Eines Tages erzählten die Stadtmusikanten auf dem Bremer Marktplatz Edwin von Sieling, dem Sohn des Bürgermeisters, vom schönen Dornröschen, welches seit mindestens tausend und einer Nacht die Zeit verschlafe.
Zu Hause fragte Edwin seinen Großvater, das tapfere Schneiderlein, ob an dem Gerücht etwas dran wäre.
Der wiegte nachdenklich den Kopf, ging in den Keller und kam mit einer alten Schachtel unter dem Arm die Treppe nach oben. Er öffnete den Deckel, entnahm eine goldene Fliege, reichte sie seinem Enkel und sprach: „Es ist die Letzte von den Sieben. Sie gehörten alle Dornröschen. Du musst sie ihr zurückbringen."
Edwin bedankte sich, steckte den Zündschlüssel ins Schloss seines Porsches und sauste mit quietschenden Reifen los. Am Wasserfall traf er seinen Freund, Fritz Froschkönig. Der erzählte ihm, dass vor vielen Jahren, als seine Urururgroßmutter Aschenputtel im Schloss hinter den sieben Bergen arbeitete, die Prinzessin tatsächlich spurlos verschwand.
„Hinter den sieben Bergen“, fragte Edwin erschrocken:“ Da plant doch die Immobilienfirma „Rumpelstils“, gemeinsam mit der Versicherungsgesellschaft „Hans im Glück“ für Geschäftsleute aus der ganzen Welt das „Schlaraffenland für Faule". Mein Vater hat dieses Projekt als
Bürgermeister forciert und jedem der 6 Stadträte zur Besänftigung eine goldene Fliege geschenkt."
„Hast du dir eigentlich überlegt“, sprach Fritz, ob du Dornröschen, küssen wirst?" „Wenn sie hübsch ist, hab ich kein Problem damit", antwortete Edwin lachend.“ „Und wenn nicht“, fragte Fritz.
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„Hänsel, Hänsel , beeile dich“ rief Gretel. Sie wusste vom wahrsagendem Teufel mit den 3 goldenen Haaren, dass sich in wenigen Minuten das Schicksal der Märchenwelt entscheiden wird. „Er muss sie unbedingt küssen, sonst sind wir
verloren“. Sie nahm Hänsel die Puderquaste aus der Hand, tröpfelte Rosenöl auf die Wangen der Schlafenden, verwuschelte ihre Haare und öffnete die obersten Knöpfe ihrer Bluse.
„Ob sie ihn danach wenigstens ohrfeigt", fragte Hänsel eifersüchtig. „Papperlapapp, sie weiß genau, Schönheit ist vergänglich und ohne das Geld wird ihr Märchenreich in Vergessenheit geraten. Herr Wolf vom Finanzamt wartet auf ihre Zuarbeit, um sofort mit seiner neuen Rechenmaschine alle Geldforderungen zu erfassen. Es muss schnell gehen. Der Menschensohn soll nicht merken, dass er Teil eines Planes ist, den Dornröschen vor vielen Jahren mit
ihrer Tante, der 13. Fee, heimlich im Lebkuchenhaus ausheckte. Sie wollte damals auf keinen Fall den Rumpelstils heiraten, diesen windigen Versicherungsvertreter der Firma „Hans im Glück“ und lies sich lieber von ihrer Tante mit der Schere die Haare abschneiden und einschläfern. Rumpelstils schäumte vor Wut. Aus Rachelust drängte er den König per Knebelvertrag zur Abdankung und zwang alle Märchenbewohner ihre Beiträge mit Klumpen und Kugeln aus Gold zu bezahlen.
Nie hätte dieser Gierschlund beim Festmahl damit gerechnet, dass sein Vertrag ihn eines Tages in die Bredouille
bringen könnte. Hielt sich für besonders schlau, als er in der Police verankerte, dass er erst nach mindestens 300 Jahren und auch nur, wenn vorher ein Mensch eine Märchenprinzessin küsst, persönlich mit seinem Vermögen haften muss.
Er heiratete nie, zeugte aus Angst vor einer Tochter, keine Kinder, schikanierte alle im Märchenland und setzte sich jedes mal auf den Thron, wenn er mit "Schinder Hans“ aus der Menschenwelt telefonierte.
