Rückkehr der Wölfe
Schreibparty 67, Randbeitrag
Vorgabewörter:
Hoffnungsstrahl
Erinnerung
Gefahr
Pfote
Fell
Fang
Kursschwankung
Interessenkonflikt
Profitstreben
Anerkennung
Leidenschaft
Sehnsucht
1 Cassandra kam aus dem Dickicht und schritt auf die Lichtung zu. Von dort aus erstreckte sich die weite Landschaft mit ihren wunderschönen saftigen Wiesen, dichten Wäldern und fruchtbaren Feldern.
In weiter Ferne gab es ein paar Gehöfte mit üppigen Weiden auf denen Vieh friedlich graste.
Auch eine verschlafene kleine Siedlung grenzte daran, mit einer wenig befahrenen, verschlungenen Straße, die durch diese herrliche Naturlandschaft in den nächsten Ort mit seinen Einkaufsmöglichkeiten und einer
Schule führte, zu der die Kinder der Umgebung mit Schulbussen gefahren wurden.
Zufrieden begab sie sich in den Wald zu ihrem Rudel, das friedlich an einem kleinen Hügel lagerte.
Nur Rasputin, das Leittier war immer wachsam darauf bedacht, das Rudel zu schützen. Auch nun stand er majestätisch da. Obwohl er schon in die Jahre gekommen war, war er ein prachtvolles Exemplar, dem man seine Stärke und Willenskraft ansah.
Die Willenskraft, sie alle vor Gefahren zu schützen. Doch wie lange noch?
Es würde ein jüngerer, stärkerer folgen, der die Herrschaft übernähme...
Hier in ihrem Revier gab es mehr als genug Beute für alle, jede Jagd endete mit einem guten Fang. Ein nahegelegener, beruhigend rauschender Wildbach versorgte sie mit immer frischem klarem Wasser.
Nachdem Cassandra dieses malerische Bild in sich aufgesogen hatte, legte sie sich zu den anderen nieder und leckte sich ihre Pfoten sauber. So könnte es für immer bleiben.
Nachdem ein Jahr ins Land gezogen war, machte sich ein junges, kräftig gebautes Tier stark für den Kampf um die Vorherrschaft des Rudels. Sein muskulöser Körper strotzte vor Kraft und sein gesundes Fell glänzte in der Sonne. Rasputin stellte sich ihm unerschrocken und kämpfte voller Leidenschaft.
Doch diesmal reichte es nicht und er musste sich geschlagen geben. Traurig und geduckt zog er sich zurück. Ruhm und Annerkennung gehörten nun dem Anderen.
Cassandra ging zu dem gebeutelten Rasputin und leckte ihm die Wunden.
Regungslos ließ er es geschehen. Sehnsuchtsvoll dachte Cassandra an die Zeit mit ihm als Leitwolf zurück. Sie hatten viel zusammen erlebt und sie hatte ihn immer bewundert, ihn immer geliebt.
Nun blieb ihnen nur noch die Erinnerung an vergangene Zeiten.
Wiedermal wurde Beute gemacht, wiedermal fraßen alle sich satt, alle……
bis auf einen;
fraßen so lange, bis nichts mehr übrig war.
Wiedermal….
Rasputin war alt, trug nichts mehr zur Gemeinschaft bei, wurde immer mehr ausgestoßen.
Das ist der Lauf der Dinge, der Lauf der Natur. So streunte er immer öfter alleine durch den Wald, über die Wiesen und Felder in der Hoffnung, lahme oder kranke verendende Tiere zu finden,
die seinen Hunger stillten.
2 Lilie, ein kleines, zierliches, dunkelhaariges Mädchen, mit einem niedlichen Gesicht, keckem Blick und wachen Augen stand an der einsamen Haltestelle der Straße, die aus der kleinen Siedlung in den Ort zur Schule führte. Sie war in der 1. Klasse und stolz darauf, dass sie nun alleine losgehen durfte, denn die Eltern hatten ihr gesagt, dass sie nun schon groß genug dafür sei.
So stand sie also mit ihrem schicken, rosanen Tornister, der das Bild einer Prinzessin im Glitzerkleid zeigte,
erhobenen Hauptes da
und wartete auf den Bus.
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3
Rasputin hatte sich weit von „seinem“ Rudel entfernt, als er Witterung aufnahm. Er hatte Hunger und war nicht mehr der Schnellste.
Hier war er noch nie gewesen, hatte sich immer von diesem grauen Streifen, der sich durch die malerische Landschaft zog, fern gehalten, von dem des Öfteren fremde und für ihn erschreckende Geräusche schon von Weitem zu hören waren.
Ferngehalten hatten sie alle sich
auch von den Gehöften und Häusern, denn sie waren eigentlich von Natur aus menschenscheu. Doch der Hunger trieb ihn weiter und der Geruch ließ ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen. Da nahm er dieses Geschöpf wahr, das aus seiner Sicht sehr
merkwürdig aussah. Nicht besonders groß, zumal es auf 2 Beinen stand, was er sonst nur von kampfbereiten Tieren, die sich wehren wollten, kannte. Dieses hier hatte außerdem nur am Kopf langes dunkles Fell und ansonsten war es glatt und sonderbar bunt.
