. Biene mag den Duft gerne, doch seit gestern liegt sie in ihrem Körbchen, ohne dass auch nur ihr
Näschen in Richtung des Duftes zuckt. Gassi gehen und fressen lehnt sie winselnd ab.
Die Gardinen vor dem geöffneten Balkonfenster bauschen sich in einer lauen Brise. Biene liegt davor und hin und wieder weht ein leichter Luftzug um ihre sandfarbene Nase. Eine dünne Decke liegt über ihrem ergrauten Fell.
Frischer Kaffeeduft zieht aus der Küche herein.
„Bin gleich wieder da“, flüstert Franz in Richtung Körbchen. Mit einem großen Pott Milchkaffee in den leicht fröstelnden Händen und der Pfeife im Mundwinkel schlurft er zurück ins Wohnzimmer und setzt sich aufs Sofa
gegenüber dem Balkonfenster.
Beim Schmauchen der Pfeife schaut Franz auf seine Hündin und beginnt leise zu erzählen: "Weißt du noch, Biene, wie dich damals der kleine Maxl Schlüter von nebenan zu mir gebracht hat? Mitten auf der Straße sollst du mutterseelenallein herumgetappt sein, dein Winseln erweckte in unseren Herzen grenzenloses Mitleid. Und wie drollig du ausgesehen hast, wie ein zu klein geratener Schäferhund mit Dackelkopf und steif nach oben stehendem Schwänzchen. Am lustigsten sind noch heute deine Ohren, die du nur halb aufstellen kannst, die anderen Hälften hängen vornübergeklappt herunter. Dann
ein Auge rot und eins braun, was für eine Mischung! Aber dein Fell war weiß und weich wie frisch gefallener Schnee. So eine wie dich gibt es nicht noch einmal. Ich verliebte mich sofort in dich und hätte dich für nichts auf der Welt mehr hergegeben.“
Franz stellt den Kaffeepott beiseite und wischt sich eine Träne aus dem rechten Augenwinkel.
„Von Anfang an, hast du mir zu verstehen gegeben, dass ich mein Bett mit dir zu teilen habe. Wenn ich dich in dein Hundekörbchen legte, war dein Heulen noch drei Häuser weiter zu hören. Ich hab schnell klein beigegeben, denn ich brauchte dich genauso wie du mich.
Alleine bleiben ist eben nie unser Ding gewesen. Und schnarchen konntest du mindestens so laut wie ich.
Auf Schritt und Tritt hast du mich begleitet. Die Umgebung hast du immer zusammengejault, wenn ich dich drüben beim NETTO angebunden habe, um meine Zeitung zu holen. Kam ich raus, hast du mich begrüßt, als wäre ich eine Ewigkeit weggewesen. Ach Biene! Du warst schon eine Gurke. Nicht mal aufs Klo konnte ich alleine gehen. Zu allem Überfluss hast du deine Vorderpfoten auf die Klobrille gestellt und zugesehen, ob das Wasser auch wirklich alles wegspült. Stimmt's?"
Aus dem Körbchen antwortet Franz ein
"mümpf", als wollte Biene sagen: "Klar, stimmt das! Muss ja schließlich alles seine Ordnung haben."
"Einmal hast du im kleinen Vorgarten eine Maus gefangen. Maxls Katze hat vielleicht blöd geguckt, da hast du Minka aber den Schneid abgekauft. Ja, wenn die nicht so fett wäre, hätte sie sicher auch mal eine Maus gefangen. Gelobt wurdest jedenfalls nur du! Und gib zu, das hast du echt genossen, obwohl sicher der Knochen besser ankam als die Lobeshymne von Maxls Mutter.“
Ein kleines Lächeln breitet sich auf Franz Lippen aus, neben der Träne, die ihm über die faltige Wange kullert.
