Drachenzorn
Am ganzen Leib schlotterte er, und das lag nicht an dem Mythenwesen unmittelbar vor ihm.
Dieser Ren Artuhr Asato wirkte wie eine einzige furchtbare Bedrohung. Alle Instinkte die Flucht zu ergreifen, schrillten in Kais Körper wie die Alarmglocken.
Kaum berührten Rens Füße den Boden des Artiums umgab nicht mehr diese dominierende Aura seiner Schwester den Ort, sondern die Symbiose dieser beiden Magier. An die Kombination seines
Vaters und seines Onkels sich zu erinnern war Kai zu klein gewesen, deswegen fand auch Rooster seine Stimme als Erster wieder: "Lady Ashton, DAS ist nicht ihr Ernst!"
Den Rotschopf geißelte Ren sofort mit Blicken. Dieser konnte jedoch ein Zusammenzucken nur mit Mühe und Not unterdrücken. Kreidebleich wandte sich Donna Isaura von der Grupe ab, und verschwand ins Innere des Hauses. Die Nähe eines Asatos war sowieso schon Furcht einflössend genug, und zwei von ihnen waren restlos zuviel.
"Kai", bat Run mit leiser Stimme und streckte dem Jüngsten die Hand hin. Seine Knochen reagierten darauf nur wie
ein verrostetes Uhrwerk. Vor Asarott hatte er Respekt, aber dieser konnte ihn auch nicht fressen.
"Ach nein, wen haben wir denn da? Einen kleinen Alexis. Bist du Julian oder Alexander, ich kann euch Zwillinge nie auseinander halten."
Die Stimme einer Kindergärtnerin hörte sich völlig irritierend an, die der Alexis wahrnahm.
Dieser Drache sprach kein Wort. Es handelte sich mehr um eine Art der Telepathie, die solche Wesen für die Kommunikation mit Menschen nutzten.
"Das ist Kai-Alexander, Alexander Alexis Sohn, Weiwei", erklärte Run fast schon liebevoll, und schob den Jungen
unter das Maul des Drachens. Weiwei beugte sich nach unten, und sog Luft in ihre Nüstern hinein.
"Meine Güte, Sohn! Die Zeit von euch Menschen vergeht so schnell. Freut mich, dich kennen zu lernen."
"Ich bin Kai-Alexander Alexis, Erbe des Alexis Clan, ich freue mich Ihre Bekanntschaft zu machen."
So tief er konnte verbeugte sich Kai, ohne dabei gegen die Drachenschnauze zu stoßen.
"Sehr anständig von dir. Hübsch anzusehen, und gut erzogen. Was meinst du, Meister Ren?"
"Ich fass’ es nicht. Ein sprechender Tante Emma Dino", japste der
Rothaarige, und dabei stand ihm die Überforderung deutlich ins Gesicht geschrieben.
Doch Ren Artuhr Asato sprach kein einziges Wort. Lediglich bedachte er seine Zwillingsschwester mit tiefgründigen Blicken.
Ein gutes Gefühl konnten die Brüder nicht aufbringen, doch Rooster sprach es aus: "Das ist glatter Selbstmord für einen Unerfahrenen. Nicht das Weiwei ihn fressen wird, aber einen Flug quer durch ganz Europa auf einem Mythenwesen?"
Die Gesichter der Zwillinge sprachen Bände, selbst wenn ihre Haut wie Alabaster wirkte. Aber in Anbetracht eines Wesens, das
einen gesamten Hof mit dem Körper ausfüllte, musste diese Aussage laut ausgesprochen werden. Jetzt schnappte Rooster tief nach Luft und schluckte alles andere hinunter, um nicht noch tiefer in Ungnade zu fallen.
"Er ist Sempeis Sohn. Trauen sie ihm so wenig zu?"
Dieser verbale Gegenschlag von Run traf den treuherzigen Rooster tief. Beleidigt sagte er nichts mehr, verschränkte nur die Arme vor der Brust, und wandte sich von der kalten Schönheit ab.
"Donna Isaura tut es jedenfalls."
Ja danke auch, noch schön in der Wunde herumbohren. Der Rothaarige meckerte und er machte sich nur Sorgen, aber die
Asatos hatten ja alles im Griff.
Nun überreichte Donna Isaura dem Erben des Alexis Clan einen Mantel und ein Bündel, in den sie wahrscheinlich Verpflegung einpackte. Darauf wurde Kai feuerrot im Gesicht.
