Romane & Erzählungen
Fahrt durch die Nacht

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"Fahrt durch die Nacht"
Veröffentlicht am 24. Januar 2009, 10 Seiten
Kategorie Romane & Erzählungen
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Über den Autor:

Ich bin PhanThomas, aber Leute, die mich kennen, dürfen mich auch gern Thomas nennen. Oder ach, nennt mich, wie ihr wollt. Denn ich bin ja ein flexibles Persönchen. Sowohl in dem, was ich darzustellen versuche, als auch in dem, was ich schreibe. Ich bin unheimlich egozentrisch und beginne Sätze daher gern mit mir selbst. Ich bin eine kreative Natur, die immer das Gefühl hat, leicht über den Dingen zu schweben - und das ganz ohne Drogen. Man ...
Fahrt durch die Nacht

Fahrt durch die Nacht

Vor Anstrengung keuchend, ließ Mike den Kopf immer wieder nach unten sinken und sah die asphaltierte Straße unter sich vorbeiziehen, als blicke er von oben auf eine riesige Filmrolle, die einen Projektor durchläuft. Dieser Vergleich kam Mike häufig in den Sinn, wenn er eine seiner nächtlichen Radtouren unternahm.

Immer wenn der unbarmherzige Wind dieser ersten wirklich kalten Septembernächte ihm wie eisige Messer ins Gesicht schnitt, spürte er abermals das irrationale aber beglückende Gefühl einer bevorstehenden Weihnacht - ein Gefühl, dass im Grau des scheinbar unendlich gedehnten Depressionsduos Oktober und November langsam dahinsiechen würde, um erst in der darauf folgenden Adventszeit wieder zu neuem Leben zu erwachen. Doch jetzt war sie da, diese Barmherzigkeit, die Mike von der Verzweiflung, zu wissen, dass die lauwarmen Sommerabende sich für eine lange Zeit verabschiedet hatten, ablenken sollte, wie sie es schon immer, für ihn und für jeden anderen, getan hatte und auch weiter Jahr für Jahr tun würde. Mike genoss dieses Gefühl für einige Augenblicke mit einem leichten Lächeln im Mundwinkel, schüttelte es dann um seiner Konzentration willen jedoch ab und trat fester in die Pedale.

Mit jedem Tritt spannten sich die Sehnen in Mikes Körper wie Gitarrensaiten. Seit einer Stunde trieb er sein Rennrad über den dunklen Asphalt, und die Muskeln in seinen Beinen fühlten sich bereits zum Bersten geschwollen an. Unter dem Schmerz, der aus dieser Anstrengung resultierte, bleckte Mike die Zähne der windig kalten Nacht entgegen. Es war ein heilender Schmerz - eine Pein, die ihn für kurze Zeit von allen Sorgen befreien sollte, welche tagsüber auf seinem Rücken lasteten und ihm finstere Worte ins Ohr setzten. Mike musste beschleunigen, höher schalten, immer schneller fahren, und schon zogen sich die Plagegeister zurück - ein Gefühl versiegenden Zahnschmerzes auf seinem Gemüt.

Der größte Teil seiner 23 Lebensjahre war für Mike ziemlich durchschnittlich verlaufen, etwas zu durchschnittlich, vom Standpunkt seiner Erwartungen gesehen. Und so war er gerade 19 Jahre alt gewesen, als das Geflüster in seinem Kopf begonnen hatte. Anfangs waren es nur die Abende gewesen, denen er nicht selten unter Tränen ins Bett entschwunden war. Schon bald jedoch sollten die bösen Geister morgens zusammen mit ihm aufwachen, um auf ihre heimtückische Art der Schwarzmalerei den neuen Morgen zu begrüßen. Die andauernden Phasen im Keller der Gefühle waren es gewesen, die alle Höhepunkte in Mikes Leben bereits im Aufkeimen zunichte gemacht hatten.

Obwohl er nie besonders gut ausgesehen hatte, das heißt gut im abschätzenden Auge einer für ihn attraktiven Frau, hatte er es zu zwei Freundinnen gebracht. Beide konnte Mike nicht auf Dauer halten, vertrieb sie mit seinem Zorn sich selbst und seinem, für ihn so unbefriedigenden, Leben gegenüber. Das Alleinsein verbesserte seine Lage nun nicht gerade, und der aufblühende Gedanke an diesen desillusionierenden Zustand trieb eine einzelne, verirrte Träne über seine Wange, die sich im Fahrtwind stockend ihren Weg in Richtung des Haaransatzes bahnte. Mike drückte seinen Daumen gegen die Handschaltung, es ertönte ein Klicken, als die Fahrradkette in einem höheren Gang ist Stellung ging, und so ließ die zusätzliche Belastung erneut einen ziehenden Schmerz in seinem rechten Oberschenkel herausbrechen, der das düstere Gedankengut eilig wieder vertrieb.