Er konnte sich von hinten nahe heranschleichen, ohne dass er bemerkt wurde. Plötzlich kam etwas, eigenartigen Lärm machend, auf der für ihn sonderbar wirkenden schmalen Trasse daher, was noch eigenartiger für ihn aussah und sein Beutetier verschwand im Inneren dieses für ihn unerträglich lauten Etwas.
Erschöpft vor Hunger schlich er davon. Sein Weg führte ihn nun in eine andere Richtung……
Niemals zuvor hatte er sich so nahe an ein Gehöft gewagt, aber seine Nase verhieß ihm Fressen,
dass er dann ohne Mühe erlegte.
4 Berta und ihr Mann betrieben schon lange eine Schafzucht, die sehr einträglich war. Sie hatten es sich hier in dieser ländlichen Gegend gemütlich eingerichtet, in der die Uhren ein wenig langsamer tickten und das Tagwerk in Ruhe und Besonnenheit begangen werden konnte.
Trotzdem verfolgte ihr Mann in der Zeitung die Kursschwankungen, die wirtschaftliche Krisen mit sich brachte, von denen selbst sie hier nicht ganz verschont blieben. Aber da sie ihr Auskommen hatten und das Profitstreben der Leute im Allgemeinen nicht nachvollziehen
konnten, waren sie mit ihrem Leben im Einklang mit der Natur, voll und ganz zufrieden.
Nach einem gemütlichen Frühstück ging Berta hinaus, um die Schafe zu tränken und nach dem Rechten zu sehen. Doch als sie auf die Weide kam, erstarrte sie vor Schreck. Ihr bestes Mutterschaf war gerissen worden. Sie hatte in den Nachrichten das eine oder andere Mal davon gehört, aber hier?
„Das darf doch nicht wahr sein!“, dachte sie und hatte Tränen in den Augen. „Unsere Existenz! Nun steht sie auf dem Spiel.“
Sie konnte es nicht fassen.
Sie konnte gar nicht mehr klar denken!
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5
Die Hetzjagd begann.
Man war so stolz darauf gewesen, dass endlich wieder Wölfe im Land waren.
Man hatte sie unter Naturschutz gestellt. Sie wären keine Gefahr.
Nun mussten die, die am Wenigsten dafür konnten und wehrlos waren genau unter denen leiden, die sie zurückgeholt hatten.
War es nicht immer so, dass Unschuldige das ausbaden mussten was Andere, die oft keine Ahnung hatten oder von Habgier getrieben waren und am längeren Hebel saßen, in die Wege geleitet hatten?
Jesrim der junge Leitwolf, der Rasputin abgelöst hatte, witterte die Gefahr. Das Rudel brach auf. Alle sammelten sich und rannten. Rannten um ihr Leben. Cassandra bildete die Nachhut und lief als letzte, um das Rudel zusammenzuhalten. Lange waren sie auf der Flucht.
Erst weit, weit entfernt ihrer Heimat wagten sie zu rasten,
im Schutz eines kleinen Waldes, fern ab jeglicher Zivilisation.
Sie konnten sich etwas ausruhen, es schien nicht mehr gefährlich.
Alles war hier viel karger, die Natur längst nicht so üppig, wie dort, wo sie zu Hause gewesen waren.
Aber sie lebten!
Hatten die Schüsse, die unermüdlich fielen und die Meute, die auf sie gehetzt wurde hinter sich gelassen.
Es war mehr als schrecklich gewesen.
Diese Todesangst, diese Verzweiflung der sie ausgesetzt waren, war kaum vorstellbar und schier unerträglich gewesen.
Vor allem für die Kleinen.
Niemand, der es nicht am eigenen Leib gespürt hat, kann solch ein Leid und Elend nachvollziehen
und verstehen, was alles damit einhergeht.
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6
Rasputin hörte die Schüsse; erschrak. Er hörte die Meute;
versuchte zu fliehen.
Seine alten Glieder trugen ihn nicht weit, doch konnte er sich ins Dickicht zurückziehen. Er war nur noch erschöpft. Das weiche Gras, in das er sich legte empfing ihn warm. Es war so tröstlich.
Er hatte nicht einmal mehr Hunger oder Durst. Er war einfach müde. Unendlich müde.
Völlig ermattet schlief er ein und ging friedlich den Weg, der Jeden irgendwann erwartet.
Seine letzten Gedanken galten Cassandra, die ihm einst so liebevoll seine Wunden geleckt hatte.
Sehnsüchtig dachte Cassandra an ihre Heimat, aus der man sie vertrieben hatte.
Dachte an Rasputin. In dem Gedanken an ihn erfasste sie weher Schmerz und sie wusste, dass er in diesem Moment sein Leben ausgehaucht hatte.
Traurig schaute sie sich um.
Würden sie hier in dieser Einöde ein neues zu Hause finden? Einen neuen Anfang schaffen können?
Das war der einzige Hoffnungsstrahl der blieb…...
(c) Text: Lynny Februar 2018