Kurz vor der Exlosion
"Am Arsch, alter Astron. Mal ehrlich, hier stinkt doch was ganz gewaltig!"
Erschrocken räusperte ich mich darüber. Solche üblen Verbalitäten zu verwenden untersagte ich meinem Enkel immer. Die hübsche Sabriel entsetzte mich.
Verdrossen versuchte der kräftige Mann die Neuerscheinung zu überhören, dennoch band er Luca mit in das Gespräch ein.
„Einer der Gründe, die ich meine. Drei Verfluchte in seinem Umfeld. Auf der einen Seite verhätscheln Sie ihren
Kleinen, und dann setzten Sie ihn einer solchen Gefahr aus. Haben Sie sich etwa so einsam gefühlt?“
„Hast du vielleicht Angst, Asrael das Übel beim Namen zu nennen, oder verbittet es dir dein Stolz?“
Daraufhin starrte Sabriel-Luca direkt in Asraels Augen. Eine Geste, die wahrscheinlich nur die Wenigsten bei diesem Mann aushalten konnten. In den Augen hinter den runden Brillengläsern glaubte ich irgendetwas zu erkennen, das dort überhaupt nicht hingehörte. Diese Anspielung auf seinen Stolz traf das Astron Oberhaupt tief. Denn es erinnerte ihn daran, dass sie es war, die schon seit neunzehn, langen Jahren auf seiner
starken, perfekten Familie wie ein dunkler Schatten lag. Kurz musste er sich sammeln, doch die Schwere der Worte milderte das nicht im Geringsten: „Du willst dich hier einmischen? Welches Recht gibt dir das?“, zischte er, und mit einem Handstreich erlosch das Kerzenfeuer wieder um uns herum.
„Das Recht meiner Geburt, Vater!“, erwiderte Luca scharf und wischte ihm das Wachs von der Wange herunter, das sich dabei in seinen Dreitagesbart festsetzte. Ihre hellen, braunen Augen funkelten wie kochendes Karamell in einem Topf auf dem Herd. Jemanden aus dem Feuerclan so dermaßen zu provozieren bedeutete nie etwas Gutes.
Sogleich holte Asrael aus und schlug der jungen Frau mitten ins Gesicht hinein, mit derselben Kraft, wie ihn ihre Worte trafen.
„Sabriel-Luca!“, schrie ich aus Angst um das Mädchen, denn sie stürzte nur knapp neben einem Kerzenleuchter auf den Boden.
„Jemand wie du, wagt es mich 'VATER' zu nennen?“
Langsam rappelte Sabriel sich wieder auf als wäre nichts gewesen und provozierte den Mann erneut, indem sie ihre Arme auf seine aufgestellten Knie legte und ihn herausfordernd von unten her ansah. Ein böses Schmunzeln breitete sich auf Sabriel-Luca Lippen aus: „Was hast du
denn? Fallen dir keine Worte mehr ein, Vater?“
Unglaublich. Nach Strich und Faden führte Sabriel das Familienoberhaupt vor, und das auch noch mit verblüffender Leichtigkeit.
Auf Asraels Stirn machte sich seine dicke Schlagader bemerkbar. Seine Ruhe verblasste von Sekunde zu Sekunde. Mir schien es allmählich so, als hätte er alles Liebenswerte verloren, mit einem einzigen Satz von seiner Tochter. Jedoch Asrael wollte die Oberhand wieder gewinnen, und beugte sich über die halbaufgerichtete Person.
Aber Sabriel ließ nicht locker: „Sag schon, Asrael, fehlen dir die Worte?
“
Bedrohlich streckte der Mann die Hand nach der jungen Frau auf dem Boden aus. Dabei wurde mir mächtig heiß, und dies lag nicht mehr am Adrenalin das mir wie verrückt durch die Adern schoss. Die Luft glimmte, und dabei roch es nach Kerzenwachs und heißem Metall.
Vollkommen unverständlicherweise begann ich zu zittern. Hier trafen unglaubliche Mächte aufeinander. In diesem Augenblick konnte jetzt alles passieren: Eine zweite Ohrfeige oder eine Prügelei, aber auch eine Explosion. Offensichtlich pokerte Sabriel einfach zu hoch. In seiner vorgebeugten Haltung verharrte
Asrael, und streckte dabei die Hand nach seinem verstoßenen Kind aus. Nicht einen Millimeter von der Stelle rührte er sich.
Dies bemerkte ich erst nachdem Sabriel ihre kampfeslustige Körperhaltung plötzlich aufgab, zugleich aufstand, und sich neben mich stellte.
Das Einzige, was sich bei ihm dabei regte waren die Gesichtszüge. Ein Hauch der Verunsicherung und des Schocks war deutlich zu erkennen.
„Ich bin hier, Oberhaupt Astron!“
Mit kleinen und leisen Schritten trat Mia aus dem Hintergrund hervor. Erst jetzt realisierte ich den Einfluss, den sie offensichtlich auf das Geschehen hatte.
