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LIfe Game - Kapitel 7 (überarbeitet) - Die Formation

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"LIfe Game - Kapitel 7 (überarbeitet) - Die Formation"
Veröffentlicht am 28. November 2017, 38 Seiten
Kategorie Fantasy & Horror
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Über den Autor:

Danke, dass Du mein Buch liest. Mein Debüt, Life Game, unterliegt leider noch immer meiner Überarbeitung. Beruflich ziemlich eingespannt, bleibt zu wenig Zeit, diesem spannenden Hobby nachzugehen. Ideen für neue Stories stehen Schlange und warten nur noch darauf, in Worte gefasst zu werden. Ich danke allen die weiterhin kritisch aber neugierig meinen Geschichten treu bleiben. C. G.
LIfe Game - Kapitel 7 (überarbeitet) - Die Formation

LIfe Game - Kapitel 7 (überarbeitet) - Die Formation

7. Zwölf



Durch das Loch in der Decke rutschen unter angsterfülltem Geschrei, zwei Mädchen. Dem äußeren Anschein nach noch Teenager. Sie sehen sich im ersten Moment so ähnlich, dass ich vermute, dass es Schwestern sind. Nach einem ähnlichen Begrüßungsablauf wie bei mir, fasse ich laut zusammen: „Damit sind wir nun zu zwölft.“ In die Gruppe gerichtet versuche ich die Leitung an mich zu reißen: „Ihr habt Euch sicherlich alle schon weitestgehend erzählt, wie ihr hier hergekommen seid. Da nun, neben mir,

weitere Neuankömmlinge eingetroffen sind, würde ich mich freuen, wenn wir uns nochmal alle auf den neuesten Stand bringen. Ist das OK für Euch?“ Adrian unterbricht mich, und betont, dass die Symbole, die ich gefunden habe, im Moment wichtiger seien, als die Hintergründe der Gruppe. Ich bin nicht ganz einverstanden, denn es ist sicherlich hilfreich zu wissen, ob wir hier Mediziner oder Überlebensexperten, wie Pfadfinder oder waschechte Outdoor-Fanatiker unter uns haben. Ich bin immer gerne möglichst gut vorbereitet. Das Wissen darüber, mit wem ich in einer Situation stecke, kann von immensem Vorteil sein.

Da die Gruppe derzeit geschlossen hinter Adrian steht, und ihn als Anführer akzeptiert, halte ich es für taktisch klug, ihm zum jetzigen Zeitpunkt einfach Recht zu geben. Ich kann ein resigniertes Schnauben nicht unterdrücken und schalte mein Smartphone widerwillig ein. Während es hoch lädt, schlucke ich meinen Frust runter und setze meinen Vorschlag einfach durch eigene Taten um. In Situationen wie diesen gibt es für mich nur eine Richtung: Nach vorne. Das ist nicht immer unbedingt von Vorteil, aber diese Haltung sitzt tief in mir verankert. Schon fast wie ein Reflex bricht dieses Verhalten an die Oberfläche, sobald ich mich in die zweite Reihe versetzt fühle. Ich

weiß es eigentlich besser, aber es ist einfach wie nach dem Genuss von viel zu viel Sauerkraut. Der Druck muss raus; so schnell wie möglich, so effizient wie möglich. Sprichwörtlich kann man sagen, dass das vielen dann auch tatsächlich stinkt, wenn ich meinen Kopf durchsetze. In diesem Fall bedeutet das, dass ich ungefragt einfach beginne, meine Geschichte zu erzählen. Meine Absicht besteht darin, dass sich andere als Reaktion darauf selber äußern. Passive Führung heißt das glaube ich. Ich fordere niemanden auf, etwas zu tun, aber durch das Vormachen, fühlen sich die meisten Menschen dazu verpflichtet, sich anzuschließen. Mal sehen, ob es funktioniert.

