Der raue Tunnelboden aus blankem Stein scheuert schmerzhaft an meinem Rücken und Hintern, während ich mich dem Loch vor mir rasend schnell nähere. Je dichter das Licht auf mich zukommt, umso lauter werden die Stimmen. Ich glaube Warnrufe heraushören zu können. Wer oder was auch immer da unten ist weiß, dass ich komme. Sie bereiten sich auf mich vor. Unbehagen ummantelt meine Angst, und ich ärgere mich, dass ich nicht mehr Zeit an der Oberfläche verbracht habe. Wäre ich doch in die andere Richtung gegangen und hätte
nachgesehen, was sich dort befindet. Warum habe ich nicht vor dem Loch gewartet, ob vielleicht noch weitere Personen kommen? Schließlich war ich auf einem Pfad, da kann es doch sein, dass ich nicht der einzige bin, der sich darauf bewegt. Verdammt, jetzt ist es zu spät. Unbeeindruckt spuckt mich das Loch aus.
Noch im Sturz sehe ich Menschen in einer Höhle stehen und in meine Richtung starren. Der Aufprall auf hartem Steinboden presst mir jegliche Luft aus den Lungen und flutet meinen Körper mit Adrenalin. Atme, Ben. Du musst Luft holen. Mein Kopf weiß, was richtig ist, aber mein Körper ist derart verkrampft, dass mein Brustkorb sich keinen Zentimeter
bewegt. Mein Zwerchfell kann dem einschlägigen Befehl, sich zusammenzuziehen schlichtweg nicht folgen. Atmen, Ben. Ich reiße meine Augen auf und schlage meine Arme schützend vor mein Gesicht. Ich hoffe dadurch meinem Körper das entsprechende Signal zu geben, seine Grundfunktionen ebenfalls wieder aufzunehmen. Strahlenförmig überschwemmt ein rollender Schmerz meinen gesamten Oberkörper, aber er löst zumindest die Verkrampfung ab. Mit einem unmenschlichen Geräusch sauge ich pfeifend die Luft tief in meine Lungen. Einmal. Zweimal. Ich beruhige mich langsam wieder und mein Notfallprogramm springt ein. Wo bin ich? Wer oder was ist noch
hier? Die Stimmen, die ich im Tunnel bereits gehört hatte, sind allesamt verstummt. Ich komme mir in meiner verkrampften, schutzlosen Rückenlage etwas blöd vor. Wie ein Käfer, der sich ungelenk und nur mühsam aus seiner unnatürlichen Position heraus retten kann. Langsam löst sich meine verkrampfte Haltung, und ich blinzle zwischen meinen schützend vor mich gehaltenen Armen hindurch in die Höhle. Mein Herz schlägt fest in meiner Brust und ich spüre, wie das Blut mit hohem Druck durch meine Adern gepresst wird. Stress. Angst.
In der Höhle stehen andere Menschen. Sie
stehen dicht nebeneinander, mit ihren Rücken fest an die Höhlenwand gedrückt. Ihre Blicke sind angespannt. Ich lese dort dieselbe Angst, wie sie in mir gerade erneut befeuert wird. Einige sitzen auf dem Boden und halten ihre Arme fest um ihre angewinkelten Beine geschlungen, die Köpfe schutzsuchend zwischen die Knie gepresst. In allen Gesichtern kann ich die Gefühle sehen, die mir gerade selber Adrenalin durch den Blutkreislauf jagen. Angst. Spannung. Unsicherheit, aber auch Neugier. Die Männer vermitteln Bereitschaft zum Kampf, oder zumindest zur Verteidigung. Was ist nun die richtige Reaktion? Ich könnte einfach aufspringen und losrennen. Wohin?
Keine Ahnung. Ich bin in einer Höhle, hier gibt es keine lernbaren Regeln, wo ein Ausgang zu finden ist. Ich könnte mich auf einen Kampf einlassen. Warum aber sollte ich kämpfen? Was wäre mein Gewinn? Außerdem sind sie ganz klar in der Überzahl. Wie viele sehe ich? Zehn? Zwölf? Die Menschen an der Wand greifen mich nicht aktiv an. Es scheint auch nicht, dass dies gleich passieren würde. Wir taxieren uns alle gegenseitig stumm mit eindringlichen Blicken.