Eine Tatsache, die Asrael bloß noch wütender machte: „Was tust du da, Mädchen?“
Ziemlich unangenehm musste es sich anfühlen von einem halben Kind gebannt zu werden, dass musste ich dabei zugeben.
Bedächtig schritt Mia auf ihn zu, glitt an seiner Seite vorbei, sodass sie zwischen Luca, mir und ihm stand.
„Ich schütze die junge Astron und Frau Professor.“
Sofort hob sie ihre Hand und der Mann konnte eine bequeme Haltung einnehmen.
„So wie ich Kai schützen
möchte.“
Wer Mia nicht kannte bekam Schwierigkeiten mit ihren klaren, und faszinierenden gelben Augen. Allerdings hatte ich keine Ahnung welchen Zauber Mia hier benutzte aber ich glaubte, dass es ihre Augen waren, die Asrael das Fürchten lehrte. „Was gibt dir das Recht hier zu sein, Katzenmädchen?“, fragte er mit schon wesentlich weniger Autorität in der Stimme.
Nun beugte sich Sabriel zu mir herüber und grinste: "Diese Frage hörten wir heute doch schon einmal!"
Erbost schlug ich ihr auf die Hand, die sie an meinem Ellenbogen einhakte. Ihrer
Kampfeslust hatte sie schon ein Veilchen zu verdanken.
„Ich kann hier sein. Ich kann helfen, deshalb tue ich es."
Über ihrem Arm hing Sabriels Jacke. Dann schritt sie auf uns zu und meinte: "Zieh sie an. Zu einem Streit gehören immer mehrere."
Durch diese Worte fühlte sich Sabriel mehr getadelt, als ich erwartete. Schnell nahm sie die Jacke, und verkleidete sich wieder als Mann. Zu mir gewandt meinte Mia: "Oma Alexa, wo möchtest du jetzt hin?"
"Nach Hause", antwortete ich ohne nachzudenken. Daraufhin lächelte Mia und freute sich wirklich aufrichtig
darüber. Dann drehte sie sich halb zu Asrael um und bat: "Oberhaut Astron, lasst ihr sie heimgehen?"
Doch er rührte sich nicht. Ganz dumpf war immer noch seine Wut und Verletzbarkeit im Unterbewusstsein zu spüren. Die Sekunden verstrichen. Eine Zeit in der ich bemerkte, dass es sich hier um einen empathischen Zauber handelte. Die Starre band Mia an seine Emotionen fest, die er nicht mehr kontrollieren konnte. Wie dies jedoch vonstatten ging wusste ich nicht. Einst besaß mein Mann ein ganzes Arsenal von kleinen Zaubern, die alle ähnlich geartet waren. Doch woher Mia über dieses Wissen verfügte, war mir
schlicht ein Rätsel. Mein Mann brauchte Jahrzehnte, um diese Techniken zu erlernen und zu nutzen.
"Oberhaupt Astron, wenn ihr sie nicht in die Freiheit lasst, dann werden sie gehen und es wird kein Zurück geben", meinte Mia und sie sprach, als würde der Zauber den sie verhängte wesentlich tiefer gehen, als ich dachte.
"Alter Astron, ich werde nicht mehr ohne Ladung dieses Gemäuer betreten", versprach gleich darauf Sabriel. Dabei sagte ihre Stimme eindeutig aus dass sie wusste, viel zu weit gegangen zu sein.
Auf einmal konnte der Mann wieder seine Fäuste ballen. In ihm ging etwas vor und ich begriff, dass der Zauber an
die Trauer gebunden war. Sein Gesicht ähnelte meinem, als er mich mit meinem Mann und meiner Vergangenheit quälte.
"Geht, verlasst dieses Haus!", kam es mit bebender Stimme von ihm. Dieser Satz löste die gesamte Spannung aus dem Körper. Damit war Mias Bann beendet, und Asrael tat mir leid. Denn ich trauerte um meinen Mann und er um seine Frau, der Sabriel wie aus dem Gesicht geschnitten glich.
Beim Hinausgehen kuschelte sich Mia an mich. Zusätzlich stützte sie mich, doch meine Beine fühlten sich weich wie Wachs an.
„Ich hoffe, dir ist klar, dass du nur den Namen Alexis trägst. Falls du, oder
Cains Enkelsohn bei der Prüfung schwanken sollte, kommt Kai-Alexander in unser Haus. Du bis unfähig das Ausmaß deiner Fehler zu beheben, Alexa, oder sollte ich besser sagen Cordelia Alexa geborene von Hornberg?“, rief uns das Oberhaupt hinterher. Seine Worte klangen wie Schwerthiebe ins Herz und obwohl mir Asrael so wehtat, empfand ich Mitleid mit diesem großen und stolzen Mann.