Der Sarkasmus, den ein jeder wohl entdeckt haben würde, hätte er Mikes bisheriges Leben im Gesamtkontext betrachtet, blieb ihm selbst immer verborgen. Dass er äußerst intelligent war, im Gegensatz zu den meisten seiner früheren Mitschüler keinerlei Leistungsdruck in der Schule ausgesetzt gewesen war, dass er erfolgreich Informatik studiert hatte und nun in einem Job arbeitete, der ihm eigentlich Spaß machte und immerhin so viel Geld einbrachte, dass er keinen Cent zweimal umdrehen musste - all diese Dinge erschienen ihm selbstverständlich und angesichts dessen, was er nicht haben konnte, als so belanglos.

Es war Nähe, die er gern wieder gefühlt hätte, doch auch Materielles und ein gewisser Status, die ihm fehlten. Wie gern etwa hätte er statt eines Fahrrads ein Auto besessen, hatte bis zu seinem achtzehnten Lebensjahr sehnlichst davon geträumt. Dann war diese Blase abrupt geplatzt, denn Mike hatte es nie geschafft, die immense Angst zu überwinden, die bei jeder Autofahrt wilde Panikschübe durch seinen Körper gejagt und das Lenkrad durch seine verschwitzten Finger gleiten lassen hatte. Mit 18 Jahren hatte Mike keine Angst vor dem Tod gehabt, wohl jedoch davor, dessen Zeitpunkt nicht selbst bestimmen zu können. Und bei jeder Fahrt war es doch genau das gewesen, was die Angst in seinem Kopf tiefer verwurzelt hatte. Mike war einige Male und dann nie wieder Auto gefahren. Und heute, gerade in diesem Moment, war er sich sicher, dass es schon damals die Dämonen gewesen waren, die diese Panik in ihm gesät hatten. Augenblicklich packte ihn wieder die helle Wut, die rot aufglimmende Funken in sein Blickfeld trieb. Sofort trat Mike noch fester in die Pedale, obwohl er längst spürte, dass er seinen Körper bereits ans Limit getrieben hatte.

Als Mike am Ende der Studienzeit eines Abends mit seinem WG-Mitbewohner bei einem Bier in der gemeinsamen Küche gesessen und im leicht angetrunkenen Zustand über Hoffnungen und Enttäuschungen philosophiert hatte, da hatte dieser ihm gesagt, dass man beginnen müsse zu leben, wenn alle Träume ausgeträumt seien. Und selbst Mike wusste, wie ungeheuer unsinnig es klang, doch es war ihm gerade in der letzten Zeit mehr und mehr bewusst geworden, dass er mit seinen jungen 23 Jahren genau diesen Zustand erreicht hatte. Der Träumer hatte ausgeträumt. Es gab keine ihn liebende Frau an seiner Seite, nichts, was noch zu erreichen war, die bösartigen Kopfdämonen würden sein Hirn weiter zernagen, und so würde sein Leben für immer eine Fahrt durch die Nacht bleiben - und nur die körperlichen Schmerzen der Anstrengung würden ihm zeigen können, was es bedeutet, wirklich zu leben. Für Mike war sein Dasein nichts anderes als ein schwarzes Gefängnis, durch dessen Gitterstäbe er verendete Träume hinter und ein unerreichbares Leben vor sich sehen, doch niemals berühren konnte. Noch einmal wendete er seine letzten Kraftreserven auf und beschleunigte seine Fahrt, um dieses schaurige Bild zu vertreiben und einmal mehr den viel zu kurz währenden süßen Geschmack eines spürbaren Lebens kosten zu dürfen.