Es wird Zeit, dass Dornröschen aufwacht und sich hier etwas ändert. Habe genug von Unordnung und wüster Völlerei. Die Taler des Goldesels sind seit Jahren aufgebraucht. Ich bin nicht bereit,
weiterhin ohne Lohn zu arbeiten. Am Schornstein unseres Pfefferkuchenhauses müssen seit der Sturmböe vor 30 Jahren fast alle Ziegel ausbessert und die Öfen in der Mühle des gestiefelten Katers erneuert werden“, sagte Gretel und konnte sich gerade noch rechtzeitig hinter dem Fenstervorhang verstecken.
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Edwin von Sieling stürmte die Treppe herauf, sieht das schlafende Dornröschen, stutzt, nimmt die goldene Fliege und sagte ärgerlich: „Was soll das Schmierentheater Dornröschen, willst alle hinters Licht führen bevor du sie abzockst? Hab dich schon oft in der Bremer- Räuberklause
Tango tanzen sehen. Hast jedem deiner 6 Freier für nur einen Kuss ihre goldenen Fliegen abgeluchst. Nun liegst du blinzelnd hier, spielst das Unschuldslamm und lässt die Gretel im Ungewissen. Hoffst, dass ich dich küsse und dir die 7. Fliege auch noch gebe. Dann geht dein teuflischer Plan von damals in Erfüllung. Doch diese Suppe werde ich dir versalzen.
„Nein, nein, nein“, rief Gretel entsetzt und sprang hinter dem Vorhang hervor. Sicher eine Verwechslung. Unser Dornröschen liegt hier seit 300 Jahren und hat die Seite 17 im Märchenbuch nie verlassen. „Das glaubt ihr“ rief Edwin höhnisch, denn jeden 1. Dienstag und 3. Samstag im
Monat fallt ihr alle, ohne das es jemand merkt, seit fast 300 Jahren kurz vor Mitternacht in einen todesähnlichen Schlaf. Hab unterwegs Rumpelstils getroffen, der hat mir aus Rachelust alles erzählt. Doch er kennt nur die halbe Wahrheit.
Edwin von Sieling ging zu Gretel, küsste sie stürmisch auf den Mund und steckte ihr die goldene Fliege ins Haar. Überrascht und erschrocken wollte Gretel abwehren . Doch Edwin sprach. „Nun sollst du und dein Bruder endlich die Wahrheit erfahren. Als Eure Mutter, Schneeweißchen, damals überraschend starb, heiratete euer Vater, der König vom Bärenland, die 13. Fee
Rosenrot. Er war schwach und stimmte zu, dass ihr beiden, im Hexenhaus unerkannt für immer wohnen und die faule Marie, Tochter von Rosenrot, als Dornröschen bewachen und bedienen müsst.
Doch als die faule Marie vor 5 Jahren den Schinder Hans in der Bremer Räuberklause kennen lernten, änderten Tante und Tochter ihren Plan. Wollten erst das Versicherungsgeld einsacken und anschließend auf Kosten von Allen ein märchenhaftes Leben in der Menschenwelt führen.
Sie mussten nur noch verhindern, dass du Gretel, als letzte und einzige wirkliche Märchenprinzessin, von einem Menschenmann vorher geküsst wirst.
„Das hat dir der Teufel gesagt“, schrie das falsche Dornröschen, fing an sich die Kleider vom Leib zu reißen und mit ihren langen Fingernägeln das Gesicht zu zerkratzen. Aus ihrem Mund krochen Schlangen und ihre Augen begannen zu glühen. Ihr Körper zerfiel zu Staub, den der Wind aus dem Märchenbuch in alle Richtungen verstreute.
Gretel fing an zu weinen und wusste nicht was sie tun sollte.
Edwin sprach: „der Spuk ist vorbei. Fordert euer Recht vom Rumpelstils und seit fortan auf der Hut vor Lügnern und Betrügern. Lebt so, dass die Kinder euch weiterhin lieben und versprecht mir, dass
am Ende im Märchen immer das Gute über das Böse siegen wird.“
Dann fuhr er zurück nach Bremen und sprach mit seinem Vater über die Machenschaften vom Schinder Hans und seinen Kumpanen. Der Bürgermeister und die Stadträte waren jedoch nicht bereit, ihre Beschlüsse rückgängig zu machen. Sie beleidigten sich, stritten, konnten und wollten sich aus Sturheit nicht einigen. Und weil sie noch nicht gestorben sind, weiß man bis heute nicht, ob am Ende die Vernunft oder die Gier siegen wird.