Kapitel 21 Ruh
So heiß wie es ihm möglich war duschte Kai, um zu versuchen das Inferno auf seiner Haut mit dem Chaos in Ordnung zu bringen. Julian und Emily. Anna-Lena und Felizitas. Rooster und Duncan. Sabriel-Luca Astron, rauschte es dabei durch seinen Kopf. Was ging hier bloß vor? Veränderten sich alle, nur weil sein Großvater verstarb?
Jetzt musste er nach Coimbra, aber dazu durfte er Felizitas nicht um Hilfe bitten. Wenn seiner Familie ernsthafte Gefahr drohte, musste er sich etwas einfallen lassen.
Allerdings Duncan und Anna-Lena brauchte er mit Sicherheit nicht deswegen zu fragen, Johanna im Außendienst, das würde garantiert nicht gut gehen. Sein Bruder hatte nicht genug Möglichkeiten um einen Bruch in so kurzer Zeit zu organisieren, ohne Felizitas dabei auf den Schlips zu treten. Außerdem, was wollte er stehlen? An was musste er herankommen, um seinem Vater nahe zu sein? Was wollte ihm seine Mutter mitteilen?
Jedoch mich wollte, und konnte er nicht fragen. Dafür kostete es ihn schon zu viel Anstrengungen mir erst diesen Brief zu verschweigen, und mir dann die
schonungslose Wahrheit zu offenbaren.
Mit dieser Bürde im Gepäck fühlte er sich entsetzlich alleine und hilflos. Zwei Arten der Gefühle, die in ihrer Dopplung maßlos und grauenhaft erschienen. Ein Marterpfahl der eigenen Seele.
Das Brennen seiner Haut brachte gar nichts. Im Gegensatz dazu glaubte er sogar, es schüre die Wut in seinem Bauch nur noch mehr.
"Kai, hör’ auf. So geht das nicht."
"Leg’ dich wieder schlafen, Mia."
Zu seiner Überraschung spürte er ihre Anwesenheit direkt auf seiner Haut.
„Nein, du sollst nicht traurig sein.“
„Das bin ich nicht“, erwiderte er etwas schärfer, aber die Schwarzhaarige ließ
sich nicht beirren. Das Platschen ihrer barfüßigen Sohlen drang in Kais Ohren. Das war jetzt gar nicht gut. Dieses Mädchen konnte mit ihrer Fähigkeit Dinge ins Rollen bringen, die besser liegen bleiben sollten. Zum jetzigen Zeitpunkt fühlte sich der aufgebrachte Junge genau wie ein schwerer Kiesel eines Flusses. Komplett unter Wasser gezogen und völlig reglos, sowie nur auf die Macht der Natur und des Wassers angewiesen.
Auf das Vermächtnis seiner Eltern.
„Nein Kai, nein so geht das nicht.“ Zarte schmale Finger erhoben sich. Die Stimme von Mia hörte sich auf ihre Art ernst und
kindlich an.
„MIA!“, schrie er plötzlich, bevor sie ihm zu nahe kam.
Daraufhin schreckte sie zusammen und begriff dabei nicht, weshalb er sie so kalt behandelte. Schließlich wollte sie ihm doch bloß helfen.
„Lass’ mich in Ruhe! Geh!“
Unmittelbar vor Kai stand Mia. Ihre hellen, sonst so weichen Augen waren weit aufgerissen. In ihren Tiefen lag eine verstörende Mischung aus Betroffenheit und einem Hauch von Angst. Jäh sah sich der Junge mit den Ereignissen des Tages konfrontiert.
Hunderte Bilder formten sich vor seinen Augen, vor der nun kauernden Gestalt des Katzentieres, als sei dies alles in Wochen und Monaten geschehen. Doch die Wahrheit sprach von weniger als vierundzwanzig Stunden.
Mie...
Die kleine Katze schmiegte sich in die Arme von Kai hinein, und erreichte somit in gewisser Hinsicht was sie wollte.
Es tut mir leid. Ich weiß doch jetzt, welche Schmerzen du hast.
Ich bin die Tochter einer verfluchten Schamanin, es ist, wie es ist.
Weitere Worte zu wechseln bedurfte es nicht mehr. Sicher hielt er sie in seinen Armen, kraulte das seidenweiche
schwarze Fell und lauschte dem sanften Vibrieren, das aus ihrer Brust herausströmte.
