Die Frau Felizitas von unbestimmtem Alter und so durchschaubar wie der Börsenmarkt, wusste nicht so recht, was sie von der Situation halten sollte. Was sie von diesem Jungen halten sollte. Die Akte, die über Kai-Alexander Alexis existierte, war ein schlechter Witz seines Großvaters und ihres Vorgängers gewesen. Sowohl als auch Aslan Cain zeichneten keinerlei Informationen über die Alexis auf. Lediglich existierten Daten, die jedem Amt zugänglich waren. Ein blank polierter und spitz gefeilter
Fingernagel detonierte auf dem zweiten Bericht, den sie sich zukommen ließ. Im Grunde genommen musste die Direktorin den Mann nur ansehen, mit dem Kai trainierte und Mitleid bekam. Nicht mit dem Alexis, sondern eher mit demjenigen, der das Probetraining mit ihm überlebte. Der Junge beruhigte sich, und fügte sich sehr schnell in seine alte und neue Position im Center ein. Zwar benutzte Kai im Training lediglich ein Minimum an Magie, sein Gegner sah dennoch aus wie eine grob zerschlagene Eisskulptur. Wohl und streng erzogen wie der Alexis Erbe nun einmal war gehorchte er ihren
Befehlen, und blickte sie dennoch mit diesen unnatürlich grünen Augen an. Jedoch dieser Blick verriet ihr, dass Felizitas nicht an seinen Großvater heranreichen würde. Das wollte die Frau auch gar nicht. Im Gegensatz dazu war sie es gewohnt mit Cain verglichen zu werden. Immerhin hinterließ er eine große Lücke. Dieser Mann würde noch in aller Munde sein, wenn Felizitas schon die Radieschen von unten betrachtete. Deswegen wollte sie gar nicht so sein wie er. Im einundzwanzigsten Jahrhundert war das auch unnötig. Zudem besaß sie ihre ganz eigenen Qualitäten. Sich gegen einen Lausebengel aus
wohlwollender Familie durchzusetzen war eine Sache. Eine völlig andere war die Stimme am Telefon. Die Kontrolle und die Möglichkeit auf Vorhersehbarkeit zu haben, hasste Felizitas nicht. Sich mit jemanden aus dem Asato Clan zu unterhalten, gestaltete sich unangenehm. Und Run Asato zur Kommunikation zu bewegen, glich dem tiefen Fall in ein schwarzes Loch. Den Monolog nahm Felizitas wieder auf: „Ich musste den jungen Kai mit senden. Irgendwann muss er wieder auf eine Mission gehen. Zwar ist Rooster jung aber dafür erfahren, und Duncan und ihre Familie stehen in geschäftlichem
Kontakt, von daher sollte die Abwicklung friedlich ablaufen." Die Stille konnte jetzt nicht überhört werden, genauso wenig wie der Vorwurf, den die Asato der Direktorin damit übermittelte. „Lady Ashton, Sie sind dem Signore Villong bereits seit einigen Monaten auf der Spur und ich glaube nicht, dass er den fünf Familien gefährlich werden kann. Selbst wenn er nach alten Hexenfamilien in Europa forscht." Wieder ertöne nichts Anderes als langes Schweigen. Waren diese Dämonenjäger eigentlich kritikfähig? Daran glaubte sie nicht wirklich. "Mit Verlaub Lady Ashton, ihre
Fähigkeit ist begnadet, jedoch ist die Zukunft wandelbar und fehlerhaft. Es reicht voll und ganz, Duncan und Rooster nach Coimbra zu senden. Kai ist überflüssig. Ignorieren Sie den Jungen, wenn Sie wünschen." Wenn Felizitas nicht zu einhundert Prozent sicher wäre, dass eine Asato keine Gefühle zeigen konnte, so hätte sie ein unmerkliches Lächeln am anderen Hörer darüber wahrgenommen. Doch Nachhaken konnte sie nicht mehr. Dieses unbestimmte Geräusch wurde vom Einhängen des Sprachrohres unterbrochen. Schlafen konnte Kai absolut nicht.
