Schreibparty 66
Inspiriert von: Alexandra; Mein Freund der Baum
Vorgabewörter:
Glas
Leben
Spiegel
Schnabel
Liebste
Zettel
Freund
Morgenrot
Schatten
Tanz
küsst
Wein
FREUNDE, FÜREINANDER DA...
Ich trat durch den Spiegel der Zeit, in eine Ära, in der die Wälder noch frisch und grün waren, die Blumen in den schillerndsten Farben blühten und die Vögel einen Gesang anhoben, der majestätischer nicht hätte sein können.
Ich ging den moosgepolsterten Waldweg entlang, der sich dahischlängelte und genoss das Morgenrot, das alles in unwirkliche, warme Farben tauchte, so dass die Landschaft fast märchenhaft erschien.
Wundersame Klänge waren zu vernehmen, als ich an einen stattlichen Baum herantrat.
Ich blickte nach oben und sah einen prachtvollen Vogel im Gezweig, der seinen Schnabel weit geöffnet hatte, um glockenhelle Töne erklingen zu lassen. Es war wie eine Melodie, die mir irgendwie - ach so vertraut war; nur wusste ich nicht woher.
Als ich mich umschaute, kam mir die Umgebung immer bekannter vor und doch fremd. Im Schatten des Baumes ließ ich mich in das weiche Gras nieder, das mit den herrlichsten Blumen durchzogen war,
auf denen farbenfrohe Schmetterlinge
ihren Tanz vollführten.
Ein Winzling kam daher gesprungen, einen Kelch voll frischen Quellwassers, mit dem er den Baum unentwegt goss, obschon mir dies nicht nötig schien, denn die Erde war gesättigt und getränkt genug, um alles in ausreichendem Maße zu nähren. Immer wieder lief er unermüdlich zu einem glasklaren Gewässer nicht unweit der Stelle, an der ich mich befand, um sein Gefäß erneut zu füllen.
Unentwegt murmelte er dabei:
„Dies ist, um Dich zu stärken:
- für den Trost, den Du immer gabst.“
Oder: „ - für die Sorgen, die Du Dir immer
anhörtest.“
Oder: „ - für die Zuversicht, die Du spendetest, so dass die Kinder wieder fröhlich um Dich herumtanzten.“
Und so ging es fort. Mit jedem Gießen war es, als wenn durch das Wasser und die Worte gleichsam auf MICH eingewirkt wurde, als bekäme ICH neue Kraft und Lebensenergie.
Denn auch mich hatten in Kindertagen Sorgen geplagt und oftmals Ängste übermannt,
die ich mit einem treuen Gefåhrten teilen konnte. Nun fühlte ich mich wohlig aufgehoben und geborgen. Zweige strichen sanft durch mein Haar,
Blätter streichelten trostreich mein Gesicht.
Auch dies kam mir seltsam bekannt vor, wenngleich ich es nicht einzuordnen wusste.
Erst jetzt bemerkte der Winzling mich und hielt in seinem geschäftigen Treiben inne. Zuerst beäugte er mich misstrauisch, schaute immer wieder hin und her. Nach einigem Zögern erklärte er:
„Nutze Deine Kraft und Stärke weise, um dieses Baumes Willen. Denn er hat auch DIR gute Dienste geleistet. Er wird es brauchen.
Sei ihm der Freund, der er auch DIR immer gewesen ist.“
Nachdem er so gesprochen hatte merkte ich, wie die Zeit davonzueilen begann.
Ich wollte sie aufhalten, denn am liebsten wäre ich dort geblieben, an jenem schönen Ort. Ich hatte noch so viele Fragen…
Doch eh ich michs versah saß ich an einen Stamm gelehnt und es wurde mir vieles klar.
Ein Platz aus Kindertagen.
Die Melodie des wunderschönen Vogels -> ein Kinderlied zu dem ich vor langer Zeit um den, nun etwas knorriger gewordenen, Baum getanzt war.
Ja, ER war es. ER, dem ich immer alles anvertraut hatte.
ER, der in meinen Sorgen und Nöten für mich da, mir von klein auf an ein guter Freund, jener treue Gefåhrte gewesen war.
Immer noch umschwirrten bunte Falter die farbenfrohen Blumen unter ihm, von denen ich als Kind Kränze gewunden und Sträuße gepflückt hatte, die ich mit nach Hause brachte.
Meinen Gedanken nachhängend kamen mir die Worte des Winzlings wieder in den Sinn…
Er hatte in Rätseln gesprochen.
Wie sollte ich seine Worte verstehen?
Was sollte ich tun?
…
…
Als ich frohgelaunt aus meinen Träumen erwachte, die mir diese glücklichen Zeiten in Erinnerung riefen, schaute ich aus dem Fenster. Auf den bemoosten Waldweg, die Blumen, die Schmetterlinge, den Wald. -
Meinen Wald.
Mit der Zeit war mir klargeworden was der Winzling mir sagen wollte, was zu tun war und ich hatte gekämpft.
Um eine berufliche Laufbahn und Stellung, die es mir ermöglichte, all dies zu erhalten.
Meinen Baum am Leben zu erhalten.
Für meinen Freund da zu sein, so wie er es immer für MICH gewesen war.
Majestätisch stand er da, mit Wein umrankt, dessen rotes Laub einen wunderbaren Kontrast zu dem frischen, kräftigen Grün
SEINER Blätter bildete. Es war, als würde er es aus Dankbarkeit in jedem Frühjahr erneut ganz besonders erstrahlen lassen.
Die Sonne stieg etwas höher und es sah gerade so aus, als ob sie ihn küsst.
Ja, ich hatte es geschafft all das zu retten, denn es waren schon genug Wälder gestorben, so dass die Welt immer stürmischer wurde.
Sie mussten Straßen und Häusern weichen, die keinen Halt finden würden, wenn es so weiterginge; alles würde zusammenbrechen, wenn wir nicht achtsamer wären, die Menschen sich in ihrer Gier immer mehr verzettelten.
Wir sollten es uns bewahren, zurückzublicken auf die Schönheit der Natur, die der Schöpfer uns als Geschenk gegeben hat;
auf das Leben, das nur DAraus entspringt!
Uns unserer Verantwortung bewusst sein!
Uns den Spiegel der Zeit vor Augen halten, den Mut haben hindurchzuschreiten!
Wie oft habe ich die Vision gehabt, was passiert wäre, wenn ich DAS nicht getan,
all das, was ich hier erzähle nicht erlebt hätte, mir all das nicht passiert, der Winzling mir nicht begegnet wäre.
Dann sah ich meinen Freund, wie er fiel,
am Weg lag, den Rest Leben unbeachtet aushauchend, ein Haus entstehend.
Selbst wenn es dort dann einen blūhenden Garten gegeben håtte, in dem wieder ein Baum stünde, wäre es auch nach Jahren nicht derselbe gewesen;
nicht ER, der immer für mich da gewesen war:
MEIN FREUND DER BAUM