Hustend und noch pfeifend atmend setze ich mich aufrecht hin. Ich stütze mich vorsichtig auf meine Knie und sauge vor Schmerz scharf die Luft ein. Meinen Schmerz versuche ich mir nicht zu sehr anmerken zu lassen. Das Knacken meiner Kniegelenke durchbricht die
Stille im Raum, während ich mich langsam weiter aufrichte und dann vollständig stehe. Den Männern ist anzusehen, dass ihr Instinkt gerade innerhalb einer Millisekunde abwägt, ob ich mich für einen Angriff bereit mache oder nicht. Meine schiefe Körperhaltung und das wenig erfolgreiche Verstecken meiner Schmerzen, machen diese Entscheidung sehr einfach. Da auch von ihnen augenscheinlich keine aktive Gefahr ausgeht, kann ich innerlich kurz durchatmen. Ich achte darauf, einen gesunden Abstand zu der Gruppe Fremder beizubehalten. Während ich mich langsam aufrecht und gestreckt hinstelle, senke ich meine Arme, als Signal der Friedfertigkeit. Alles andere signalisiert, dass ich mich
bereithalte, schnell zu reagieren. Diese Haltung lässt mich allerdings nackt und hilflos fühlen. Ich spüre, dass ich einen Tunnelblick, wie in Situationen höchster Anspannung habe. Mein direktes Sichtfeld ist links und rechts eingeschränkt, dafür sind die Elemente im primären Blickfeld umso klarer. Meine Umgebung habe ich völlig ausgeblendet. Ich weiß zwar, dass ich anscheinend in einer Höhle bin, aber das ist nebensächlich. Interaktion kann nur mit den Menschen an der Wand erfolgen. Mehr sehe ich im Moment auch nicht. Ich sehe nicht einmal bewusst die gesamte Gruppe, sondern nur Teilausschnitte. Gerade genug, um die Gesamtsituation durchweg einschätzen zu können, aber so eingeschränkt, dass ich mich nur auf einzelne
Personen konzentrieren kann. Mein Blick fliegt erst schnell von links nach rechts über die Gruppe, dann wieder zurück. Ich sehe junge Menschen, überwiegend Männer, und alle mit angespannten Gesichtszügen. Dazwischen vereinzelt auch weibliche Züge. Sie blicken eher beängstigt drein. Ich atme heftig und merke, dass ich noch immer nicht vollständig aus meiner Kampfhaltung heraus bin, und korrigiere meine Haltung erneut. Arme runter Ben, Oberkörper lockern. Zeig ihnen, dass du keine Gefahr darstellst.
Ich drehe meinen Kopf leicht zur Seite, weil ich mein weiteres Umfeld sehen möchte. Links von mir, ungefähr auf Augenhöhe, ist der
Ausgang des Tunnels, durch den ich vor wenigen Augenblicken gefallen bin. Der Gedanke an den Sturz ruft mein geschundenes Steißbein zurück in Erinnerung und ich schneide kurz eine unglückliche Grimasse. Rechts von mir bläht sich die Höhle in einen großen Raum auf. Die Decke steigt auf gute zwanzig Meter Höhe an, während der Raum sich auf mindestens fünfzig Meter verbreitet. Am Ende des Gewölbes steht etwas Glänzendes.
Ich kann es von hier nicht erkennen, dafür ist es zu weit weg. Wie tief geht die Höhle rein? Sind das hundert Meter? Ich bin so schlecht im Schätzen. Also lege ich dieses Ding da hinten in der Höhle erstmal in die
Zwischenablage. Was sich hinter mir befindet, kann ich nur erahnen. Ich traue mich nicht, mich vollständig umzudrehen. Es scheint aber, als ob ich mich nicht weit von einer weiteren, begrenzenden Wand befinde. Was, wenn dort auch noch Personen stehen? Ich muss mich also umdrehen. Ein schneller Blick über beide Schultern bestätigt allerdings mein erstes Gefühl. Eine weitere Wand vervollständigt die 360 Grad Höhlenmauern.
