Journalismus & Glosse
Kleinigkeiten aus der Großstadt - Nummer 4

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"Wahre kleine Begebenheiten, vallah"
Veröffentlicht am 04. Februar 2018, 8 Seiten
Kategorie Journalismus & Glosse
© Umschlag Bildmaterial: lynx, "Subway", http://piqs.de/fotos/129687.html
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Über den Autor:

Getauft, Geschieden, Geimpft: 3G also, tretet näher, Herrschaften! Was ich so schreibe, ist natürlich erlebt, erlauscht, erlesen und erlogen; von alberich bis böse oder dunkeltrüb, und mit Vorliebe gereimt. Erfreue mich an Musik verschiedener Richtungen, an Literatur und natürlich an Menschlichem wie Situationskomik und liebevolle Reaktionen abseits des jeweiligen Business'. Solange ich die komische Seite der Dinge erkenne, geht's mir gut -- und ...
Wahre kleine Begebenheiten, vallah

Kleinigkeiten aus der Großstadt - Nummer 4

Erster Aufzug

Wie immer gut gefüllt ist die abendliche S-Bahn. Menschen mit Scheitel und solche mit Chirokesen, mit und ohne Kopftuch oder Turban, mit allerlei Hautfarbe und sehr Farblose sitzen, stehen, drängen. Goldschmuck, Tätowierungen, Sakkos, Jogginghosen. Der ganz normale Mix halt.

Darin thront stocksteif ein älteres Paar, angestrengt vor sich hinblickend. Die lange Hose des Herrn besteht aus dünnem weinrotem Leder; ja mal was anderes. Doch dann fällt mein Blick auf seine Dame: Viel geblümter Stoff, sorgsam in Falten gepreßt, darüber eine

Schürze. Ein Dirndl… Unfähig, mich höflich zu beherrschen, muß ich feixen. Ist schon wieder Fasching? Oder wo gehts denn hier zu Marschmusik und Maß?

Die Armen, ihre Garderobe erster Güte war sicher sündhaft teuer, sie finden sich edel, und hier sind sie plötzlich die begafften Aliens. Ich war wirklich alberich, bitte entschuldigt, Ihr Lieben. Wie sagen sie in den Schmonzetten: Es war einfach stärker als ich.

Zweiter Aufzug

Haben wir Menschen wirklich mal den Mond erreicht? Und doch das Rätsel neurotischer Fahrstühle noch nicht gelöst? Seit es zu unserem S-Bahnhof den neuen Zugang gibt, versinkt der dortige Fahrstuhl alle paar Wochen in selbstvergessene Spielereien. Tür zu, gleich wieder auf, wieder zu, der Etagenknopf muß erneut gedrückt werden. Und so fort. Wenn auch Rütteln und Draufhaun nicht helfen, steige ich aus. Darauf hat die Tür nur gewartet und rammelt mir flott in die Seite. Keine Überraschung, daß mir der Aufzug

heimlich folgt und mich auf der Zieletage mit offener Tür angrinst. Oder vielleicht hat sich über Nacht eine zweite Kabine eingeschlichen, und sie spielen mit mir Hase und Igel. Manchmal fährt das Ding ein paar Wochen brav. Dann wieder knallt es einmal auf halbem Wege, und nichts bewegt sich mehr. Nichts als die Bahnen über mir, die mich zur Arbeit bringen sollten. Die Stunde, die ich allein in der Kabine stehe, wird mir verkürzt durch viele besorgte Anrufe wechselnden Bahnpersonals, das nach meinem und des Fahrstuhls Befinden fragt. Das ist in Ordnung so. Seltsam nur, daß erstmal kein Techniker, sondern zwei

Feuerwehrleute anrücken und vorsichtig die verfügbaren Knöpfe im Schaltschrank draußen testen. Doch nichts rührt sich, wohl zum Glück. Denn dann rätseln sie auf dem Kabinendach: „Ich krieg das nicht auf… Da ist ja noch ein zweites Blech drunter… Jetzt ist die Schraube weg…“ Um mich vor einem möglichen Kollaps oder Veitstanz zu retten, werden sie bald die teure Kiste soweit in Kleinteile zerlegen, bis wir gemeinsam im Erdgeschoß aufschlagen. Daran hindert sie der dann doch eintreffende Wartungstechniker, der mit ein paar Griffen den Zyklus der Launen des Aufzugs neu startet. Und wahrlich, sowohl „Auf und Zu“

als auch Steckenbleiben wiederholten sich inzwischen. Ich freue mich auf die Autos und Kühlschränke, die in Kürze selber denken werden, und vermute sehr, daß in diesem Fahrstuhl schon ein Betatest für derlei KI-Geräte läuft. Ha, und ich bin dabeigewesen.