Ich lege das Smartphone mit dem Display nach unten in meinen Schoß, sodass niemand sehen kann, wann es tatsächlich hochgefahren ist. „Wie vorhin schon erwähnt, ich heiße Ben. Ich bin 35 Jahre alt und arbeite im Vertrieb für einen Industriekonzern. Keine Familie, keine besonderen Fähigkeiten, die uns hier im Moment helfen würden. Ich denke, das sind die relevanten Eckpunkte.“ Ich richte meinen Blick kurz zur Decke und überlege, welche Fakten ich über mich noch preisgeben sollte. Ich komme zu dem Schluss, dass ich alle nützlichen Informationen in den zwei, drei Sätzen bereits gebündelt wiedergegeben habe. Somit habe ich den ersten Schritt

unternommen, und kann den Faden jederzeit wieder aufnehmen, wenn ich glaube, dass mehr über mich hilfreich wäre. Ich blicke in die Runde und sehe Gesichter, in welchen einfach zu lesen ist, dass jeder gerade seine eigenen Daten sammelt und seine Präsentation vorbereitet. Mein Plan funktioniert also. Ich bin gespannt, wer aus der Gruppe als erster das Wort ergreift und sich mitteilt. „Dein Handy ist doch sicherlich schon vollständig hochgefahren, oder?“ Adrian. Der Kerl ist irgendwie sehr fokussiert. Damit fällt das weitere Kennenlernen erstmal aus. „Ich denke schon. Mal sehen“, erwidere ich, und drehe das Telefon in meiner Hand um.

Das Display leuchtet auf und erlaubt mir den Zugriff auf meine Notizen. „Hier sind die Symbole, welche ich an der Wand im Tunnel gefunden habe. Macht mal einen Kreis, ich zeichne alles in den Boden.“ Der Boden der Höhle ist mit einer dünnen Sandschicht bedeckt, ideal um darin zu zeichnen. Ich knie mich hin und fange an, meine Notizen vom kleinen Display für alle deutlich lesbar in den Boden zu übertragen. Das erste Symbol wirkt wie eine mathematische Formel. Sie lautet eins plus eins ist ungleich zwei. Die gesamte Gruppe steht in einem perfekten Kreis um mich herum und ich höre, wie alle die Formel vor sich hin

flüstern. „Was ist denn das für ein Quatsch? Natürlich ist eins plus eins gleich zwei. Ben, das musst du falsch notiert haben.“ Der Einwand kommt zögerlich aus der hinteren Reihe. Ich drehe mich zu spät um, um zu sehen, wer es gesagt hat. Weiteres Feedback dringt an mein Ohr: „Sicher, dass das hier römische Ziffern und mathematische Symbole sein sollen? Bei allem, was wir hier bislang erlebt haben, könnte das doch auch eine Sprache sein?“ „Vielleicht ist das einfach und banal ein Rätsel“, deduziert eine der zuletzt eingetroffenen Schwestern. Den Gedanken finde ich gut. Ein Rätsel. Warum bin ich nicht selber darauf

gekommen? „Da eins plus eins ziemlich sicher zwei ergibt, diese Formel dies aber als unwahr darstellt, muss mehr dahinter stecken“. Ich zucke kurz zusammen, ein Gedanke schießt mir durch den Kopf: „Klingt jetzt vielleicht ziemlich weit hergeholt, aber so skurril wie die Situation eh schon ist… Leute, vielleicht bedeutet es einfach, dass hier nicht unbedingt alles so ist, wie es scheint. Was meint ihr?“ Ich schaue Adrian spontan an, dieser scheint aber gerade in Gedanken versunken überhaupt nicht zugehört zu haben. „Eins plus eins“, murmelt er ohne meinen Blick zu registrieren. Mit ihm brauchen wir wohl im Moment nicht zu rechnen. Etwas besorgt und

enttäuscht wende ich mich von Adrian wieder ab und der Gruppe zu. „Hat jemand eine andere Interpretation? Bitte behaltet nichts für Euch. Wir sitzen hier alle im selben Boot. Wer kann sich einen anderen Reim auf diese Formel machen?“ Es werden wilde Theorien durcheinander in den Raum geworfen. Es wird hinterfragt, ob das überhaupt einer der besagten Hinweise sein kann. Ich werde erneut hinterfragt, ob ich die Formel korrekt übernommen hätte. Die Gestrandeten beginnen endlich eine Dynamik zu entwickeln, zum Leben zu erwachen. Kritik ist immer für irgendetwas gut. Ich mag Kritik nicht, weiß aber um ihre filternde Wirkung. Natürlich gibt es immer Platz für Fehler, aber