Ich mache langsame, vorsichtige Schritte rückwärts auf die Wand hinter mir zu. Erst als ich sie in meinem Rücken spüre, kann ich mich ein weiter wenig entspannen. Ich atme zweimal tief ein, und vor allem aus. Ausatmen
ist so unglaublich wichtig, wenn man unter Stress steht. Die Gefahr zu hyperventilieren und ein zu hohes Pensum an Sauerstoff zu erreichen steigt dadurch exponentiell. Die Folge wäre Ohnmacht, und das kann ich jetzt als letztes brauchen. Dann richte meine Aufmerksamkeit wieder der Gruppe zu. Mein Blick flackert unentschlossen von einem Gesicht zum anderen. Ich möchte etwas sagen, aber wie beginnt man in dieser Situation ein Gespräch? Die wenigen Gesichter, welche ich bereits etwas genauer wahrnehmen konnte, sehen noch verängstigter aus, als ich mich im tiefsten Inneren gerade fühle. So schwer sollte es also nicht werden, das Eis zu brechen.
„Hi“, bringe ich mit einem sehr skeptischen Unterton hervor, bei welchem das „ei“ am Ende sehr hoch ausgesprochen wird, und somit mehr wie eine Frage klingt. „Könnt ihr mich verstehen, sprecht ihr meine Sprache?“. Eine lange Pause entsteht. Die Gruppe tauscht untereinander Blicke aus. Keiner sagt ein Wort. Das Eis bleibt damit vorerst ungebrochen.
Wenn sich herausstellt, dass wir keine gemeinsame sprachliche Basis haben, dann wird das hier ein echtes Problem. Das ist entmutigend. Mein erster Eindruck ist, dass diese Menschen hier auch aus demselben Grund stehen, wie ich. Es ist entmutigend, weil sie mich so auf Distanz halten.
Am besten nutze ich diesen Moment, um mir mehr Fakten zu verschaffen. Mir hat es immer sehr geholfen, mich mit Tatsachen auseinanderzusetzen, wenn ich nervös oder unsicher bin. Im Moment, fühle ich mich sehr einsam und habe Angst. Ich balle meine Hände zu Fäusten, und spüre, wie sich meine nasskalten Fingerspitzen in meine Handinnenflächen rollen. Bleib cool Ben und schau auf die Fakten.
Ich zähle neun Personen, zehn mit mir. Sie sind unterschiedlichen Alters. Es scheint keinen konkreten Anführer zu geben, sonst hätte ich jetzt nicht die Zeit, die Situation zu analysieren. Ein definierter Anführer hätte
bereits das Heft in die Hand genommen. Ich befinde mich also in einer Höhle. Ein großer, ovaler Raum aus nacktem Stein, ohne Nischen oder Vorsprünge. Auf den ersten Blick kann ich auch keinen Ausgang sehen. Vielleicht gibt es außer dem Eingang keinen anderen Weg nach Draußen. Warum sonst sollten die anderen noch hier sein?
Die Wände sind trocken, das ist ein gutes Zeichen, denn das bedeutet, dass wir hier nicht durch kalte, feuchte Luft zu schnell auskühlen. Neben hyperventilieren eine der nächsten Gefahren. Nasse Kälte. Sie entzieht einem langsam und unnachgiebig die Körperwärme und schwächte damit den gesamten Kreislauf und nicht zuletzt die
Motivation. Nach wenigen Augenblicken konzentrieren sich die Blicke der meisten aus der Gruppe auf eine einzige Person. Einen jungen Mann, blond, groß, vielleicht 186cm, trainierte Figur und sportliche Kleidung. Fester Blick. Er wirkt von allen am wenigsten ängstlich oder unsicher. Die Macht der Gruppe, denke ich still für mich. Sie hat ihm die Autorität und Macht erteilt, in ihrem Sinne zu handeln. Eine wichtige Erkenntnis. Kennst du die Regeln in einer Gruppe nicht, kann dich das einen hohen Preis kosten. Er ist also der Anker der Gruppe. Der junge Mann versucht seine selbstbewusste Haltung zu bewahren, doch die feinen Schweißperlen auf seiner Stirn und
die zu Fäusten geballten Hände verraten seine wirkliche Verfassung. Ganz so gelassen, wie er wirken möchte ist er nicht. Er fühlt sich beinahe wie ein Spiegel meines inneren Selbst an. Es sind die Feinheiten in der Körperhaltung und Körpersprache. Sie verraten über eine Person mehr, als alles, was sie vielleicht sagen wird. Diese Person vor mir ist angespannt und vermutlich nicht minder überfordert und eingeschüchtert von der Situation, wie ich es bin. Super Ausgangslage. Wir haben hier tatsächlich eine Gemeinsamkeit. „Adrian“ brachte er mit einer um Fassung kämpfenden Stimme hervor. „Ich heiße Adrian. Wir verstehen dich. Wo kommst du her?“ Mein ganzer Körper kribbelt vor
