Biografien & Erinnerungen
Rückflug nach Bukarest - Erinnerung - SP 98

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"manchmal kann Doofheit auch hilfreich sein ;-)"
Veröffentlicht am 12. November 2017, 10 Seiten
Kategorie Biografien & Erinnerungen
© Umschlag Bildmaterial: fleurdelacoeur
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Über den Autor:

"Der Lyriker bringt seine Gefühle zum Markt wie der Bauer seine Ferkeln." Wilhelm Busch Habe hier 2010 mit Gedichten begonnen, aber das meiste davon ist für mich inzwischen passé. Man lernt auch als Großmutter nicht aus ;-) Bin in der DDR aufgewachsen, immer berufstätig gewesen, links orientiert. In zweiter Ehe verheiratet, gehören zu meiner Familie drei Enkelinnen. Den Nick "Fleur de la coeur" hat seinerzeit meine Freundin Seelenblume ...
manchmal kann Doofheit auch hilfreich sein ;-)

Rückflug nach Bukarest - Erinnerung - SP 98

Rückflug nach Bukarest

“Wie kommst du denn in Bukarest vom Flughafen zum Studentenheim?“, fragte mich meine Mutter, während sie mich an diesem Spätsommertag 1963 nach Berlin zum Flughafen fuhr. „Und hast du notfalls genügend Lei für ein Taxi bei dir?“ Über die Fahrt hatte ich mir eigentlich gar keine Gedanken gemacht. „Es gibt dort Busse direkt ins Stadtzentrum. Vermutlich werden aber noch einige Bekannte mit mir im Flieger sitzen, wir könnten uns auch ein oder zwei Taxis teilen.“ Wir waren außergewöhnlich wortkarg. Sie war besorgt und auch mit mir unzufrieden; ich

hatte ihrer Erwartung nicht genügt und noch immer ein schlechtes Gewissen … Als ich ein Jahr zuvor das erste Mal von Berlin nach Bukarest geflogen war, geschah das in einer großen Studentengruppe. Unser Flug, die Abholung – alles war organisiert gewesen. Aber diesmal flog ich schon der Gruppe voraus, zur Nachprüfung, allein, wie meine Mutter glaubte. Ja, ich war durch eine Zwischenprüfung gerauscht, was mir auch sehr peinlich und unangenehm war. Ich hatte die Lernerei unterschätzt. Dachspaziergänge und Freibadbesuche waren ihr nicht gerade zuträglich gewesen. Aber in den Ferien hatte ich noch einmal ordentlich und systematisch gebüffelt und würde die versaute Prüfung nun

vor Semesterbeginn problemlos nachholen.


Als wir in Schönefeld die Abflughalle betraten, glaubte ich meinen Augen nicht zu trauen, so viele bekannte Gesichter hatte ich nicht erwartet. Wir lachten uns an, winkten, Grußworte flogen hin und her. “Sind das alles deine Kommilitonen, die auch zur Nachprüfung müssen?“, staunte meine Mutter und sah ziemlich nachdenklich aus. “Ja, die sind alle von unserem Institut, ich hatte keine Ahnung, dass wir so viele sind“, sagte ich und meine Mutter verabschiedete mich nun irgendwie beruhigt. Als wir an Bord gingen, füllten wir Studenten fast den gesamten Flieger. Es war eine IL 18,

eine viermotorige sowjetische Turboprop-Maschine. Ich erinnere mich heute nicht mehr, ob sie - noch in Blau - für die Lufthansa der DDR flog oder - schon in Rot - für Interflug. Die Lufthansa der DDR hatte den Namen und das Kranichsymbol an die gleichnamige Fluggesellschaft der BRD verloren. Der Flug verlief normal, mit leckerem Imbiss, die Stimmung war gut, bis plötzlich ein Mädchen sagte: “Auf meiner Seite dreht sich nur noch ein Propeller!“ Alle Köpfe gingen nach links. Mir fiel ein, in einer Zeitschrift gelesen zu haben, dass diese Maschinen auch mit nur zwei Aggregaten sicher fliegen, notfalls sogar mit nur einem

noch landen können.
Sie lag ruhig in der Luft, hatte aber an Höhe verloren.

“Jetzt geht hier auch nur noch ein Propeller!“, kam es etwas später schrill von rechts. Unter dem klaren blauen Himmel konnte ich die Gebirgskette der Südkarpaten knapp unter uns erkennen. Weiter südlich lag schon die Tiefebene. “Regt euch nicht auf!“, versuchte ich die anderen zu beruhigen, „wir haben gerade die Karpaten überflogen und werden bald in Bukarest landen. Sie haben das zweite Triebwerk abgeschaltet wegen des Gleichgewichts. Ich bin schon einmal mit einer IL 18 nach Bulgarien geflogen, da war das

genauso“, schwindelte ich, „wir sind ganz normal gelandet. Und das werden wir auch hier. Sie sparen einfach nur Treibstoff.“

Als nach einer Weile auch das dritte Triebwerk ausfiel, hatte ich noch immer keine Angst, aber mir fiel nun auch keine Erklärung mehr ein. “Keine Panik, wir werden ganz normal landen!“, wiederholte ich nur mit fester Stimme. “Offenbar wussten sie, dass wir die Doofen, die Durchgefallenen sind und haben uns ein kaputtes Flugzeug gegeben“, sagte ein Junge hinter mir halblaut und lachte hysterisch auf. Nach und nach fielen wir alle in das Gelächter ein. Dann wurden auch schon die Landebonbons verteilt und bald darauf setzte die Maschine in Bukarest-Băneasa mit einem

kurzen Holperer auf. Der Pilot muss ein wirklicher Könner gewesen sein!


