Obwohl meine beiden Jungen als Zwillinge geboren wurden, war Julian ein Feuermagier und verbrachte seine Jugendzeit in Portugal. Jedoch war Dona Isaura eine strenge Meisterin gewesen, und doch verfügte die Portugiesin über eine sehr fürsorgliche, mütterliche Seite und konnte viel Unfug meines Sohnes verzeihen. Aus diesem Grund verbeugte sich mein Enkel tief vor der in die Jahre gekommene Feuermeisterin. Sofort bedachte sie ihn mit einer Umarmung
und vielen Worten auf Portugiesisch bevor sie bemerkte, dass Englisch ihrem Gast eine bessere Kommunikation ermöglichte. Das gequälte Lächeln von Kai kam, nur anfänglich durch die Sprachbarriere zustande. Im Grunde genommen schämte er sich dafür, einen falschen Besuchsgrund genannt zu haben weswegen er hier war. Der Auftrag von Rooster war klar. Die Überprüfung des Herrn Signore Villon, tätig an der Universität Coimbra, und Verwalter der Bibliotheka da Johannita. Als Mittelsmann wurde Duncan dafür eingespannt, da die Informantin vor Ort Lady Elisabeth Ashton war. Der junge
Graf, seines Zeichens Falkenwächter und öffentliches Gesicht der Grafschaft von Falkenstein, war ein hervorragender Diplomat und Charmeur. Wenn es eine Person gab, jemanden aus den Reihen der Asato zum Reden zu bringen, dann er. Jedoch Felizitas zeigte kein gesteigertes Interesse an Villon. Es gab mehr als genug Menschen, welche versuchten die Geschichte der Magie zu belegen, also würde es sich hier nur um eine Formalität handeln, damit das hohe Magierhaus der Asatos nicht gekränkt wurde. Weswegen Kai mitgeschickt werden konnte.
Von dem geplanten Bruch in die Bibliotheka selber wusste die Direktorin
nichts. Das Buch, welches die verschlüsselte Botschaft seines Vaters enthielt, musste sich einfach dort befinden. Das war die einzige Hoffnung auf mehr Informationen über den Verbleib, oder das Ableben seiner Eltern. Der Magen von Kai verkrampfte sich, und dies hatte mit dem nächtlichen Flug und dem bereits versäumen Frühstück nicht das Geringste zu tun. Mein Enkel beging noch nie einen Bruch, ohne den Segen seines Großvaters dafür erhalten zu haben. Gegenüber Dona Isaura, welche die drei Männer umschwärmten und ihnen für die Dauer ihres Aufenthaltes ein Obdach bot, verhielt er sich nicht aufrichtig. Stets
hielt sie ihn für einen guten Jungen, und freute sich über die Nachricht von Emilys Existenz. Würde Kai einen Fehler begehen, könnte er seinen Bruder damit in große Gefahr bringen und Duncan kam mit, obwohl der Fluch der Falken ihn jetzt schon erheblich mitnahm. Für einen Moment dachte Kai daran, dass Felizitas eventuell absichtlich eine Nachtverbindung buchte, damit Duncan dadurch geschwächt war. Was angesichts von Lady Ashton völlig sinnfrei war. Bei den Asatos benötigte man jede einzelne graue Gehirnzelle, um heil aus einem Gespräch herauszukommen. Während Duncan sich im Hause Dona Isauras ausruhte, machten Rooster und
Kai sich an das Auskundschaften vor Ort. Was in diesem Fall bedeutete einen so genannten Büchergeist bei der Führung durch die herrschaftlichen Gemäuer freizulassen, der bis zur fortgeschrittenen Nacht das Buch suchen sollte. Dabei handelte es sich um einen kleinen Geist, der jegliche Form annehmen konnte, die sein Schöpfer für ihn vorsah. In einem Anfall des kindlichen Wahnsinns, demnach Roosters geistigen Normalzustandes, taufte er seinen persönlichen Büchergeist Fritz. Das lag einem Haufen Friztchen-Fritz-Witzen zugrunde, die wir uns über ein Jahr lang anhören mussten, als Rooster etwa zwölf Jahre alt gewesen
war. Diese kleinen Geister ersetzen die elektronische Katalogisierung mit einer Anhäufung von Literatur magischer und nicht magischer Art, noch bevor Guttenberg das Licht der Welt erblickte. Die Bibliothek befand sich in der juristischen Fakultät der Universität. Vom Eingang in den Hof der Lehranstalt eröffnete sich ein großer Platz, der von drei Seiten eingefasst wurde. Am anderen Ende, mit dem Blick über die Stadt Coimbra, befand sich das Gebäude mit den sechs großen Fenstern und der Treppe, welche zurück in die tiefer gelegene Altstadt führte. Alleine das Portal mit seiner Flügeltür und den vier
schlanken Säulen, verhießen schon Prunk und Ehrfurcht. Das Bauwerk aus dem Jahr 1728 galt bis heute als einer der bedeutendsten Bauwerke des Barocks. In diesem Gebäude konnte nicht von einem prächtigen Kunstwerk nach dem anderem gesprochen werden. Hierbei handelte es sich um eine vollständige Meisterleistung, die in Rosen- und Ebenholzregalen gelagert, über dreihunderttausend Bände beherbergte. Die Decken waren mehrere Meter hoch und wer an ihnen hochblickte entdeckte, dass der Baumeister die perfekte Illusion von noch höheren Gebilden schuf, die bis weit in den Himmel hineinragten. Auf
Marmorsäulen sahen Engel auf die Studierenden herab. Der Raum gliederte sich in drei Abteilungen, und jeder einzelne Abschnitt zierte ein phantastisches Deckengemälde.