„Dafür war die Schlütern umso saurer,
als du ihre teuren Pumps zerkaut hast. Sie hat nie wieder irgendwelches Schuhwerk vor der Tür stehen lassen. Ach, und der Versicherungsfritze erst. Kam der doch einfach ohne zu klingeln in den Garten. Dem hattest du die teure Anzughose aber ordentlich zerfetzt, hat der geflucht. Selbst Schuld, wenn du mich fragst. Ein Schild "Vorsicht, bissiger Hund" hatte ich ja schließlich vorsichtshalber am Gartentürchen angenagelt. Bloß gut, so konnte er mich nicht verklagen. Aber, dass du auf so einen Anzugträger losgehen würdest, hätte ich im Traum nicht gedacht. Ein Glück, dass du nur seine Hose nicht leiden konntest. Na ja, Doktor Buder
hatte mich ja dann aufgeklärt, dass es Hunde gibt, die Uniformen nicht mögen warum auch immer! Und so einer bist du eben auch."
Franz grinst bei dem Gedanken, klopft den Tabak aus der Pfeife in einen schweren Aschenbecher, der vor ihm auf einem runden Holztisch steht und schaut neben der Balkontür auf die Wanduhr. Kurz vor neunzehn Uhr.
„Wie schnell doch die Zeit vergeht ...“
Es klingelt. Schwerfällig, mit einem tiefen Atemzug erhebt sich Franz und schlurft zur Tür.
"Guten Abend, Herr Schreiber. Ist es also doch soweit?"
Franz nickt und räuspert sich. "Ja, Herr
Doktor, aber kommen Sie doch erst einmal rein. Sie wissen ja, das Alter geht weder an Mensch noch Tier spurlos vorbei. Meine Biene hatte ein schönes Leben. Qualen will ich ihr ersparen. Bei Tieren geht das ja, Menschen müssen sich bis zum letzten Atemzug quälen. Na ja, im Alter sieht man den Tod nicht mehr als Feind, nein, im Gegenteil. Wenn es nicht mehr geht, ist er eine Erlösung und wird zum Freund, wenn Sie verstehen, was ich meine."
Der Tierarzt nickt und untersucht noch einmal die Hündin, dann zieht er eine Spritze auf. "Ihr Atem geht rasselnd. Sie hat Wasser in der Lunge, das deutet unweigerlich aufs Ende hin. Sie haben
mich genau zur rechten Zeit geholt. Machen Sie sich keine Sorgen, Biene wird nichts spüren. Ich gebe ihr jetzt eine Narkosespritze. Wenn sie fest schläft, bekommt sie die eigentliche Spritze. Ich bleibe so lange bei Ihnen. Soll ich sie dann mitnehmen?"
Wieder nickt Franz und seine Stimme bricht. Es dauert einen Moment, bis er sich gesammelt hat. "Ja, ja, das wäre gut. Im Garten darf ich Biene nicht begraben, Frau Schlüter wäre das nicht recht."
Noch einmal streichelt Franz seine Biene. Den Pfeifentabak von vorhin konnte sie nicht mehr riechen. Aber ihre trüben Augen schauen ein letztes Mal dankbar in die ihres heißgeliebten
Herrchens, als sie die sanfte Berührung spürt. Seine Augen füllen sich mit Tränen. "Nun trennen sich erst einmal unsere Wege. Aber du gehst nur vor, meine Gute ... ich komme bald nach, versprochen!"
Franz Schreiber verkraftet den Tod seiner geliebten Hündin nur sehr schwer. Er verfällt physisch und psychisch von Tag zu Tag immer mehr. Max kann die traurige Situation nicht länger mit ansehen und schlägt seinem hochbetagten Freund vor, doch ins Altersheim zu gehen. Dort würde man gut für ihn sorgen und besuchen käme er ihn auch so oft es ginge.
Schon bald ist alles geregelt und Franz zieht um. Sein Zimmer ist klein, aber ansprechend freundlich und zweckmäßig. Jedoch vergeht kein Tag, an dem er nicht an seine Biene denkt. Ein Bild von ihr hängt über dem Bett, das er von seinem Lehnstuhl aus stundenlang anschaut und dabei vor sich hin träumt. Am gemeinsamen Heimleben hat Franz kein Interesse.
Mindestens zweimal im Monat kommt Max vorbei und besucht den Achtzigjährigen mit selbstgebackenem Apfelkuchen von Muttern.
Kein halbes Jahr nach dem Umzug überkommt Franz eines Morgens Übelkeit. Zwar ist der Arzt schnell zur
Stelle, doch das Alter fordert seinen Tribut. Den Mund des Sterbenden umspielt ein Lächeln und er flüstert: "Biene ... ich komme ... versprochen ist versprochen ..."