Der Babysitter
Eines Tages klingelte es. Draußen stand Herr Kosemuckl, der Nachbar, der ganz in der Nähe in einem kleinen Eigenheim wohnte. Ich bat ihn herein und er hatte ein Anliegen.
"Sehr geehrter Schriftsteller, sie sind doch freiberuflich tätig."
„Gewiss.“
Ich verschwieg, dass ich Spitzweg als armer Poet alle Ehre machte.
„Wissen Sie, ich habe Karten für den Ring der Nibelungen und wir sind doch solche Wagner Fans.“
Ich nickte. Wer ein Fan von Wagner ist, der hat einen ganz eigenen Gen Code, um nicht zu sagen, dass der bayerische König Ludwig
II. als Wagner Anhänger schlichtweg verrückt wurde. Ich halte alle Wagner Anhänger für zumindest verdächtig.
“Was für ein Genuss!“
„Ja, wir haben nämlich Karten für den ganzen Ring.“
Innerlich bedauerte ich sie.
„Da wollten wir die Götterdämmerung nicht versäumen.“
Mann, da hatten sie schon die drei vorhergehenden Abende hinter sich und am Hintern Schwielen. Unter vier Stunden Berieselung entließ Wagner Einen selten.
„Was kann ich für sie tun?“
"Würde es ihnen etwas ausmachen auf unseren Kleinen aufzupassen? Sie können ja auf dem Tablett schreiben. Natürlich würden
wir sie auch mit einem kleinen Obolus belohnen. Sind 100 € zu wenig?"
Ich versuchte vor lauter Raffgier Gleichmut zu bewahren.
„Nein, nein, das ist schon in Ordnung. Man hilft sich ja in der Nachbarschaft.“ Ich wälzte mich in Großzügigkeit. Es entstand eine Pause, bis Herr Kosemuckel verstand. Er öffnete die Brieftasche und zog den kleinsten Schein heraus. Schnell waren die 100 € geschnappt.
„Von wann bis wann wäre es denn?“
„Den ganzen Abend bis ca. um 3:00 Uhr Nachts. Wir sind dann noch für einen gepflegten After-Event eingeladen.“ „Kein Problem“, antwortete ich, obwohl ich mir über After-Event nicht so ganz im Klaren war.
Kosemuckel wand sich.
„Es wäre heute Abend.“
Ich lächelte überlegen.
„Das trifft sich gut. Ich habe sowieso noch eine Rezession zu schreiben.“ Das war natürlich gelogen, machte sich aber gut.
Pünktlich erschien ich um 18:00 Uhr bei Kosemuckels. Der Bengel Benno öffnete.
„Tach, Schreiberling.“
Benno war mir sympathisch, ohne Zweifel, aber er blieb einfach ein neun Jähriger Treibauf. Wir würden uns schon irgendwie arrangieren, hoffte ich. Kosemuckels Ehegespann war in Roben gehüllt. Sie hatte Geschmeide angelegt, er meinte seine langweilige Erscheinung mit einer Fliege
aufzupeppen.
„Also denn ihr Beiden“, winkten sie zum Abschied. Ich nickte, Benno furzte zum Abschied.
„Benno!“
„Ich kann doch nichts dafür!“
Ich hatte mein Tablett dabei und setzte mich auf die Couch. Benno schaute mich durch seine dicken Augengläser an.
„Vorsintflutlich das Teil!“
„Wie bitte?“
"Komm mal mit."
Er stupste mich in sein Kinderzimmer. Ich gelangte in die NASA-Space-Galaxie. Benno hatte eine umfangreiche Computerausrüstung aus der Zukunft und klapperte etwas auf der Tastatur.
„Dein Geschreibsel hat wenig Erfolg, oder? Kaum Umsatz.“
Der Umsatzversager versuchte die Fassung zu bewahren.
