Genug ist genug
Erleichtert werfe ich den zerknüllten Notizzettel in Richtung Papierkorb. Dass er natürlich seine Flugbahn unterwegs ändert und zwei Zentimeter neben dem Ziel landet, entlockt mir nur ein Lächeln. Ich hatte es erwartet.
Aber das spielt hier und jetzt überhaupt keine Rolle.
‚Challenge-Thema bearbeiten und Geschichte schreiben‘, stand auf dem kleinen gelben Klebezettel, der - obwohl er blassgelb war - in meinen Augen schon seit Tagen knallrot leuchtete.
Es nervte mich gewaltig, dass mir so überhaupt nichts zu diesem Thema einfallen
wollte. Rein gar nichts, mit dem ich die Leser aus dem Winterschlaf erwecken könnte.
Wissen, wann es gut ist - das Thema.
Eigentlich weiß doch jeder meistens, wann es gut ist und man aufhören sollte, ein Ziel zu verfolgen, das unerreichbar ist. Oder man im Streit genau spürt, das Recht ist auf der anderen Seite. Auch wenn man gegen den Strom schwimmt und merkt, dass die Kräfte schwinden.
Mit ein wenig gesundem Menschenverstand ist es doch ganz deutlich, wann es genug ist.
Und trotzdem erkennen viele diese natürliche Bremse nicht, kämpfen gegen Windmühlen, steigen in den Boxring und wundern sich, wenn sie zu Boden gehen.
Aber ich schweife ab. Ich sollte eine Geschichte schreiben, die mir einfach nicht einfällt.
Da wäre zum Beispiel das türkische Mädchen, das sich gegen die Familie stellt, weil sie nicht so leben möchte, wie ihre Mutter.
Sicher ein gutes Thema, aber ich kenne keine türkische Familie, in der die Mädchen unterdrückt werden.
Oder schreibe ich über die Menschen, die versuchen, ihre politischen Interessen durchzusetzen, zu gewaltträchtigen Mitteln greifen und dabei oft ihr Ziel aus den Augen verlieren?
Ich müsste dafür sehr viel recherchieren, weil ich keinen Unsinn schreiben möchte.
Interessant wäre vielleicht auch der kleine fünfjährige Trotzkopf. Mit Vehemenz und lautem Gebrüll versucht er, sein Ziel zu erreichen, bis er vor Erschöpfung einschläft.
Damit kenne ich mich bestens aus, aber wer möchte hier schon Erziehungsratgeber präsentiert bekommen.
Lustig zu lesen wäre vielleicht auch die Geschichte über den Gärtner, der im letzten Herbst meine Büsche im Garten beschneiden sollte und kein Ende finden konnte oder wollte. Er hat offensichtlich nicht vor, die nächsten Jahre wieder zu kommen, oder er erkannte einfach nicht, wann es genug war.
Daraus ließe sich bestimmt eine Spaßgeschichte entwickeln, aber so eine der Art habe ich schon einmal geschrieben. Und
ehrlich gesagt - spannend ist das auch nicht wirklich.
Vielleicht sollte ich etwas ganz persönliches schreiben. Es gibt da ein Thema in meinem Leben, an dem ich arbeiten sollte, weil ich genau sehe, dass es an der Zeit wäre dafür.
Auch das ist jedoch keine Option für die Challenge, weil es viel zu persönlich wäre.
So grübelte ich seit Tagen und bin nun endlich zu der Erkenntnis gelangt - genug ist genug!
Heute gestehe ich öffentlich, dass mir keine Geschichte zu dem schönen Thema eingefallen ist.
Es tut mir leid, aber manchmal muss man einfach zugeben, dass nun gut ist.
Jetzt gehe ich noch einmal zum Papierkorb,
hebe den Notizzettel auf, werfe ihn diesmal richtig weg und dann freue ich mich auf das nächste Challenge-Thema.
© Memory (Jan. 2018)