Stecknadelgroße Lichter glimmten in der Schwärze vor ihm auf. Mike schaltete das Licht aus und wechselte auf die Gegenfahrbahn. Als würde er das Auto, das jetzt direkt auf ihn zu raste, dafür hassen, dass er es selbst niemals fahren würde, senkte er seinen Oberkörper hinab und sauste lautlos auf das tödliche Stahlmonstrum zu. Die Dämonen in Mikes Kopf gerieten in Ekstase, schienen ihn auszulachen für das, was er war und schrien in ihn hinein. Durchbrich die Mauer, riefen sie schrill wiederholend in seinen bröckelnden Verstand hinein. Durchbrich die Mauer deiner erbärmlichen Existenz und wir werden gehen! Werden mit dir gehen.

Mike brüllte laut in die Nacht und nur wenige Meter vor dem großen Knall schwenkte er den Lenker seines Fahrrads zurück auf die rettende Fahrbahn, wie er es in so vielen Nächten zuvor getan hatte. Die bösen Geister in seinem Kopf würden verstummen, wenn er einmal mehr entkam, würden sich enttäuscht zurückziehen und erst am nächsten Tag wieder aufleben, vielleicht sogar erst am übernächsten. Nur Sekundenbruchteile trennten Mike vom Zusammenstoß mit dem gnadenlosen Stahl des Autos, und so trat er noch einmal so stark in die Pedale, wie seine völlig überlasteten Muskeln es zuließen. Im Augenblick, als Mike das rechte Bein durch die Pedale belastete, mischte sich ein peitschender Knall wie eine hässliche Dissonanz in das näherkommende Motorengeräusch. Der sofort ausstrahlende Schmerz seines gerissenen Muskels zerstreute das Schwarz der Nacht und malte erst weiße, dann rote Töne in seinen Blick, die sich miteinander vermischten und wild vor seinen Augen tanzten. Während er stürzte, schien es Mike für einen kurzen Moment, als würden die Dämonen ein ausgelassenes Fest in seinem Kopf feiern. Im nächsten Augenblick wurde er gnädigerweise aus dem Bewusstsein gerissen, was ihm jeglichen weiteren Schmerz beim Aufprall auf die Karosserie des grauen Opel ersparte. Und so hatte Mike letztlich tatsächlich die Mauer durchbrochen und setzte seine Fahrt durch die Nacht auf der anderen Seite fort.
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Über den Autor

PhanThomas
Ich bin PhanThomas, aber Leute, die mich kennen, dürfen mich auch gern Thomas nennen. Oder ach, nennt mich, wie ihr wollt. Denn ich bin ja ein flexibles Persönchen. Sowohl in dem, was ich darzustellen versuche, als auch in dem, was ich schreibe. Ich bin unheimlich egozentrisch und beginne Sätze daher gern mit mir selbst. Ich bin eine kreative Natur, die immer das Gefühl hat, leicht über den Dingen zu schweben - und das ganz ohne Drogen. Man trifft mich stets mit einem lachenden und einem weinenden Auge an. Das scheint auf manche Menschen dermaßen gruselig zu wirken, dass die Plätze in der Bahn neben mir grundsätzlich frei bleiben. Und nein, ich stinke nicht, sondern bin ganz bestimmt sehr wohlriechend. Wer herausfinden will, ob er mich riechen kann, der darf sich gern mit mir anlegen. ich beiße nur sporadisch, bin hin und wieder sogar freundlich, und ganz selten entwischt mir doch mal so etwas ähnliches wie ein Lob. Nun denn, genug zu mir. Oder etwa nicht? Dann wühlt noch etwas in meinen Texten hier. Die sind, äh, toll. Und so.

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PhanThomas Re: Macht betroffen -
Zitat: (Original von Tilly am 18.02.2009 - 19:48 Uhr) und sehr sehr nachdenklich.

Wunderbar geschrieben.

Thomas


Hallo Tilly,

vielen lieben Dank. Freut mich, dass du reingelesen hast und dass dir meine Geschichte gefallen hat. :-)

Liebe Grüße
PhanThomas
Vor langer Zeit - Antworten
Tilly Macht betroffen - und sehr sehr nachdenklich.

Wunderbar geschrieben.

Thomas
Vor langer Zeit - Antworten
PhanThomas Re: Ein GEfühl ... -
Zitat: (Original von Gunda am 25.01.2009 - 12:47 Uhr) ... versiegenden Zahnschmerzes auf seinem Gemüt ..