mit Zahlen kenne ich mich nun mal aus, und eine so simple Formel lässt sich nur schwerlich falsch aufnehmen. Die Ideen und Fragen lassen nach und für einen kurzen Moment ist es totenstill in der Höhle. Von Adrian war bislang nicht ein einziger Beitrag eingeworfen worden. „Denkt doch mal nach“, durchbreche ich die Stille. Aber noch bevor ich meine Gedanken weiter vortragen kann, geht ein schwerer Ruck durch die Höhle. Staub rieselt aus feinen Spalten in der massiven Steindecke. Es fühlt sich an, als ob die Höhle auf einer Plattform sitzt, welche nun mit schwerem Gerät bewegt wird. Wie in einem schlechten Science Fiction Film wankt jeder einzelne

synchron mit seinem Nachbarn, nach Ausgleich suchend, über dem eigenen Schwerpunkt. Arme werden ausgestreckt und hilfesuchende Hände Halt gebend ergriffen. Diejenigen, die bereits sitzen, stützen sich mit den Armen auf dem Boden ab und versuchen unvermittelt in die Sitzhocke zu kommen. Das blanke Entsetzen fordert die Körper auf, sich Fluchtbereit zu machen. Diejenigen, die stehen, strecken den Hintern raus und beugen den Oberkörper ruckartig nach vorne. Diese Reaktion ist gelernt, sie verlagert den Körperschwerpunkt nach unten. Das macht es schwerer, aus dem Gleichgewicht gerissen zu werden. Ich bin davon nicht ausgenommen. Im Bruchteil eines Augenblickes habe ich meine Füße schulterbreit auseinander gestellt

und mich in eine Art Hock-Stand-Stellung gebracht.


Mit weit aufgerissenen Augen suche ich den Raum und die Menschen um mich herum ab. Es gibt zwar keinen Fixpunkt, an welchem die Bewegung zu beweisen wäre, aber die instinktive Gegenbewegung und die Stützhaltung von uns allen, zeigt es eindeutig. Die Höhle bewegt sich zur Seite oder in einer Kreisrichtung. Die Schwestern umklammern sich und wimmern ängstlich. Adrian hat sich in eine Startpose wie ein Sprinter gebracht und beobachtet sorgenvoll die Höhlendecke. Er ist erstaunlich ruhig und von echter Sorge ist sein Gesichtsausdruck weit entfernt. Er hat die Führungsrolle definitiv nicht umsonst inne.

Tiefes Dröhnen schwillt plötzlich aus dem Tunnel zu uns herab. Es klingt wie ein Horn, ein riesiges, gewaltig lautes Horn. Die Haare an meinen Armen stellen sich auf, während das Dröhnen immer lauter wird. Die Luft vibriert spürbar, es ist, als könne man die schweren Schallwellen sehen oder sogar berühren.

Unsäglicher Schmerz schwillt in meinen Ohren an, und bahnt sich langsam seinen Weg tief in meinen Kopf. Meine fest auf die Ohren gepressten Hände haben keinen spürbaren Effekt auf das infernalische Brummen. Ich sehe, wie sich die anderen ebenfalls die Hände auf die Ohren pressen und vor etwas

Unsichtbarem Schutz in einer gebeugten Haltung suchen. Wie ein riesiger aber unglaublich träger Fischschwarm bewegen wir uns weg vom Tunnel, immer tiefer in die Höhle hinein. Mir schießen haufenweise Fragen durch den Kopf. Wer oder was bläst das Horn? Warum bläst jemand das Horn? Haben wir einen Automatismus ausgelöst oder passiert das hier gezielt? Was soll das alles? In dieser Höhle gibt es nur einen Ausgang, und durch diesen schallt gerade diese Angst einflößende Angriffshymne. Ich fühle, wie sich die Höhle immer noch bewegt und erinnere