© 2018 Brubeckfan

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Brubeckfan
Getauft, Geschieden, Geimpft: 3G also, tretet näher, Herrschaften! Was ich so schreibe, ist natürlich erlebt, erlauscht, erlesen und erlogen; von alberich bis böse oder dunkeltrüb, und mit Vorliebe gereimt. Erfreue mich an Musik verschiedener Richtungen, an Literatur und natürlich an Menschlichem wie Situationskomik und liebevolle Reaktionen abseits des jeweiligen Business'. Solange ich die komische Seite der Dinge erkenne, geht's mir gut -- und das ist allermeistens.

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Enya2853 Herrlich! Ich mag deine Geschichten aus der Hauptstadt, lieber Gerd, besonders den doch meist leicht ironischen Ton, bei dem du sogar vor dir selbst nicht haltmachst.

Es gibt einfach diese Momente, in denen man nicht an sich halten kann. Beim Lesen zumindest kam mir das Lachen absichtslos hoch, als ich mir das "verkleidete" Paar vorstellte. Sie werden ihre Gründe gehabt haben. Der einfachste: Sie mögen es einfach so.

Was Aufzüge angeht, bin ich skeptisch. Während des Studiums musste ich oft im Frankfurter AFE-Turm (den gibt es nicht mehr, zum Glück) mit dem Aufzug weit hinauffahren. Frag nicht, wie oft ich steckengeblieben bin. Die Feuerwehr kam nie.

Danke für den Lesespaß.
Lieben Gruß
Enya
Vor langer Zeit - Antworten
Brubeckfan Schön! Herzlichen Dank, liebe Enya.
Vor langer Zeit - Antworten
baesta Mir ist. als hätte ich es schon mal gelesen, aber vieleicht habe ich vergessen einen Kommi dazu zu schreiben.
Tolle Milieustudie - mit Schmunzelfaktor.

LG Bärbel
Vor langer Zeit - Antworten
Brubeckfan Vielen Dank, liebe Bärbel, auch für all den "Reichtum".
Herzliche Grüße,
Gerd
Vor langer Zeit - Antworten
KaraList Dass Dein Wohlergehen Vorrang vor dem des Fahrstuhls hatte, sollte Dich eigentlich glücklich machen. :-) ... und dem Alter erweist Du auch keinen Respekt. Vielleicht wussten die älteren Herrschaften gar nicht, was man ihnen angezogen hatte.
Ich lese auch gern Geschichten aus der Hauptstadt, unterscheiden sie sich doch sehr von denen meines Dorfes. Hier gibt es keinen Fahrstuhl - na ja, Stühle haben wir auch.
Liebe Grüße und noch einen schönen Sonntagabend
Kara
Vor langer Zeit - Antworten
Brubeckfan Danke für die "Kamellen"!
Die wiederholten Anfragen wechselnder Stimmen nach meinem Zustand waren wirklich in Ordnung. Die Entsendung der falschen Leute weniger.
Und ja, soo bunt wie in der Großstadt hat mans auf dem Dorf halt nicht, nicht in Deinem und nicht in dem der beschriebenen fremdelnden Herrschaften. Ich hätte auch nicht feixen müssen, hätten sie nicht so wächsern dagesessen, und hätten mir nicht diverse "volksnahe" Fernsehsendungen ein bestimmtes Bild in den Kopf gebrannt.
Na denn mach mal bißchen Urlaub in Berlin, oder besser London, Barcelona, ...
Viele Grüße,
Gerd
Vor langer Zeit - Antworten
FLEURdelaCOEUR 
Vielleicht war das Pärchen in Tracht ja unterwegs in die Bayerische Vertretung, zum Neujahrsempfang? Ich habe auch mächtig gegrinst beim Lesen ....
Aber der 2. Aufzug ist ja lebensgefährlich!

Geschichten aus der Hauptstadt lese ich immer gern, danke!
Viele Grüße
fleur
Vor langer Zeit - Antworten
Brubeckfan Das ist schön!
Der 2. Aufzug unseres Bahnhofs ist bestimmt ein Montagsprodukt. Bisher vertraue ich darauf, daß wenigstens die Sicherheitsanlage funktioniert, aber Du hast recht, wer weiß. Schon, daß man 0 für die Brücke und -1 für die Straße drücken muß, stimmt mißtrauisch. Ich wohne sozusagen auf unterirdischem Terrain.
Herzlichen Dank für alles,
und viele Grüße!
Gerd
Vor langer Zeit - Antworten
Memory 
Witzig geschrieben :))
Musst mal hier während der Oktoberfest-Zeit S-Bahn fahren, dann fällst du auf, wenn du nicht diese "Verkleidung" trägst.
Lieben Gruß
Sabine
Vor langer Zeit - Antworten
Brubeckfan Ich kann's mir vorstellen... Wie sagte mal ein berühmter Münchner: Fremd ist der Fremde nur in der Fremde.
Vielen Dank, liebe Sabine, und viele Grüße!
Gerd
Vor langer Zeit - Antworten
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