Soviel Aufmerksamkeit um seine Person mochte er überhaupt nicht. Dem Jüngsten der Runde half sie in das Kleidungsstück hinein und versorgte ihn zusätzlich noch mit einigen mütterlichen Gesten, wie das Streicheln über den Kopf und das Hochziehen des Kragens. Von seiner Großmutter her wusste Kai: Durchhalten, gleich ist es vorbei. Ein Zurückweichen würde es bloß um ein Hundertfaches
schlimmer machen.
Fertig eingeschnürt stellte sich der Alexis vor Ren, und reichte ihm freundschaftlich eine Hand. Die Augen sahen so dunkel wie Ebenholz aus und dieser besondere Hauch eines Brauns, blickte streng auf ihn herab. Aber auch Rens lange Wimpern, und die schmalen Augenbrauen fielen ihm auf. Dazu sahen seine Haare lang genug aus um sie zu einem Zopf zusammenzufassen, aber nicht so lang, um ihn wie einen Hippie erscheinen zu lassen. Der Mund sah schmal aus, und hinterließ einen fast femininen Eindruck. Umso schauerlicher klangen diese Worte, die Kai völlig unvorbereitet vernahm:
"Halte dich gut fest. Du wirst das für dein Leben tun müssen, denk’ immer daran."
Noch ehe sich der Alexis versah packte Ren ihn an der Taille, und warf seinen Körper regelrecht in den Nacken der Drachendame.
"Huch, du bist ja so leicht", ertönte es von Weiwei, und in Kais Magen rumorte es dabei schlimmer als in jeder Economy Class, die es jemals beim ihm auslösen könnte.
Eine behandschuhte Hand hob Lady Ashton an ihren Mund, und lächelte im Verborgenen: "Sempeis Sohn."
Jedoch Ren lächelte nicht. Seine Gesichtzüge präsentierten sich wie
menschlicher Marmor. Diese verwandelten sich in knallharten Granit, bei dem Anblick von Duncan Balthasar. Jedoch Rooster verfolgte diese steinerne Mimik und knurrte: "Du liebestoller Vollpfosten!"
Der Falkenwächter trat hinaus in die aufgehende Sonne. Sein Äußeres bildete sich noch nicht zurück. Der deutliche Beweis für die unbeschreibliche Heftigkeit seines Anfalls.
Vorsichtig näherte sich Duncan dem Ohr von Run. Jedoch seine Augen, die eines Falken, richteten sich auf ihren Zwilling.
"Ich hatte schon Sorge, du verlässt mich ohne ein Wort des
Abschiedes."
Um diesen Empfindungen auszuweichen schloss die schöne Frau ihre Augen und konzentrierte sich auf alles, nur nicht auf den warmen Schauer der ihre Glieder streifte.
Die Reglosigkeit veränderte sich zu einem reinen Erstarren. Die aufkeimende Feindseeligkeit zwischen Ren und Duncan spürte Donna Isaura, und dieses Mal verschwand sie wirklich zur Sicherheit im Inneren des Hauses.
Allerdings drehte Run sich nicht um, auch dann nicht nachdem sie seine Hand in ihrer spürte. Dabei wurden keine Worte gewechselt. Hier spielte einzig und alleine Macht und Dominanz die
entscheidende Rolle. Doch Kai verstand diese Feindseeligkeit nicht. Immerhin erlebte er wie Run und Duncan zueinander standen. Weswegen verhielt sich ihr Zwillingsbruder so wütend?
"Meister Ren!"
Der Drache und sein Meister kannten sich ausgezeichnet. Es benötigte lediglich eins dieser beiden bedacht ausgesprochenen Worte, und Weiwei ersparte ihrem Herrn weitere Unannehmlichkeiten. Zu diesen wäre es mit Sicherheit gekommen, wenn sich der Asato nicht über sein Verhalten bewusst geworden wäre. Mit dunkler Miene schwang sich der Asato auch in den Nacken des Drachens. Er saß vor
seinem Passagier, ergriff dessen Arme und presste sie an seinen Rumpf.
"Halt dich fest, oder du stirbst!"
Irgendwie kam hier bei jedem das ungute Gefühl auf, dass der letzte Teil dieses Satzes dem Mann an Runs Seite galt, und nicht dem Jungen hinter Ren.