mich an das glänzende, blitzende Etwas weiter hinten in der Höhle. Bei meiner Ankunft in der Höhle lenkte kurz meine Aufmerksamkeit auf sich. Die Gruppe läuft zögernd und überwiegend in geduckter Haltung in die Richtung dieses Gegenstandes. Alles passiert so schnell. Ich fühle mich unwohl, weil ich nicht bewusst entscheiden kann, was ich jetzt tun möchte. Ich fühle mich dem Herdentrieb ausgesetzt und schalte auf Autopilot. Wie ein dummes Rind dränge ich mich, noch immer mit den nutzlos auf meine Ohren gepressten Händen vorwärts. Je näher wir dem Glänzen kommen, desto sicherer bin ich mir, dass wir uns auf einen riesigen, überproportionalen Spiegel zu

bewegen. Sofort füllt sich der Teil meines Kopfes, welcher noch nicht für die Notlaufreserven bereitgestellt wurde, mit neuen Fragen. Das ist erschreckend, denn ich hatte noch keine Zeit, mir ernsthafte Gedanken zu den Fragen zum Horn zu machen. Mein Zwischenspeicher erreicht langsam seine Grenzen. Was um alles in der Welt soll ein Spiegel in einer Höhle mit nur einem steil nach oben führenden Tunnel? Wie kam er hier her? Die Maße lassen bereits aus der Entfernung erahnen, dass er nicht durch den Tunnel gekommen sein kann. Erste Hoffnung keimt in mir auf, denn das würde bedeuten, dass es hier einen weiteren Zugang geben muss.

Je weiter wir uns in der Höhle nach hinten bewegen, desto erträglicher wird das Dröhnen. Die ruckelnden Bewegungen der Höhle lassen spürbar nach und das Dröhnen verstummt sogar gänzlich, als wir beim Spiegel angekommen sind. Ich werde das Gefühl nicht los, dass wir gerade hierher gelenkt wurden. Als ob wir an diese bestimmte Stelle gehen sollten. Was sagte das Wesen? Alles wird mich mit größter Sicherheit zu töten versuchen? Jetzt ist es zu spät, jetzt bin ich hier, und wenn es tatsächlich eine Falle ist, dann sitzen wir mittendrin. Der Spiegel ist gigantisch. Die Maße sind

noch wuchtiger, als ich noch auf dem Weg zum Spiegel zu erahnen glaubte. Er steht frei im Raum und der Rahmen ist nicht wie gewohnt aus Holz oder Metall. Es ist ein massiver Steinrahmen mit in den Stein gehauenen Mustern.


Wunderschöne, ornamentale Formen schmücken ihn ringsum. Ich muss ihn berühren. Langsam hebe ich meine Hand und mache mir bewusst, dass dieser Spiegel eine solche Anziehungskraft besitzt, dass ich, ohne es zu merken, aus meinem Flucht- und Angstmodus in den Entdeckermodus umschalten konnte. Ich führe meine Hand langsam auf den steinernen Rahmen zu und halte kurz inne.

Hinter mir wird scharf die Luft eingesogen. Ich fühle die Augen aller in diesem Moment auf meine Hand gerichtet. Zwei kleine Punkte pro Person fokussieren jetzt gerade meine Hand, wie sie nur noch ein Muskelzucken vom Rahmen entfernt in der Luft schwebt. Ich wäge kurz das Risiko ab, komme aber zu dem Entschluss, dass Stein kein leitendes Element ist und gebe meiner Hand den Befehl den Weg fortzusetzen. Noch bevor irgendjemand seinen Protest äußern kann, liegt meine Hand flach auf dem nackten Stein. Ich hätte erwartet, dass er kalt ist und sich rau anfühlt. Die Oberfläche erinnert mich an die alten, abgewaschenen Steine in Burg- oder Klosterruinen.

Überraschend überträgt sich eine wohlige Wärme in meine Handflächen. Es kitzelt leicht, so als wäre der Stein elektrisiert.

