BRUNO de BARY
Thema mit Variationen
oder: Notizen aus der gastronomischen Provinz
„Und ist der Hunger noch so klein,
zieh Dir mal ein Schnitzel rein.“
Da könnten selbst Indiens Heilige Kühe in schallendes Gelächter
ausbrechen, wenn sie denn Deutsch verstünden.
Ich jedenfalls tat dies, als ich gestern in meinem Briefkasten das
Wurfblatt eines Schnitzel-Expresses fand. Anbieter dieses Lieferservices ist
eine Gaststätte im Familienbetrieb; die Inhaber kommen aus Indien (!).
Ich aber wohne in jenem gesegneten Land im Herzen Europas
zwischen Milchseen, Butterbergen und Konjunkturtälern. Hier singen
die Menschen gern, wenn sie fröhlich sind: „Einer geht noch, einer geht noch rein.“
Der Satz ist schier abgründig in seinem schwarzen Humor. Würde mein Getränkelieferant an einen analogen
Einsatz von Werbelyrik denken, könnte er etwa reimen:
„Und ist der Durst auch noch so klein,
Ein Jägermeister sollts schon sein.“
Eingedenk der philosophischen Grundeinsicht, dass noch hinter jedem
Unsinn ein tieferer Sinn lauert, stelle ich die klassische Frage nach dem
Motiv:
„Der Drang zum Maximalgewinn
verführt zu Reimen ohne Sinn.“
Doch halt, zu kurz gesprungen!
Vielleicht handelt es sich hier ja um eine
Form der Konjunktur-Ankurbelung, um der allseits beklagten Nachfrageschwäche abzuhelfen?
Eingedenk der bahnbrechenden Erkenntnis von Henry Ford:
Schnitzel kaufen keine Schnitzel, oder so ähnlich?
Dämmert dem Verse-Klempner gar, dass die Frage nach dem tatsächlichen Bedarf den Anfang vom Ende der Wachstums-Wirtschaft bedeutete?
Wo der gesunde Menschenverstand mit
seinem Latein am Ende ist
(oder umgekehrt), hilft oft ein streng wissenschaftlicher Ansatz
weiter. Hierbei müssen wir zunächst zwei Ebenen analytisch auseinanderhalten.
„Und ist das Hirn auch noch so klein,
ein dummer Spruch geht stets noch rein.“
„Auch wenn wir längst schon gichtkrank sind,
bestelln wir stur vom Schwein und Rind.“
Indes: Nach Kierkegaard, Heidegger et
alii kommt es letzten Endes auf die „konsistente Validität normativer Geltungsansprüche“ (so sinngemäß Habermas in: Der philosophische Murks der Moderne) an, kurz, auf die Moral:
„Du Schwein, Du Rind, nimm Dich in acht,
wenn wer auf Deine Kosten Reime macht!“
Doch wie lange bleibt sie noch ungehört, jene leise Stimme der Vernunft,
in dem Land zwischen Milchseen, Butterbergen und Konjunkturtälern,
wos immer wieder fröhlich schallt:
„Einer geht noch ...“ ?
Anmerkung des Komponisten: Die Originaltonart ist Spaß-Dur; der Interpret kann es bei
entsprechendem Geschick auch nach Ernst-Moll hin modulieren.