Unruhig rutschte er auf dem Flugzeugsitz herum, um sich etwas stressfreier zu fühlen. Zwecklos! Das Fliegen war einfach nicht sein Ding. Denn er war nun einmal ein bodenständiger Mensch. Kurzum: Mein Enkel litt seit jeher unter der Flugangst. Und nachdem der Kapitän zum dritten Mal viel zu spät vor den Luftlöchern warnte, war der Junge der festen Überzeugung, dass Akari neben diesem Kerl sitzen und ihn so zauberhaft bezirzen würde, sodass er nicht anderes konnte, als diese vermaledeiten Luftlöcher anzufliegen, nur damit Kai bald am Rad drehte. Unglücklicherweise war die Hackerin nicht dabei und bei
dieser Waschküche außerhalb des Fliegers, würde diese äußerst wetterfühlige junge Frau schnarchen wie ein kleines Kind. Seine Mutter war ebenfalls wetterfühlig gewesen als Wassermagierin, jedoch machte diese Tatsache die Hackerin um keinen Millimeter sympathischer. Er wusste nicht so recht ob er an ein Wunder oder an eine Fügung glaube sollte, nachdem ihn vor ein paar Tagen der Auftrag von Run Asato Akari zur Weißglut brachte. Die Hellseherin der Asatos sprach stets nur in Rätseln, wenn überhaupt. Schwermütig versuchte der Junge aus
dem Fenster des Flugzeugs zu schauen, doch seine Flugangst war stärker. Sofort wollte er an etwas Entspannendes denken, leider stimmte ihn genau dieser Gedanke traurig. Die fröhlichen und stillen Gesichtszüge von Mia würde er wahrscheinlich die nächste Zeit nicht mehr sehen. Ihm wurde richtig flau im Magen. „Kannst du nicht schlafen, kleiner Bruder?“, blubberte Rooster, und wühlte sich aus seiner Decke. Seine Stimme klang gedrückt, da sie einen Nachtflug buchten und fast alle Insassen der Passagiermaschine schliefen. „Flugangst!“, brummte Kai kurz angebunden. Ein unsägliches Erbe seines
Vaters, der paradoxerweise ein Luftmagier gewesen war. „Sag mal, hast du schlechte Laune, falsch gegessen, oder was ist mit dir los?“ Mürrisch zog Kai die Augenbraue hoch, was so viel heißen sollte wie: Ich esse niemals, aber mit erheblichem Nachdruck. Daraufhin schluckte Rooster: „Okay, ich weiß, du isst nie, aber was hat dir dann die Suppe so verhagelt? Ich meine, du bist seit Großvater Cains Tod sowieso nicht mehr besonders gesprächig, aber heute hast du sogar die Stewardess mit deinen Blicken eingefroren.“ „Rooster!“, herrschte er ihn darauf
an. In die blaugrünen Augen seines Bruders schlich sich ein merkwürdiges Funkeln. Solch ein Aufblitzen, die Kais Instinkte sofort in Alarmbereitschaft versetzten. „Kleiner, du vermisst diese Schwarzhaarige, diese Mia.“ Der Spitzname schien von Sekunde zu Sekunde besser zu Gabriel zu passen, als Kai es je für möglich gehalten hätte. Unverholen grinste Rooster den Jüngeren an: „Du bist in die Kleine verknallt. Bravo Brüderchen, bravo.“ Nur mit Mühe und Not wich Kai seinem Schlag auf die Schulter aus. „Bitte was soll ich? Davon müsste ich doch was wissen. Weißt du was Rooster,
du hast einem am Rad!“, meinte Kai trocken, und legte zur Untermalung ein Knurren in seine Unterstellung hinein. Von hinten ertönte ein lautes Gähnen, und schon bald schob sich Duncans verschlafenes Gesicht über die Sitzlehne. „Was macht ihr denn für einen Krach?“, schnaufte er benommen. „Krach? Duncan, du wachst doch schon auf, wenn bloß eine Mücke Heuschnupfen hat“, protestierte der Rothaarige mit leicht finsterem Blick. Schnell erhellte sich dieses, und er grinste seinen Freund an: „Und außerdem wird unser Kleiner hier erwachsen.“ „Kann er das nicht MORGÄÄÄÄÄHN machen?“, gähnte der
Angesprochene. „Mann, Kai-Alexander ist verliebt in Mia, du Schnarchzapfen!“ Mürrische Blicke hagelten sofort auf Rooster ein: „Korrektur. Riesenrad. Nicht RAD!" Momentan fühlte sich Duncan hellwach und mischte sich begeistert ein: „Is’ nich’ dein Ernst. Der Junior hat 'ne Freundin.“ Das Kai ihn nicht für diesen Ausspruch JUNIOR ermordete lag wahrscheinlich nur daran, dass er hätte aufstehen müssen, um Duncan ordentlich eine überzubraten. Aber seine Flugangst klebte ihn buchstäblich in den Sitz fest. „Also, süß seht ihr beide ja aus“, meinte
Rooster, und Duncan meinte anschließend etwas bedrückt: „Na ja, sie wirkt etwas unheimlich, dadurch das sie...“ Der Falkenwächter spielte ganz augenscheinlich auf Mias Herkunft und den Aufruhr im Center an, den ihr Auftauchen auslöste. „Wenn du was zu sagen hast, dann sag es!“, brummte Kai und verschränkte die Arme. „Putzig, er verteidigt sie schon!“, lachte Rooster, wobei er sich nicht nehmen ließ, seinen Bruder zu tätscheln. Hätte das Boris oder irgendjemand anderes gewagt, mein Enkel hätte seine gute Kinderstube beiseite geschoben und einen Aufstand
geprobt. „Dieser Satz, den sie wohl öfters sagt, gibt mir zu denken. Es ist fast so, als wäre er der Fluch und nicht die Verwandlung in eine Katze. Damit scheint sie ganz gut zu Recht zukommen.“ „Na, ich werde ja von den richtigen Kerlen aufgeklärt“, moserte Kai beleidigt auf die Anspielung hin, dass die Verlobten von Rooster und Duncan selbst unter einem magischen Leid zu kämpfen hatten. „Was das Aufklären betrifft…“, fingen Rooster und Duncan von Neuem an. „Haltet die Klappe, nur weil ihr Freundinnen habt… Wisst ihr was, lasst
mich in Ruhe!“, jaulte Kai beschämt auf.
„Erstverliebte sind doch süß!“, grinste sein Bruder und tätschelte ihn erneut.