Das dies physikalisch unmöglich ist, schießt mir wiederholt in den Sinn. Mir flimmern kurz Bilder von alten, schlechten Horrorfilmen durch den Geist, in welchen Bücher oder Kerzenständer mit einer geheimen Mechanik verbunden sind, und mit einer kleinen Bewegung versteckte Türen öffnen können. Meine Handfläche löst sich, bis nur noch die Fingerspitzen den Stein berühren. Die mit unendlich vielen Nervenenden versehenen Spitzen gleiten leicht und vorsichtig über den Stein. Mit meinen Augen folge ich den unsichtbaren

Linien, die meine Finger ziehen. Ich suche nach kleinen Spalten in den Verzierungen, die darauf hinweisen könnten, dass hier ein Knopf versenkbar ist. Nichts. Ich kann allerdings auch nur einen kleinen Teil des Rahmens abtasten. Er ist bestimmt drei Meter breit und mindestens sechs Meter hoch. Diese gewaltige Masse ist so beindruckend, dass sie andere offensichtliche Phänomene im ersten Moment verdrängt. Mir fällt es auch nur auf, weil die Ornamente einen unüblichen Schattenwurf haben. Von der Spiegelmitte nach außen. „Ist euch aufgefallen, dass der Spiegel die einzige Lichtquelle hier unten ist?“, frage ich frei in den Raum. Dieses steinerne Ungeheuer

ist mir unheimlich. Er leuchtet tatsächlich aus sich selbst heraus. Irgendwas ist hier sowas von falsch. Ich übersehe etwas, das spüre ich, aber was? Dann bemerkt ein junger Mann hinter mir etwas ganz Entscheidendes. Er ist vielleicht so alt wie ich, vermutlich aber ein paar Jahre jünger. Seiner Figur nach verbringt er viel Zeit im Sitzen mit fettigen Snacks auf dem Schoß. Die Fluchtaktion hat ihn auf den paar Metern ordentlich ins Schwitzen gebracht. Vereinzelt läuft ihm noch ein Tropfen aus den buschigen Kotletten bis unters Kinn. „Das ist ja überhaupt kein Spiegel. Schaut mal, die Oberfläche zeigt nicht uns in dieser Höhle, sondern uns vor einem Wald.“ Der

Finger, mit welchem er auf das Bild im Rahmen zeigt, zittert vor Anspannung. Er hat Recht, das ist es, was nicht stimmt. Das Bild ist unmöglich. Wir sind in der Höhle, nicht in einem Wald. Mein Kopf fühlt sich an, als ob mein Gehirn Achterbahn fährt. Völlig unerwartet bläst eine leichte Brise aus dem Spiegel in unsere Gesichter. Wir alle machen geschlossen einen impulsartigen Schritt nach hinten und atmen kurz viel zu schnell ein. Ebenso, wie man es macht, wenn man sich ein wenig verwundert erschrickt. Ich öffne kaum meinen Lippen, während ich mich an die Worte des Wesens und einen der kryptischen Hinweise erinnere.

„Nicht alles ist, wie es scheint. Eins plus eins ungleich zwei. Ein Spiegel, der kein richtiger Spiegel ist“, flüstere ich nur leicht stimmhaft vor mich hin. „Irgendwas hat uns in diese Richtung getrieben, nun erwacht dieser Spiegel zum Leben.“

Mit diesen Worten wende ich mich der Gruppe zu und suche Hilfe oder Rat in den mir noch immer fremden Gesichtern. Wir sind zwölf an der Zahl und wenn ich meinem Bauchgefühl folge, dann haben vielleicht vier dieser Fremden genug Charakter hier etwas zu bewegen. Ich befürchte, dass die anderen eher Mitläufer und damit im schlimmsten Fall eine Belastung sind. Das klingt jetzt vielleicht überheblich, aber ich habe jetzt gerade in

diesem Moment, unfassbar viel Respekt vor dieser Situation. Jetzt, genau jetzt, als mir Wind aus einem Spiegel entgegenbläst, welcher mehr in seiner Reflexion zeigt, als tatsächlich da ist, genau jetzt habe ich Angst.


Angst macht mich zum Egoisten. Ich beginne dann vorwiegend an mich zu denken. Das muss meiner Meinung auch so sein, denn nur, wenn ich sicher bin, kann ich mich um andere kümmern. Ich scanne die blassen, vor Überraschung versteinerten Gesichter, und mache eine erste Einschätzung. Der Fette ist körperlich in desolatem Zustand, aber er scheint ein helles Köpfchen zu sein. Neben ihm steht eine junge Frau. Ihr Gesicht und ihre Körperhaltung verraten nicht viel. Hinter ihr

