Die Geschichte "Verloren" von Mukk hat diese Erinnerung in mir geweckt und mich inspiriert, diese hier zu veröffentlichen.
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Als ich in die Schule kam, wurde ich zum „Schlüsselkind“, da es mir im Kinderhort nicht gefiel und ich dort immer ausgebüchst bin.
Also hatte meine Mutter beschlossen, mir ihren Schlüsselbund zu geben, damit ich nach der Schule nach Hause gehen konnte. Es gab nur zwei Schlüsselserien. Mehr hatte uns unser Hauswirt nicht zugestanden.
Meine Großmutter, die zu dieser Zeit auch noch arbeiten ging, brauchte ihren Schlüssel selbst.
An Mutters Schlüsselbund hingen viele Schlüssel (so stellte ich mir damals auch den Schlüsselbund von Petrus vor) und es war als Erkennungszeichen ein rotes Band daran
befestigt.
Nach der Schule ging es also erst mal nach Hause, Ranzen in die Ecke und dann schnappte ich mir meinen kleinen Holzroller.
Damit ging g es wieder auf die Straße.
Dort traf ich mich dann mit anderen Kindern aus unserer Klasse zum lustigen „Rollerwettrennen“.
Da damals auf den Straßen nur wenig Verkehr war, konnten wir als Kinder noch unbeschwert auf der Straße spielen.
In meiner Klasse war auch ein kleinwüchsiges Mädchen. Damals sagte man „Liliputaner“ zu diesen Menschen. Sie sollte zwar auf ärztlichen Rat hin Medikamente einnehmen, die den Körperwuchs beeinflussen sollten,
aber ihre Mutter war strikt dagegen und so blieb sie halt so klein.
Die Mutter von Ursula – genannt wurde sie nur „Ulla“ - war sehr arm, da sie allein mit zwei Kindern war und konnte ihren Kindern keine Spielsachen kaufen. (Damals nach den Krieg waren viele Mütter alleinerziehend, weil die Väter oft im Krieg gefallen waren und vom Staat bekamen sie auch nichts.)
Ulla stand also immer am Straßenrand und konnte nur zuschauen, wie die anderen Kinder sich vergnügten. Wir spielten immer auf der Straße, die an unserer Schule vorbeiging, denn da konnte man am besten
fahren.
Ich hatte also meinen Schlüsselbund an den Lenker des Rollers gehängt, um ihn ja nicht zu verlieren.
Da Ulla mir leid tat, gab ich ihr zum Probefahren mal meinen Roller, natürlich blieb der Schlüsselbund dran. Da der Roller für die kleinwüchsige Ulla jedoch etwas zu groß war, konnte sie gar nicht so richtig damit umgehen und kippte mit ihm um.
Dummerweise gerade über einem Rinnstein neben dem Fußsteig (diese Rinnsteine waren quadratisch und aus Gusseisen mit breitem Querdurchlässen) und der Schlüsselbund fiel klappernd in die Kanalisation.
Weg war er und der Schreck war groß. Ulla hatte sich gleich aus dem Staub gemacht und ich wusste gar nicht, was ich nun anfangen sollte. Reingucken konnte man zwar, aber davon kam der Schlüssel auch nicht wieder.
Schweren Herzens machte ich mich auf zur Arbeitsstelle meiner Mutter und musste nun schluchzend beichten, was Ulla da angestellt hatte.
Mutter fiel aus allen Wolken. Da sie aber auf Arbeit ein Telefon hatte, rief sie jemanden an und wir gingen gemeinsam zu der Stelle, wo das „Unglück“passiert war.
Der Mann hob den Rinnstein raus und stieg in
die Kanalisation. Zum Glück floss dort nur klares Wasser und er musste ein ganzes Stück unter der Erde entlang gehen.
Nach einer Weile tauchte er wieder auf, hob bedauernd die Schultern und sagte: „Tut mir leid, aber da war kein Schlüssel..“ Dabei griente er aber verschmitzt, denn gleich darauf nestelte er ein rotes Band aus seiner Brusttasche und daran hing.....der Schlüsselbund in seiner ganzen Pracht. Er war an einem Absatz der Kanalisation mit dem Band hängen geblieben, sonst wäre er unrettbar weg gewesen.
Mir fiel ein riesengroßer Felsbrocken vom Herzen und ein Geldschein wechselte seinen Besitzer.
Zu Hause bekam ich dann noch ein tüchtiges
Reformandel ab und musste versprechen, den Schlüsselbund nie wieder an den Roller zu hängen.