Aufregung. Der erste Kontakt, ein unendlich spannender Moment, welcher mich erneut vor Adrenalin überschäumen lässt. „Hallo Adrian, hallo alle anderen“, füge ich mit Blick in die Gruppe hinzu. „Ich bin Benjamin. Ben, bitte. Ihr habt keine Vorstellung, wie erleichtert ich bin, dass ihr mich versteht“. Ich hebe meine rechte Hand und winke einmal begrüßend in die Runde. Ein bestätigendes Gemurmel und vereinzeltes Nicken drängt zögerlich aus der Ansammlung von Menschen, die sich noch immer schutzsuchend an die Wand presst. Aber sie reagieren auf mich. Das ist ein gutes Zeichen. „Habt ihr eine Ahnung wo wir hier sind? Warum wir hier sind?“ Das Adrenalin in mir drängt darauf, aktiv zu bleiben. Am liebsten
würde ich augenblicklich die Höhle gründlich untersuchen, aber ich unterdrücke meinen Tatendrang noch. Auch wenn es Überwindung kostet, aber ich sollte versuchen, ein Teil dieser Gruppe zu werden. Zumindest, solange ich die Gruppe brauche. Scheiße, ich bin ein Macher, aber das hat mir im Job nicht selten Probleme bereitet. Ich möchte am liebsten immer sofort loslegen.
Dabei vergesse ich meine Teams allerdings nicht selten und gehe ihnen damit nicht professionell voraus, sondern renne ihnen davon. Davon profitiert am Ende keiner. Mein Ego vielleicht, weil ich es wieder fast ganz alleine geschafft habe, ein Projekt zu lenken und durchzusteuern. Ist das erstrebenswert?
Eigentlich nicht. Seit mir das bewusst geworden ist, versuche ich bewusst, meine Teams aktiver in alle Schritte und Entscheidungen einzubinden. In meiner aktuellen Situation bedeutet das aber auch, erst einmal ein Team aufzubauen. Lieber Ben, setz dich hin und werde erstmal Teil dieser Gemeinschaft hier. Adrian reißt mich aus meinen Gedanken. „Lasst uns alle hinsetzen. Ben, ich glaube, es gibt vieles zu besprechen. Jeder hat andere Informationen hierher mitgebracht. Wir sollten uns austauschen, was meinst du?“
Ich zögere noch, aber während die gesamte Gruppe nach und nach auf dem Boden Platz nimmt, gebe ich mir einen Ruck und setze
mich auch. Die Gruppe formt einen Halbkreis um mich herum. In der Luft liegt deutlich spürbar ein hoher Grad an Nervosität. Keiner traut dem anderen wirklich, keiner scheint sich in der jetzigen Situation richtig wohl zu fühlen. Ich vermute, die Gruppe ist noch nicht besonders lange in dieser Konstellation hier in der Höhle. Alle sind sich noch etwas fremd. „Wie lange seid ihr schon hier?“ platz die erste Frage schon aus mir heraus. Noch bevor ich eine Antwort erhalte, schiebe ich die nächste Frage direkt hinterher. „Kannten sich einige von Euch schon, bevor ihr hier aufeinander getroffen seid? Habt ihr auch alle diese freakigen Indianer getroffen?“ Adrian bremst meinen Fragenschwall dankbarerweise direkt ab. Sie alle sind nach
demselben Schema hierhergekommen, und waren sich vorher nie begegnet. Es gibt bislang keine nachvollziehbaren Verbindungen untereinander. Während Adrian sein eigenes Schicksal zusammenfasst spüre ich, wie die anderen, und auch ich mich, langsam entspannen, und ich von der Gruppe adoptiert werde. Es haften nicht mehr sämtliche Blicke durchgehend an mir, immer bereit auf eine überraschende Bewegung von mir zu reagieren. Manche Augen sind sogar geschlossen, während sie Adrians Worten lauschen. Nur noch vereinzelt liegt ein Blick über einen längeren Zeitraum auf mir. In den meisten Situationen hilft einem die eigene Intuition, einzuschätzen, wie sehr man unter Beobachtung steht, oder welchen Grad
an Akzeptanz man gerade erfährt. Ich stehe hier gefühlt genau in der Mitte. Für mich ist das ein klares Signal, dass ich zumindest unter Vorbehalt in der Gruppe aufgenommen wurde. Wie es scheint, sind die anderen bis auf Adrian mehr oder weniger direkt vor dem Loch im Boden aufgewacht.