stehen zwei Männer. Sie lösen sich aus ihrer Starre und beginnen miteinander zu tuscheln, ohne den Blick von mir zu wenden. Wie alt mögen die sein? Ende vierzig? Akademiker? Vielleicht haben wir ja Glück und einer der beiden ist Arzt. Der linke sieht jedenfalls aus wie einer. Ärzte rieche ich normalerwiese von weitem. Sie haben alle eine Gemeinsamkeit; ihre latente Überheblichkeit. Götter in Weiss, wie man so schön sagt. Ich glaube jedoch nicht, dass die Überheblichkeit aus ihrem Status herrührt. Nein, ich denke, wer sich den ganzen Tag, ein Leben lang mit körperlichen Gebrechen abgeben muss, wird mit vielen persönlichen Schicksalen konfrontiert.

Dem entkommt man nur, wenn man den menschlichen Körper als Sachgut betrachten

lernt. Wie einen Motor oder eine Heizungsanlage. Ist etwas kaputt ruft man den Handwerker, der es wieder richten muss. Man benötigt Abstand, um in einem Menschen arbeiten zu können. Man muss sich und seinen Geist schützen, um Entscheidungen auf eine Diagnose und eine entsprechende Therapie zu treffen. Man muss lernen, verlorene Schlachten nicht zu nah an sich herankommen zu lassen. Der Patient und somit das gesamte menschliche Umfeld wird zum Sachgut, zu einem Ding. Da die Ärzte somit die einzigen Menschen auf der Erde bleiben, sind sie uns allen in ihrer eigenen Wahrnehmung jederzeit überlegen. Sie wissen gar nicht, dass sie überheblich sind. Sind schützen sich nur vor sich selbst. Der eine

Mann hat diesen Blick, der sagt „ich stehe hier mit Heizungsanlagen rum.“ Ich erwarte die ganze Zeit eine Einmischung von diesem Adrian. Er war so smart und dominant am Anfang. Nun hält er sich stark zurück, und scheint uns alle vorsichtig zu beobachten. Sein Blick ist wach und konzentriert. Ich wüsste gerne, was in seinem Kopf vorgeht. Wieso tritt er nicht in Aktion. Wieso übernimmt er nicht die Führung und Verantwortung? Neben mir stehen die beiden Mädchen, welche zuletzt aus dem Tunnel gerutscht sind. Sie stehen eng zusammen, die Körper dicht aneinander gepresst. Sie gehen sicherlich

noch zur Schule. Wie alt mögen sie sein? Zwölf? Sie haben schwarze glatte und glänzende Haare. Stünde ihnen nicht die Angst deutlich ins Gesicht geschrieben, könnten sie glatt Werbung für Germanys next Topmodel machen. Der erstarrte Block aus Menschen erwacht wieder zum Leben und umkreist untersuchend den Spiegel. Niemand löst sich aus dem Verbund, jeder hält sich mindestens an eine weitere Person. Aus dem Gemurmel um mich herum nehme ich einzelne Fragmente auf. Eine kleine Delegation hinterfragt, ob sie vielleicht an einem kollektiven Traum-Experiment teilnehmen. Andere philosophieren über die Möglichkeit, dass wir alle gerade gestorben

sind, und uns im Übergang befinden. Jeder kommt mit irgendwelchen schrägen Theorien oder abstrakten Konzepten daher. Ich finde es bemerkenswert, dass es niemand in Betracht zieht, dass dies hier einfach wirklich passiert. Den Gedanken zu äußern würde nun eine Kettendiskussion auslösen.

Darauf kann ich im Moment verzichten, da es uns nicht weiterbringt. Wir müssen hier raus. Ich bin fasziniert von der illusorischen Reflexion und gehe ganz dicht an die Spiegeloberfläche heran. Durch die zunehmende Nähe versuche ich den Trick dahinter zu erkennen. Ich suche nach einem Flackern oder dem unverwechselbaren Flimmern von Bildschirmen. Ganz langsam

hebe ich meine Hand auf Augenhöhe hoch, und bewege sie vorsichtig auf das Bild vor mir zu. So dicht stehe ich vor dem Spiegel, und doch kann ich kein Flackern, keine Bildkristalle oder andersartige technische Elemente ausmachen. Das Gemurmel und die Unterhaltungen um mich herum werden immer dumpfer, während ich mich immer mehr auf die obskure Projektion konzentriere. Meine Fingerspitzen sind nur noch wenige Millimeter davon entfernt. Ich zögere, stehe kurz davor meinen Arm wieder vom Spiegel zu entfernen. Dann sage ich mir, dass es irgendwann irgendjemand sowie machen wird. Warum also nicht ich? Ganz vorsichtig führe ich meine