„Hör mal, Benno, ich bin dir keine Rechenschaft schuldig. Wie kommst du eigentlich zu den Daten?“
„Kleinigkeit“, krähte Benno. Ich war verlegen. Aber da kam mir ein Gedanke. Dem Superbubi würde ich es zeigen. Ich bin nämlich ein ganz guter Schachspieler.
„Spielen wir etwas?“
„Mit Dir? Cyber Space?“
„Wie wäre es mit Schach?“
„Gerne.“ Ich war überrascht. Solche Nerds ballerten auf dem Bildschirm drauf los und gleichzeitig ballerten sie sich sämtliche
Synapsen aus dem Gehirn. So dachte ich jedenfalls.
Im Wohnzimmer am Couchtisch war das Brett ausgerichtet. Ich begann mit der Najdorf-Variante, die ich in aggressiver Göteborg Abwandlung präsentierte. Benno blieb konzentriert und ließ sich zu einer Bewertung herab. „Nicht schlecht, Schriftsteller.“
„Ich heiße Walter.“
„Also, Walter, wie wäre es mit einem kleinen Einsatz?“
Ich sah, dass er auf dem Brett in Bedrängnis geraten war.
„Warum nicht, Benno.“
„50?“
„Cent, oder was?“
„Du scherzt. Bitcoins.“
„Bitte was?“
„Okay, ich nehme auch Euro.“
Ich war mir sicher und dachte mir, dass ich es dem Bengel schon zeigen würde. Natürlich würde ich von diesem Dreikäsehoch niemals 50 Euro sehen, aber dann war der Bengel mir wenigsten etwas schuldig und der Abend würde sehr, sehr ruhig verlaufen.
„Okay, wenn Du meinst.“
Die Partie war zu Ende.
„Hättest du Lamprecht gelesen, dann wärst du nicht auf die leichte Konstellation der zwei Bauern herein gefallen.“
Ich nickte geschlagen.
„Wie wäre es, wenn wir etwas knabbern würden?“
Benno war begeistert. Was war ich glücklich,
dass dieser Einstein wenigstens in einer Hinsicht einem normalen Jungen entsprach.
„Wie wäre es mit Pommes?“
„Au, ja!“ Ich ging in die Küche, Benno folgte mir.
Ich schob die tief gefrorenen Pommes in den Ofen.
„Mami wollte noch eine Tafel aufhängen, für Einkaufs-Notizen.“
Ich sah ihn fragend an.
„Natürlich ist sie entsetzlich hinter dem Mond, heutzutage geht sowieso alles über Home-Netz und Apps und Voice, aber alten Schrullen soll man ihren Willen lassen. Sie freut sich so kindisch. Deshalb!“
Ich nickte wissend und wusste gar nicht, wovon er brabbelte. Ich hatte Nagel und
Hammer in der Hand.
„Genau da?“
Benno nickte.
Ich schlug zu. Der Nagel war ordnungsgemäß eingeschlagen und mein Daumen zerschlagen. Praktisch war er zerquetscht, weil Benno mich angespornt hatte ordentlich auszuholen, denn die Wände seien so hart.
„Tzz“, schüttelte Benno sein Haupt. Er hängte das Täfelchen auf und schleppte mich zur Couch. Der Daumen pochte und vergrößerte sich. Etwas Blut quellte seitlich aus der geplatzten Haut. Benno fummelte an der Daumengurke herum, bis ich aufschrie.
„Kein Bruch“, diagnostizierte er. „Der Fingernagel ist auch noch nicht in Gefahr. Ich gebe Dir erst einmal etwas gegen die
Schmerzen.“
Eine Pille wanderte in meinen Mund. Dann nahm Benno die Pommes aus dem Ofen. "Probier mal" Sie sahen gut aus. als die erste Pommfrites Stange in meinem Mund explodierte, meinte Benno nur. "Mit Peperoni schmeckt es besser."