Feines Blattgold verzierten die barocken Schnitzereien an den Übergangen zu den Räumen.
Schwere und rote Samtvorhänge verkleideten die Durchgänge an den versteckten Wendeltreppen zu den Regalen. Dieser Ort war somit in vielerlei Hinsicht etwas Besonderes. Die Klosterbibliothek von Falkenstein stammte ebenfalls aus dem Barock, doch in ihr kam sich der Magier nicht so winzig vor. Beide Einrichtungen wurden
noch benutzt, doch in dieser hier fühlte sich Kai als ob er in ein anderes Jahrhundert hinein katapultiert wurde. Beim Verlassen der Bibliothek verspürte er plötzlich einen seltsamen Windhauch, und zwar auf der anderen Seite des Hofes. Womit Kai nur etwas wahrnahm, dass in die Schublade Familie hineingehörte, standen Roosters Nackenhaare dafür zu Berge, und reflexartig umklammerte seine Faust das Messer unter seiner Jacke. Nicht, dass ihm eine kleine Standardwaffe bei einem Nahkampf auf diese Entfernung etwas nützen würde, jedoch war diese Reaktion normal, fast schon zu leichtfertig, denn Lady Ashton stand hinter der Statue von
Joao dem III, König von Portugal. Dieser übersiedelte die Universität dauerhaft von Lissabon nach Coimbra. Ihre schwarze Gestalt erwies sich ruhiger als die leise Brise die sie verströmen ließ, ohne dass sie etwas dafür konnte. Hinter dem weißen Stein verschmolz sie ihre zarte Gestalt mit ihrer Kraft zusammen und bildete so etwas Befremdliches, fast Dämonisches. Ihre Macht zeigte sich beeindruckend für Kai. Jedoch Rooster empfand sie alarmierend, vielleicht weil seine zukünftige Frau ebenso einen Dämon in sich tragen konnte, wie diese Dame am andern Ende der Universität zu sein schien. Bloß schwarz trug sie. Einen Mantel der
ihr weit über die Knie reichte, darunter erstreckten sich ein Rocksaum und matte Lederstiefel, bei dem ein Mann nie wusste, wo er mit Schnüren anfangen sollte. Auch ihre Hände hüllten sich in schwarzes Leder, obwohl der Süden Europas über wesentlich wärmere Temperaturen verfügte, als andere Gebiete des Kontinentes zu dieser Jahreszeit.
Ihre augenscheinlich sehr langen Haare, die sie zu einem Zopf zusammenband, stach als einziges hell und klar ihr blasses Gesicht aus all dieser Dunkelheit heraus. Die Menschen, welche die Asatos nur
von weitem kannten, was eigentlich immer der Fall war, hielten dies für die Totenblässe ihrer schwarzen Magie. Jedoch Kai wusste, dass auf dem englischen Land nicht all zu oft die Sonne schien, und die Engländer eher zur roten Variante als Hautfarbe bei der Sonneneinwirkung tendierten, als zum gesunden braun. Während sich mein Enkel und sich Lady Ashton ansahen, schien es fast so als würde sich der Raum des Hofes nun verkleinern. Auf eine unmögliche Entfernung sahen sich die ungleichen Personen schweigend an und Kai wusste nicht so recht was er davon halten sollte, von einer Asato bei einer Vorbereitung
zu einem Bruch ertappt worden zu sein. Doch Rooster entspannte sich nicht. Augenscheinlich zielte die Frau darauf ab, ihn auf nur jegliche Art und Weise auf Abstand zu halten. Wenn es schon einen solchen Unterschied zwischen Kai und ihm gab während des Treffens mit dieser Frau, wie würde sie dann auf den diplomatischen Duncan reagieren? Als wollte Lady Ashton diesen flüchtigen Gedanken aufgreifen, umspielte ein sachtes Kräuseln ihre rosa Lippen. Irgendetwas fand die schwarze Lady offensichtlich komisch daran. Wenn bedacht wurde, dass Kai und Rooster einer der mysteriösesten Personen der Magierwelt gegenüber standen, konnte es
sich aber auch um schlichte Einbildung handeln.
Eine Antwort bekam Kai nicht, denn als dieser kleine menschliche Beweis aus dem Gesicht der Frau verschwand, entglitt Lady Ashton, einem Geist ähnlich, dem Blick meines Jungen.
Etwas verlegen fuhr er sich mit seiner großen Hand über den Nacken. Wenn dies nicht einmal eine eigenartige Begrüßung in der ehemaligen Hauptstadt der Portugiesen war.