Fingerspitzen auf die Oberfläche. Aus dem Augenwinkel sehe ich, dass die Gruppe sich erneut um mich herum geschart hat. Adrian ruft mir etwas zu, was ich nicht wirklich wahrnehme. Eigentlich müsste ich es jetzt spüren, das Material, welches das Bild erzeugt. Es müsste ein Hindernis für meine Fingerspitzen sein. Da ist aber nichts. Ich greife einfach durch die erwartete Scheibe hindurch. „Kann jemand meine Hand auf der Rückseite sehen?“ „Wie soll das denn gehen, du Idiot? Die Rückseite ist aus demselben Stein, wie der Rahmen.“ Jetzt nehme ich Adrian plötzlich wieder sehr gut wahr. Statt ihn auf seine wenig konstruktive Antwort hinzuweisen, versuche ich seine Reaktion zu

hinterfragen. „Aber meine Hand muss dahinten rauskommen. Ich habe sie durch den Spiegel gestreckt. Seht doch selbst, wie tief mein Arm hier drin steckt. Da muss hinten was rauskommen.“ Ich sehe wie Köpfe um den Steinrahmen herumschauen und genau in diesem Moment ungläubig erstarren. Abwechselnd schauen sie auf meine Hand, und dann wieder hinter den Spiegel. Adrians Arroganz weicht nun einer etwas zugänglicheren Reaktion. „Unglaublich. Erinnert ein wenig an den Häschen verschwindet im Zylinder Trick. Wie fühlt sich das an? Kannst du irgendwas fühlen?“ Seine Stimme ist deutlich höher, als

bei seiner Beleidung vorhin. Er ist nervös. So sehr mich diese neue Haltung von Adrian freut, so sehr lässt sie mich aber auch erschaudern. Wenn dieser Adrian schon nervös wird, wie sähe dann wohl eine angemessene Reaktion von mir aus? „Nein. Doch, es fühlt sich nach einem Luftzug an. Irgendwie frisch und ... irgendwie feucht?!“ Mit diesen Worten ziehe ich meine Hand wieder aus dem Spiegel und betrachte sie von allen Seiten eingehend. Alles noch dran. Soweit so gut. Dem erleichterten Ausatmen hinter mir leite ich ab, dass die Horrorfilme gute Arbeit geleistet haben. Ich würde ein Monatsgehalt wetten, dass die meisten befürchtet hatten, ich würde mein Arm nicht

mehr rausziehen können. Trotz der Ernsthaftigkeit der Situation, erzeugt dieser Gedanke ein leises Lächeln auf meinem Gesicht. Die Gruppe diskutiert intensiv unsere Optionen. Der Schacht durch den alle gefallen sind ist zu steil, um zurück zu klettern. Einen anderen Weg aus der Höhle gibt es nicht. Zumindest keinen natürlichen. In der Höhle bleiben ist keine echte Option. Kein Wasser, keine Nahrungsmittel. Frischluftzufuhr fraglich und keine Toiletten. Es gibt diese besonderen Momente, in welchen alles miteinander verbunden scheint. Hier ist gerade unserer. Keiner spricht, alle

blicken erwartungsvoll auf den Spiegel. „Was soll’s“, sage ich, steh auf und bevor mich jemand aufhalten kann stecke ich meinen Kopf in den Spiegel.

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Über den Autor

Gillegan
Danke, dass Du mein Buch liest.

Mein Debüt, Life Game, unterliegt leider noch immer meiner Überarbeitung. Beruflich ziemlich eingespannt, bleibt zu wenig Zeit, diesem spannenden Hobby nachzugehen. Ideen für neue Stories stehen Schlange und warten nur noch darauf, in Worte gefasst zu werden.

Ich danke allen die weiterhin kritisch aber neugierig meinen Geschichten treu bleiben.

C. G.

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