Ich vergaß den blöden Daumen und raste in das Bad und schlürfte Literweise Wasser. Dabei spritzelte ich. Langsam wollte ich mich zurück schleppen und rutschte aus, schlug auf den Hinterkopf und verlor kurz das Bewusstsein.
Benno schlang zwei Schlaufen um meine Handgelenke und ließ mich ferngesteuert durch irgendein kleines Raupenfahrzeug ziehen. In Wohnzimmer konnte ich mühsam
auf die Couch kraxeln. Benno verpasste meinem geschwollenen Knöchel einen Gaze-Verband. "Du wirst sowieso bald einschlafen", beruhigte mich der kleine Arzt. Ich wurde schläfrig. Um halb zwei wachte ich wieder auf. Benno spielte mit seiner X-Box ein Ballerspiel.
„Na? Wieder unter den Lebenden?“
„Was hast du mir denn verabreicht?“
„Tablette mit Oxycodon.“
„Wie?“
„Sehr stark“, lächelte er.
„Wie kommst Du denn an so etwas?“
„Papi ist ähnlich doof, wie du und Mami ist Ärztin. Habe alles schon ausprobiert, was sie im Giftschrank hat.“
„Das muss doch unter Verschluss gehalten werden.“
„Klar, aber das elektronische Schloss ist ein Witz.“
„Verstehe", sagte ich mit schwerer Zunge. Ich fühlte mich ein wenig, wie ein flugunfähiges Insekt und lächelte verblödet.
Da klingelte es.
„Na ihr glücklichen Zwei. Eigentlich müsstest du längst im Bett sein, Racker!“
Die Aushäusigen waren zurück.
„Der Gute hat mir so spannende Geschichten vorgelesen, dass ich ganz platt war“, log der Kleine. Ich nickte. Mein Mund hing schief, weil ich in solch einer Verlogenheit kaum Übung hatte.
„Ich weiß auch nicht, wie es geschah.“
„Mein Gott, wie bin ich ihnen dankbar“, säuselte Frau Kosemuckel.
„Ich kenne nämlich meinen Sohn. Er ist zuweilen schwierig.“
Ich winkte mit dem Daumen an dem eine kleine, dicke Hand hing.
„Wir haben uns prächtig verstanden.“
„Ich bin außerordentlich beeindruckt“, ergänzte Herr Kosemuckel, "dass sie trotz ihrer Verletzung .." Er starrte auf den eingebundenen Fuß
"Es wurde erst schlimm, als er da war", erklärte Benno hilfreich.
Ich hinkte unter Danksagungen nach Hause.
Am nächsten Tag ging ich zum Arzt. Er röntge mich. „Ich wundere mich, dass sie nicht früher gekommen sind“, sagte er. „Die Schmerzen müssen ordentlich gewesen sein. Und den
Verband am Fuß lassen wir mal so. Sehr professionell. Gebrochen ist nichts, nur verstaucht. Wer hat sie denn verbunden?"
"Die Nachbarin ist Ärztin", flüsterte ich. "Aha, auch die Schmerzmittel verordnet?" "Sie ist Profi."
Ich war durch Bennos Tablette immer noch in einer gewissen Hochstimmung, als es am Nachmittag klingelte.
Benno stand vor der Haustür.
„Was vergessen, Walter, du Schriftsteller?“
Ich glupschte ihn ungläubig an.
„Der Lohn fürs Babysitten.“
Er streckte die Hand aus.
„100 Mäuse! Fürs Sitten!“
Sie werden es nicht glauben, aber ich zahlte. „Und da wäre noch das Schachspiel.“
„Wie wäre es, wenn du mir das erlassen würdest.“
„Nur, wenn du versprichst wieder auf mich aufzupassen. Das lohnt sich.“
Ich versprach es voreilig und hoffte inbrünstig, dass ich nie wieder Zeit finden würde mich in Hände dieses Raubtier Unternehmers begeben zu müssen.