Es war einmal eine der vielen, wunderschönen und sanftmütigen Prinzessinnen. Sie lebte in einem großen, weiten und ebenso anmutigen Land. Sanft geschwungene Hügel und Bergketten, dichbewaldete Anhöhen, deren Verlauf sich in von zartem Buschwerk eingebettete Täler verlor.
Dort hauste sie.
Niemals auf der Bergkuppe,wo der Wind hätte pfeifen können, oh nein!
Denn sie musste behütet werden. Behütet und bewacht, von hundert schwer bewaffneten Männern.
Mit ihren finsteren Gesichtern und den spitzen Speeren bildeten sie den perfekten Gegensatz zum sanften, anschmiegsamen Äußeren der Prinzessin.
Doch sie brauchte sie.
„Sicherheit für mich und meine Familie. Der König an meiner Seite will behütet sein.“ Das war ihr Motto. Wie es dazu gekommen ist, wollt
ihr wissen?
So hört:
Schon kurz nach ihrem Hochzeitsfeste machte es sich der starke und gutaussehende Königssohn, der sich die Sanftmütige zur Frau genommen hatte, bequem. In einem Anflug von Modernismus teilte er ihr mit, dass er nichts von der alten Rollenverteilung hielte. Vom Manne, der für Sicherheit und Wohlstand sorge, undsoweiter.
Das mache für ihn keinen Sinn.
Er habe das Spiel nur solange mitgespielt, bis er sich endlich von seinem eigenen Vater hatte lösen können. Was ja nur wiederum durch die Hochzeit mit ihr, der Sanftmütigen aus Bestem Hause möglich gewesen sei.
Sie traute ihren Ohren nicht, als sie es hörte, an jenem Abend, als er sich seiner Königskleider entledigte und es sich in seiner Unterwäsche vor dem großen Kamin bequem machte.
„Was zum Teufel...“begann sie, gar nicht mehr
sanftmütig.
„Ja, mein Kind, du hast es gehört. Ich werde dir ein schönes Leben schenken. Alles, was du dir wünschst. Schau dir die Wälder, Hügel und Täler meines Landes an. Sie passen in vorzüglicher Weise zu dir. Und wenn du noch mehr brauchst, lass es mich wissen. Geh raus und suche dir die Aufgabe, an der du schon immer wachsen wolltest. Ich werde dich unterstützen. Ich schenke dir dieses Land. Du darfst es nun regieren!“
„Aber ich habe Angst!“ entgegnete sie ihrem Ehemann trotzig. „Ich habe geheiratet. Um beschützt zu werden!“
„ Heilige Drachenscheiße!“, entfuhr es ihm da, als er sich gerade auf dem königlichen Sofa ausstrecken und die nackten Zehen am Feuer wärmen wollte.
„ Was ist nur aus den Frauen geworden? Hat der neue Zeitgeist sie noch immer nicht erreicht?“
„Was sollen wir nun tun?“ glitzernde Tränen
traten ihr aus den hellblauen Augen.
„Ich bin verzweifelt, wie ich es in meinem Leben nicht war!“
„ Oh, das lass dir mal die erste Lektion sein!“ lachte er brummend, als ginge es nicht gerade um ihrer beider Leben. „Ich bin es ebenso. Aber setz dich zu mir. Ich streichle dir die Hand. Da wird uns schon eine Idee kommen!“
„Was aber, wenn die Feinde auftauchen? Um dein schönes Land zu erobern?“
„Tja, das könnte zum Problem werden.“ Er lehnte sich nachdenklich zurück, nahm sich ein Stück des üppig mit Erdnussbutter bestrichenen Hefezopfes und kaute genüsslich darauf herum.
„Kommt Zeit, kommt Rat!“
Als die Feinde dann schneller als erwartet einmarschierten und das Schloss in weniger als einer halben Stunde einnahmen, war die Lage schnell geklärt:
Sie nahmen die sanftmütige Prinzessin zur Beute und schlossen sie im obersten Zimmer des
Südturmes ein. Dort war sie sicher und fühlte sich wohl.
Ihr Mann, der bequeme König, erklärte sich bereit, den Hofnarren zu spielen um sie alle bei guter Laune zu halten, wenn er dafür einfach nur das ein oder andere leckere Essen bekäme.
Und die hundert Wachen, die um das Schloss herum aufgebaut wurden, sorgten lediglich dafür, dass sich an diesem Zustand über Jahrhunderte nichts ändern würde.
Und damit ist diese Geschichte zu Ende -möglich, dass sie noch immer leben, sofern sie nicht gestorben sind.
Möglich auch, dass sie erst noch geboren werden müssen, die sanftmütigen Prinzessinnen und die bequemen Königssöhne.
Und natürlich die hundert Wachen, die das alles zusammenhalten!