Adrian und ich sind die einzigen, die sich für eine Richtung entscheiden mussten. Spielt das eine Rolle für unsere Situation? Adrian ist tatsächlich an das andere Ende des Weges gelaufen. „Wieso bist du nicht intuitiv in die Richtung gelaufen, in welche du aufgestanden bist?“, frage ich ihn, ohne lange nachzudenken, ob diese Frage notwendig oder clever ist. „Ich habe der Situation nicht
vertraut. Warum sollte ich meinem ersten Impuls folgen? Ist es nicht genau diese Handlungsweise, welche einen schnell und unvorhergesehen in Gefahr bringt? Oder anders ausgedrückt, sind Fallen nicht genau auf diese Art von Reaktion ausgerichtet?“ Im ersten Moment ist dieser Ansatz gar nicht so schlecht, im Gegenteil sogar. Eigentlich ist diese Überlegung sogar ziemlich clever. Etwas übervorsichtig und latent paranoid zwar, aber nachvollziehbar und menschlich. Allerdings öffnet Adrian mir damit auch einen Spalt die Tür zu seiner Grundhaltung; skeptisch, immer einen Verrat suchend, misstrauisch. Wenn er und ich miteinander klar kommen sollen, werden wir an seiner Vertrauensbasis arbeiten müssen. „Wie bist
du hierher gekommen?“ reißt mich Adrians markante Stimme aus meinen Gedanken. „Erzähle uns möglichst genau, was du erlebt und an Informationen mitgenommen hast“. Ich fasse also meine Geschichte so kompakt wie möglich, aber ebenso ausführlich wie meines Erachtens nötig zusammen. Die Reaktionen der anderen lassen mich vermuten, dass ich innerhalb meiner Erfahrungen keine nennenswerten, neuen Informationen zu der Situation beitragen kann. Während ich erzähle, dass ich mir den Tunnel mit der Lampe meines Smartphones ausgeleuchtet habe, geht ein selbstkritisches Murren durch die Gruppe, jenes Geräusch, welches einem unwillkürlich rausrutscht, wenn man gerade bemerkt, dass eine Handlung oder
Entscheidung definitiv einfacher oder besser hätte getroffen werden können. Da die Symbole ohne die Lampe an mir vorbeigegangen wären, gehe ich während meiner Erzählung hier besonders intensiv darauf ein. „Symbole?“, Adrians Reaktion ist erneut sehr vielsagend. Auch in den Rest der Gruppe fährt jetzt wieder mehr Leben. „Was für Symbole?“ Neugierig und zugleich verängstig blicken mich neun fremde Gesichter an. Sie müssen mir die Frage nicht offen stellen, ich weiß, dass sie mehr über die Symbole hören wollen. „Es gibt da nur ein Problem“, erkläre ich schon beinahe etwas beschämt. „Ich kann die Symbole nicht deuten. Sie wirken wie ein Code, es sind halt Symbole und mir ist nicht
klar, wofür sie stehen. Sie sind kryptisch, sie ergeben keinen Sinn für mich. Die Darstellungen folgen auch keinem einheitlichen Muster, welches für eine Interpretation zu Grunde gelegt werden könnte.“ Damit hat wohl keiner gerechnet. Ausdruckslos blicken sich meine neuen Gefährten gegenseitig an. Es überrascht mich nicht, dass ausgerechnet Adrian der Erste ist, der wieder zu Worten findet. „Kannst du dich an die einzelnen Darstellungen noch erinnern? Kannst du sie in den Sand zeichnen?“ In diesem Moment keimt ganz zart das Gefühl von ein wenig Überlegenheit bei mir auf. Ich lächle verschwörerisch und ziehe mein
Smartphone aus der Tasche. Gerade als ich die Notiz-App öffnen will, hören wir Geräusche aus dem Tunnel. Reflexartig stellen wir zehn Menschen uns mit dem Rücken an die Wand und starren gebannt auf das Loch in der Decke. Ich bin nun einer von ihnen. So schnell kann es gehen. Mit diesem Gedanken teile ich auch die Angst und Aufregung, welche sich hier nun ausbreitet. Dann sind im Loch in der Wand Schatten zu erkennen und die Höhle verstummt.