Kurzgeschichte
Der Nachtzug

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"Der Nachtzug"
Veröffentlicht am 19. Dezember 2017, 12 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Über den Autor:

Leseschreiber - eigentlich Leseschreiberin - ist das Pseudonym einer 1997 in Nordrhein-Westfalen geborenen Hobby-Autorin. Du möchtest mehr über die Autorin erfahren? Dann schau bei Instagram, Wattpad und Sweek vorbei. Neben Gedichten schreibt sie auch ein zwei Kurzgeschichten.
Der Nachtzug

Der Nachtzug

Der Nachtzug

Erneut stehe ich dem Tod gegenüber. Mein Herz pocht wie wild, mächtig und lebendig, als wolle es mich vor der Gefahr, der wir gegenüber stehen, warnen, als wolle es aus meiner Brust springen und davon laufen, weil ich es nicht tue. Mein Brustkorb hebt und senkt sich. Einatmen. Ausatmen. Ein. Aus. Wie das Licht, an und aus, wenn ich als Kind mit dem Lichtschalter gespielt habe. Hell und Dunkel. Tag und Nacht. Leben und

Tod. In Momenten wie diesen, erinnere ich mich wehmütig an all die Menschen in meinem Leben. Menschen, die ich liebe und immer wieder enttäusche. Menschen, bei denen ich mich entschuldigen sollte und jenen, denen ich verzeihen sollte. Menschen, die mir auf nicht immer freundliche Art und Weise zeigen, dass ich seltsam bin, weil ich nicht ihren Maßstäben und Vorstellungen entspreche. Menschen, die mir eine Chance gegeben haben und die, die es nicht getan haben. Menschen wie du und ich, die ohne es zu wissen, mein Leben veränderten. Menschen, zu denen ich aufsehe. Meine großen und kleinen Helden.  Nicht zu vergessen, all die Menschen, die

unnötigerweise sterben oder leiden. Grausam, durch die Hand anderer, allein, verzweifelt. Durch Kriege, Hunger und Durst, Terroranschläge, Hinrichtungen, Flucht, Folter und Vergewaltigung. Wo bleibt da die Würde? Mein Kopf schwirrt von all den  Gedanken. Mein Leben, so anders, geprägt von Leistungsdruck und dem Streben nach Perfektion, in das ich nie hatte hinein passen wollen, obwohl ich mir eine Zeit lang die größte Mühe gab. Aufgewachsen in einer Konsum- und Wegwerfgesellschaft mit der

Abhängigkeit vom Smartphone, immer in der Angst das Neuste zu verpassen. Ein Schulsystem, welches einen vollstopft, mit teils überflüssigem Wissen, das wir morgen schon wieder vergessen haben. Dabei verlieren die Menschen mehr und mehr an dem was es wirklich gilt zu lernen, der Menschlichkeit. Menschen sterben, werden geboren, zerstören einen Planeten und versuchen nebenbei vergebens ihn zu retten. Sie versuchen alles zu verbessern, ob es geht oder nicht, es wird machbar gemacht. Gesunde Ernährung und exzessiver Sport VS. Fast Food und #BodyPositivity. Und dann sind da noch diese Instagram-Model-Influencer mit ihrem Real-Life-Fake, jeder Zeit bereit dem nächsten

Trend hinterher zu jagen. Ist der Mensch nicht der größte Widerspruch in sich?! Aber was habe ich das Recht anderen gegenüber anmaßend zu sein, wenn ich doch selbst nicht besser bin, mit all meinen Fehlern, der großen Unwissenheit, einem manchmal vorlautem oder kleinlautem Mundwerk, der unbändigen Neugier und... oder gerade deswegen, weil ich doch auch ein Teil dieser kranken Gesellschaft bin. Das alles ist viel zu groß, ein Ausmaß, von dem ich mir nicht sicher bin es je erfassen zu können. Ich hingegen bin klein. Im Verhältnis so nichtig, fast gar nicht existent. Würdest du mir die Hand reichen, wären wir schon doppelt

so groß und noch immer zu klein. All meine Gedanken, weich eingebettet, im grauen Nebel meiner Erfahrungen, an die ich nicht mal denken möchte. Verbannt in die hinterste Ecke, aber nicht vergessen, stehen die dunklen Schatten hinter mir. Irgendwann landet man immer wieder bei sich selbst. So ist er nun einmal, der Mensch. Egoistisch. Das bin ich nun mal. Ein Mensch. Egoistisch. Eine lahme Entschuldigung, dafür, dass ich zu oft wegsehe, mich nicht traue gegen den Strom zu schwimmen. Meine Ohren vernehmen in der Ruhe der Nacht, neben den wenigen Autos, die hin und

wieder über die einige hundert Meter weit entfernte Brücke fahren, sein leises Kommen. Tief blicke ich dem Tod in seine strahlend hell, mich blendenden, größer werdenden, näher kommenden Augen. Seine quietschenden und an Lautstärke zunehmenden Laute, lassen meine Ohren schmerzen. Ich presse meine Hände, die eben noch flach neben meinem Körper lagen, auf  meine Ohren, während mein Atem nur noch stoßweise geht. Gleich ist es vorbei. Das Leben. Mein Leben. Zukunft. Die

Zukunft. Ein feminines Substantiv. Es beschreibt die noch bevorstehende Zeit (und das in ihr zu erwartende). So steht es im Online-Duden. Wo und wann fängt die Zukunft an und wo hört sie wieder auf? Oder ist sie unendlich? Kann man die Zukunft wirklich planen oder vorhersagen? Wie fühlt sie sich an, die Zukunft? Aber nicht heute Nacht. Mein unter Anspannung stehender Körper

zuckt, windet sich und findet die Kraft aufzustehen. Sich in Sekundenschnelle aus dem Schacht, weg vom Gleis, hinter die weiße Linie zu hieven. Komisch, wie mir mein Egoismus jetzt mein Leben rettet. Komisch, dass man immer das am meisten begehrt, was man nicht haben kann. 1 2 3 4 Es ist brutal. Der Fahrtwind des Zuges reißt an meinen Klamotten, als er den Bahnhof, mit quälenden, quietschenden Tönen, direkt neben meinem Ohr, durchfährt. Endlich verklingt das Geräusch des Zuges in der Ferne und meine Erstarrung bricht. Die

pure Erschöpfung überkommt mich, psychisch und physisch. Weshalb ich die aufkommenden Schluchzer nicht zu unterdrücken vermag. Ich bleibe einfach liegen und versuche meinen Körper zu spüren, ohne mich zu bewegen. Irgendwann durchläuft erneut ein Zug den Bahnhof. Mein Kopf ist leer. Mit dem Einbruch der Morgendämmerung mache ich mich erschöpft auf den Weg nach Hause. Auf, in eine ungewisse Zukunft. Meine Zukunft. Schlussendlich bringt der Zug einen immer irgendwohin und auch wenn ich manchmal schwächele, das letzte Kapitel ist noch nicht geschrieben.

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