Himmel, Thomas, welche Muse flüstert dir derart Geniales ein?
Deine Kunst, Dinge sachlich korrekt und dennoch spannend und mitreißend auszudrücken, Sätze zu konstruieren, die nicht den Charakter eines Schulaufsatzes haben und die dennoch auf der Zunge zergehen ... beeindruckt mich.
Einige winzige Male bin ich über Satzzeichen gestolpert, die fehlten oder zu viel waren, und im vierten Absatz hätte ich eine andere Zeitform gewählt, aber der Gesamteindruck ... *****

Lieben Gruß
Gunda



Liebe Gunda,

vielen Dank! Dein Lob weiß ich wie immer sehr zu schätzen. Aber auch deine Kritik nehm ich gern an. Ich gehe gleich mal auf die Suche nach den Satzzeichen. Und mit der Zeitform hast du völlig Recht! Da hätte ein Plusquamperfekt hingehört. Peinlich, peinlich... Aber auch beim Schreiben hat man manchmal eine Art Betriebsblindheit, schätze ich. Ich werd's korrigieren. So kann das da nicht bleiben.

Was die Wortwahl betrifft: Für gewöhnlich brauche ich dafür nur ein wenig inspirierende Musik, eine große Tasse Kaffee und natürlich den passenden Augenblick. ;-)
Davon abgesehen bist du, was die Wahl passender Worte betrifft, nicht weniger begabt. Ich empfinde das als ebenso bewundernswert.

Liebe Grüße
PhanThomas
Vor langer Zeit - Antworten
PhanThomas Re: ich kenne solche trostlosen zeiten -
Zitat: (Original von Himmelskind am 24.01.2009 - 22:59 Uhr) die zerissenheit der person wird sehr deutlich...
und trotz allem spendet der schlussatz etwas trost...mir zumindest..er rundet für mich die geschichte perfekt ab..

lg

birgit

Liebe Birgit,

auch dir vielen Dank. Wir alle kennen diese Zeiten, und es ist ja auch nicht schlimm, sie zu erleben, sofern man sich wieder aus ihnen befreien kann. Diese Geschichte hier soll einfach ein sehr krasses Beispiel illustrieren. Ich wünsche niemandem ein solches Gedankenkostüm.

Liebe Grüße
PhanThomas
Vor langer Zeit - Antworten
PhanThomas Re: Armer Mike! -
Zitat: (Original von ConnyB am 24.01.2009 - 20:14 Uhr) So eine traurige, krasse Geschichte. Es ist schlimm, wenn so junge Menschen bereits keinen Sinn mehr im Leben sehen und die Hoffnung und die Träume sterben! Schlimm ist auch, wenn diesen Menschen nicht "gesehen" und ihnen nicht geholfen werden kann, von wirklichen Freunden.
Ich weiss nicht recht, was ich dazu noch schreiben kann, der Text wühlt auf!
Aber Du hast die Geschichte spannend rüber gebracht!

glg von mir und noch ein schönes Weekend :)
Conny

Liebe Conny,

vielen Dank. Ich find es auch schlimm, wenn junge Menschen den Blick für den Sinn im Leben verlieren. Leider gibt es das aber allzu oft. Und meistens senden diese Menschen nur stille Schreie aus, die kaum jemand, oder im schlimmsten Fall, niemand hört.

Liebe Grüße
PhanThomas
Vor langer Zeit - Antworten
Gunda Ein GEfühl ... - ... versiegenden Zahnschmerzes auf seinem Gemüt ..

Himmel, Thomas, welche Muse flüstert dir derart Geniales ein?
Deine Kunst, Dinge sachlich korrekt und dennoch spannend und mitreißend auszudrücken, Sätze zu konstruieren, die nicht den Charakter eines Schulaufsatzes haben und die dennoch auf der Zunge zergehen ... beeindruckt mich.
Einige winzige Male bin ich über Satzzeichen gestolpert, die fehlten oder zu viel waren, und im vierten Absatz hätte ich eine andere Zeitform gewählt, aber der Gesamteindruck ... *****

Lieben Gruß
Gunda


Vor langer Zeit - Antworten
ConnyB Armer Mike! - So eine traurige, krasse Geschichte. Es ist schlimm, wenn so junge Menschen bereits keinen Sinn mehr im Leben sehen und die Hoffnung und die Träume sterben! Schlimm ist auch, wenn diesen Menschen nicht "gesehen" und ihnen nicht geholfen werden kann, von wirklichen Freunden.
Ich weiss nicht recht, was ich dazu noch schreiben kann, der Text wühlt auf!
Aber Du hast die Geschichte spannend rüber gebracht!

glg von mir und noch ein schönes Weekend :)
Conny
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