Die Zeit verstrich so langsam und so anmutig, als würde jemand sich die Mühe machen, jedes einzelne Sandkorn aus einem Stundenglas herauszunehmen.
Irgendwann, Kai verlor mittlerweile das Gefühl für ihr beides Handeln, oder besser ihrer beidseitigen Starre, begann Mias Verwandlung in einen Menschen. Dabei beschütze er sie. Als eine Art der Entschädigung und Gabe der Sicherheit, hielt Kai die Gestaltwandlerin umschlungen, ertrug die befremdliche Dunkelheit des Fluches,
und unterdrückte jede seiner körperlichen Regungen.
Fast bleiern lag Mia auf Kais Brust. Ihre Arme hielt sie um seine Schultern geschlungen, und ohne jegliche Kraft darin. Seltsamerweise glaubte der Junge daran, das der schwarze Schleier ihrer langen Haare und ihr rotes Kleid, genauso um seinen Oberkörper und die verschränkten Beine lagen.
Zu gegebener Stunde musste Kai herrausfinden, was es mit ihrer seltsamen Kleidung auf sich hatte. In dieser verbarg sich Magie, das stand ausser Frage. Normalerweise passte ein Kleid einer Hauskatze nicht und wenn sich ein Gestaltwandler in einen großen Wolf
oder Bären verwandelte blieb von der Kleidung selten mehr als Putzlumpen übrig. Wer Pech hatte konnte nach einer plötzlichen Verwandlung nur noch den Staubsauger holen. Doch dieses Katzenmädchen. trug immer ihr rotes altmodisches Kleid.
Eine Hand von Mia legte sich um seinen Nacken, was hieß, ihr Körper kam seinem noch wesentlich näher. Mit der anderen Handfläche fuhr sie um ihn herum, sodass diese auf seinem Schulterblatt zum Ruhen kam. Deutlich spürte Mia das Zeichen, und seine Kraft auf dem Schulterblatt. Um sich noch etwas an ihn zu schmiegen, versuchte Mia sich an Kai hochzuziehen. Auch sie
wollte ihrem Beschützer beistehen, deswegen flüsterte sie auch ganz leise: „Ich bin bei dir, genau wie deine Familie.“
Der seichte Druck auf Kais Zeichen erhöhte sich, sodass es kribbelte. Mit der ungewohnten Hautreizung stieg eine neue Empfindung im Inneren des Alexis Erben hoch. Eine Ruhe, warm und von sanften Wellen, glitt in die angestrengten Glieder und Nerven hinein.
„Du bist nicht mehr allein, Kai.“
Ihre Wangen rieben sich vertrauensselig aneinander. Das schwarzhaarige Mädchen schien dem Gestaltwanderteil in ihr etwas nachzugeben, und schnurrte dabei ein wenig in Kais Ohr. Leider hatte Mia
nicht länger die Kraft ihre Körperhaltung beizubehalten und als Kai dies bemerkte, wurde ihm klar, dass er so etwas nicht zulassen wollte, und umfasste den wohltuenden Mädchenkörper.
Es gab keinen Protest, trotz dieser fordernden Geste. Zum Glück. Langsam fielen seine Augen zu. Wollte er doch jede Sekunde spüren, genau wie ihre zarten Hände auf seiner Haut, ihren roten Kleidungsstoff, und die durchdringende Wärme, sowie ihr leichter Atem im Nacken. „Schön, dass du da bist. Dass du da bist, tut mir gut, Mia.“
Ineinander verschlungen kauerten die beiden schweigend auf dem Fußboden.
Das Einzige was sie stützte war Kais Bett in seinem Rücken, und die Kraft mit der sie sich gegenseitig festhielten. Irgendwann schaffte es Kai eine Hand samt Arm von Mias zarter Figur zu lösen und griff nach seiner Bettdecke, holte diese zu sich, und wickelte sich und das Mädchen darin ein. Als die Müdigkeit über das Paar hereinfiel war es ihnen gleichgültig das der Boden sich hart anfühlte, und ein gemütliches Bett nicht weit entfernt war. Einzig und alleine zählte diese direkte Nähe zueinander. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.