Als wir über die Gangway ausstiegen, sahen wir reihenweise Feuerwehrautos an der Landebahn stehen …

In der Ankunftshalle fielen mir meine rumänischen Freunde „Pimpinella“* und seine Frau „Lore“* überglücklich um den Hals. In seinen Wimpern blitzte noch eine Träne und sie sah total verheult aus. “Was hat man euch denn hier nur erzählt über unseren Flug?“, fragte ich „Sie hatten für den Sinkflug einfach nur zwei Triebwerke abgeschaltet …“ Doch sie winkten nur ab.

“Wir hatten ja solche Angst! Doch du, ihr alle, hattet sämtliche Schutzengel der Welt!"


© fleur 2017


* "Pimpinella" und "Lore" wurden im Zyklus "Die Taube auf dem Dach" von mir verewigt, der zwar auch viele autobiografische Elemente enthält, jedoch nicht zu 100% ;-)

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Über den Autor

FLEURdelaCOEUR
"Der Lyriker bringt seine Gefühle zum Markt wie der Bauer seine Ferkeln."
Wilhelm Busch

Habe hier 2010 mit Gedichten begonnen, aber das meiste davon ist für mich inzwischen passé. Man lernt auch als Großmutter nicht aus ;-)
Bin in der DDR aufgewachsen, immer berufstätig gewesen, links orientiert. In zweiter Ehe verheiratet, gehören zu meiner Familie drei Enkelinnen.

Den Nick "Fleur de la coeur" hat seinerzeit meine Freundin Seelenblume für mich ausgesucht. Er hat nichts mit der Gestalt aus den Harry-Potter-Büchern Fleur Delacour zu tun.

Inzwischen bin ich im letzten Lebensquartal angelangt, da küsst mich die Muse nur noch selten. ;-(

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Brubeckfan O ja, dieses naive Vertrauen in Fachleute, in Ärzte, Unteroffiziere, Firmenchefs ... kenne ich auch. Hier hat es Dich wenigstens aktuell vor Panik bewahrt.
Na inzwischen nehmt Ihr ja nur noch Flußschiffe. nicht.
Viele Grüße!
Gerd
Vor langer Zeit - Antworten
FLEURdelaCOEUR Lieber Gerd, die Flussschiffe und auch mal ein kleineres Kreuzfahrtschiff auf dem Meer (MS Berlin, ca. 400 Pass.) waren für uns genau richtig. Ohne Modenschau und ähnliche Spektakel. Inzwischen ist alles Vergangenheit. Unsere kleine Osterkreuzfahrt um Rügen und Usedom herum mussten wir krankheitshalber absagen, diesmal war's mein Knie ... Auch das Herumstehen auf den Flughäfen schaffen wir nicht mehr, egal welches Personal gerade streiken mag ... Es ist vorbei, wir haben aber noch unsere schönen Erinnerungen. Zu manchen Flussschiffen sind wir übrigens auch per Flug angereist, zu Donau, Douro und Seine.
Danke für deine Begleitung nach Bucuresti, es war mir eine Freude! ;-)
Schöne Grüße
fleur
Vor langer Zeit - Antworten
Enya2853 Liebe Fleur,
im Nachhinein waren es ja wohl deine Ahnungslosigkeit und dein Vetrauen in Technik, die dich so gelassen ließen.
Mein Schwiegersohn ist ja Flugkapitätn und oft, wenn er erzählt, wird mir ganz anders. Ich bin, als die Kinder auf der Welt waren, nicht mehr gern geflogen, es wurde immer schlimmer. Aber nach den Berichten meines Schwiegersohnes mag ich nun gar nicht mehr.

Du hast das Geschehen sehr gut und authentisch dargestellt, ein lebendiges Erleben in einem flüssigen Schreibstil. Klar, dass man das nicht vergisst.

Ich habe deine Rückschau sehr gerne gelesen.
Liebe Grüße
Enya

Vor langer Zeit - Antworten
FLEURdelaCOEUR Danke dir für alles, liebe Enya, ich freue mich sehr, dass dir die Geschichte gefällt. Nur gut, dass ich damals keinen Durchblick hatte ...
Liebe Grüße
fleur
Vor langer Zeit - Antworten
welpenweste Wie realitätsnah - ich habe ähnliches schon erlebt, allerdings mit einem Düsenflugzeug. Als der Kapitän aus Sicherheitsgründen Treibstoff abließ, da sah es so aus, als ob die Triebwerke brennen würden.
Auch bei uns waren damals am Flugplatz alle Feuerwehreinheiten zur Stelle. Zum Glück überflüssig. Und auch in meinem Fall muss der Pilot hervorragenden Job gemacht zu haben.
Herzlich
Günter
Vor langer Zeit - Antworten
FLEURdelaCOEUR Dankeschön! Es ist tatsächlich so passiert, also ein Tatsachenbericht.
LG fleur
Vor langer Zeit - Antworten
schnief Oh je, was für ein Glück und so etwas vergisst man sicherlich niemals.
Liebe Grüße Manuela
Vor langer Zeit - Antworten
FLEURdelaCOEUR Danke für alles, liebe Manuela. Allerdings habe ich auch heute noch nicht das Gefühl, als hätte es mich hautnah betroffen.
Liebe Grüße
fleur
Vor langer Zeit - Antworten
Memory 
Ach ja, daran konnte ich mich gleich wieder erinnern, liebe Blume.
Manchmal ist es besser, man bleibt ahnungslos :)
Liebsten Nachurlsaubs-Gruß
deine Sabine
Vor langer Zeit - Antworten
FLEURdelaCOEUR Zumindest lebt man ahnungslos ruhiger!
Schön, dass du wieder zurück bist, liebste Sabine.
Ganz lieben Dank und Gruß
deine Maiblume

Vor langer Zeit - Antworten
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